30.04.2023 – Katalogpräsentation zur Ausstellung „VerVolkt“

Titel

30.04.2023 – Katalogpräsentation zur Ausstellung „VerVolkt“

Thema

Katalogpräsentation VerVolkt

Beschreibung

Im Kreuzherrnsaal in Memmingen wurde der Ausstellungskatalog „VerVolkt. Dieses Projekt kann Spuren von Nazis enthalten!“ vorgestellt. Bei den beiden vorausgehenden Ausstellungen – sie liefen bis 30. Januar 2022 – war auch das virtuelle Museum beteiligt, im Katalog hat Helmut Scharpf die Kapitel über die Hitlereiche in Ottobeuren und über das Schicksal des Ottobeurers Josef Ostler beigesteuert. Den Rahmen zu den Ausstellungen hatte das Jubiläumsjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ geboten. Die nationalsozialistische Vergangenheit Memmingens und seiner Umgebung sowie rechtsradikale Tendenzen im Allgäu damals und heute wurden thematisiert.

Man kann die Zukunft nicht verstehen, wenn man die Vergangenheit nicht kennt.“ Der langjährige Leiter des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren und Euthanasieforscher Prof. Dr. med. Michael von Cranach berichtete als Zeitzeuge von seinen eigenen Erinnerungen an die Nachkriegszeit und die gescheiterten Versuche einer frühen Aufarbeitung. Statt des heutzutage üblichen „organisierten Gedenkens“ plädierte von Cranach für „ein Gedenken von unten“.
Der Ansatz der Ausstellungen sowie jetzt des Katalogs geht genau in diese Richtung, indem die Schicksale vieler Einzelpersonen aus der unmittelbaren Umgebung aufgezeigt werden: keine abstrakten Zahlen, sondern personifizierte Schicksale.

Unter die Haut gingen die Lieder Bert Brechts, die Kurt Weill komponiert hatte: „Die Ballade vom Wasserrad“, „Lied einer deutschen Mutter“, „Ballade von der Judenhure Marie Sanders“, und abschließend „Sag mir wo die Blumen sind“ (1955 vom Folkmusiker Pete Seeger geschrieben). Die Sopranistin Isabell Münsch und die Pianistin Jewgenia Reisova umrahmten die Veranstaltung die Veranstaltung damit eindrücklich.
Zitat aus „Lied einer deutschen Mutter“:
„Mein Sohn, ich hab dir die Stiefel und dies braune Hemd geschenkt. Hätt' ich gewusst, was ich heute weiß, hätt' ich lieber mich aufgehängt.“ Gezeigt wurde im Hintergrund ein Foto der Hitlerjugend Memmingen beim Totengedenken für Reichspräsidenten Paul von Hindenburg 1934.

Der Programmablauf der Katalogpräsentation:
Video-Einspielung eines Grußwortes des Schirmherrn, Dr. Ludwig Spänle (Er bezeichnete die Ausstellungskonzeption als „richtungsweisendes Projekt und gutes Beispiel für eine Kultur des Hinschauens“.)
Regina Gropper M.A., Kuratorin Stadtmuseum Memmingen (Moderatio:)
Begrüßung durch Oberbürgermeister Jan Rothenbacher
Impulsvortrag von Prof. Dr. med, Michael von Cranach
Beiträge von Autor:innen:
- Dr. Petra Schweizer zum Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren
- Robert Domes zu Ernst Lossa
- Leo Hiemer
Podiumsdiskussion
Versteigerung der Kunstwerke zur Bücherverbrennung durch Thieß Neubert, assistiert von der Museumsleiterin des Stadtmuseums Memmingen, Dipl. Rest. Ute Perlitz

Alle Kunstwerke wurden für einen guten Zweck versteigert. Unter den Hammer kamen Umschläge von Büchern, die Schülerinnen und Schüler des Bernhard-Strigel-Gymnasiums mit der Künstlerin Cornelia Brader im Rahmen des Projekts „Verbrannt“ bearbeitet hatten. Mit dem Erlös kann eine Medienstation in der Abteilung „Jüdisches Leben in Memmingen“ im Stadtmuseum mitfinanziert werden.

Medienecho:
Memminger Zeitung, Werner Mutzel, 03.05.2023, S. 30 (Gutes Beispiel für Kultur des Hinschauens)
Memminger Kurier, Tom Otto 06.05.2023, S. 4 (Gegen die „aktive Kultur des Vergessens“)

Der – äußert lesenswerte – Katalog ist beim Metropol-Verlag Berlin erschienen; Literaturzitat:
Gropper, Regina, Hiemer, Leo et al., (Autoren), Stadt Memmingen, Stadtmuseum Memmingen (Hrsg.): VerVolkt. Dieses Projekt kann Spuren von Nazis enthalten! Katalog zur Ausstellung, Berlin, 30.04.2023, 244 S., 24 Euro, ISBN 978-3-86331-699-0

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Wenige Tage später gab es im Kreuzherrnsaal eine weitere wichtige Veranstaltung. Nach drei Jahren Umbau wurde das Heimatmuseum Freudenthal Altvater im Stadtmuseum Memmingen neu eröffnet, nachdem es seit August 1956 vom Heimatkreis Freudental/Altvater mit großen Engagement und Herzblut, aber eben vornehmlich für die eigene Klientel, betrieben worden war. Das Vertriebenen-Thema passt zu VerVolkt, denn hier schließt sich der Kreis: Nationalismus, Nationalsozialismus, Krieg, Flucht und Vertreibung als Konsequenz. Auch Staatsminister Klaus Holetschek und die Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene, MdL Sylvia Stierstorfer, sind seitens ihrer Familien von der Vertreibung persönlich betroffen. Beide berichteten von den Nachwirkungen und den Besuchen mit ihren Eltern in der alten Heimat.
Eine besondere Überraschung gab es zum Schluss, als Andreas Blank aus Attenhausen mit seiner Tochter Melanie ein Duo für Klarinette zum Besten gab. Die Noten stammten aus einem Kirchendachboden aus Spillendorf (nordöstlich von Freudenthal). Freudenthal – Bruntál – liegt ca. 800 km von Memmingen entfernt. Zum Hintergrund finden Sie etwas weiter unten entsprechende Hinweise*.

Moderiert wurde die Veranstaltung vom Memminger Kulturamtsleiter, Dr. Hans-Wolfgang Bayer. Die Kuratorin der Ausstellung, Ursula Winkler, berichtete in einer animierten Präsentation von den Neuerungen. Bislang sei das Museum ein „altertümliches Wohnzimmer gewesen, das die vergangene alte Heimat zeigte“. Zu Wort kamen darüber hinaus OB Jan Rothenbacher, Gerhard Pohl (der Museumsbeauftragte des Heimatkreises, der während seiner Dankesworten den Stab an Daniela Seidel übergab), Prof. Herbert Dreiseitl (Professor für Stadtentwicklung) und Jindrich Streit (bekannter tschechischer Fotograf; übersetzt von Jana Vymazalová). Gerhard Pohl sprach von einem „Prunkstück der Memminger Museumslandschaft“, Daniela Seidel vom „Gedächtnisort unserer Vorfahren“. Der Fotograf zeigte einen Weg auf: von Vergebung, Versöhnung und Freundschaft. „Ziehen wir die Lehren aus der Vergangeheit, die sich nie mehr wiederholen darf!

* Andreas Blank erklärt: Meine Großeltern hatten in Spillendorf, ein Dorf gleich neben Freudenthal, einen Bauernhof. Meine Oma spielte Geige, Opa Bratsche und meine Mutter hatte Klavier gelernt und hat in der Kirche auch Orgel gespielt. Am Ende des Krieges waren sie eine der ersten, die vertrieben bzw. nach Kralup bei Prag zur Zwangsarbeit verschleppt wurden. 1947 kamen sie über Umwege in der „Ostzone“ nach Attenhausen.
In ihrer alten Heimt erlebten meine Mutter und auch Oma schwerste Misshandlungen und wollten deshalb nie mehr dorthin, insbesondere meine Mutter. Nach ihrem Tod 2005 hat Günter Seidel – ihr ehemaliges Nachbarskind – mich bearbeitet, ich solle doch mit ihm mal heimfahren. Er wollte mir zeigen, wo sie herkamen. Wir gingen zur Kirche und eine Frau öffnete uns die Tür und sagte, im Chor würden noch Bücher liegen. Da lagen Noten herum, ich nahm insbesondere Noten mit Bläsersätzen mit, darunter das „Te deum“ von Ignaz Reimann. Er lebte im nahe gelegenen Oberschlesien und hatte es am 7. Mai 1885 komponiert – wenige Tage bevor er verstarb; es war sein letztes Werk.

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Fotos und Zusammenstellung: Helmut Scharpf, 05/2023

Urheber

Fotos Helmut Scharpf

Quelle

Helmut Scharpf

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

2023-04-30

Rechte

gemeinfrei