764 - Die Ersterwähnung des Klosters Ottobeuren (Reichsstift Ottobeuren MüB 1)
Titel
Beschreibung
Auch wenn hinlänglich bekannt ist, dass es sich bei der sogenannten „Gründungsurkunde“ um eine Fälschung aus dem 12. Jahrhundert handelt, so ist und bleibt das dreiseitige Dokument doch eines der wichtigsten aus den dokumentierten Anfängen unserer Geschichte.
Schon 1790 hat der Memminger Prediger und Stadtarchivar Johann Georg Schelhorn (04.12.1733 - 22.11.1802, Sohn des Georg Schelhorn sen., 08.12.1694 - 31.03.1773) auf den Seiten 169 - 228 des zweiten Teils seiner „kleinen historischen Schriften“ die Echtheit des Urkundentextes infrage gestellt, während Pater Maurus Feyerabend in Band 1 auf den Seiten XXXVI - LXVIII (Link zum 1. Band) noch an der Aussage festhielt, es handele sich um einen Originaltext (Zitat S. 114: „Uebrigens ist das in der Urkunde bemerkte Stiftungsjahr 764 entschieden gewiß, und dasselbe darf für Ottenbeuren weder fruher, noch spater angesetzt werden.“) - wobei auch Feyerabend auf S. 110 die hier abgebildete Urkunde als spätere Kopie anerkennt („... Stiftungsurkunde, wie sie, nicht in der ersten original Handschrift, sondern durch den ältesten Hauschronographen des XIIten Jahrhunderts in einer Abschrift auf uns gekommen ist ...“).
Der Schelhorn-Text soll bis 1.6.2014 hier in Abschrift zur Verfügung stehen. Abrufbar ist jetzt schon das Cover sowie eine Musterseite des Originals.
Der aktuell (2014) tätige Klosterarchivar, Pater Rupert Prusinovsky OSB, hat sich anlässlich des Jubiläumsjahres (1250 Jahre Ottobeuren) in den Ausgaben 03 bis 05/2014 des „Ottobeuren Life“ ebenfalls mit der Urkunde und der Gründung befasst. Er schreibt in der März-Ausgabe:
Heuer feiert das Kloster und mit ihm gemeinsam der Markt Ottobeuren das 1250-jährige Bestehen. Dabei berufen sie sich auf eine „Stiftungsurkunde“, die - wie schon lange bemerkt wurde - nicht original ist, sondern erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts vermutlich auf Veranlassung des geschichtlich sehr interessierten Abtes Isingrim (1145-1180) auf der Insel Reichenau zusammengereimt wurde. (...)
Feyerabend verteidigte diesen Gründungsbericht (Fundatio) als „original“ und stand damit noch ganz auf dem Standpunkt der Ottobeurer Mönche des 18. Jh., die diese Schilderung der Gründung des Klosters sowohl 1715 von Elias Zobel im Refektorium (Abbildung!) als auch 1760 von Franz Anton Zeiller in der neuen Klosterkirche als selbstverständlich so stattgefundene Begebenheit demonstrativ malen ließen. Beide Deckengemälde gedenken auch der Schenkung (Dotatio) und Bestätigung (Confirmatio) durch Karl dem Großen und seiner Gemahlin Hildegard im Jahre 769, ohne auch nur im geringsten zu beachten, dass bezüglich beider angeführten Jahre - historisch kritisch betrachtet
- mehr als etwas nicht richtig sein kann.
Pater Rupert geht zunächst auf echte Erstnennungen ein und resümiert in der Maiausgabe 2014 schließlich:
Wann ist nun Ottobeuren wirklich gegründet worden? Hier müssen wir gleich von vornherein zwischen dem Ort
und dem Kloster deutlich unterscheiden. Bisher galt als älteste Nennung der Eintrag im Verbrüderungsbuch der
Abtei Reichenau (Zentralbibliothek Zürich: Ms. Rh. Hist. 27), das ab den 820er Jahren als Verzeichnis der Stifter
und Wohltäter des Klosters, aber auch als Liste der Personen angelegt wurde, die mit der Reichenau in enger
geistiger Verbindung standen. Und hier finden wir auf Seite 105 die Überschrift in schöner roter Farbe:
NOMINA FRATRUM DE MON[ASTERIO] QUOD NOM[I]N[A]T[UR] UTTINBURRA.
Und an erster Stelle steht vor der Namensliste der Mönche der dritte Abt von Ottobeuren, Milo.
(...)
Doch seit 1999 gilt nach Heinrich Wagner als bisher älteste Nennung der Eintrag in einem Verzeichnis von Anfang des Jahres 819 der Klöster, deren Abgaben und Leistungen künftig nach dem Vermögen festgesetzt werden sollen. Hier taucht in der Gruppe 3, die wegen ihres geringen Vermögens nur zum Gebet für Kaiser und Reich verpflichtet waren, das Kloster Scucturbura auf. Wagner identifiziert dieses Kloster nun nicht mehr mit Schlüchtern in Hessen sondern als Verballhornung von Huttinbura. Falls diese Ansicht zutrifft, so wäre dies die älteste Nennung unseres Klosters und der Beweis, dass Ottobeuren bereits zu Beginn des 9. Jahrhunderts als Königskloster eingestuft worden ist. Nach alledem lässt sich nun folgendes daraus schließen:
1. Der Ort Ottobeuren ist wesentlich älter als das Kloster. Er ist eine alamannische Gründung wohl des 7. Jahrhunderts.
2. Das Kloster ist mit Sicherheit nicht 764 sondern drei oder vier Jahrzehnte später gegründet worden. Es existierte aber mit Sicherheit schon ein paar Jahrzehnte vor 820/830. Was feiern wir Ottobeurer Bürger und Benediktiner also 2014? Ich glaube, mit unserem 1250jährigen Jubiläum einen allseits verträglichen Kompromiss! Der Markt darf sich nämlich mit Recht rühmen, älter als das alles ihn überragende Kloster zu sein, und die Abtei darf sich mit einem weinenden und mit einem lachenden Auge trösten, doch nicht so alt zu sein wie es scheint. Und so fügen wir wie Anno Domini 1764 noch einmal den hoffnungsvollen, zuversichtlichen Glückwunsch aus dem Buch Genesis 24,60 in jubelnder Freude hinzu, der Kloster wie Markt gemeinsam gelte: Crescas in mille millia – Werde tausendmal zehntausend Jahre alt!
Der eben genannte lateinische Spruch, der sinnbildlich für ein „ewiges Ottobeuren“ steht, ist übrigens in der Basilika im Gründerbild über der Marienorgel zu lesen.
Es folgt noch eine Gegenüberstellung des lateinischen Urkundentextes, mit den Transkriptionen von Feyerabend und Schelhorn und der deutschen Übersetzung.
Feyerabend gibt in genanntem 1. Band folgende deutsche Übersetzung wieder:
Im siebenhundert sechzigsten, und vierten Jahre nach der Menschwerdung des Herrn unter der Regierung Karls des glorreichen römischen Imperators. Ich Silach, ein edler, und sehr mächtiger Mann aus Alemannien, und meine Gemahlinn Erminswint sammt unsern Söhnen, Gauzipert einem Bischofe, Toto einem Kleriker, und zugleich Tagebert einem Laien erbauen, und stiften im Namen Gottes an dem Orte, welcher Ottenbeuren heißt, und in unserm Eigenthume, das wir getheilt, abgesondert, von allen unsern Miterben uneigennützigst an uns gebracht haben, und wirklich besitzen der kirchlichen Ordnung, und den Landesgesetzen gemäß ein Kloster. Alle Landgüter, und Leibeigene also, und unser ganzes Vermögen übergeben wir zu unserer gegenwärtigen, und künftigen Beseligung, und zum Troste unsrer verstorbenen Eltern dem allmächtigen Gott, dem seligen Apostelfürsten Peter, und dem unbesiegtesten heiligen Blutzeugen Alexander, als einen rechtlichen, und immerwährenden Fond, von nun an für das bemeldte Kloster, und zwar so, und mit der ausdrücklisten Willlenserklärung, daß keinem Menschen gestattet seyn soll, diese Schankung auch nur theilweise zu entkräften, oder jemals eine Aenderung daran vorzunehmen; sondern dieselbe soll für die Brüder, welche welche dort Gott dem allhöchsten, und wahren Könige dienen, zur Kost und Kleidung für ewige Zeiten bestimmt seyn. Sollte aber, was ferne sey, ein Eigenthumsstörer, oder eine Tirann diese unsere bestättigte Schankung anfallen, so sey er von Gott verflucht, der ewige Tod komme über ihn, er versinke lebendig in die Hölle, und werde ewig gepeiniget. Amen. Amen. Amen.
Diese Zeugen sind es, welche alles dieses gesehen, und gehört haben: Lanto, Hilti, Uteno, Landolf, Fridebert, Hargold, Rupert, und mehrere andere so wohl Edle, als Unedle.
Das Originaldokument liegt im Staatsarchiv in Augsburg und wurde auf Vermittlung von Helmut Scharpf im Auftrag der Marktgemeinde Ottobeuren gescannt. Die Seitengröße einer Seite beträgt ca. 23 x 15 cm. Seite 1 und 2 wurden zu einer Doppelseite zusammengefasst und mit 150 dpi (angezeigt 96) eingepflegt. Die Seiten sind Teil des Chronicon antiquissimum Ottenburanum, in der eine größere Zahl von Urkunden zusammengefasst ist. Die genaue Bezeichnung lautet:
Reichsstift Ottobeuren Münchner Bestand 1, fol. 1a'-2'. Die Entstehung der Chronik wird vom Augsburger Domkapitular Anton Steichele 1858 auf den Seiten 1 - 67 eingehend beschrieben:
Steichele Anton: Aeltestes Chronicon und Schenkungsbuch des Klosters Ottenbeuren, S. 1 - 67, in: Steichele Anton (Hrsg.): Archiv für die Geschichte des Bisthums Augsburg, 2. Band, 1. Heft, Augsburg, 1858, 432 S. (abrufbar über Google Bücher oder bei der Bayerischen Staatsbibliothek online). Eine Abschrift ist seit September 2017 hier abrufbar!
Pater Kaspar Kuhn näherte sich dem Thema Klostergründung mit seinem 1875 uraufgeführten Theaterstück auf spielerische Weise. Am Ende des Buches (S. 75 - 80 der Abschrift) wird die Urkunde zitiert und unterschrieben.
Die Stiftung der Abtei Ottobeuren wird auch im sogenannten Gründerbild (auch: Gründerfresko oder Ottobeurer Stiftungsbild) thematisiert; es befindet sich in der Basilika über der Marienorgel (Balkon auf der Nordseite der Kirche).Eine eingehende Beschreibung finden Sie hier (Eintrag für das Jahr 1760).
Anders als bei den meisten Dokumente im virtuellen Museum besteht für die Urkunde zur Ersterwähnung ein Urheberschutz (eben für das Staatsarchiv), für einen Nachdruck bedarf es deshalb einer erneuten Abdruckgenehmigung durch das Staatsarchiv. Für einen nicht-private Nachnutzung des Gründerfreskos ist eine Genehmigung durch die Abtei Ottobeuren einzuholen.