31.03.2015 – Eröffnung der Benefizausstellung von Inge Schickling
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Beschreibung
Am 19. März 2015 feierte Inge Schickling ihren 90. Geburtstag. Wie schon anlässlich des 80. und 85. Geburtages, so machte sie sich selbst und uns das Geschenk einer Ausstellung, die bis zum 9. April im Kursaal zu sehen war.
Über 100 Bilder aus ihrem reichen Fundus hatte sie ausgesucht. Ihr Skizzenbuch begleitet sie noch immer und das Malen sollte nach dem Krieg eigentlich mehr werden als nur ein Hobby. So wie bei ihrem Mann Erich Schickling (*19.04.1924 in Pickau, † 16.02.2012 in Eggisried/Ottobeuren), den sie 1955 heiratete, und dessen Werke heute in den Galerien der Erich-Schickling-Stiftung in Eggisried zu bewundern sind. Aber das staatliche Schulamt durchkreuzte diese Pläne.
Dass in ihren Motiven häufig Kinder zu sehen sind, zeigt ihre Passion für den Lehrerberuf, den sie von 1944 bis 1983 ausübte, zunächst in Masuren, ab 1946 in Ungerhausen, ab 1947 schließlich in Ottobeuren. Der Artikel zur Ausstellung in der Memminger Zeitung vom 1. April 2015 war denn auch überschrieben mit „Kinder sind mir das Allerliebste“. Der Erlös der Bildverkäufe geht an den Kinderschutzbund Ottobeuren und den Verein für junge Mütter in Not, Sprungtuch Memmingen e.V.
Für das virtuelle Museum wurden hier exemplarisch zwei Aquarelle ausgesucht, die erkennbar mit Ottobeuren zu tun haben: „Durchfahrt“ zeigt das landwirtschaftliche Anwesen Schalk am westlichen Ende des Weilers Eggisried, das man auf dem Weg zur Stiftung passieren muss, sowie die Buschelkapelle („Buschelkapelle bei Föhn“) als markantes Denkmal auf einer Anhöhe bei Fröhlins.
Die Fotos von der Vernissage am 31.03.2015 zeigen die musikalische Umrahmung durch die "Djemben-Kids" (Schülerinnen und Schüler der 1. Klasse der Ottobeurer Grundschule samt Lehrerin und Vorsitzenden des Kinderschutzbundes, Renate Hofmann) mit Markus Noichl, dann Markus Noichl an der Harfe mit Günter Schwanghart auf der Klarinette, den Ausstellungssaal (Kursaal im Haus des Gastes am Marktplatz) sowie Bilder mit Gratulanten (u.a. mit Altlandrat Dr. Hermann Haisch). Begrüßt wurden die Besucher von Bürgermeister German Fries.
Die Hauptrede hielt die Tochter Elisabeth Schickling, die in München als freischaffende Künstlerin tätig ist und bei der sich auch ihre Mutter fortbildete. Das Redemanuskript hat sie uns dankenswerterweise zur Verfügung gestellt:
„Der Mensch ist nichts anderes als sein Entwurf. Er existiert nur in dem Maße, als er sich entfaltet.“
(Zitat Jean Paul Sartre)
Zum besseren Verständnis dieser Benefiz-Ausstellung von Inge Schickling hier ein paar Stationen ihres langen, bewegten Lebens:
Vor 90 Jahren, also 1925, wird sie als Inge Trapp in Eger, in Böhmen geboren. Ihre Kindheit erinnert sie als geborgen, von der Liebe ihrer Eltern und der Zuneigung zu ihrem jüngeren Bruder Günther getragen. Die Schulzeit ist überwiegend glücklich. Sie hat stets Kinder um sich. So steht schon sehr früh ihr Berufswunsch fest: sie will Lehrerin werden. Als 19-Jährige tritt sie 1944 ihre erste Lehrerstelle in Ostpreußen an, 1000 km von zuhause entfernt. Im Winter 1945 entkommt sie mit viel Glück im letzten Zug der herannahenden Kriegsfront. Eine Odyssee in den letzten Kriegsmonaten mit der Vertreibung aus ihrer geliebten Heimat endet hier in Ottobeuren. Die Familie wird bei Verwandten aufgenommen.
Inge sucht nach all ihren traumatischen Erlebnissen ihr Gleichgewicht wieder zu finden, sie zeichnet, aquarelliert und versucht mit ihren kleinen Scherenschnitt-Postkarten in karger Zeit etwas zum Leben zu verdienen. Ab 1946 unterrichtet sie als Lehrerin Kinder der 2-klassigen Dorfschule in Ungerhausen. Ein Jahr später kann sie nach Ottobeuren wechseln. In ihrer knappen freien Zeit arbeitet sie fieberhaft an ihrer Bewerbungsmappe für die Kunstakademie in München. Sie erhält dort einen positiven Bescheid, aber die Regierung von Schwaben entlässt sie nicht aus dem Schuldienst.
Inge Trapp fügt sich ihrem Schicksal. Die Einsicht der von ihr verehrten Dichterin Zenta Maurina ist für sie wegweisend: „In meiner Jugend wollte ich um jeden Preis glücklich sein. Heute weiß ich, das höchste, das man erreichen kann, ist das Gleichgewicht zwischen Wagnis und Verzicht. Nie resignieren, immer wieder wagen, auch ohne Aussicht auf einen Sieg.“ Inge Schickling fügt für sich hinzu: Mein Traum mit der Kunst zu leben hat sich auf eine andere Weise erfüllt: Sie steht in ihrer Ehe an der Seite des Künstlers Erich Schickling, durch den sie Kunst intensivst erlebt und erfahren hat. Sie schenkt drei Töchtern das Leben – was Erfüllung für sie bedeutet – und sie kann viele, viele Kinder am Start der Schulzeit ins Leben führen und begleiten. In 42 erfüllenden Berufsjahren unterrichtet sie Kinder aus drei Generationen.
Es ist diese Liebe zu Kindern von Anfang an. Es ist die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, selbstlos beherzt zu handeln, Vorbild zu sein. Es ist das Talent, mit natürlicher Autorität zu führen. Es tragen ihre Persönlichkeit, ihre Achtsamkeit, Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Respekt. Sie kann mit Leichtigkeit begeistern, motivieren, holt das Beste aus jedem Schüler hervor, fördert die kreativen Seiten. Sie tröstet, ermuntert, ermutigt, hat immer ein offenes Ohr und Herz.
So ist diese 3. Benefiz-Ausstellung (die 1. vor 10 Jahren zu ihrem 80. Geburtstag, die 2. zum 85. und heute die 3.) als folgerichtiger Schritt zu lesen: Sie will mit ihren Bildern aus den letzten Jahren Sinnvolles, Sinn stiftendes auf den Weg bringen. Seit ca. 20 Jahren genehmigt sich Inge Schickling immer wieder Mußestunden: Zeichnen und Malen schenken ihr Ausgeglichenheit, Erfüllung und Freude. Sie bleibt aufgeschlossen für neue Möglichkeiten des Schauens und Entdeckens, der Weiterentwicklung und Selbstentfaltung. Sie bewahrt sich ihre kindlich unbekümmerte Frische und Neugier. Und sie lässt sich auch auf tief bewegende innere Begegnungen im Bildgeschehen ein.
Inges Landschaften – ob in der Realität oder in der Fantasie erlebt – geraten oft zu Seelenlandschaften in lyrisch bis melancholischer Stimmung – ruhige, beschauliche Ansichten, vorherrschend in Grün und Blau – in allen Varianten und Tonwerten . Wir sehen auch satte, warme, herbstliche Impressionen in ausbalancierten Kompositionen und dramatische Szenen in expressionistischen hell-dunkel Kontrasten.
Immer noch hat Inge Schickling unterwegs ihr Skizzenbüchlein dabei, hält darin wertvolle Motive fest. Aus diesem Fundus schöpft sie dann: immer wieder das geliebte Allgäu, Erinnerungen an frühere Reisen und schnell erfasste Menschen- Studien, am liebsten immer wieder Kinder.
Die Portraits: Es sind Blicke in junge und erwachsene Gesichter, ernst, nachdenklich, fragend, besinnlich, wissend – sind es Seelen-Spiegel-Bilder? Sie sind einfach und klar gestaltet – nichts lenkt vom Wesentlichen ab.
Auch wenn die physische Beweglichkeit jetzt naturgegeben eingeschränkt ist, so hat sich Inge Schickling bis heute ihre geistige Frische erhalten. Mit ihren 90 Jahren demonstriert sie uns unverzagt eine ungebrochene Kraft, Energie, Willen und Liebe zum Leben hier auf den zahlreichen kleinen und mittleren Formaten. Auch wenn sie diese Ausstellung als Abschluss gedacht hat, wünsche ich ihr, dir, liebe Mutter, noch weiterhin viele Mußestunden, reiche Erfahrung und immer weitere Entfaltung im schöpferisch kreativen Prozess im Malen wie auch im Leben, im Sinn der Erfüllung des Lebensentwurfes.
Sie liebe Gäste und Freunde lade ich herzlich ein, sich ein gemaltes Kleinod als Erinnerung mit nach Hause zu tragen – mit einem Gedanken von Ricarda Huch:
Die Liebe ist das Einzige, was nicht weniger wird, wenn wir es verschwenden.
(Redebeitrag Ende)
Die Memminger Zeitung vom 15.05.2015 berichtete auf S. 27 über den Erlös der Ausstellung: Jeweils 1000 Euro gingen an den Kinderschutzbund Ottobeuren (unter Renate Hoffmann) und an den Verein „Sprungtuch“ in Memmingen (unter Sylvia Hausmann; Wohnraum und Hilfe für Mütter und Kinder in schwierigen Lebenssituationen; Links s.o.). Darüber hinaus bedachte Inge Schickling ihre Enkel mit jeweils 200 Euro und einem Bild ihrer Wahl.
Aktualisierung 09/2016: Ingeborg Schickling (geb. Trapp) starb am 22.09.2016.
Fotos, Repros und Zusammenstellung: Helmut Scharpf