1912 - Familie Holzhai übernimmt die Brieftaube

Titel

1912 - Familie Holzhai übernimmt die Brieftaube

Beschreibung

Eigentlich wollten sich Anton und Genoveva Holzhai nach dem Verkauf der Wirtschaft zur „Friedenslinde“ (mit Brauerei und kleiner Landwirtschaft) in Attenhausen in Sontheim zur Ruhe setzen und einfach nur vom Zins leben.

Der Vater von Anton war noch Braumeister, der einzige Sohn Wilhelm, der in Mindelheim zur Schule ging, wollte die Wirtschaft nicht übernehmen. Aber im „Pfreamtgau“ war es den schon betagten Eheleuten nicht wohl - sie suchten sich eine neue Herausforderung und sahen sich in Ottobeuren um. Die Krone war eine Option, letztlich kauften Anton und Genoveva jedoch die Brieftaube - vermutlich von Joseph Degele, der nach einer Meldung des Ottobeurer Tagblatts am 20.01.1916 in Landsberg starb.
Im Ottobeurer Wochenblatt Nr 5 vom 30.01.1873 heißt es auf S. 2 mit Hinweis auf eine noch frühere Führung:
Nachdem der Unterzeichner die amtliche Genehmigung zum Betrieb einer Wirthschaft erhalten, eröffnet er heute dieselbe unter der Firma „Wirtschaft zur Brieftaube“. Mit dem Versprechen freundlicher und aufmerksamer Bedienung, sowie Verabreichung stets guter Speisen und Getränke, verbindet er die Einladung zu immer zahlreichem Besuche seiner Wirthschaft und bemerkt, daß es heute frische Blut- und Leberwürste mit Sauerkraut, sowie delikates Doppel- und Sommerbier gibt. Ottobeuren, den 30. Jäner [Jänner] 1873. Sylvest Schwägle, Postbote und Wirthschaftsbesitzer.

Das Gebäude wurde schon um 1915 in der Form umgebaut, in der es noch heute gut erkennbar ist, nur die beheizbare Kegelbahn von damals ist erhalten geblieben. Betrieben wurde die Wirtschaft bis ca. 1975. Bis zuletzt verfügte die Brieftaube über kein Telefon. Auf einer Werbe-Postkarte ist zwar eine vermerkt (Tel. 58), es ist aber die der benachbarten Metzgerei Micheler. 2006 verkaufte das Ehepaar Sirch das Gebäude, das heute für Wohnungen genutzt wird. Gebraut wurde nicht, das Bier kam vom Hirsch, der wiederum seine Gäste zum Kegeln schickte. Es gab zwar keinen Saal (die Gaststube hatte allerdings immerhin um die 300 m²), es gab aber ein Nebenzimmer und einen kleinen Biergarten. Die Blasmusik hatte in der Brieftaube ihr Stammlokal.

Die Lage an der alten Guggenberger Straße (heute Ecke Schützenstraße/Ludwigstraße) war verkehrsgünstig gelegen. Gäste mit Pferden konnten diese an einem Stadel anbinden, wo heute der Feneberg-Parkplatz ist. Einen Eiskeller gab es auf der anderen Seite der Ludwigstraße. Im 2. Weltkrieg waren teils im Bereich der Kegelbahn, teils in der Gaststube Klassenzimmer eingerichtet worden, nach Kriegsende beschlagnahmten die Amerikaner das Gebäude zeitweise.

Das Foto zeigt vor dem Gebäude (von links):
Anton (Wilhelm sen.?) Holzhai (18.10.1856 -  31.12.1931), Wilhelm Holzhai (29.08.1895 - 03.10.1982) sowie Wilhelms Stiefmutter Genoveva (11.12.1860 - 25.04.1944). Die erste Frau von Anton, Maria (06.09.1864 - 24.11.1896), starb, als Wilhelm erst ein Jahr alt war.

Wilhelm wurde aufgrund einer Fuß-OP nicht in die kämpfende Truppe eingezogen. Die Eltern betrieben die Wirtschaft weiter. Nach dem Krieg arbeitete Wilhelm bei der Metzgerei Micheler im Büro, bekam die Wirtschaft aber schon im Alter von 20 Jahren überschrieben. 1936 heiratete er Josefa (geb. Lederle, 02.01.1905 - 04.02.1976) aus Ronsberg.

Die Bilder wurden uns dankenswerterweise von Wilhelmine Sirch (geb. Holzhai) überlassen und von Helmut Scharpf digital restauriert. Die Schwarz-weiß-Bilder zeigen die Wirtschaft vermutlich vor dem 2. Weltkrieg, die farbigen Aufnahmen 50er und 1960er Jahre.
Auf dem ältesten Bild steht über dem Westeingang „Gasthaus zur Brieftaube v. Anton Holzhai“. Gegenüber (heute Fußweg vor Pension Eva) steht ein Holzkreuz (Aufschrift „Gelobt sei Jesus Christus“), am Ende blieb hier ein Schaltschrank der Bundespost. Der straßenseitige Zugang zur Kegelbahn ist nur noch auf dem ersten Farbbild zu sehen. Die beiden Fotos vom 22.07.2013 zeigen den heutigen Zustand. An der Seite ist die Kegelbahn noch auszumachen, insb. das Fachwerk.

Nach dem Tode von Wilhelm Holzhai schrieb das Memminger Volksblatt vom 02.01.1932 auf S. 4 folgenden Nachruf:
Ottobeuren, 2. Jan. Todesfälle. Am Silvesterabend verschied nach langer Krankheit der Privatier Herr Wilhelm Holzhai, ehem. Gastwirtschaftsbesitzer dahier. - Der Verstorbene, der ein Alter von 73 Jahren erreichte, war gebürtig von Rummeltshausen. Nach langjähriger Tätigkeit in der Fremde übernahm er im Jahre 1894 das Brauerei und Gastwirtschaft zur „Friedenslinde“ in Attenhausen. 2 Jahre später verlor der Verblichene seine erste Gattin. Er überwand auch diesen Schicksalsschlag und brachte nach Wiederverheiratung sein Geschäft durch Arbeit und Fleiß in die Höhe. Im Jahre 1912 übersiedelte der Verstorbene nach Ottobeuren, wo er bis vor einigen Jahren die Gastwirtschaft zur „Brieftaube“ betrieb. Seit längerer Zeit fesselte ihn ein schweres Leiden ans Krankenbett, von dem ihm der Tod nun Erlösung brachte. Der Trauergottesdienst findet am Dienstag, den 5. Januar 1932, vormittags halb 10 Uhr mit drauffolgender Beerdigung statt.

 

Urheber

unbekannt

Quelle

Wilhelmine Sirch, Ottostraße/ Digitale Sammlung Helmut Scharpf

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

1912-04

Rechte

gemeinfrei