01.11.1924 - Mater Ulrica Mayr OSF beschreibt die Geschichte der Ottobeurer Volksbibliothek

Titel

01.11.1924 - Mater Ulrica Mayr OSF beschreibt die Geschichte der Ottobeurer Volksbibliothek

Beschreibung

In den Ottobeurer Heimatblättern (Heimatbeilage zum Ottobeurer Volksblatt) veröffentlichte die Franziskanerin und Oberin des Klosters Maria Stern, Ulrica Mayer (1884 - 1953), OSF (Ordo Sancti Francisci), im November 1924 einen geschichtlichen Abriss der Ottobeurer Volksbibliothek.
Ihre Ausführungen werden hier durch weiterführende Angaben auf der Homepage der jetzigen „Gemeindebücherei Ottobeuren“ (in der Rupertstraße 10) ergänzt.

Die Ottobeurer Volksbibliothek
von Ulrica Mayr OSF.
Im Gegensatz zu den Bibliotheken, die ausschließlich der Wissenschaft dienen und die in ihren Anfängen auf die Kulturvölker des Altertums zurückgehen, wollen die Volksbibliotheken, die erst seit 1850 ins Dasein getreten, dem Volke und den minderbemittelten Klassen gegen geringes Entgelt gute Unterhaltungslektüre bieten, ohne indes auf Bücher belehrenden und wissenschaftlichen Inhaltes zu verzichten. Daß die Volksbibliotheken ursprünglich nur in den Städten auftauchen, liegt in den sozialen Verhältnissen begründet. Auf dem Lande verlegte man sich in jenen Jahrzehnten noch mehr auf das Hören als auf das Lesen. Ein intensives religiöses Leben ließ das Volk damals stets der Predigt und Christenlehre beiwohnen. Das Familienleben hat noch nichts von der späteren Zerrissenheit und Zerklüftung an sich, um den Familientisch war an den trauten Winterabenden alles vereint; der Vater erzählte von den früheren Kriegen, die Großmutter auf der Ofenbank wußte so schöne Märchen und Geschichten, daß man wenig Lust zum Lesen hatte. Und wollte jemand ein Buch, dann ging er zum Pfarrer oder Lehrer – so war es früher. Nach dem Jahre 1870 kamen andere Zeiten. Die Schulbildung fand Hebung und Förderung, ein Anreiz sich weiter zu bilden ward dadurch gegeben. Es kam dann die religiös-stürmisch bewegte Kulturkampfzeit. Auch auf dem Lande hatte man großes Interesse an diesen gewaltigen Geisteskämpfen, an den großen Fragen, die da auftauchten. Die Arena, in welcher diese Kämpfe ausgefochten wurden, war das Parlament nicht allein, es war vielfach das Buch, die Broschüre, die Zeitschrift, die Zeitung; der Umstand zwang zum Lesen und gab direkten Anstoß zur Gründung ländlicher Volksbibliotheken. Hier ist der Ursprung der Ottobeurer Volksbibliothek zu suchen. Der „Josephsverein“ hatte hauptsächlich für die Männerwelt eine Bibliothek eingerichtet, die im Gasthaus zur Sonne und später im goldenen Hirschen untergebracht war. Die meisten Bücher stellten hiezu die P. P. Benediktiner des hiesigen Priorates. Verwaltet wurde die Bibliothek von Mitgliedern des Joseph-Vereines; überliefert sind noch die Namen: Gerber Weiß, Drechsler Streicher, Rechenmacher Maier, Hasenbäck Albrecht. Neben dieser Bibliothek rief der um die Jugendseelsorge hochverdiente P. Koneberg noch eine Schullesebibliothek ins Leben, die an erster Stelle ihre Leser unter der Jugend suchte. Den Grundstock lieferte die Privatbibliothek des P. Koneberg, ferner die zahlreichen Jugendschriften, die er selbst verfaßte und eigenhändig der Schullesebibliothek widmete. Für Neuanschaffungen stand Pater Koneberg ein stiller Wohltäter zur Seite, der Brauereibesitzer M. Geiger, der für die Bestrebungen Konebergs immer ein offene Hand hatte. Die Schullesebibliothek hatte ihren Platz in der Mädchenschule und wurde von der Lehrerin M. [Mater] Agatha Knappich eingerichtet und verwaltet; Ausleihzeit war der Sonntag Nachmittag.

Veränderte Zeitverhältnisse ließen eine Vereinigung beider Büchereien ratsam und nützlich erscheinen; die so entstandene Volksbibliothek fand zuerst Aufstellung im Pfarrzimmer des Klosters, dann in einem Raum neben dem Kaisersaal, später in einem Zimmer über der Schule, 1913 im unteren Stock des Westflügels im Kloster, dann im sog. Jugendheim. Der steten Wanderschaft machte der derzeitige Hochwürdigste Herr Abt [Einsiedler] ein Ende, indem er das jetzige Lokal passend für die Bibliothek einrichtete. Seit Mitte der 80er [1880er] Jahre kann von einer Zunahme oder Vergrößerung der Bibliothek nicht mehr gesprochen werden. Der einzige Zuwachs waren die Jahrgänge einzelner Zeitschriften.

Von 1879 - 1882 besorgte der Ortspfarrer die Bibliothek. Von 1882 - 1898 versah Frl. Mathilde Beck, Schwester des 1906 verstorbenen Herrn Apothekers Julius Beck, den Dienst einer Bibliothekarin [*], ihre Nachfolgerin war Freifräulein Josefine von Schacky bis zu ihrem Wegzuge nach München 1898 - 1904. Herr Präparandenlehrer Kasimir Raith, der infolge Erkrankung genötigt war, in den besten Mannesjahren um seine Pensionierung einzukommen, nahm sich 1904 mit aller Liebe und Sorgfalt der Volksbibliothek an; mit Treue und Verständnis waltete er seines Amtes bis zu seinem jähen Tod im Oktober 1919; unterstützt wurde Herr Präparandenlehrer längere Zeit von Fräulein Therese Heßler, die später zu ihren Angehörigen nach Hammond (Amerika) zog. Auf Ersuchen übernahm die Lehrerin Frau Leopoldine Haas die Leitung der Bibliothek 1919 - 1923; ein verständige Mitarbeiterin fand sie an Fräulein Schatz, die in München sich auf diesem Gebiete große Kenntnisse erworben hatte und in allen einschlägigen Fragen wohl bewandert war. Die neue Zeit stellte auch der neuen Verwaltung neue Aufgaben. An erster Stelle mußten die vielfach veralteten Werke ausgeschieden werden. Große Lücken entstanden; Mittel und Wege waren zu suchen, um sie auszufällen, ein mühseliges Beginnen, das aber von einem überraschenden Erfolg gekrönt war; nur der Kundige wird wissen, was es heißt, innerhalb dreier Jahre über 2000 Bände anzuschaffen – mit Nichts in der Hand. Ohne Wohltäter wäre dies ein Ding der Unmöglichkeit geblieben, besonders in der Zeit unserer traurigen Valuta-Verhältnisse [Inflation]. Rühmend muß hier hervorgehoben werden die bereits erwähnte Fräulein Heßler sowie Frau Berta Besenbeck (geb. Haisch) von Guggenberg, jetzt in New York sowie die aus Wolfertschwenden stammenden Gebrüder Dodel in San Franzisko [San Francisco], Californien [Kalifornien]; Förderung fand das Unternehmen auch bei Einheimischen. Manche stellten Bücher, die sie bereits gelesen, der Volksbibliothek zu Verfügung. Der Hochw. Herr Abt überwies aus der Stiftsbibliothek eine große Anzahl passender Werke. Herr Zahnarzt Dr. Schwegler stiftete manch' kostbares Buch, etc. etc. Nicht vergessen darf die Volksbibliothek ihres großen Förderers, des Herrn Bürgermeisters Adolf Fergg, der ihren Bestrebungen jederzeit durch namhafte Zuwendungen jeder Art großzügig entgegenkam. – Eine weitere zeitraubende Aufgabe bestand darin, das zusammengebrachte Büchermaterial gut zu katalogisieren, die Bücher mit Schutzdecken zu versehen und zu nummerieren, sie zur leichten Benützung aufzustellen und unterzubringen, eine Aufgabe, die so glücklich gelöst ist, daß sich auch ein Unterfahrener in kürzester Zeit sich auf's beste auskennt. So hätten wir jetzt in Ottobeuren eine Volksbibliothek, die wohl allen billigen Anforderungen entspricht; was sie bietet, darüber gibt der Katalog hinreichenden Ausschluß. Schund und Gift ist grundsätzlich ausgeschieden; Werke hypermoderner Autoren, bei denen man nicht weiß, was sie mit ihren Erzeugnissen eigentlich wollen oder bezwecken, wird man vergebens suchen; finden wird man dagegen echte, edle Seelennahrung, welche die Größten des deutschen Schrifttums ihrem Volke geboten haben. Möchte das schöne, mit Mühen und großen Opfern zu standegekommene Werk auf seiner jetzigen Höhe erhalten bleiben. Wir bezweifeln das nicht; die eifrige Benutzung und der wohltätige Sinn der Bevölkerung wird diesem jüngsten Kinde der christlichen Caritas in der Gemeinde eine unbegrenzte Lebensdauer sichern!

*Vergleich Ottobeurer Wochenblatt Nr. 51 vom 19.12.1889, S. 1:
Bekanntmachung. Weil das Sprechzimmer des Klosters, in welchem seit einigen Jahren die Bücher der Schulbibliothek untergebracht waren, seiner eigentlichen Bestimmung wieder zurückgegeben werden sollte, mußte die Schul-Bibliothek verlegt werden. Fräulein Mathilde Beck hat in entgegenkommenster Weise die Unterbringung der Bücher in ihrer Wohnung (im westlichen Theile des Klostergebäudes) gestattet und wird  wie sie bisher in anerkennenswerther Opferwilligkeit gethan  auch fernerhin die Besorgung der Bibliothek fortführen.
Die für Empfangnahme und Zurückgabe der Bücher festgesetzte Zeit, nämlich an Sonn- und Feiertagen die Stunde 10 - 11 Uhr vormittags und 1 - 2 Uhr nachmittags.
Bei dieser Gelegenheit wird der berechtigte Wunsch ausgesprochen, es möge der ziemlich erkaltete Eifer in Benützung der Bibliothek besonders in den Wintermonaten mehr bethätigt werden.
Der königliche Lokalschulinspektor
Pater Godefrid Behr O.S.B.
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Auf der Homepage der Bücherei findet sich die Fortsetzung der Geschichte bis in die jüngste Zeit.

Ergänzungen zur Geschichte der Gemeindebücherei Ottobeuren von der Homepage (Download am 8.9.2012):

1935 wird vom Reichsminister [Bernhard Rust] erklärt, dass sie Volksbücherei den Titel „katholische Pfarrbücherei“ führen muss.

Am 08.03.1941 droht die Schließung der Bücherei. Pfarrer Pater Maurus Zech bezeichnet die Bücherei als sein Eigentum und bewahrt dadurch die Bücherei vor der Enteignung. Allerdings durfte auch nichts ausgeliehen werden. Nach dem Krieg lässt Pater Maurus die Bücherei wieder eröffnen.
[Geschlossen wurde sie zum 1.1.1941; siehe eigene Seite im virtuellen Museum zur Bücherei in der NS-Zeit.]

Pater Wilhelm Obermayr (Pfarrer) und Pater Winfried Stenke (damals Kaplan, später Pfarrer) waren große Förderer der Bücherei. P. Winfried stellt die Verbindung zum St. Michaelsbund her, der die Bücherei beim Einkauf und durch Zuschüsse unterstützt.
1961 wird mit Hilfe der Marktgemeinde die Bücherei vergrößert und erneuert. Sämtliche Bücher werden mit Klarsichtfolie eingebunden und nach dem System des St. Michaelsbundes registriert.

Ca. 1962 kamen Frau Klee und Frau [Anneliese] Frischknecht zum Büchereiteam. Frau Frischknecht [02.04.1922 - 17.12.2013] ist nach wie vor im Büchereiteam und erledigt die Reparaturen!

1976 zog die Bücherei in einen größeren Raum im Westflügel des Klosters um. Der Maurer Hans Weiß renovierte den Raum, Joseph Kiener stiftete die Regale, die Schreiner Anton Bechteler und Hermann Schöllhorn bauten sie nach Feierabend ein. Das Büchereiteam bestand damals aus Peter Waibel, Fr. Holler und Frau Frischknecht.

Von 1976 bis 1986 hatte Frau Waltraud Renftle die Büchereileitung und wurde dabei von ca. 15 Personen unterstützt. In dieser Zeit wurde die finanzielle Unterstützung durch 1/3 Pfarrei und 2/3 Marktgemeinde vertraglich festgelegt.

1989 zog die Bücherei in das neu gebaute Pfarr- und Jugendheim um. Die Büchereileitung wurde von Frau Karola Hitzler übernommen.

1993 begann das Computerzeitalter auch in der Bücherei. Die Umstellung wurde vor allem durch Herrn und Frau Hitzler vorangetrieben.

1999 wurde die Büchereileitung von Frau Heidi Kraft übernommen. Sie wird von weiteren 18 Personen dabei unterstützt.

2003 erfolgte die Umstellung auf das jetzige „Library for Windows“- Programm, weil das bisherige den Euro nicht unterstütze.
Seit August 2010 ist der Büchereibestand aktuell im Internet verfügbar.

Gemeindebücherei Ottobeuren, Rupertstraße 10, 87724 Ottobeuren, Tel.: 08332/7102

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Ein Hinweis auf die Förderung des Lesens findet sich im Ottobeurer Wochenblatt vom 21.12.1871 (S. 3):
Morgen, Freitag den 22. Dezember Abends 8 Uhr Generalversammlung des Lesevereins Ottobeuren in der Post.
Ein Bericht dazu ist leider nicht erschienen.
Pdf S. 208 (1871) mit statistischen Angaben zur Weltbevölkerung. Vgl. auch pdf 211.

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Das Foto zeigt die Katholische Pfarrbücherei im Kloster, am 14.10.1962; der zweite von rechts ist Pater Wilhelm Höß (Hoeß?; geb. 1913; Ortspfarrer von 1958 bis zu seinem Tod am 20.06.1980), ganz rechts steht der „Haus- und Hofelektriker“ des Klosters, Frater David Zeh. Die jüngere Frau ganz links war eine Mitarbeiterin der Bücherei, Waltraud Habel (jetzt: Sirch, Au bei Illertissen), daneben sitzt Margarete Pfohl, die die Leitung innehatte. Am Ort der Aufnahme befindet sich heute übrigens die Herrentoilette (im Gang links, kurz vor Erreichen des Kloster-Cafés sowie um die Gang-Ecke nach dem Café).
Wer kennt die drei jungen Besucher? Das linke Mädchen ist vermutlich Getrud Noller, in der Mitte  mit weißem Haarband  steht Brigitte Kortmann

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Bis ca. Ende der 1960er Jahre gab es in der Bahnhofstraße (Modehaus Pawlitschko; 2019: Rot-Kreuz-Laden) eine private Leihbibliothek, die Ruth Zenker betrieb. Das Ehepaar Zenker kam aus dem Sudentenland; Herr Zenker betrieb in dern 1950er Jahren die „Krone“.

Urheber

Ulrica Mayer, Heidi Kraft

Quelle

Ottobeurer Heimatblaetter 11/1924

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

1924-11-01

Rechte

gemeinfrei