11-1913 - Bild der Aussegnungshalle Ottobeuren
Titel
Beschreibung
Die Aufnahme der Aussegnungshalle auf dem Ottobeurer Friedhof ist vor etwa 100 Jahren entstanden. Man sieht noch die schöne Stuckeinrahmung des mittleren oberen Fensters (mit den Buchstaben „RIP“ für requiescat in pace - Ruhe in Frieden) und zwei Kamine auf dem Dach.
Eine Aussegnungshalle ist ein Symbol für ein ewiges Zuhause im Frieden bei Gott. Sie steht auf dem Friedhof, dem Gottesacker, wo Menschen zur Ernte Gottes werden. Eine Aussegnungshalle ist ein Ort des Übergangs, wo man Abschied nimmt von den Menschen und in eine neue Wohnung, das Zuhause bei Gott, eintritt.
Am 7. Juli 1907 beschloss der Gemeinderat unter Bürgermeister Anton Frey den Bau des Leichenhauses, das zum 1. Januar 1909 seiner Bestimmung übergeben werden konnte. Im Archiv der Marktgemeinde befinden sich ausführliche Unterlagen, u.a. Planskizzen von Baumeister Madlener. Der Friedhof wurde Richtung Norden und Osten erweitert, das neue Leichenhaus stellte den Abschluss dar. Durch eine neue Umfriedungsmauer wurde das Gebäude eingebunden. Die Kosten beliefen sich auf insgesamt 21.020,24 Mark, eingeschlossen den Grunderwerb, die neue Friedhofsmauer und die Kosten für die Ausführung (Baugeschäft Filgis, Nachfolger von Madlener). In den Unterlagen im Gemeindearchiv tauchen als weitere Beteiligte die Namen Anton Angstwurm (Schreinermeister), Mayer (Baumeister) und ein Mayer (Zimmerermeister) auf.
Als Leichenhaus musste es über einen eigenen Sezierraum verfügen. Dafür wurde ein „großes Obduktionsbesteck“ für 65 Mark geliefert, ein Seziertisch und ein Eimer. Wann der schöne Stuck entfernt wurde, konnte noch nicht geklärt werden.
Der Friedhof selbst dürfte um 1580-83, zusammen mit der Sebastianskapelle (unter Abt Kaspar Kindelmann, restauriert 1997) entstanden sein, nachdem der Friedhof vor St. Peter (heute Haus des Gastes, Friedhofsgelände Teil des heutigen Marktplatzes) nicht mehr ausreichte. Der außerhalb gelegene Friedhof war auch Pestfriedhof. Die Gräber auf dem Bild sehen alle recht uniform aus, auch die Kreuze. Die Individualisierung der Grabstellen begann jedoch schon vor dem 1. Weltkrieg.
Das Ottobeurer Wochenblatt Nr. 149 vom 31.12.1908 berichtete auf Seite 2 über die Einweihung am 29.12.1908:
Am vergangenen Dienstag Vormittag wurde unser neues Leichenhaus eingeweiht. Damit wurde verbunden die Weihe des neuen Gottesackersteiles und, weil bei der Erweiterung der Umfassungsmauer fünf Kreuzwegstationen verlegt werden mußten, eine Neuweihe des ganzen Kreuzweges. Diese wurde vom Hochw. Herrn Pfarrer vorgenommen. In einer Ansprache wies er hin auf die starke Seelenzunahme in der Pfarrei seit einigen Jahrzehnten und auf die Vorteile, welche ein Leichenhaus mit sich bringt. Trotz der sehr kalten Witterung hatten sich sehr viele Leute eingefunden. Auch Herr Bürgermeister Frey und die Gemeindeverwaltung waren zugegen. Mit dem 1. Januar wird das Leichenhaus seiner Bestimmung übergeben.
Zitherklub. Der neugegründete Zitherklub Ottobeuren veranstaltet heute abends präcis halb 8 Uhr, in der Bahnhofsrestauration dahier eine Familien-Unterhaltung mit Konzert, und dürfte dieses sicher alle Freunde des schönen und edlen Zitherspiels zu einem genußreichen Abend zusammenführen. (...)
Im Ottobeurer Wochenblatt Nr. 9 vom 21.01.1909 findet sich auf Seite 2 folgender Artikel:
Schon seit drei Wochen erwartet unser neueröffnetes Leichenhaus seinen ersten erwachsenen Gast. „Wer ist es wohl, der zuerst hinaufkommt? Bin ich es? Bist Du es? Wer wird es sein von uns? Vielleicht ist es jemand, der noch ganz gesund unter uns lebt.“ So und ähnlich waren die Fragen, die gestellt wurden. Und wirklich, es ist jemand, der sicher vor einigen Tagen noch nicht daran dachte, daß er der erste erwachsene Tote im Leichenhause sein werde. Den Herrn Joseph Alois Vollmar, Oekonom und zuletzt Privatier dahier, kannte jedermann noch bis in die allerletzte Zeit als scheinbar ganz gesund und rüstig – und heute liegt er im Totenhause. Vor einigen Tagen begab er sich nach Kempten, um sich dort einer Operation zu unterziehen. Durch diese hoffte er Heilung oder Linderung eines langen leidenden Zustandes, und sie brachte ihm den Tod. Welch ein Schmerz für seine Familie bei der unerwarteten Todesnachricht! Welch ein Bedauern um ihn bei allen, die den fleißigen stillen Mann kannten! Mit ihm ist wirklich ein seltener Mann gestorben. Sein Leben lang mit den Arbeiten seines Oekonomiegutes beschäftigt, hat er es verstanden durch Benützung fast jeder freien Zeit, sich gründliche und umfassende Kenntnisse von allem Möglichen zu verschaffen. Wer mit ihm zu reden kam, mußte staunen über seine Belesenheit und sein ungewöhnliches Urteil in verschiedenen Dingen. Der unscheinbare Mann hat wohl jedem, der ihn näher kannte, allen Respekt abgenötigt. Besonders groß war sein Interesse für alles, was die Lokalgeschichte Ottobeurens betraf. So hat er z. B. eine eigene Reise nach Wangen im Allgäu gemacht, um dort das Grab des letzten Prälaten von Ottobeuren zu suchen, das er photographieren ließ. Möge seiner Familie die allgemeine Teilnahme, die ihr bei dem so unerwarteten großen Verluste überall entgegenkommt, einiger Trost sein!
Radfahrer-Verein. Am Mittwoch, den 17. Februar wird der Radfahrer-Verein Ottobeuren in seinem Vereinslokale zum „Engel“ den Mitgliedern und Ehrenmitgliedern einen gemütlichen Faschings-Abend veranstalten, wobei Tanz, Theater und komische Vorträge abwechslungsweise den Abend ausfüllen werden. (...)
Die Todesanzeige für Vollmar war am 19. Januar 1909 auf S. 6 abgedruckt.
Todesanzeige. Gott dem Allmächtigen hat es gefallen, gestern früh 9 Uhr nach kurzem, schwerem Leiden, unerwartet schnell, versehen mit den Tröstungen unserer hl. Religion unseren treuen, innigstgeliebten, unvergesslichen Gatten, Vater, Bruder, Grossvater, Schwiegervater, Onkel und Vetter
Herrn Josef Alois Vollmar, ehem. Ökonom dahier im Alter von 60 Jahren zu sich in die ewige Heimat abzurufen. Wir empfehlen den teuren Verstorbenen dem frommen Gebete. Ottobeuren, den 19. Januar 1909. Die in tiefster Trauer Hinterbliebenen.
Die Beerdigung findet statt am Donnerstag, den 21. Januar vormittags 9:00 Uhr vom Leichenhause aus mit darauffolgendem Trauergottesdienste.
Die schöne Fotografie wurde von Adalbert Vögele zur Verfügung gestellt und von Walter Buchmiller digital restauriert. Auf einem Grab links lässt sich der Name der „Jungfrau Theresia Waldmann“ lesen, gestorben (nur zu erahnen:) am 25. Juni 1912. Vor dem Gebäude scheint ein Hund zu stehen.
Neben den beiden Fassungen der alten Ansicht (in 300 und 600 dpi) sind eine Aufnahme von Herrn Buchmiller vom 24.12.2013 (in möglichst vergleichbarer Perspektive) sowie zwei weitere Fotos vom 21.12.2013 von Helmut Scharpf zu sehen.
Ergänzend die Seite 6 des Ottobeurer Wochenblattes vom 02.01.1909, darin zwei Annoncen von Ottobeurer Schreinereien, die Särge anboten: die Bau- und Möbelschreinerei von Martin Kuhn in der Ludwigstraße („neuerrichtetes Lager in lackierten und verzierten Särgen in allen Größen“) und das Sarg-Magazin von Franz-Xaver König (Luitpoldstraße 203). König nahm aktuellen Bezug: „Anlässlich der Eröffnung des Leichenhauses erlaube ich mir, der geehrten Einwohnerschaft von Ottobeuren und Umgebung die ergebenste Mitteilung zu machen, dass ich in meinem Hause Luitpoldstrasse 203 ein Sarg-Magazin errichtet habe und empfehle ich im Bedarfsfalle mein Lager unter Zusicherung grosser Auswahl und billiger Preise.“ (Die Hausnummer 203 entsprach nach 1951 die Nr. 55 - heute leer zwischen Brosig und Hotel Garni.)
Quellen: Ottobeurer Leichenhaus stammt von 1909, aus: Ottobeuren Life, Ausgabe 02/2009, S. 15, außerdem: Pater Rupert Prusinovsky (im Gespräch mit Helmut Scharpf vom 04.02.2014) sowie diverse Internetquellen.