28.09.1938 - Genoveva Epple verstirbt - die (Lebens-)Geschichte dahinter

Titel

28.09.1938 - Genoveva Epple verstirbt - die (Lebens-)Geschichte dahinter

Beschreibung

Ein Bild und seine Geschichte: Der hier abgebildete Gedenkstein ist Ihnen bestimmt schon einmal aufgefallen. Er steht an der Hofwiese entlang der Uhlandstraße – ziemlich genau zwischen Auerbacher- und Albert-Schweitzer-Straße. Auf dem Stein steht:

HIER STARB
GENOVEVA EPPLE
AM 28.09.1938
R. I. P.
SIE WAR DIE FRAU DES NEFFEN v. SEB. KNEIPP

Auf der Nordseite des Steines steht der Name des Steinmetzmeisters Walter Noller (13.06.1943 - 05.06.2017), der ihn zuletzt renoviert hat.

Warum man für Frau Epple (geb. Menhild aus Frechenrieden) hier den Gedenkstein aufgestellt hat, ist unklar. Nur weil sie „die Frau des Neffen von Sebastian Kneipp“ war? Es kann auch nicht an den besonderen Umständen ihres Todes gelegen haben: Frau Epple starb an einem Schlaganfall und war immerhin schon 84 Jahre alt und war schon längere Zeit krank, sogar die Goldene Hochzeit musste 1930 einige Wochen verschoben werden. Verheiratet war sie mit Georg Epple (*11.08.1854, Frechenrieden, Heirat mit Genoveva Menhild am 01.03.1880 in der Abteikirche Ottobeuren, †16.10.1940, Ottobeuren), Epples Mutter Maria Schalber (*17.07.1818, Stephansried, Heirat mit Johann Georg Epple sen. am 06.06.1843 in der Pfarrkirche Frechenrieden, †16.11.1880 in Frechenrieden) war Kneipps Halbschwester.
Mehr zu Johann Georg Epple und Kneipps Elternhaus finden Sie hier.

Der „Allgäuer Beobachter“ - das NSDAP-nahe Blatt - schrieb am 29.9.1938 auf Seite 5:
Gestorben ist an einem Schlaganfall am Mittwochnachmittag Frau Genoveva Epple, geb. Menhild, Privatiere dahier, ehem. Bäuerin in Stefansried, im Alter von 84 Jahren. Mit ihrem Gatten, Georg Epple, einem Neffen Kneipps, feierte die Verstorbene 1930 die goldene Hochzeit.
Trauergottesdienst: Samstag halb 10 Uhr, Beerdigung darauffolgend.

Die Todesanzeige erschien in derselben Ausgabe auf Seite 10 (siehe Bild):
Nach Gottes heiligem Willen ist heute nachmittag unsere liebe Gattin, Mutter, Großmutter, Urgroßmutter, Schwiegermutter und Base – Frau Genoveva Epple, geb. Menhild, Privatiere – plötzlich und unerwartet im Alter von 84 Jahren in die Ewigkeit eingegangen. Ottobeuren, Stefansried, 28. September 1938. Die tieftrauernd Hinterbliebenen.

In den 1930er Jahren war die Schreibweise „Stefansried“ (wie im Artikel und auch in der Todesanzeige) durchaus üblich.

Der Versuch einer Klärung weiterer Umstände oder zur Stefansrieder Familie Epple verlief zunächst im Sande. Max Epple (Joh.-Seb.-Bach-Straße) erklärte am 08.07.2017, dass seine Familie ursprünglich aus Ebersbach stammte und um 1898/99 dann in Engetried das „Kreuz“ kaufte (Verkauf um 1922/23). Dem kriegsversehrten Leopold Epple (1891 - 1941) wurde vom Staat eine Stelle beim Finanzamt Ottobeuren vermittelt, die er bis zu seinem Tode innehatte.
Weitere Epples (Bäckerei Reichenwallner) kamen aus Ollarzried.
Hans Vögele (*17.06.1934, †20.08.2023) konnte als Nachbar des Grundstücks, auf dem der Gedenkstein steht, am 10.07.2017 den entscheidenden Tipp geben: Genoveva Epple (geborene Menhild aus Frechenrieden) war die Urgroßmutter von Max Mahler aus der Bahnhofstraße.

Beim Verkauf des Grundstücks der Mahler'schen Erbengemeinschaft auf der sogenannten „Hofwiese“ (zwischen Goethe-, Schiller- und Guggenberger Straße), war vertraglich festgelegt worden, dass die Marktgemeinde Ottobeuren sich zukünftig um den Gedenkstein kümmern muss. Die Verbindung der Ulhlandstraße zur Goethestraße („Schelmenheider Weg“) war bis ca. 2013 südlich der Uhlandstraße 18 nur ein einfacher Grasweg. Bei der Verlängerung der Uhlandstraße bis zum Neubaugebiet der Albert-Schweitzer-Straße ging der Stein aus unerklärlichen Gründen verloren. Die Marktgemeinde musste ihn daraufhin neu herstellen lassen und beauftragte damit Steinmetz Noller. Die alte Aufschrift blieb gleich, wurde aber auf Anregung von Herrn Mahler durch den erklärenden Zusatz „Sie war die Frau des Neffen von Sebastian Kneipp“ ergänzt.
Wie lange der ursprüngliche Stein schon dort stand, konnte Herr Mahler nicht sagen, er geht aber davon aus, der er schon relativ zeitnah gesetzt worden sein muss. Genoveva Epple hatte auf der Wiese der Tochter Viktoria geholfen als sie der Schlaganfall traf. Hans Vögele bemerkte den Vorfall als Vierjähriger und erzählte, dass Pater Karl mit dem Moped angefahren kam und Genoveva mit der letzten Ölung versah. Vor dem Krieg war der Schelmenheider Weg bereits ab dem „Graulich-Haus“ (Uhlandstr. 4) ein romantischer kleiner Grasweg.

Um mehr über die Lebensumstände der Epples zu erfahren, müssen wir etwas weiter ausholen:
Das Elternhaus von Sebastian Kneipp in Stephansried brannte am 17.05.1841 – seinem 20. Geburtstag – ab und wurde an einer anderen Stelle neu erbaut. Wie letztlich Georg Epple als Frechenrieder an das Anwesen in Stephansried kam (wohnhaft ab 1879, im Besitz ab 01.03.1880), ist etwas kompliziert:
Die Mutter von Sebastian Kneipp – Rosina – war zuvor in erster Ehe mit Michael Schalber (ein Weber in Stephansried) verheiratet. Magdalena Schalber war die erste Tochter der beiden; sie heiratete den Guggenberger Bauern Josef Mayer. Maria Schalber war die zweite Tochter von Rosina und Michael. Maria – die Mutter von Georg Epple – heiratete Georg Epple sen. aus Frechenrieden (ursprünglich aus Wolfertschwenden).

Nach dem Tode Schalbers heiratete Rosina ein zweites Mal: Xaver Kneipp. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor: Sebastian Kneipp, Viktoria und Theresia. Nach dem Tode von Xaver Kneipp erbte Viktoria das Anwesen. Sie wiederum heiratete Theodor Benz aus Schellenberg (damals Gemeinde Haitzen; heute Marktgemeinde Ottobeuren), die Ehe blieb jedoch kinderlos und Viktoria wollte nicht erneut heiraten. Bei der Beerdigung von Benz im August 1879 riet Kneipp seinem Neffen Johann Georg („Hansjörg“) Epple, er sollte das Anwesen in Stephansried übernehmen.

Im „Allgäuer Beobachter“ vom 12.06.1937 erzählte Georg Epple im Interview mit Max Werner auf S. 8, was Sebastian Kneipp am Rande dieser Beerdigung sagte und wie er – Georg – dadurch schließlich in Stephansried sesshaft wurde:
„Hansjörg, i moin, du solltest die Sach' übernehme, du wärst der Richtige!“ so sagte Kneipp, der nicht wollte, daß der Besitz in andere Hände überging. Gar nicht so erbaut von dem Anerbieten, verwies ich auf meine erst 25 Jahre und darauf, jetzt noch so schön verdienen zu können. „Woischt Hansjörg, Hoimet ischt Hoimet!“ — mit diesen Worten wußte Kneipp all meine Bedenken zu zerstreuen. Schon im Oktober 1879 zog ich dann in Stephansried auf. Es war mit 14 Tagwerk ein kleiner Betrieb. Am 1. März 1880 habe ich geheiratet. Meine Frau Genoveva ist eine geborene Menhild.

In besagtem Artikel ist – ein gutes Jahr vor ihrem Tode – von gesundheitlichen Problemen die Rede, die Genoveva hatte:
Er [Georg] ist am 11. Aug. 1854  geboren – wie seine Frau, die trotz eines Leidens angespannt unsere Unterredung verfolgt und in manchem ergänzt – in Frechenrieden.

Das obige Foto stammt vom Juni 1937 und ist im Artikel des Beobachters sogar erwähnt. Warum die Zeitung Genoveva nicht mit abbildete, ist unklar.

Die Beziehungen zu Sebastian Kneipp waren zeitlebens eng. Er traute Georg jun. und Genoveva in der Basilika Ottobeuren am 01.03.1880. Zum Polterabend hatte er gar ein Fass Bier aus Wörishofen mitgebracht.

Ganz Stephansried war in unserm Heim beisammen und es ging recht lustig her. Am Hochzeitsmorgen fuhren alle Bauern mit festlich geschmückten Gespannen zur Trauung nach Ottobeuren. Pfarrer Kneipp hat uns hier, wo er bekanntlich auch seine erste Messe gefeiert hatte, getraut. Die folgende Hochzeitsfeier war in der „Sonne“. In harter Arbeit vergrößerten wir unser Anwesen um ein mehrfaches. Unsere Ehe war mit sechs Kindern gesegnet, wovon drei in frühester Jugend starben. Kneipp durften wir alljährlich in unserer Mitte begrüßen. Immer hatte er Bekannte bei sich, zu wiederholten Malen auch seinen „Reisemarschall“ Pfarrer Stückle-Mindelau. Das war immer ein großer Tag für unser Haus, ein besonderes Fest für die Kinder, die ja Kneipp so sehr liebten. Kneipps Leibgericht waren die richtigen schwäbischen Bauern-Küchle. Im Jahr 1910 übergaben wir das Anwesen unserm Sohn Michael, übersiedelten nach Ottobeuren und bezogen dieses unser eigenes Wohnhaus, das damals gerade im Bau fertig war. Ein harter Schlag war für uns der Tod unseres einzigen Sohnes, der das Anwesen hatte, auf dem Feld der Ehre. Ich selbst arbeitete während der Kriegszeit wieder fest in der Landwirtschaft mit. Im Frühjahr 1918, es hatte Hochwasser, verunglückte ich mit dem Pferdegespann und brach mir das linke Bein. An den Folgen habe ich [noch] immer zu tragen. In Ottobeuren feierten wir 1930 unter herzlicher Teilnahme der Angehörigen, Verwandten und Gesamtbevölkerung die Goldene Hochzeit.

An dieser Stelle im Interview ergab sich wiederum ein Hinweis auf den Gesundheitszustand seiner Frau:
Sie wissen ja selbst, so beschloß Vater Epple, daß wir das Fest s.[seiner] Zt. [Zeit] einige Wochen später feierten — statt am 1. März am 24. April, weil meine Frau schwerkrank darniederlag. Sie bedarf ständig meiner Hilfe. Ich mache alle Hausarbeit und koche auch.

Das Haus der Epples in der Pater-Maurus-Feyerabend-Straße hatte laut Einwohnerbuch von 1937 die Hausnummer 89¼ b.
Im Adressbuch von 1926 wird er als „Privatier Georg Epple“ in der Bahnhofstraße 89¼ geführt, in der Ausgabe von 1931 unter Alexanderstraße 89¼b. Letztere Angabe zur Hausnummer scheint ein merkwürdiger Zufall; zumal es laut Straßenverzeichnis vom Januar 1951 in der Alexanderstraße keine solche Hausnummer gab, die einer heute gültigen Hausnummer hätte zugeordnet werden können. Für die Pater-Maurus-Feyerabend-Straße wird die Hausnummer 89¼b gelistet und ab 1951 als neue Nummer 5 geführt; dort wohnhaft: Genoveva Epple – vermutlich eine weitere Tochter. In der Bahnhofstraße wiederum gab es zwar eine 89a und eine 89b, nicht aber die im Verzeichnis angegebene.
Die Tochter, Genoveva Epple jun. (*04.09.1891, Stephansried, †26.11.1978, Ottobeuren) blieb in der Pater-Maurus-Feyerabend-Straße und arbeitete bis zu ihrem Tod in der Landwirtschaft von Mahlers (in der Alexanderstraße 25; ca. 1019 abgerissen, 2020 durch einen großen Geschosswohnungsbau ersetzt). Genoveva Epple jun. ist als Kleinkind auf mehreren Fotos mit Kneipp in Stephansried und in Wörishofen zu sehen; sie blieb ledig und hatte keine Kinder.

Die Zeitungsausschnitte wurden mit freundlicher Abdruckgenehmigung vom Stadtarchiv Memmingen zur Verfügung gestellt! Den Artikel mit dem Interview („Besuch beim Neffen Kneipps in Ottobeuren“) können Sie über den Anhang öffnen. Es ist sogar ein Bild von Georg Epple abgedruckt – leider nicht die Bilder aus der Mappe mit den „Bildern aus der Zeit, da Kneipp in der alten Heimat auf Besuch weilte“ …

Das Bild vom 10.05.2017 zeigt den Gedenkstein an der Uhlandstraße. Östlich davon sieht man die sogenannte „Hofwiese“, die bis zur Schillerstraße reicht, darin der markannte Stadel. Diesen Blick wird es so nicht mehr lange geben, denn schon im Herbst dürften die Bauarbeiten für ein großes neues Baugebiet beginnen. In seiner Sitzung vom 4.7.2017 vergab der Marktgemeinderat die Erschließung der beiden südlichen Drittel. Zur Uhlandstraße sowie der Albert-Schweitzer-Straße kommen neue Straßen in Richtung Schillerstraße hinzu: die St.-Donat-Straße sowie als westliche Tangente in diesem  Wohngebiet, die Rabinystraße.
Als „Hof-Wies“ ist dieses Areal schon in der Urkataster-Karte von 1819 eingezeichnet. Vielleicht besteht ein Zusammenhang mit einem Klosterbesitz.
Auf dem Ortsplan von 1876 fehlt die Bezeichnung.
 
Ein Bild zeigt die Hofwiese von der Schillerstraße aus mit Blick Richtung Basilika (am 13.03.2017) – auch der Gedenkstein ist hier erkennbar –, ein weiteres Bild ist von der Goethestraße aus fotografiert (am 09.07.2017), wobei man erkennt, dass hier einmal eine Verbindungsachse zur Guggenberger Straße vorgesehen gewesen sein muss. Die landwirtschaftliche Nutzung, der Holunder-Strauch am Stadel – an dem auch Kneipp seine Freude gehabt hätte – sind seit Beginn der Erdarbeiten am 18.10.2017 passé!
Der Gedenkstein ist im Herbst 2017 abgebaut worden, vermutlich um die Bauarbeiten nicht zu stören. Anfang April 2020 wurde er an ähnlicher Stelle, aber etwas von der Straße abgerückt, wieder aufgestellt – in trauter Zweisamkeit mit einem Hydranten. Statt des Stadels stehen auf der Hofwiese nun etliche neu erbaute Häuser an der Rabinystraße bzw. Johann-Hiebel-Straße.

Ähnlich wie für Frau Epple gibt es auch für Engelbert Dreier († 1941) einen Gedenkstein.

Bilder, Recherche und Zusammenstellung: Helmut Scharpf, 07/2017

Urheber

Helmut Scharpf / Allgaeuer Beobachter

Quelle

Helmut Scharpf

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

1938-09-28

Rechte

gemeinfrei