1943-44– Auftrag der Reichskulturkammer Berlin zur Dokumentation der Basilika Ottobeuren auf Farbbildern
Titel
Beschreibung
Da man im Hinblick auf die Bombardierungen des Fliegerhorstes in Memmingerberg für Ottobeuren das Schlimmste befürchten musste, erhielt das Farbfilm-Studio Rolf-Werner Nehrdich (Berlin W 15, Kurfürstendamm 45, Tel. 91 69 69) von der Reichskulturkammer Berlin einen Dokumentationsauftrag.
Während ein eigener Luftwarndienst eingerichtet wurde, entstanden 1944 in nächtlichen Fotoaktionen über 2500 Dia-Aufnahmen. Ganze Scheinwerferbatterien dienten zur Ausleuchtung der Fresken. Man arbeitete nachts bei verdunkelten Fenstern, weil angeblich aller in Ottobeuren zur Verfügung stehender Strom der Günzwerke für die Ausleuchtung abgezweigt werden musste. (Bei der Mitternachtsmette am 24. Dezember 1942 beispielswiese war es den Gottesdienstbesuchern nicht einmal mehr erlaubt, eigene Lichter mitzubringen. Nur am Altar waren Kerzen gestattet.)
Die Baufirma Filgis stellte das Gerüst. Deutlich sieht man die vielen aufgepflanzten Scheinwerfer. Auf dem Foto ist rückseitig handschriftlich vermerkt: „Kirchendeckengemälde während dem Krieg aufgenommen von Herrn aus dem Rheinland, fahrbares 12 m hohes Gerüst“.
Laut einem Eintrag zur Firma des Berliner Fotografen auf der Internet-Plattform Fotografen-Wiki, arbeitete Nehrdich (1912-2002) von 1943-45 an der Ausführung des Führerbefehls zur Erfassung ortsfester Kunstwerke mit. Reichsweit war eine Vielzahl von Fotografen beauftragt worden. Die Fotokampagne (Abteilung „Bildende Kunst“ im Reichspropagandaministerium) firmierte unter verschiedenen Begrifflichkeiten: „Führerauftrag Monumentalmalerei“ / „Farbaufnahmen historischer Wand- und Deckenmalereien in Großdeutschland“ / „Farbdiaarchiv zur Wand- und Deckenmalerei“. Im Vorwort zu einem Fachbuch, das sich mit dem Thema auseinandersetzt, heißt es:
Die Kampagne dokumentiert historisch und künstlerisch wertvolle Malereien und Raumausstattungen in Bauwerken, die durch die Luftangriffe der Alliierten auf Deutschland gefährdet waren. Die circa 40.000 Farbdiapositive zur mitteleuropäischen Wand- und Deckenmalerei der 9. bis 20. Jahrhunderts zeigen Dekorationsprogramme von etwa 480 Gebäuden in Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien, Russland und Italien. Sie überliefern in hoher Qualität die letzten, oft die einzigen farbigen Ansichten bedeutender Kunstwerke vor ihrer Zerstörung oder Beschädigung im Zweiten Weltkrieg.
Literaturzitat:
Fuhrmeister Christian, Klingen Stephan, Lauterbach iris, Peters Ralf (Hrsg.): Führerauftrag Monumentalmalerei. Eine Fotokampagne 1943 - 1945, Böhlau Verlag, Köln, 2006, 285 S., ISBN 978-3-412-02406-2
Auf Seite 65 ist eine Aufnahme aus der Basilika Ottobeuren abgedruckt (westl. Querschiff, Maria als Gnadenvermittlerin). Dazu heißt es: „Die Bezahlung der Aufnahme wurde von den Gutachtern des Propagandaministeriums abgelehnt, weil im unteren Teil des Dias die Lampen zu sehen sind.“
Die Aufnahmen sind zum Teil im Internet abrufbar, in hoher Auflösung leider nur kostenpflichtig. Die Qualität der Aufnahmen ist - für die Zeit - sensationell gut. Beispiele siehe beim Fotoarchiv Marburg oder der Universität Leipzig.
Geben Sie hier den Suchbegriff „Ottobeuren“ ein (falls nicht gleich direkt verlinkt):
www.zi.fotothek.org (Abruf der Nehrdich-Bilder)
www.bildindex.de (über 2200 Treffer)
www.prometheus-bildarchiv.de (anmeldepflichtig)
Hunderte Bilder sind hier zusammengefasst:
Katalog.Arthistiricum.net (ab etwa Treffer 40)
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Paula Zuchtriegel schrieb in ihren Erinnerungen* über die Lage in Ottobeuren ab dem Sommer 1944:
Fast täglich gab es nun Fliegeralarm, obwohl Ottobeuren nur überflogen wurde. Da jedoch die Augsburger Waagenfabrik Pfister nach Ottobeuren ausgelagert war und die beiden sonstigen kleinen Ottobeurer Metallbetriebe für die Rüstung arbeiteten, war keine 100%ige Gewähr für eine Nichtbombardierung gegeben. Die Kostbarkeiten in der Basilika und besonders die Bilder und Fresken in den Kuppeln wurden fotografisch von einer auswärtigen Firma festgehalten. Nicht nur die Bombardierung der Stadt Memmingen und des Fliegerhorstes Memmingerberg ließ in Ottobeuren die Fensterscheiben klirren. Auch die nächtlichen Angriffe auf die Städte Ulm, Augsburg und München waren hier wie ein Gewitter wahrzunehmen. In das Donnergeräusch der Bombenflugzeuge mischten sich die Blitze der Brandbomben und die Detonationen. Der Himmel war jeweils wie durch ein Abendrot erhellt und man wusste z. B. »jetzt brennt die Stadt Ulm«. Dazu kamen tagsüber Tiefflieger, die auf alles was sich bewegte, also auch Menschen, schossen. Unterschlupf suchte man dann, wenn man gerade auf der Straße war, unter Treppeneingängen, Kanalrohren und wo auch immer man sich nur etwas verstecken konnte.
In den »Nachrichten aus der Kongregation, Oktober mit Dezember 1944« schrieb der damalige Abt, Dr. Josef Maria Einsiedler: „Die Photographen, die von Kirche und Kloster farbige Bilder aufnahmen, haben ihre Arbeit, soweit sie uns betraf, beendet.“
Das hier abgebildete Foto stammt aus dem Fotoarchiv der Baufirma Filgis und wurde dankenswerterweise von Georg Filgis zur Verfügung gestellt (Scan und digitale Restaurierung: Helmut Scharpf, 01/2015).
*Quelle u.a.: Heimatdienst Ottobeuren (Hrsg.): Ottobeuren vor 50 Jahren, 1995; auf Seite 5 wird die beauftragte Firma falsch als „Fa. Nedrich aus Leipzig“ bezeichnet (statt Nehrdich, Berlin)