15.03.1525 – Ottobeuren und die Bauernkriege

Titel

15.03.1525 – Ottobeuren und die Bauernkriege

Beschreibung

Die Fassade der „Kramerzunft“ in Memmingen bezieht sich auf die Abfassung der 12 Bauernartikel. Sie gelten nach der Magna Carta von 1215 als eine der ersten niedergeschriebenen Forderungen nach Menschen- und Freiheitsrechten in Europa. 2025 jähren sich die Bauernkriege zum 500. Mal. Im Original können Sie hier blättern.

Aufständische gab es auch in Ottobeuren. Das Kloster wurde geplündert und verwüstet, Abt Leonhard Wiedemann (Abt von 1508 - 46) war monatelang auf der Flucht. Umgerechnet entstand bei uns vor Ort ein Schaden von ungefähr zwei Millionen Euro.

Was hat sich vor 500 Jahren in Ottobeuren konrekt zugetragen und wie wurde das geschichtlich sehr einschneidende Ereignis vom Ottobeurer Chronisten Pater Maurus Feyerabend 1815 beurteilt? Eine ausführliche Analyse steht noch aus.

Dazu nachfolgend die Abschrift aus Band III von Pater Maurus Feyerabend, zum Thema „1525 / Bauernkrieg / 12 Artikel“ bis Seite 77.

Hinweise zur Abschrift: Fußnoten wurden immer komplett auf die betreffende Seite übernommen, auch wenn sie sich (manchmal) auf die Fußnote der Folgeseite erstrecken. Der Abschrift wurden Hyperlinks begefügt. Die damalige Orthographie (Päbste statt Päpste, Schweitz statt Schweiz etc.) wurde weitgehend belassen, Worterklärungen und Anmerkungen sind in eckige Klammern gesetzt.
Weitere Literatur (z.B. Ägidius Kolb Schicksal einer schwäbischen Reichsabtei und Werke von Peter Blickle) muss noch ausgewertet werden; eine ausführliche Quellenliste hat das Memminger Stadtarchiv zusammengestellt.

Das Korrekturlesen ist noch nicht abgeschlossen; manche der Passagen - insb. die Fußnoten in lateinischer Sprache - sind im Original nur schwer zu entziffern.
Die Abschrift ist wegen der Darstellung der Formatierungen am besten in der beigefügten Worddatei bzw. pdf lesbar!

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Abschrift Feyerabend, Band III zum Thema „1525 / Bauernkrieg / 12 Artikel“

Des ehemaligen
Reichsstiftes Ottenbeuren
Benediktiner Ordens
in Schwaben
Sämmtliche Jahrbücher,
in Verbindung mit der allgemeinen
Reichs- und der besondern
Geschichte Schwabens
diplomatisch, kritisch, und chronologisch
bearbeitet
von
P. Maurus Feyerabend,
Benediktiner, und Prior des ehemaligen Reichsstifts.
Dritter Band
vom J. 1519. bis 1740.
Ottenbeuren gedruckt durch Joh. Baptist Ganser
1815.

Nur die Vergangenheit vermag die Gegenwart zu erklären, und die Zukunft zu erhellen. Je sinniger und je mehr Aufmerksamkeit wir also in den historischen Gefilden der verflossenen Jahrhunderte herumwandeln, desto klarer und heller wird uns die Zeitgeschichte, desto freier, sicherer und unbefangener unser Urtheil sowohl über das, was geschehen ist, und jetzt geschieht, als was in ferner Zukunft noch geschehen wird.

Vorrede über den Geist, und die Folgen der Reformation.

Vorrede.

Mit diesem dritten Bande hoffte der Verfasser, wie er's in dem Titelblatte der erstern zwei Bände seiner ottenbeurischen Jahrbücher mit aller Zuversicht ankündigte, seine unternommene Arbeit an's Ende zu dringen; doch nach Anfüllung der zu einem Bande verhältnißmässig geeigneten Bogenzahl übrigten demselben noch zwei und sechzig, unbearbeitete Jahre, die man gemäß der ersten Ankündigung weder übergehen sollte, noch in Hinsicht auf die höchstwichtigen Begebenheiten der letzthin verflossenen Zeiten unberührt lassen wollte:

hiemit konnte der Verfasser nicht wohl anders, als, um auf seiner angekündigten ersten Absicht zu beharren, und ein versprochenes Ganzes darzustellen, sich

II

entschliessen, den drei schon gefertigten Bänden seiner Jahrbücher noch einen vierten, als Schlußband, zur Vollständigkeit des unternommenen Werkes nachzuschicken.

Und noch andere Ursachen bestimmten den Verfasser hiezu. Einige hohe Freunde, und Verehrer der ältern, und neueren Vaterlandsgeschichte beehrten denselben in der Zwischenzeit, als die bemeldten Bände bearbeitet wurden, mit einigen anderswo vorgefundenen diplomatischen Anzeigen, und Auszügen, mit gelehrten Bemerkungen, und mit mehrern Aufhellungen über einige mit der Zeit sehr entstalteten, und schwer zu enträthselenden Urnamen der alten Gaue, Weiler, Burgen, und Höfe. Andere der Herren Abonnenten äusserten schon öfter den Wunsch, in einer alphabetischen Ordnung ein genaues Verzeichniß aller in den ottenbeurischen Jahrbüchern vorkommenden theils personellen, theils reellen Merkwürdigkeiten am Ende des Werkes zur Erleichterung des sonst

III

mühsamern Nachsuchens zu lesen; noch andern, besonders den Herren Ortspfarrern wird es nicht unangenehm fallen; da ihre noch vorfindliche Pfarrbücher ohnehin nur gar selten über zwei hundert Jahre zurück gehen, wenn sie die Namen ihrer noch ältern Vorfahren, welche vor ihnen an der nämlichen Seelsorge gestanden haben, in einem kurzen Auszuge bemerkt finden werden; und nebenzu verdient auch der Jenaische Herr Rezensent des ersten Bandes, oder vielmehr des schwäbische Souffleur desselben, über seine so unerwartete, und so freihin geschriebene Behauptungen und Einwendungen eine freundschaftliche Gegenbemerkung, die man dem Publikum

aus Liebe zur Wahrheit schuldig ist. Dieses, und noch mehr anderes wird der Anhang des folgenden Schlußbandes lieferen, und nachmals der erweiterte Umfang des so mühesamen Werkes sich schliessen.

An die Herren Abonnenten bei der Christophmüllerschen Kunst- und Buchhandlung in Memmingen kömmt

IV

zu erinnern, daß der wohledle Herr von Müller die sämmtlichen Namen seiner Herren Subskribenten, wichtigerer und vortheilhafterer Geschäfte halber, an den Verfasser abgeliefert habe, folglich sich der weitern Lieferung, welche der Verfasser besorgen wird, nicht mehr unterziehen werde.

Der Preis des dritten Bandes bleibt, wie jener des zweiten, nämlich das unbrochürte Stück zu 1 fl. 54 kr. das brochürte mit Umschlag 2 fl.

Ottenbeuren den 27ten Juny 1815.

Der Verfasser.

[Auslassung der beiden Seiten über die Abfolge der Päpste und Ottobeurer Äbte]

Des III. Bandes der Ottenbeurischen Jahrbücher 1. Zeitraum

Von dem Regierungsantritte Kaisers Karl V. bis auf dessen Nachfolger Ferdinand I. oder

Vom Jahr 1519 bis auf das Jahr 1558.

J. 1519

Von der Wahl Karls V. zum römischen Kaiser bis auf dessen Ankunft in Deutschland, und dessen Krönung zu Aachen verflossen beinahe sechzehn volle Monate, eine Zwischenzeit, während welcher Schwaben manches Unangenehme erfuhr, und sich grossentheils aus einer eben so ungehaltenen Neuerungs- als Freiheitslust zu grössern Veränderungen, und Unternehmungen verleiten, und vorbereiten ließ.

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Der neue Herzog Ulrich von Würtenberg [Ulrich von Württemberg] bemächtigte sich der schwäbischen Reichsstadt Reutlingen durch Waffengewalt; verlor aber darüber sein Land. Denn dadurch zog er sich die Feindschaft des schwäbischen Bundes zu, welcher den Herrn Herzog in kurzer Zeit aus dem Lande verjagte, und wegen aufgewandten Kriegskosten das ganze Land nachgehends an Karl V. abtrat, der dasselbe nicht nur an seinen Bruder Ferdinand überließ, sondern auch den Herzog Ulrich in die Reichsacht erklärte.*

J. 1520

In Hinsicht der Religion giengen die Religionsneuerer nicht nur von ihren einmal geäusserten Meinungen, und Gesinnungen nicht zurück, sondern warben sich vielmehr zahlreiche Anhänger, verbreiteten verschiedene Schriften, und beriefen sich allenthalben auf die göttliche heilige Schrift, die sie ihren vorgefaßten Meinungen, und Neuerungsgrundsätzen zu gut nach ihrem Eigendünkel auslegten, und ihre Auslegungen, wie alle ältern Sektenstifter, welche sich in allen Jahrhunderten wider die Kirche Gottes aufgelehnt hatten, gegen alle Entscheidungen, und allgemein angenommene Schriftauslegung der allgemeinen apostolischen Kirche allein, und ausschließlich wollten geltend machen. So donnerte der neue Schriftausleger,

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* Joh. Tettingers Würtenberg. librl deo apud

Schard Tom. II. p. 31.

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Ulrich Zwingli im Jahr 1519, als er die erste Kanzelrede zu Zürch [Zürich] am neuen Jahrstage hielt, mit vieler Heftigkeit wider die Mißbräuche der Kirche, wobei die Lehre von den Abläßen, das Ansehen der römischen Päbste, und auch jenes der weltlichen Regenten nicht wenig zu leiden hatten*; und so setzte auch der Frater Martin Luther in Sachsen unter dem Schutze des Churfürsten unter gleichen sehr hitzigen Ausfällen wider die römische Kirche, und derer Vertheidiger sein neuevangelisches Lehramt mit aller Freimüthigkeit fort.

Indeß war es noch zu keiner vollen Trennung der Kirche gekommen; vielmehr schickte Luther, der sich damals zu Wittenberg aufhielt, zu seiner Rechtfertigung ein eigenhändiges Schreiben, gegeben den 6ten April des Jahres 1520, nach Rom an den Pabst Leo X., worinn er zwar mit aller Heftigkeit, und angeborenen Hitze seines Temperaments** wider die in seinen Augen ganz verdorbene römische Kurie (Es war auch wirklich selbst nach dem Zeugnisse unsers frommen, und einsichtvollen

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* Hartmanni Anneles S. eremi pag. 450.

** Qua de re gravissime postea dux Fridericus ad Lutherum scribens valde eum horiatus eu, ut stili acerbitatem moderatetur. Melanchton in proefat. ad Tom. II. omium operum Lutheri edit. Wittenberrg. de A. 1546. per Joannem Luft.

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Ellenbogs* etwas daran) los zog; jedoch dem Pabste Leo selbst unter mehrern Lobsprüchen viele persönliche Hochachtung bezeugte. „Ich erinnere mich sehr wohl (sind die eigenen Worte Luthers an den Pabst Leo) um offen mich auszudrücken, so oft ich von deiner Person zu sprechen hatte, anders nicht, als rühmlich und beßtens von dir gesprochen zu haben. Wäre es aber je anders von mir geschehen, so würde ich selbst dasjenige keineswegs gutheissen, sondern vielmehr den andern beistimmen, und nichts lieber, als solch eine Verwegenheit, und Ruchlosigkeit widerrufen. Ich nannte dich einen Daniel in Babylon, und wie angelegen ich deine ausgezeichnete Unschuld wider deinen Verleumder Silvester vertheidiget habe, dieß sieht jeder Leser von selbst ein. Nämlich weit ruhmvoller, weit herrlicher spricht die durch die Schriften so vieler, und so grosser Männer allgemein durch die Welt verbreitete Meinung, und der Ruf deines unsträflichen Lebens für dich, als daß dasselbe von je einem Menschen, wenn er auch vom ersten Range wäre, könnte wie immer verunglimpft werden. Ich bin gewiß nicht so thöricht, daß ich

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Responsio fratris Nicolai Ellenbog ad non nullas quaestiones factas de papa. Ms.

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denjenigen anfalle, den alle loben.“*

So schrieb Luther den 6ten April des Jahrs 1520. Indeß arbeitete man eben damals zu Rom, besonders nachdem das Buch von der babylonischen Gefangenschaft, das der katholischen Glaubenslehre in den wichtigsten Punkten widerspricht, bekannt geworden war, an der Untersuchung der ein und vierzig Lehrsätze, welche aus allen bisherigen Schriften Luthers ausgezogen waren, und als irrig, und der alten Lehre zuwider befunden wurden. Beinebens unterliessen der Herr Kardinal Kajetan, vor welchem Luther sich zu Augspurg gestellt hatte, und der gelehrte Johann Eckius, welche sich beide damals in der Angelegenheit der deutschen Kirche zu Rom befanden, nichts, dem Pabste vorzustellen, wie nothwendig es zur Belehrung so wohl, als zur Bestärkung der Rechtgläubigen wäre, über die neue Lehre der Sektenstifter ein öffentliches, allgemeines, und bestimmt entscheidendes Urtheil ergehen zu lassen. Da nun Luther, anstatt die erstern irrigen Lehrsätze zu widerrufen, in neuern Schriften eine noch ärgerlichere, und gefährlichere Lehre verbreitete, und bei der Auslegung der

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* Eine getreue Uibersetzung der Stelle Luthers aus dessen Schreiben an den Pabst Leo nach der schon bemeldten Wittenberger Ausgabe vom Jahr 1546.

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heiligen Schrift wider den Sinn der alten apostolischen Kirche seinem Eigendünkel so viel zutrauete, daß er alle bis dahin bestandene Auslegungsgesetze platthin verwarf,* Pabst Leo aber, als oberster Kirchenhirt, das gläubige Volk gegen das weitere Vorschreiten der krebsartigen Irrlehre zu sichern hatte; so erschien am 15ten Tage des Junius zu Rom die feierliche Verdammungsbulle Leo des X., worinn der Pabst die aus den Schriften Luthers ausgezogenen Sätze entweder als anstössige, oder als ärgerliche, oder als ketzerische Irrlehren brandmarkte, und verwarf; jedoch dem Luther selbst gestattete der Pabst im Widerrufe seiner verbreiteten Irrthümer, und zur öffentlichen Verbrennung der herausgegebenen Schriften noch einen Zeitraum von sechzig Tagen; würden aber diese Zwischentage, wie es geschah, für eine bessere Besinnung unbenutzt bleiben, so erklärte Leo X. den Luther, und alle dessen Anhänger, und Beförderer als mit dem Kirchenbanne belegt, und von der allgemeinen Kirche getrennt.** Der

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* Deinde leges interpretandi verbi dei mm patior; cum opporteat verbum dei esse non alligatum, quod libertatem docet omninm aliorum. Luth. sp. ad Leonem X. cit. edit fol. II.

** Bulla Leonis X. contra errores Mart. Luth. & sequatim. Tom. II. operum omnium II. Loth. cit. edit a fol. 54. usque 65.

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gelehrte Johann Eckius brachte diese Bulle der Erste [?] bei seiner Rückreise von Rom nach Deutschland, theilte sie den Bischöfen von Meisen, Merseburg, und Brandenburg, wie auch dem Herzoge Johann von Sachsen, und der hohen Schule zu Wittenberg mit. Indeß verbreitete sich der Ruf von dieser Bulle bald auch in Schwaben, und unser Niklas Ellenbog läßt nicht unbemerkt, daß unter der Regierung des würdigen Abtes Leonhard den Schriften Luthers hier aller Zugang versperret war.* Jetzt war freilich Pabst Leo X. in den Augen des Frater Martin Luthers nicht mehr ein schuldloses Schaf unter den Wölfen, nicht mehr ein Daniel in der Mitte Babylons, und nicht mehr, wie vor zwei Monaten, der allgemein geschätzte, und allgemein belobte Kirchenregent, dessen unbescholtenes Leben, und weit

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* Ellenbog schrieb an seinen Bruder, Johann den Stadtpfarrer zu Wurzach, eine kurze Abhandlung über das Gebeth des Herrn, Vater unser genannt, welches ein neu evangelischer wilder Gast hier öffentlich in Beiseyn seines Bruders -der Tisch als ein unnützes, und verdienstloses Gebeth lästerte, und schrieb: „Audivi plane ex eo multa prius mihi inaodita, eoquod lutheranis libris igni de & aqua hic interdictum fit dudum, ab eo scitice tempore, qoo papa Leo X. eius nominis libros illos tanquam hereticos condemnavit, & comburendos decleravit,

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ausgebreiteter Ruhm keine Lästerung, und keine Verleumdung bemackeln könnte, sondern in der ganzen Leibesgröße der lebendige Antichrist*, der Wolf in der Heerde, ein Tirann, und wer will die Lästernamen alle hieher setzen, womit Luther in seiner Hitze, und Rachbegierde gegen allen Geist der evangelischen Sanftmuth und Duldung das sichtbare Oberhaupt der Kirche entehrte? Handlungen beweisen hier unvergleichlich mehr, als die Worte. Kaum hatte man die Schriften Luthers zu Rom am Mondtage [Montag] nach St. Niklastag auf öffentlichem Markte verbrannt; so erschien am 10ten Dezember an dem wittenbergischen Schulgebäude ein Anschlagszedel des Inhalts: „Die gesammte wittenbergische Schuljugend sollte sich zur Verbrennung der päbstlichen Bulle, und des päbstlichen Rechts zur neunten Morgensstunde versammeln.“ Man erschien; Luther warf die päbstliche Bulle, und die Dekretaliensammlung der alten Päbste unter den Worten: „Weil du den Heiligen des

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* Drey Schriften, voll der ausgeschämtesten Lästerungen, stellte man der päbstlichen Bulle entgegen. Nämlich die Schrift: Adversus execrabilem Antichristi bullam; die andere Assertio articulorum a Leone X. damnatorum; und die dritte: Articuli Martini Lutheri quare damnati sint, worinn ein erdichteter Simon Heß angeführt wird. Tom. II op. Lutheri cit. edit.

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Herrn beunruhiget hast, so zerstöre dich dafür das ewige Feuer“, in die Flamme des brennenden Holzstoffes, und zog von dannen, wie im Triumphe, unter einer zahlreichen Begleitung der öffentlichen Lehrer, und Magister zurück.* Von den lästerlichen Sinngedichten, welche Luthers Anhänger, und Schüler darüber verfertigten, und von der Figur des römischen Pabstes, die man zur Faschingszeit öffentlich zum Spotte und Gelächter des niedrigsten Pöbels umher führte, melden die nämlichen Werke der ersten Ausgabe nicht bloß obenhin, sondern ausführlich.** Himmel! Welch ein Aufgang des neu evangelischen Lichtes!

Indeß kam Karl V. in dem Monate Oktober nach Deutschland, wo er zu Aachen die Kaiserkrone empfieng. Als der Kaiser nachmals die Bulle des Pabstes Leo X. wider den Luther von dem päpstlichen Legaten erhielt, befahl er die Bücher Luthers zu Löwen, Köln, Mainz, Trier, Halberstadt, Meisen, und Merseburg öffentlich zu verbrennen, und sagte für das folgende Jahr einen allgemeinen Reichstag nach Worms an.***

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* Exustionis antichristionorum Decretalium acta, Tom. II fol. 129 cit. edit.

** Ibidem fol. 129, 130 und 131.

*** Pagi breviarium rom. Pontif. Tom. V. edit Antiverp.

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§. II.

J. 1521.

Schon im ersten Monate des Jahres 1521 besann die von dem Kaiser ausgeschriebene Reichsversammlung zu Worms, Luther, mit einem sichern Geleitsbriefe versehen, wurde dahin persönlich berufen, um sich über die verbreitete Lehre zu verantworten. Er that es mit einer ihm ganz eigenen Dreistigkeit, und nachdem er sich im Angesichte des Reichstages erklärt hatte, er würde von seinen Lehrsätzen nie wieder abgehen, ward er zwar gemäß dem gegebenen Worte des sichern Geleites frei von Worms entlassen, jedoch so, daß ihm ein scharfes Edikt des Inhaltes nachfolgte, daß, sobald die in seinem Geleitsbriefe festgesetzte Zeit zu Ende seyn würde, die Wirkung des päbstlichen Bannfluches anfangen, kein deutscher Fürst denselben im Lande behalten, und er sammt seinem Anhange Kraft des unterm 26ten Mai 1521 erlassenen Wormser Edikts in die Reichsacht erklärt seyn sollte. Alles dieses wäre auch ohne Zweifel nach ein und zwanzig Tagen, worauf sich der gegebene Geleitsbrief beschränkte, stracks ausgeführt worden, wenn nicht Friedrich, der Churfürst von Sachsen, seinen werthen Klienten

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verp. de A. 1748 pag 520. Pallavicini Hist. Conc.

Trident. L. I. cap. 27. & 28. ex actis Wormatiensibus mss. bibliothecae vaticanae.

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Luther den Augen des Publikums entzogen, und denselben verheimlichet hätte. Plötzlich, als Luther von Worms noch Sachsen zurückreisete, ward er in seinem Wagen von einigen vermummten Rittern, die von dem vermeldten Churfürsten abgeschickt waren, angehalten, auf ein Pferd gesetzt, und durch einen Wald zur Nachtszeit auf das feste Bergschloß Wartburg bey Eisenach in Sicherheit gebracht. Hier legte der ehmalige Frater Martin sein Ordenskleid ab, kleidete sich weltlich, gab sich den Namen eines edlen Junkers Görge, nannte seinen Aufenthaltsort ein Patmos, und schrieb als ein anmaßlicher Evangelist von diesem Patmos aus mehrere Briefe an seine vertrautesten Freunde.*

Noch andere Ursachen hinderten Karl den V. an der strengenVollziehung des wider Luther, und seinen Anhang erlassenen scharfen Wormseredikts. Die Freiheitslehre Luthers hatte schon viele Köpfe sehr eingenommen, die Gährung unter dem gemeinen Haufen, besondes in Sachsen war groß; von einer andern Seite war es dem Kaiser unmöglich den allenthalben eindringenden Uebeln Schranken zu setzen. Denn eben damals war es an dem, daß der in seinem Gesuche der deutschen Kaiserwürde hintangesetzte französische König Franz I. den Kaiser in Navarra

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Seckendorf p. 170.

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in den Niederlanden, und in Italien mit Kriege beunruhigte, und selbst die Türken machten Miene, mit einem zahlreichen Kriegsheere in die kaiserlichen Erbstaaten einzubrechen. Beinebens, obgleich die Staaten Karl des V. so weitschichtig, daß in denselben, wie man sagte, die Sonne nie untergieng, und die Staatskräfte so stark waren, daß Deutschland aus Furcht der allzugrossen Stärke sich durch eine Wahlkapitulation* nicht ohne Ursache gegen dieselben sicherte: so war doch die Macht des Kaisers getheilt, die Kräfte nicht vereint, das Interesse der Länder verschieden, und der innern sowohl, als der auswärtigen Angelegenheiten, Geschäfte, und Gefahren so viele, daß Karl gegen die Klugheit gehandelt hätte, wenn er die rasche Vollziehung des Wormser Edikts strenge betrieben, und die deutschen Reichsstände sogleich im ersten Jahre, und bei solchen Umständen wider sich aufgebracht hätte.

Unsern Abt Leonhard belehnte der Kaiser nach dem Beispiele seiner Vorfahren am

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* Karl V. war der Erste, welcher eine Wahlkapitulation beschwur, und neben andern mehrern punkten eidlich versprach, alle Stände des Reiches bei ihren hergebrachten Hoheiten, und Rechten zu schützen. Limnaei capitulat. Caesareae p. 38.

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Reiche auf eingereichte Bitte mit dem Blutbanne über den hiesigen Marktort, und der Herr Fürstbischof zu Augspurg, Christoph von Stadion, wurde von dem Kaiser beauftragt, in seinem Namen den Eid der Treue von dem Herm Abte abzunehmen.* Was der ebenbemeldte Herr Abt während dieser Jahre zum Beßten seines Stiftes that, giebt eine hinterlassene Schrift des gelehrten Johann von Altenstaig, letzten Priors an dem Augustiner Kloster zu Mindelheim,** zu erkennen. Dieser in den morgenländischen Sprachen sehr wohl bewanderte Mann, und ein Doktor der Gottesgelehrtheit, welchen unser Ellenbog berieth, schrieb eine Abhandlung von den Kennzeichen der wahren, und falschen Freundschaft, und widmete dieselbe unserm Abte Leonhard. Zu der Zueignungsschrift rühmt Johann von Altenstaig an dem würdigen Abte

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* Geben in unsrer, im des heiligen Reichsstadt Worms am 10ten Tag des Monats Martii nach Christi Geburth 1521.

** Bald hernach, man weiß nicht wegen den Zerstörungen des Baurenkrieges, oder durch eine freiwillige Verladung erlosch dieses Kloster, welches spaterhin die Priester der Gesellschaft Jesu bezogen. Johann von Altenstaig gab auch ein theologisches Lexikon heraus. Der Zuname rührte von einer ober der Pfarrgemeinde Mindelau gelegenen Dorfgemeinde Altenstaig [Altensteig] her.

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die sanfte, und kluge Regierung seiner untergebenen Klostergemeinde, die Neigung und Vorliebe zu den Wissenschaften, die alle dessen von Amtsgeschäften freie Stunden beschäftigten, die Vermehrung des Büchersaals, und manches andere, das einem Ordensprälaten, und einem hohen Kenner und Verehrer der Wissenschaften wohl ansteht.* Nur Schade, daß die unruhigen Zeiten, und die unausweichlichen Rechtsbalgereien dem tiefen Forschungsgeiste dieses Abtes beinahe alle freie Zeit raubten.

Mit dem fürstlichen Stifte Kempten hatte man wegen den Gränzmarken zu thun. Der berühmte Jo. Georg Truchseß von Waldburg, der sich in der Urkunde auch einen Herrn von Wolfegg nennt, machte hierinnfalls den Schiedrichter.** Die Insaßen, oder vielmehr Hintersaßen, welche sich in der hiesigen Marktgemeinde von anderswoher niedergelassen hatten, klagten über den Abt, daß er ihnen keine Stiftgüter, wie dessen Vorfahren, zu Lehen gab, und alle Unterthanen überhaupt über das öftere Einfordern der sogenannten Reisegelder, oder Kriegsbeiträge und Steuren [Steuern], woran

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* Joannes Altenstaig in dedicatione opusculi, impressi Hagenovae, de amicitia. Ms. Ex Mindelheim A. 1519.

** Geben auf Freitag nach Pelagii im Jahr 1521. Sandholzer ex Schedis mss.

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freilich nicht die dazu gezwungenen Aebte, sondern die wider die alten Gebietsgerechtsame gewalthätig handelenden Schutzvögte die Schuld trugten. Gerwick, der Abt von Weingarten [Gerwig Blarer], und Jo. Georg Truchseß von Waldburg, als kaiserliche hiezu ernannte Bevollmächtigte, entschieden in Beiseyn des hiesigen Ortsvorstandes, Joseph Mader, die aufgeworfenen Klagpunkte.* Auch zu Eck an der Günz [Egg an der Günz] foderten die Besitzer zweier Höfe, die weder nach Ottenbeuren, noch nach Augspurg gehörten, an den Herrn Abt, er sollte sie, wie die übrigen Dorfbewohner, aus der Ecker Waldung nach Nothdurft beholzen. Walther von Hörnheim, oder Hirnheim** [Hans Walter von Hürnheim], damals Pfleger zu Kirchberg, und des schwäbischen Bundes Hauptmann, schlichtete diesen, schon das zweitemal betriebenen Rechtsstreit im Namen des Kaisers.*** Allenthalben benahm sich

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* Geben auf Freitag nach Udalrici im Jahr 1521. Idem Sandholzer.

** Hirnheim [Hürnheim] ein Dorf in der Grafschaft Oettingen sammt der alten Stammburge der nun ausgestorbenen Familie von Hirnheim. Aus diesem Geschlechte war Johann von Hirnheim, der letzte Abt des ehemaligen Benediktiner Stifts Ellwangen an dem Jaxstflusse [an der Jagst].

*** Geben auf Samstag nach St. Jakobi des heiligen Zwölfbothen Tag im Jahr 1521.

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Abt Leonhard bey diesen Rechtsstreiten sehr billig, und suchte sogar mit Darbringung einiger Opfer so wohl das gute Benehmen mit der Nachbarschaft, als die Ruhe, und den Wohlstand der Seinigen aufrecht zu erhalten.

J. 1522

Uebrigens nahmen mit der Folge der Jahre, gleich wie die Religionsunruhen, also auch im Staate die verderblichen Kriege stets zu. Kaum hatten die siegreichen Waffen Karl des V. wider Franz I. König von Frankreich einige Vortheile erfochten, so traten von einer andern Seite die Türken auf, welche, nachdem sie die Stadt Belgrad schon erobert, und mit einer starken Besatzung versehen hatten, nichts Geringeres im Schilde führten, als sich auch der Insel Rhodus [Rhodos] zu bemächtigen, und sodann nach Italien vorzudringen. Ludwig, der König von Ungarn, erstattete hievon dem Kaiser durch seine Gesandte Bericht, und bath denselben um mehrere Hilfsvölker. Karl schrieb deßwegen auf das folgende Jahr einen neuen Reichstag nach Nürnberg aus, zu welchem er auch unsern Abt Leonhard durch ein besonderes Einladungsschreiben, und zwar bei den Pflichten, womit er dem Kaiser, und dem Reiche verwandt wäre, berief.*

Nicht lange hernach schlugen 20,000 Mann

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*Das kaiserliche Einberufungsschreiben unterzeichneten Fridericus comes palatinus locum tenens, und Ludwig Pfalzgraf Churfürst ad mandatum D. imperatoris proprium in censilio imperiali A. 1522.

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Mann Fußgänger, und 4000 Mann zu Pferde den Weg nach Ungarn ein; zur Erhaltung der innern Ruhe Schwabens aber bestättigte der Kaiser neuerdings auf eilf Jahre den schwäbischen Bund.

In der benachbarten Schweitz [Schweiz] gewann der berüchtigte Ulrich Zwingli für seine neue Lehre stets mehrere Anhänger. Die Lehrsätze, welche sie vorzüglich bestritten, waren die Ablässe, die Anrufung der Heiligen, das Verehren der Bilder, das Reinigungs- oder Fegfeuer, die Klostergelübde, die Gebote, und Zeremonien der Kirche, die Obergewalt des Pabstes, bald hernach das Opfer der Messe, und kaum einige ausgenommen, beinahe alle heiligen Sakramente. Allenthalben stieß man an Sonn- und Feiertagen in diesem Lande, und besonders im St. Gallischen auf Haufen von Bürgern, und Landleuten, die einem wider den Pabst, oder die Kirche deklamirenden Lesemeister zuhörten, oder mit einem andern aus der Menge derjenigen, die sich mit Predigen, Disputiren, und Schriftauslegen abgaben, sich über eine Stelle der Bibel unterhielten; es kam sogar dahin, daß selbst die Weltlichen, und unter

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diesen auch Sattlergesellen*, und Handwerkspursche nicht nur in den Winkeln, und nicht bloß in den Zunftstuben, sondern auch öffentlich in den Kirchen als Redner, und Schriftausleger auftraten. Ueber dieses Predigen der Weltlichen in St. Gallen ärgerten sich die Schweizerischen Eidgenossen aufs höchste, und neun Kantone bathen auf der Tagsatzung zu Luzern die Gesandten der Stadt St. Gallen: „Nit fernner ungewicht Litt [Leute], und Buben predigen zu lassen, sonder Prediger dahin zu thun, denen solches zustand; damit Ruh und Guts, und nit wie bisher gesehen ist, mer args darus erwachse; Jhnen, neu die nün Orte lieber lassen sin, dann sollich Buben, und Winkelprediger; dann es witer nicht mög erlitten werden.“**
Auch der Fürstabt Franz von St. Gallen setzte sich so wohl den neuen Lehrsätzen, als der neuen Lehrmethode standhaft entgegen, erließ gegen

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* Ein solcher war Hans Keßler, ein geborner St. Galler, welcher damals von Wittenberg aus der Schule Luthers nach Hause zurückkam, und aus einem Sattlergesellen ein Schriftausleger geworden war. Herr Archivar Ildefons von Arx Geschichte des Kantons St. Gallen. Seite 478.

** Der St. Gallische Herr Archivar von Arx. 1. cit. 479. Eidgenoß. Abschied auf Freitag nach St. Apolloni im Kopialbuche CX Seite 6.

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dieselben strenge Strafgesetze, und sagte zu den Anhängern der neuen Lehre sehr oft: „Ihr rühmet euch ohne Ursache des Evangeliums, selbes ist mir von jeher bekannt, und werther gewesen, als euch; ich will mir aber dessen Sinn lieber von der Kirche, als vom Luther erklären lassen.“* Bei allem dem machten sich um diese Zeit die Hauptmänner der neuen Lehre, Luther, Zwingli, Karlstadt und Melanchton wegen ihrer offenbar widersprechenden Schriftauslegung über die an sich so deutlichen Einsetzungsworte des heiligsten Abendmahles in den Augen eines jeden ruhig denkenden Mannes nicht wenig verächtlich. Luther hielt auf die wirkliche, und leibliche Gegenwart Christi; Karlstadt ließ das Brod, und den Leib Jesu Christi ohne alle Verwandelung des Erstern beisammen seyn; Zwingli fand an dem Sakramente mehr nicht, als eine Bedeutung des Leibs, und ein Erinnerungszeichen an den Tod des Herrn; Melanchton ersann wieder eine andere Auslegung, und noch heute sind diese neuen Kirchen in diesem höchstwichtigen Glaubenspunkte unter einander

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* Von Arx loc. cit. Pabst Adrian VI. der Nachfolger Pabstes Leo X. schickte deßwegen schon im Jahre 1522 diesem Fürstabte ein Belobugunschreiben zu.

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nicht einig.* Es konnte auch unter denselben nicht wohl anders ergehen, nachdem sie einstimmig die unfehlbare Kirche Gottes verworfen, und das Idol des Selbstdünkels, und des Privatgeistes zur hohen Würde eines Schriftauslegers, und Bibelrichters erhoben hatten. Der Irrthum widerspricht sich zu allen Zeiten; nur die Wahrheit bleibt sich immer getreu, und die nämliche.

§. III.

J 1523

Die in der Schweitz verbreiteten Religionsneuerungen und Unruhen giengen bald durch einen in dieser Sache schon länger emsigen Dienstgeist nach Schwaben über, und man darf sich über jenen Geist nicht allzusehr befremden, von welchem der ältere memmingische Stadtgeschichtschreiber, Christoph Schorer, auf das Jahr 1517 meldet, „daß derselbe während der Fastenzeit in der St. Martinskirche erschienen, und so laut geschrien habe, daß es jedermann hörte: Es werde eine grosse Veränderung in dieser Stadt, und ganzer deutschen Nation wegen der Religion vorgehen.“ Denn es lagen schon damals

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* Bossuet Hist. doctrinae Protestant. Edit. Herbipol. de a. 1718. Schelhornii amoenit. liter. Karrers memmingische Chornik alio loco inferius citand.

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einige Geister unter einer schwarzen Decke beisammen, welche, weil sie eine grosse Religionsänderung vorhatten, dieselbe sehr leicht durch einen unterstellten Geist vorher ankündigen konnten. Christoph Schappeler, ein geborner St. Galler, Lizentiat der heiligen Schrift, und seit 1513 Stadtprediger zu Memmingen unterhielt schon längere Zeit einen vertrautem Briefwechsel mit Ulrich Zwingli, und dessen Anhange, zu welchem damals neben vielen anderen der Ruraldekan, und Probst zu St. Mang, Hermann Miles, der neue Stadtpfarrer zu St. Gallen Benedikt Burgauer, der Kaplan Wolfgang Wetter, und Balthasar Hubmaier Pfarrer zu Waldshut, lauter gute Freunde des memmingischen Stadtpredigers, vorzüglich gehörten; er arbeitete auch schon mehrere Jahre, wie es sein Lehrmeister Zwingli vor ihm zu Zürich that*, an einer stillen Vorbereitung des memmingischen Stadtvolkes zur Annahme der neuen Lehre, und verdiente bei dem zweiten Religionsgespräche zu Zürich, wohin er sich begab, um bei dem Zwingli wegen des weitern Verhaltens sich Raths zu erholen, als Präses gewählt zu werden.** Indeß so geheim, sich die

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* Hartmanni annales S. eremi ad A. 1519 - & 1520.

** Ildefons von Arx Geschichte des Kantons St. Gallen, II. Band Seite 478. Karrers memmnigische Chronik S. 495.

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neue Lehre inner der Stadt verbereitete, so erfuhr doch der Herr Diözesan-Bischof, Christoph von Stadion, ein würdiger Kirchenprälat, die geheimen Bemühungen, welche geradehin auf eine Glaubensneuerung abzweckten, und erließ Vermöge seiner obhabenden Hirtenpflicht vom 19ten Tage des Heumonats [Juli] dieses Jahrs ein liebvolles Schreiben an die memmingische Stadtobrigkeit,* worinn er dieselbe väterlich ersucht, warnet, und in Gott dem Herrn ernstlich ermahnet, und bittet, die falschen Neuerungen der betrüglichen lutherischen Lehre abzustellen, und am Ende noch meldet, er habe in beiden Pfarrkirchen der Stadt für jede Woche eine löbliche Prozession sammt einem gesungenen Amte von der heiligsten Dreifaltigkeit angeordnet, um Gott anzurufen und zu bitten, daß er so wohl Sie, als die Ihrigen, und das gesammte christliche Volk in dem wahren christlichen Glauben erhallten wolle. Jedoch leider vergebens. Man war für die Neuerung wider das Alte

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* Datum Dillingen Sonntags nach Divisionis apostolorum 19. Junii A. MDXXIII. Der Herr Karrer, Pfarrer zu Woringen führt die Urkunde in seiner memmingischen Chronik an S. 496. Der Brief steht auch in den Schelhornschen Reformationsgeschichte.

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schon eingenommen, und man hörte die Stimme des rechtmässigen Hirten nicht mehr. Der Feuerhauptmann der neuen Lehre, Christoph Schappeler, bekam in der Zwischenzeit, als Ehrenprediger einen neuen Ruf von dem Dekan Hermmann Miles, und dem Stadtpfarrer Benedikt Burgauer nach St. Gallen, wo er sich nicht bloß mit einer übernommenen Ehrenrede beschäftigte, sondern er so wohl, als dessen obenbenannte Glaubensfreunde sammt einem gewissen Joachim von Watt in verschiedenen Zusammenkünften, die sie zu St. Gallen auf dem Weberhause, in der Schießhütte, auf der Metzg, und andern Orten veranstalteten, für die neue zwinglische Lehre neue Anhänger zu werben suchten.*

Als er nun von daher nach Memmingen zurück kam, dauerte es nicht mehr lange bis zur öffentlichen Ausgiessung alles dessen, was er in den neuevangelischen Winkelschulen gesammelt hatte. Nach St. Martinstag am Sonntage, welcher damals auf den 15ten des Wintermonats fiel, bestieg Schappeler in der Hauptstadtkirche die Kanzel, kramte die neue schweizer- und sächsischen Waaren aus, und predigte mit Heftigkeit wider die Messe, Fürbitt der Heiligen,

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*Der St. Gallische Herr Archivar von Arx in der Geschichte des Kanton St. Gallen II. Band S. 478.

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Ohrenbeicht, Fegfeuer, die Zehentpflicht, das katholische Priesterthum, und wider die Ausspendung des heiligsten Sakraments unter einer Gestalt.* Wäre der regierende Stadtmagistrat mit dem Stadtprediger, und dessen Lehre nicht schon damals wohl einverstanden gewesen, und hätte das obgemeldte Hirtenschreiben des Herrn Fürstbischofes von Stadion auf denselben einigen Eindruck gemacht, so würde man dem verwegenen Manne zu einer Zeit, und in einer Stadt, wo dazumal der weit grössere Theil noch katholisch gesinnt war, und glaubte, so gar aus politischen Gründen von Amts wegen sein Lehramt niedergelegt haben. Allein die Stadtobrigkeit schwieg dazu, und unterstützte in der Geheim den Neuerer.

Nicht so der wachsame, und fromme Kirchenhirt, und damaliger Bischof zu Augsburg, Christoph von Stadion. Dieser berief auf Anzeige den schon öfter benannten Stadtprediger unter der Strafe des Kirchenbannes, der Entsetzung vom Lehramts, der Beraubung aller Kirchenpräbenden, der Beunfähigung zu allem weitern Genusse, und Besitze derselben,

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* Jo. Georg, Schelhornii amoenitates literariae Tom. VI edit. Francofurti & Lipsiae A. 1727.

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und der Einziehung aller Güter zur Verantwortung nach seinem Residenzorte Dillingen.*

Das bischöfliche Schreiben war nicht an den damaligen Präceptor des Antonier Hauses, und Stadtpfarrer an der Hauptkirche zu St. Martin, Adam Prumer, sondern an dessen Helfpriester an jener Kirche gerichtet**, welches hinlänglich beweiset, daß der Pfarrer Adam Prumer schon damals in einem lauten Verdachte der angenommenenneuen Sekte stund.*** Allein

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* Datum in dicto castro nostro Dillingen A. MDXXIV [1524] die tertia decima mensis Januarii sub sigilli nostri impressione. Schappcler hätte sich auf den Freytag nach Paulibekehrung, nämlich den 29ten des Jäners [Jänners, Januars], vor dem Herrn Bischofe zu Dilingen zur Verantwortung stellen sollen. Man sehe das bischöfliche Schreiben bey Schelhorn loc. cit. pag. 320, und bey Karrer loco cit. Seite 500.

** Christofferus Dei & apostolicae sedis gratia episcopus Augustensis dilectis in Christo nobis devotis divinorum cooperatoribus ecclesiae parochialis Martini oppidi imperialia Memmingen, ceterisque salutem in domino. Ibidem

*** Die Chronik des obern heiligen Geistsspitals zu Memmingen Ms. sagt von ihm folgendes: Hoc constat, quod ad pessimum aliorum seandaium & exemplum aposcataverit a fide, & claves cum quibusvis documentis litterariis & aliis instrumentis publicis pro tenui solum pensione ad dies vitae tibi reservata politco, seu saeculari magistratui tradiderit. Durch ihn kamen die Antoniergebäude, welche noch jetzt stehen, als die Antonierkapell, der jetzige Pfarrhof, einige Wohnungen der Stadtprediger, das Gebäude der Stadtbibliothek, und andere an die Stadt.

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Schappeler im Vertrauen auf seine Gönner, und Schützer gehorchte nicht, und stellte sich nicht; weßwegen derselbe von dem Herrn Bischofe in den Bann erklärt wurde, und man fand nicht lange hernach einen zu Nachts an dem Kirchenthor angehefteten Zettel, in welchem der Stadtprediger Schappeler als ein wegen seiner Widerspenstigkeit wirklicher Exkommunizirter der gesammten Stadtgemeinde sollte bekannt gemacht werden.* Jedoch auch diese Bekanntmachung hinderte man. Denn, ehe die Bürgerschaft etwas erfuhr, ließ die Stadtobrigkeit, welche sich über den Kirchenbann eben so leichtfertig, und mit so vieler Verachtung, als selbst der Gebannte hinweg setzte, den Anschlagzedel [Anschlagzettel] hinweg nehmen, und so trug man alles zur Beförderung der Glaubensneuerung

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* Der Anschlagzedel lautete so: Hic auctoritate ordinaria denuntiatur excommunicatus, ac declaratur Christofferus Schappeler predicator oppidi Memmingen ob non paricionem monitorii. contra eum decretum & executum instante fisco R. P. & D. D. episcopi Augustensis. Schelhorn l. cit. pag., 322 Karrer l. c. S. 501.

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bey.* Hieraus läßt sich auf das weitere, und verderblichere Unternehmen leicht schliessen. Schappeler machte nun selbst einen Schriftsteller, da er in einem unter das Volk ausgestreuten Buche, das er von der evangelischen Freiheit schrieb, den Bauern aus der Bibel bewies, daß das Zehentgeben durch das neue Testament abgeschafft worden, daß es unchristlich sey, von den Gläubigen Zinsen, und Abgaben zu fodern, oder dieselben zu entrichten, und daß der Himmel den Bauern offen, dem Adel aber, und der Geistlichkeit verschlossen sey. Diese Lehren, als Wort Gottes vorgetragen, wurden von dem Landvolke in Schwaben, und in der östlichen Schweitz mit unbeschreiblichem Beifalle aufgenommen. Da, da, sprach ein Bauer zum andern:

„Das ist das recht Evangeli. Lueg, lueg, wie hant die alten Pfaffen gelogen, und falsch geprediget, man sollt die Buben alle zu Todt schlagen, wie hant sie uns also herrlich betrogen, und beschissen.“**
So wie Schappeler schrieb, lehrte er auch von der Stadtkanzel zu Memmingen. Der memmingische

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* Karrers Memminger Chronik S. 501.

** Von Arx nach Fridolin Sicher, einem gleichzeitigen Schriftsteller, und damals Kaplan zu St. Jakob, wie auch Organisten an der Münsterkirche zu St. Gallen Seite 492.

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Prediger Schappeler, schreibt von ihm der damalige Zeitgenoß, und Nachbar, unser gelehrte Niklas Ellenbog*, bekannte dieß mit eigenem Munde öffentlich in einer seiner Kanzelreden, als er sagte: „Sehet hier meine Bauern, die ich zur Empörung aufwiegelte. Jedoch die Sache ist noch nicht am Ende. Nicht genug, daß sie die Klöster zerstören, sondern es wird noch dahin kommen müssen, daß man den Reichen die Ringe von den Fingern, und die goldenen Kettchen von dem Halse reisse, und die festen Burgen von den Bergen herab stürze.“

Kein Wunder also, daß sich die Bauern fast allgemein nach dem so genannten reinen Wort Gottes, und nach neuen Bibeln sehnten, jeden

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* Quod totem lutherani concionatores id (loquitur de rusticorum insigni coniuratione) effecerint, singuli in suis locis, in aprico est. Coneionator Memmingensis Schappeler ore proprio id confessus est publice, in una suarum concionum dicens: „En rusticos meos, quos ego ad id operis concitavi, sed nondum finis* Non sufficit, ut devastent monasteria, sed opus erit, ut divitibus annulos de digitis, & cathenulas aureas de collo aufferant, & castra de montibus praecipitent.“ Id quam ad amussim impletum sit ut scire nollem, ita completum doleo. Ellenbogii tractatus tertius, Lutheranorum errores, & dolos peculiarius describens. Ms.

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den Dorfgeistlichen zwangen zu bekennen, habe bis dahin die Leute betrogen, und angelogen, sich schon in diesem Jahre, nach dem Beispiele Derer in Sachsen und Franken, in dem westlichen Schwaben gegen die Schweiz hin zusammen rotteten, und, als sich die Kantonen von Zürch, Schaffhausen durch ihre Abgeordnete einen Bauernbesuch, und alle Beunruhigung ihrer Gränze verbothen, statt einer Antwort nichts, als dieses erwiederten: „Sie zögen herum, wie die Krähen in der Luft, und wohin sie das Gotteswort, der Geist, und ihre Nothdurft hinweise;* kein Wunder, daß die Bauern und Söldner, Handwerker und Dienstboten, Männer und Weiber und Mägde sich für ein neues Evangelium, das unter dem schönen Namen der evangelischen Freiheit die Zehemen aufhob, die Abgaben mißrieth, die geheime Beicht, das Fasten sammt den meisten guten Werken verwarf, der Sinnlichkeit, und der Leidenschaft einer damals sehr verdorbenen Menschenklasse das Wort sprach, das so nothwendige Band des Gehorsams, und der Unterwirfigkeit auflösete, den neuen Evangelisten die ehliche Beiwohnung erlaubte, und überhaupt die enge Pforte zum Himmel durch Anlegung einer neuen recht bequemmen Landstrasse erweiterte, sich eben so sehr einnehmen liessen, als wie

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* Abschied der schweitzerischen Eidgenossenschaft und Salat bei von Arx l. c. Seite 492.

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in unsern Tagen das nämliche Schwaben, und beinahe ganz Deutschland sammt Italien für die so sehr gepriesene zwei Worte der französichen Freiheit, und Gleichheit; kein Wunder endlich, daß aus einem solchen Wortsaamen bald eine offenbare Verfolgung der Katholiken erwuchs, welche noch in diesem Jahre zu Memmingen ausbrach, wo man am 7ten Tage des Christmonats [des Dezembers] das erstemal das Abendmahl unter beiden Gestalten reichte.*

Selbst an dem heiligen Weihnachtstage während der Vesperzeit drang auf Anstiften eines Helfpriesters, welcher schon für die neue Lehre gestimmt war, eine zahlreiche Rotte der Neugläubigen in die Frauenkirche ein, umgab den funktionirenden Pfarrer, Jakob Mägerich, einen sehr frommen, und orthodoxen Spitalherrn, schrie, schlug, warf, und polterte bis in die dunkle Nacht, und es wäre dem mit andern zwei Geistlichen gefänglich angehaltenen Pfarrer an der Frauenkirche von Seite der rasenden, und enthusiastischen Rotte sehr übel ergangen, wenn nicht einige Senatoren, und der Herr Stadtbürgermeister Keller, welche etwa einen allgemeinen Aufstand besorgten,

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* Schorers memmingische Stadtchronik Seite 63. Schelhornii amoenit. liter. Tomulo VI. Pag. Mihi 322. Herr Karrer setzt dafür irrig den 27ten Tag des Dezembers.

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einige Ruhe hergestellt hätten.*
Von den Vätern Augustinern ließ der Stadtrath, ohne daß der memmingische Geschichtschreiber Schorer** eine Ursache anzugeben weiß, den damaligen Prior, und Doktor Gregor Roser schon im Jahr 1520 gefangen sehen, vermuthlich, weil er sich den ersten, und geheimern Bemühungen, und Neuerungen des Schappelers standhafter, und freinmüthiger, als man wünschte, entgegen setzte. Auch dessen Nachfolger, Prior Johann Oster traf acht Jahre lang eine schwere, und harte Verfolgung, wie dessen eigens hinterlassene Handschriften bezeugen. Uebrigens war Memmingen aus den schwäbischen Reichsstädten eine der Ersten, welche den Glauben ihrer Väter nach beinahe sechshundert Jahren verließ; auf sie folgten Augspurg [Augsburg], Konstanz, Straßburg, Lindau, Kempten, Kaufbeuren, Jsni [Isny], Nördlingen, und andere.

In dem hiesigen Marktorte [sprich, in Ottobeuren] selbst mangelte es nicht an hitzigen Köpfen, welche zu Neuerungen

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* Schelhorn l. cit. pag. 323. Karret schiebt die Schuld wegen dieser Poltergeschichte auf den damaligen Pfarrer, an der Frauenkirche, Jakob Mägerich, Seite 502, welchem aber die im Jahr 1620 aus alten Briefen, Büchern, und Registern gesammelte Hausgeschichte der grauen Schwestern zu Memmtngett am 14. Blatt ganz widerspricht.

** Memminger Chronik Seite 62. ad A. 1520.

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und Unruhen geneigt warin; sie wagten es sogar, ihrem regierenden Herrn Abt bei der bevorstehenden Wahl eines Fleckenammans [Ortsbürgermeisters] gegen die alten Verträge neue Vorschriften zu machen, und dieselben an den kaiserlichen Gerichtsstellen mit Ernste durchzusetzen: allein Kaiser Karl, welcher in diesem Jahre auch alle ottenbeurische Privilegien, und Stiftsrechte ohne Ausnahm bestättigte,* verwies die Brausköpfe auf die alten Verträge, und hieß sie gehorsam und ruhig seyn.**
Johann Besserer, welchen der Herr Abt Leonhard auf die vier Quatemberzeiten im Jahr 1523 zum Obervogte bestellt hatte, schien so gleich anfangs mit den unruhigen Bürgern unter einer Decke zu liegen; er kürzte deßwegen dessen Amtirung vor der Zeit ab, und stellte, ohne auf den schuldigen Schadenersatz, und alle andere Abfindungskosten, welche nachmals über 300 Gulden betrugen, Rücksicht zu nehmen, anstatt desselben am Donnerstag nach Margarethen einen gewissen Simpert von Benzenau

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* Geben in unserer, und des / und des Reichs Stadt Eßlingen am letzten tag des Monats September nach Christi Geburt 1542 [vermutlich Zahlendreher: 1524]. Unserer Reiche etc.

** Geben in unser und des Reichs Stadt Eßlingen am 4ten Tag des Monats November nach Christi Geburt 1524 etc. Die Kanzleitaxe betrug 8 fl. [Gulden] 30 kr. [Kreuzer]

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auf.* Das Uebrige, was der einsichtvolle Herr Abt binnen diesen zwei Jahren that, beschränkte sich neben der mühevollen Sorge, allem Glaubensirrthume jeden Eingang in sein Gebiet zu sperren, meistens auf die Beförderung der Holzkultur [Forstwirtschaft]; weßwegen er die Beschädigung, und Fällung der fruchtbaren Bäume, worunter auch die Eichen vorkamen, strengest verbot, und den ersten Holzfrevler, Anton Abrell von Beningen [Benningen], mit einer Geldstrafe von sechs Pfund Plapper [Plappert, auch Plappart, Blappart, Blafard, Blaffert: kleinere Silbermünze Süddeutschlands und der Schweiz] belegte, und auf eine kleine Vertheidigunganstalt wider den ersten Anfall einiger unruhigen Köpfe, den man als ziemlich wahrscheinlich voraus sah.**

Zu dieser Zeit kömmt auch

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* Die Rechtsklage wider den Herrn Abt entschied zu Gunsten des Johann Besserer der edle Dieteg von Westerstetten, von dessen Sterbetage das ältere Necrologiuro auf den 13ten Jäner [Jänner, Januar] meldet: Idus Jänuarii obiit ingenuus vir Dietegus de Westerstetten. Die alte Burg Westerstetten neben dem Dorfe gleichen Namens stand noch im Jahre1418; im nämlichen Jahrhunderte aber kam so wohl die Burg, als das Dorf von den Herren von Westerstetten an die Reichsabtei Elchingen.

** Abt Leonhard beschickte von Kempten 60 Pf. Pulver, welche damals – fl. 44 kr. kosteten, und von Ulm für fünf Gulden Helleparten [Hellebarden], und Spiese [Spieße]. Eine gewiß nicht allzu feindlich gemeinte Rüstung.

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das hiesige Armenhaus, welches von dem karolingischen Bestättigungsjahre 769 bis hieher diese seine erste Benennung behielt, das erstemal als ein Siechenhaus, und die Verwaltung desselben unter dem Namen der Siechenpflege vor.

§. IV.

J 1525

Ganz sonderlich, und beinebens äusserst traurig, und landverderblich waren in diesem Jahre die Auftritte, welche die so genannte Reformation in diesen Gegenden, und weiter umher, veranlaßte, und spielte. Schon am zweiten Tage des Jäners im neu eingehenden Jahr 1525 wurden gemäß dem, was der Herr Bürgermeister Keller, und einige der memmingischen Senatoren bei dem letzten Auflaufe in der Frauenkirche zur Stillung der Aufruhr ankündigten, die katholischen Geistlichen, so wohl Ordens- als Weltpriester von einer – und von der andern neugläubigen Seite der Stadtprediger Schappeler sammt seinem Anhange, und zwölf meistens ungelehrte, und gemeine Stadtbürger, aus jeder Handwerkszunft Einer,* bei einem öffentlichen Religionsgespräch

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* Von Seite der Katholiken wohnten dem Religionsgespräche bei Jakob Megerich, der Pfarrer zu unser Frau, der Prediger zu unser Frau, der Prediger zu St. Martin mit drei Helfern, M. Paul Höpp, lateinischer Schulmeister, Herr Jakob Kaplan zu Unser Lieben Frau, Herr Hans Salb Kaplan zu St. Margareth, Herr Georg Weinhofer, graföttingischer Kaplan, Herr Martin Kaplan zu St. Leonhard, Ambros Busch ein Carthäuser, Sebastian Werglin, Johann Fabri und Rudolph Mettelin zwei Karmeliten von Ravenspurg [Ravensburg] – von Seite der Neugläubigen neben dem Schappeler, und dessen zahlreichen Anhang aus den zwölf Stadtzünften Walther Isenberg, Ulrich Frei, Heinrich Wißmiller, Hans Seifried, Simbrecht Kannegiesser, Simon Mülich, Hans Kerler, und Hans Hölzlin. Schorer Memminger Chronik. [Seitenzahl nicht lesbar]

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zu erscheinen, auf das Rathaus berufen. Hier zerlegte Schappeler den Zankapfel in sieben Theile des folgenden Inhalts:

I. Die Ohrenbeicht ist nicht nothwendig.

II. Die Anrufung der Mutter – und Heiligen Gottes mit kirchlichem Prachte ist unzulässig.

III. Von der Zehentpflicht aus einem göttlichen Rechte weiß das neue Testament nichts.

IV. Die Messe ist kein Opfer, sondern ein Wiedergedächtniß der gewissen Verheißung der Sündenvergebung durch den Tod Christi.

V. Aus der Schrift weiß man von keinem Fegfeuer.

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VI. Das heilige Sakrament des Altars muß nach dem Worte, und Befehl Christi unter beiden Gestalten mitgetheilt werden.

VII. Es giebt nur ein einziges geistliches Priesterthum mit gleichem Opfer, und Amte.*

Der Erörterung dieser sieben Artikel wurde die ausdrückliche Bedingniß vorausgesetzt, daß dieselben weder aus den Entscheidungen der allgemeinen Kirchenversammlungen, noch aus den Schriften der heiligen Väter, noch aus den Aufschlüssen der römischen Päbste, sondern allein aus der heiligen Schrift, worüber sich die Neugläubigen das Auslegungsrecht nach eines jeden Privatdünken anmaßten, sollten auseinander gesetzt werden.**

Als Präsident bei diesem Religionsgespräche stund oben an nicht ein unpartheischer Erassm von Rotterdam, nicht der berühmte Stadtnachbar Johann Eckius, nicht ein gelehrter, und so wohl in den orientalischen Sprachen, als in der Lesung, und Kenntniß der heiligen Schrift beßtens geübter Niklas Ellenbog,*** nicht

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* Karrer Seite 502. Schelhornii Amoenitates pag. 323.

** Proposuit autem eorum disquifitioni septem articulos e sacris literis, non e priscis doctoribus, aut pontificum decretis dijudicandos. Schelhorn.

Die polemischen Werke des gelehrten Ellenbog sind beinahe alle nach der Ordnung der biblischen Bücher mit vieler Sprachenkenntniß bearbeitet. Dieser Mann hätte als Präsident ein Wort zu seiner Zeit sprechen können.

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ein Gottesgelehrter, oder Theolog, sondern ein Doktor der Arzneikunde, Ulrich Wolfhard, ein Mann, welcher Amts- und Berufshalber die Schriften des Galenus und Hippokrates besser, als die heilige Schrift inne hatte.*

Fünf Tage lang zankten sich die Partheien mit einander über die sieben Artikel, und sie würden noch jetzt sich zanken, wenn sie noch jetzt beisammen sässen; weil doch die Schrift ihren wahren Sinn selbst nicht ausspricht, und ohne einen kompetenten, und von Gott bevollmächtigten Richter, welcher die über den Petrus gebaute Kirche Gottes ist, keine bestimmte, und giltige Entscheidung zu hoffen ist. Indeß war der Erfolg von diesem Gespräche nach fünf Tagen so, wie man denselben gemäß der vorausgesetzen Bedingniß, bei den vorgefaßten Meinungen für eine gefällige

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* De his ergo capitibus per quinque dies publice coram senatu disceptatum fuit praeside Ulrico Wolffhardo artis salutaris doctore, viro eruditione & virtutibus ornatissimo. Schelborn l. cit.

Schorer nennt ihn Fuchshart; doch hieran liegt wenig, auch wenn man einen ethimologischen Beweis gegen dessen Karakter führen wollte.

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Neuerung, und unter dem Vorsitze eines Doktors der Medizin erwarten konnte. Der für die neue Lehre eingenommene Doktor der Arzneikunde, Ulrich Wolfhard, erkannte den Sieg dem Herrn Schappeler zu, welcher dadurch in seiner vorgenommenen Reform mehr gestärkt noch andere 25 Artikel aufstellte. Damit es aber nicht scheinen möchte, wie er denn wirklich war, als hätte die Partheilichkeit an der obigen Siegeserklärung einigen Antheil, so bat sich die Stadtobrigkeit über die bemeldten sieben Artikel nicht etwa das wichtige Gutachten zweier hohen Schulen, sondern das ungewichtige, und gleich partheische Urtheil zweier nicht zwinglischen, sondern lutherischen so genannten Reformatorn, nämlich des Urbanus Regius, Predigers an der Baarfüsser Kirche zu Augspurg, und des Konrad Sarnius, eines Predigers an der Hauptkirche zu Ulm aus, welche zwar vieles begehmigten, Manches jedoch milderten, und bloß mit Unterschied annahmen.*

Auf die sieben Religionsartikel des Schappelers folgten bald zwölf Bauernartikel, welche dem schwäbischen Bunde zur Begnehmigung aufgedrungen wurden, und als eine förmliche

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* Karrers memminger Chronik 503 etc. wo das Schreiben des Urbanus Regius, obgleich nicht ganz, aufgeführt wird.

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Kriegserklärung zu betrachten sind. Da diese Artikel die ersten Früchte des neuen Evangeliums sehr laut aussprechen, und ganz nach dem Geiste der damals unter dem Volke verbreiteten neu evangelischen Lehrsätze von Zwinglianern* zum allgemeinen Landesverderbnisse abgefaßt sind, so lohnt es der Mühe, dieselben näher zu kennen. Sie sind folgenden Inhalts:

I. Wir bitten, daß uns die freie Befugniß ertheilt werde, unsere Pfarrer, die uns das Evangelium ohne alle menschliche Lehre deutlich erklären sollen, selbst wählen, und absetzen zu dürfen.

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* Mehrere, worunter selbst der Herr von Sekendorf in historia Lutheranismi, halten den Christoph Schappeler für den Verfasser dieser Artikel, jedoch der Herr Schelhorn sucht dessen Unschuld, obgleich mit keinen besonders wichtigen Gründen, zu decken, und unterstellt den Johann Heugling, einen Lindauer, als Verfasser.
Tom. VI. amoenit. liter. observat. variae pag. 599. Jedoch hieran liegt wenig. Schappeler war ein heftiger Freiheitsprediger, und dessen, wie seines gesammten Anhanges ausgebreitete Grundsätze stimmen mit den Bauernartikeln gut überein. Genug, um ihn an dem Bauernaufstande nicht als unschuldig erklären zu können.

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II. Die Großzehnten wollen wir gleichwohl gerne entrichten ; da diese qber eigentlich zur Bestellung des Gottesdienstes gehören, so wollen wir, daß der Pfarrer dieselben sammle, für sich und sein Haus das Nothwendige beziehe, das Uebrige aber nach Gutachten der Volksgemeinde entweder unter die Armen vertheilt, oder zum Gemeingebrauche hinterlegt, und aufbewahrt werde, damit das Volk, wenn etwa Kriegsbeiträge erforderlich sind, nicht unter allzuschweren Gelderpressungen leide; den Kleinzehnten aber geben wir lediglich nicht. Denn Gott hat die Thiere zum freien Gebrauche aller Menschen erschaffen; weßwegen wir alle diese Zehnten für ungerecht halten; folglich geben wir keine mehr.

III. Bisher, was erbärmlich ist, hielt man uns in der leiblichen Dienstbarkeit, obwohl uns Christus durch sein kostbares Blut erlöset hat; wir hoffen, Ihr werdet uns von dieser Dienstbarkeit, wie es sich für gute und christliche Herren geziemt, lossprechen, oder uns diese Dienstbarkeit aus dem Evangelium beweisen.

IV. Bisher wegen einer hergebrachten schüchtern Gewohnheit wagte sich Niemand aus uns zu fischen, zu vogeln, oder zu jagen. Dieß scheint uns unbillig, lieblos, ein eigennütziges

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Anmassen der Herren, und wider das Wort Gottes zu seyn. Denn Gott unterwarf dem erschaffenen Menschen die Thiere der Erde, die Vögel der Luft, und die Fische des Meers.

V. Wir werden auch mit alltäglichen Frohndiensten, die immerhin anwachsen, über die Masse beschwert. Künftighin soll Billigkeit hierinnfalls hergestellt, und wir nicht mehr so schwer gedrückt werden. Wie unsereVorfahren, so wollen wir hinfüran nach der Vorschrift des göttlichen Worts (Brief des heiligen Paulus an die Römer) Dienste thun.

VI. Mit dem Holzmachen beschwert man uns sehr. Unsere Obrigkeiten haben sich die Waldungen meistens eigen gemacht, und nun finden sich die Unterthanen größtenteils in die Nothwendigkeit versetzt, das Holz in einem Doppelpreise zu kaufen. Wir wollen, daß hinfüran alle Waldungen, die nicht angekauft, oder durch ein giltiges Erbrecht erworben, und grundeigen geworden sind, wieder als Gemeindhölzer benutzet werden. Wo es aber bloß angekaufte Waldungen giebt, dort soll man mit den Käufern einen billigen Preis treffen.

VII. Wir wollen nicht, daß unsere Güter forthin alltäglich mit neuen Lasten beschwert

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werden. Es soll zwischen den Herren, und Unterthanen fernerhin bei einem billigen Bestandvertrag bleiben, und die Bauersleute durch allzuschwere Lasten nicht dahin gebracht werden, ihre Felder unangebaut lassen zu müssen; sondern daß sie ihres Eigenthumes mit Ruhe geniessen mögen. Sollten die Obrigkeiten neben den schuldigen Frohndiensten noch anderer bedürfen, so sollten die Unterthanen zwar denselben vor andern aushelfen; jedoch die Herren auch den für die Arbeit gebührenden Lohn bezahlen.

VIII. Die Mehresten aus uns Bauern können von den eingesammelten Früchten kaum ihre Abgaben, und Steuren bestreiten, und so müssen Ihrer viele die Höfe verlassen. Wir wollen, daß die Obrigkeiten derlei Güter durch ehrliche Männer einschätzen, und billige Abgaben darauf legen lassen, damit die Bauren nicht umsonst arbeiten müssen. Denn der Arbeiter ist seines Lohnes werth. Bei Mathäus im 10ten Kap.

IX. Wegen der Habsucht der Herren wachsen auch mit jedem Tage die Strafgelder gegen die Rauffer, und Schläger. Wir wollen zwar nicht, daß diese ungestraft bleiben; aber nach der alten hergebrachten Gewohnheit sollen sie zur Strafe gezogen werden.

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X. Einige haben die Felder und Wiesen der Gemeinden gleichsam eigenthümlich an sich gezogen. Nun werden wir dieselbe wieder als Gemeingüter benutzen; ausser es wäre der Fall, daß man dieselben durch Kaufrecht, oder andere giltige Verträge erworben hätte.

XI. Bisher war es gegen alle Sitten, daß man die Wittwen, und Waisen nach dem Tode des Hausvaters ungerechter Weise ausplünderte, und die Obrigkeiten an denselben vielmehr die Räuber, als die Beschützer nach Pflicht machten; und zwar so, daß nach ihren Absichten Keinem derselben etwas übrig verblieben wäre. Alles dieses kann Gott nicht länger erdulden; mithin muß so eine Forderung ganz abgeschafft seyn.

XII. Diese unsere Artikel beschliessen wir damit, daß wenn einige derselben der heiligen Schrift zuwider seyn sollten, wie wir nicht denken, wir von denselben gerne abgehen, und auch davon gerne abstehen wollen, wenn dieselben auch spater uns als schriftwidrig sollten bewiesen werden: findet sich aber io diesen Artikeln etwas, das ausgelassen ist, und doch zur Ehre Gottes, und zum Beßten des Mitmenschen

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erforderlich wäre, so wollen wir uns dasselbe noch vorbehalten.*

So gebieterisch der Bauernton in einigen Artikeln, so überspannt, und übertrieben die mehrern eingeklagten Beschwerden, so wenig anwendbar sie auf jede einzelne Herrschaft Schwabens, und so seltsam, und fremd die Pöbelsfoderungen waren, daß sich der schwäbische Bund mit den Bibelauslegungen abgeben, und die Rechte der Fürsten und der Herren aus der Schrift beweisen sollte, mit welchem Beweise selbst jeder Bauer zur Vertheidigung seiner Eigenthumsrechte für sein einzelnes Haus gewiß schwer gethan hätte; so

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* Eine Schlußformel, die an sich betrachtet, zur Verewigung der Zwistigkeiten zwischen den Herren, und Unterthanen ganz geeignet war. Luther, als der von dem Pöbel allgemein beklatschte Freiheitsprediger, wie der Herr von Seckendorf in historia Lutheranismi L. II. cap. 6. schreibt, mißbilligte diese Artikel nicht; wohl aber, als er das selbst angelegte Feuer in Sachsen, Thüringen, Franken, und im Würtenbergischen in helle Flammen ausbrechen, und hoch auflodern sah, die gewaltthätige, und bewaffnete Behauptung derselben. Bei der alten christkatholischen Glaubenslehre wäre dieser allgemeine Brand in Deutschland niemals entstanden; wie man auch vorher, wann sich keine Sekten hervorthaten, nie etwas solches erfuhr.

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nahm doch der schwäbische Bund das Klaglibell mit der tröstlichen Aeusserung an: „Man werde die vorgetragenen Beschwerden erwägen, und eine billige Milderung, wo sie nöthig ist, einschreiten lassen.“
Allein die Bauern, welchen die neuevangelische Freiheit, wie man sie von Seite der neuen Wortsdiener allenthalben empfahl, von den zwinglichen, und lutherischen Kanzeln öffentlich anpries, und sie nach einem verkehrten Sinne in der Bibel selbst lasen, allzusehr in die Nase roch, warteten die Entscheidung des schwäbischen Bundes nicht ab; es kam also zu allen Schrecken einer mörderischen, und äusserst verderblichen Volksaufruhr.

Schon standendrei Lager in Schwaben, das erste zu Biberach, das zweite an dem Konstanter See, und das dritte unweit Kempten im Allgau errichtet, wohin sich die Bauern zu vielen Tausenden sammelten, und sich zum Schlagen und Rauben bereit hielten. An andern Plätzen, als zu Kammlach, Angelberg, und in verschiedenen Thälern streiften einzelne Kompagnien zu Hunderten, und Mehrern herum, derer Haufen sich durch die Farben der Fähnlein unterschieden; die Schlimmsten waren die mit dem rothen Fähnlein, worunter die von Angelberg dienten.

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Zum Glücke lebte damals fit Schwaben ein ungemein tapferer, unerschrockener, kriegserfahrener, und rechtschaffener Ritter, der Herr Graf Georg III. Truchseß von Waldburg, welchen der Herr Erzherzog Ferdinand in die Bundespflicht nahm, und zum obersten Hauptmann des schwäbischen Bundes ernannte.*

Der Herr von Truchseß hatte eben damals gegen 5000 Bauern zu thun, die sich wider ihn selbst empört hatten, und äusserst ungerne sahen, daß er die oberste Hauptmannsstelle auf sich nahm; deß ungeachtet ließ sich der edle Mann in seiner großmüthigen Vaterlandsliebe nicht irre machen, griff zuerst das Bauernlager bei Ulm, nachmals jenes am Bodensee mit einem sehr guten Erfolge an, und befreiete beinebens die festen Burgen Waldsee, und Wolfegg, in welcher letzterer sich seine Frau und Kinder befanden, und welche die Bauern belagert hielten. Bei Kempten waren anfangs die Bauerhorden nicht so zahlreich, und mehr in Rotten, und Fähnlein vertheilt, als beisammen. Doch bei der festen Burg Liebenthann, wohin sich der damalige Herr Fürstabt, Sebastian von Braitenstein [Breitenstein], mit seinen letzten Habseligkeiten geflüchtet hatte, liessen sich plötzlich 8000 der Bewaffneten einige Tage nach

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* Chronik der Truchsessen von Waldburg S. 185 und folgenden.

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Lichtmeß sehen, welche das feste Schloß bei einer tapfern Gegenwehr mit sehr harter Mühe würden erstürmet, und ausgeplündert haben, wenn nicht der Herr Fürstabt das böse Vorhaben dadurch erleichtert hätte, daß er aus Achtung, Mitleid, und Schonung für die umliegenden sehr geplagten Gegenden den festen Platz verlassen, und anderswohin gezogen wäre. Plünderung, und Zerstörung alles, dessen sie sich bemächtigen konnten, war die Folge hievon.

An der Iller zeigte sich eine andere Rotte, die sich zu Berkheim, und auf den umliegenden Hügeln bis Tannheim gelagert, an dem Orte, heute noch Schänzle genannt, sich verschanzt, und die Abtei Roth mit Feueranlegen bedrohet hatten; wovon sie jedoch gegen baare drei hundert Gulden abstunden; obgleich weder Roth, noch Ochsenhausen, Irrse [Irsee], Steingaden, und andere Klöster der Plünderung entgiengen. Das benachbarte Dorf Berkheim wurde grösserntheils sammt dem Pfarrhause, und der Zehentscheune zwar nicht von den Bauern selbst, doch aber auf ihre Veranlassung, weil sie sich hartnäckig dort hielten, von dem schwäbischen Bunde in Brand gesteckt.* So, wie den Klöstern, ergieng es auch den adelichen Schlössern, und

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* Benedikt Stadelhofer Hist. collegii rothensis vol. II. pag. 112.

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Burgen in Schwaben, welche größtentheils zu erst ausgeplündert, und nachmals verbrannt wurden- wie Mathsieß [Mattsies], Pfaffenhausen, Weilbach, Münsterhausen, und andere; oder doch das erstere Unheil erfuhren, wie Bebennhausen, Kirchheim, Ober - und Unterraunau, Tannhausen, und andere.* Beinebens maßten sich die Bauern, als emsige, und, wie man hätte glauben sollen, höchverständige Bibelaussleger des öffentlichen Predigtamtes in den Kirchen nach dem Beispiele einiger Schweizerkirchen nicht selten selbst an; und erklärten die Landpfarrer das Evangelium nicht nach der neuen, ihnen sehr einleuchtenden zwinglischen Freiheitslehre, so schlugen, und steckten

sie dem katholischen Seelsorger einen Pfahl für das Pfarrhaus, womit sie bedeuten wollten, daß dem Pfarrherrn von nun an nicht

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* Da huben etlich Pauren [Bauern] an zue predigen, und wollten die Pauren alle haben, das ire Pfarrer das evangelium lutherisch predigten, und welcher das nit thon wolt, dem wolt man pfal für sein thür schlagen, das sein fiech nit mit andern sol ausgan uff die Waid. Alexander Mayr den 19ten April 1485 zu Attenhausen geboren, damaliger Kreuzherr zu Memmingen, und Pfarrer zu Breitenbrunn, nachmaliger Spitalmeister daselbst in seinen Handschriften.

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mehr gestattet sey, ihre Stallthiere auf die Gemeinweide zu treiben. Wie sie übrigens mit dem Plündern zu Werke giengen, legt die eigene Hausgeschichte deutlich genug an Tag.

Auf dem hiesigen Fruchtkasten lagen damals bei ausgehendem Märzmonate, zwei tausend fünf hundert Malter Frucht nach Memminger Schrannenmaß aufgeschüttet; die Keller waren mit den Bedürfnissen für mehrere Jahre gefüllet; die Küche mit allen nothwendigen, und anständigen Lebensmitteln, die Gastzimmer mit Betten, Kästen, und kleinen Verzierungen, der Büchersaal mit einer Menge der seltensten Handschriften, und mit einem Schatze der ersten Werke der Druckerei, das eigene Klostergebäude mit einer schicklichen Hausgeräthschaft, und besonders die alte Konradinische Kirche mit vielen, und theuern Monstranzen, Kelchen, goldenen, und silbernen Kapseln, elfenbeinenen Sargen,* silbernen Statuen, Ampeln, Brustbildern, Reliquien

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* Die Sarge des heiligen Alexanders war schon vorher in Sicherheit gebracht, und jener andern, worüber unsere vorsichtigen Alten im XIII. Jahrhunderte zwei Gewölbe errichtet hatten, spürten die bösen Schelmen, als sie das erste Gewölbe leer fanden, nicht tiefer nach.

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Gefässen, reichen Tapeten , priesterlichen Kleidungen, Altarsverzierungen, und vielen andern Ornamenten reichlich versehen; in wenigen Tage war das Mehreste von allem diesem entweder verzehrt, oder verbrannt, oder geraubt, oder zerschlagen, oder zerstreuet, oder sonst von der wilden Horde unbrauchbar gemacht.
Der obenbemeldte grosse Vorrath von Früchten wurde hinweg geführt, und unter die Rotte vertheilt, der vorräthige Wein theils getrunken, theils nach zerschlagenen und geöffneten Fässem in den Kellern unnütz verschwendet, die Betten sammt allen Zimmer- und Küchegerätschaften verdorben, die Reliquiensargen eröffnet, und die heiligen Gebeine allenthalben zerstreuet. Die Kirchenornamente zerrissen, oder zerschlagen. Die bretternen Zimmerböden aufgehoben, die Getäfer, und Decken abgetragen, die Archivschriften, Bücher, und Kaufbriefe, worauf sie die heftigste Jagd machten, wurden zu Hunderten in Wannen gesammelt, und in den Zwischenhöfen des Klostergehäudes verbrannt; überhaupt gieng die neuevangelische, unsinnige, und höchst schwärmerische Plünderungs- und Zerstörungswuth des irre geführten Pöbels so weit, daß man von der untersten Etage des innern Klostergebäudes bis unter das Dach ungehinder

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aufwärts sah.* Hiemit noch nicht besänftiget wollten die Räuber auch Mordbrenner heissen, und seyn; dreimal legten sie Feuer an; aber dreimal erlosch es durch eine höhere Fügung von selbst.** Die possierlichste Figur während dieser wuthvollen Raubgeschichte machte ein elender zweispänniger Söldner von Suntheim [Sontheim], ein Mann der in der hohen Einbildung wenige Seines gleichen fand. Dieser trat mit Begnehmigung seiner rohen Gespanschaft plötzlich als regiernder Herr und Abt auf, nahm die Abteizimmer ein, wählte sich eine gleichschrötige zahlreiche Dienerschaft, hieng sich die Abteischlüssel an seinen wohlbeschnallten ledernen Söldnergurt, forderte alle Abend die Schlüssel der Klosterporten aufs Zimmer, trug sich alltäglich zur Schaue, und Verehrung mit einem starren Kopfe und Auge in den-Klostergebäuden in Begleitung seiner Kammerknechte umher, hielt sich eine auserlesene starkgliedige Leibwache, bot allen ankommenden Standsgenossen, welche ihm

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* Der damalige Zeitgenoß, und nachmalige Abt Kaspar Kindelmann in seinen Handschriften.

** Augenzeug hievon war Ludwig Sauter, nachmaliger Mesner an der Wallfartskirche zu Eldern, welcher als ein junger Gesell das dreimalige Unternehmen der Bösewichte mit ansah. Unser Georg Baumhauer A. 1525

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Cour [den Hof] machten, seine Huld und Gnade in vollen Schüsseln, und vollen Trinkbechern an, und schmaußte mit ihnen in die spate Nacht so lange, bis Seine Unwürdige Gnaden voll gefüttert, und eben so wohl bezecht, des Kammerdienstes benöthiget, durch mehrere Hände zur Nachtruhe befördert wurden.*
Einige Bürger des hiesigen Marktortes von der dürftigern Klasse versäumten auch gewiß diese wohlfeile, und schmackhafte Gelegenheit nicht, wo indeß Andere ihrer Mitbürger wider das Stift, und ihren rechtmässigen Herrn unter die Waffen traten, auf dem so genannten Hardt bei Ungerhausen sich sammelten, eine eigene Rotte unter einem besondern Fähnlein bildeten, mit einer andern Rotte im Mindelthal in enger Verbindung stunden, und alle Schelmenstreiche ihrer wilden Waffenbrüder zu unterstützen bereit waren; gleichwie sie dieselben hierorts, zu Schöneck, und anderswo selbst ausübten. Unter den hiesigen Ortsansässigen zeichneten sich besonders aus Hans Kunli,

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* Mehrere unserer Hauschronographen, als Georg Baumhauer, Christian Franz, David Aicheler, Abt Kaspar Kindelmann, und Sandholzer, welcher Letzte von der Erhaltung des Sarges des heil. Alexanders noch besonders mit den merkwürdigen Worten zeugt: Id a nostris senioribus pene octogenariis siis ipsemet audivi.

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welcher die Stelle eines Rottmeisters, oder Hauptmanns versah, Balthasar Ferber, Benedikt Dietz, Hans Diez, Michael Barer, Veit Dreher, Hans Siber, und Peter Stehelin. Alles obige geschah während der Fastenzeit bis auf den Vorabend des Palmensonntags, welcher damals auf den 8ten Tag des Aprilmonats fiel. Ehe noch die Empörung ausbrach, obgleich den rechtschaffenen Mann keine Schuld drückte, flüchtete sich unser würdige Abt Leonhard nach Ulm; und hieran that er sehr klug. Denn eben den 8ten Tag des Aprils zur Nachtszeit umgaben viele der Aufrührer das Frauenkloster der grauen Schwestern, oder Franziskanerinnen zu Memmingen, drohten unter dem Vorgeben, den Abt von Ottenbeuren darinn zu suchen, nicht ohne den heftigsten Schrecken so wohl der einheimischen, als der vierzehn auswärtigen Nonnen, die sich acht Tage früher von Klosterbeuren der Sicherheit wegen dahin geflüchtet hatten, und liebvollest behandelt wurden, in die Klausur einzudringen, und würden auch eingebrochen seyn, wenn nicht am folgenden Tage einige Rathsmitglieder an den Platz gekommen, die wilde Rotte vom Hause entfernet, und die vergebliche Mühe selbst übernommen hätten, den bemeldten Herrn Abt allenthalben im Hause, in allen Winkeln des Klosters, und

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so gar mit langen Spiesen im Heustocke zu suchen.* Die übrigen Mönche von hier hielten sich zwar nach der Flucht des Herrn Abtes noch einige Zeit in ihrem Stifthause so, wie sie konnten, beisammen, und bezogen durch gute Leute ihre Nahrung von Memmingen; als sich aber die Tag- und Nachtschrecken stethin vermehrten, zogen sich Mehrere der Unserigen nach der Schweitz [Schweiz] und nach Baiern [Bayern], wo sie in den Klöstern Scheuren, Thierhaupten, und Tegernsee liebreichest aufgenommen, und mit allen Anerbietungen einer zuvorkommenden Gastfreundschaft beßtens, verpflegt wurden; zu Hause harrete der damalige würdige Prior, Johann Bestler**

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* Hauschronik der grauen Schwestern zu Memmingen am 19ten Blatt.

** Johann Bestler starb im Jahr 1533. Er schrieb im J. 1518 ein Calendarium cum directorio chori; im J. 1527 einen Ordinem Breviarii per anni circulum secundum consuetudinem moasterii SS. Mm. Alexandri & Theodori in Ottenbeuren [Ottobeuren]. Ein anderes Ms. führt den Titel: Sermones comportati & scripti per venerab. patrem Joannem Bestler, Priorem Ottenburanum. Von ihm schreibt Ellenbog L. I. epla 39. ad Jacobum hospitem de monte Mariae: Honc ante oculos ponas, fi quando, & ipse ceteris praelatus in quopiam officio constitutus fueris.

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mit sehr wenigen Brüdern, wie es die Zeitumstände erheischten, bald inner, bald in einer kleinen Entfernung ausser dem Kloster standhaft aus. Überhaupt war die Charwoche des 1525sten Jahrs für unsere Mitbrüder in einer mehr, als einfachen Bedeutung eine wahrhaft stille, höchst traurige, und angstvolle Marterwoche.

Indeß war diese Leidenswoche noch nicht ganz vorüber, als sich für die Unserigen ein matter Strahl der Hoffnung zur bäldern Rückkehr einiger Ruhe zeigte. Mit hoher Erlaubniß und Begnehmigung des damals auf dem Ungerhauser Hardt kommandirenden ottenbeurischen Empörers und Rottmeisters Hans Kunli kamen auf den heilen Charfreitag Konrad Steur, Amman zu Altisried, Hans Scheufelin, Amman zu Frechenrieden, und Thomas Schußmann von Suntheim [Sontheim] in das zerstörte, und ausgeplünderte Kloster hieher mit dem Anerbieten eines gütlichen Einverständnisses, wechselseitigen Vergleiches, und Wiederherstellung der Ruhe. Wem hätte ein solcher Vortrag bei solchen Zeitumständen nicht sollen Willkomm seyn? Der Prior mit seinen wenigen Mitbrüdern erklärte sich geneigtest für denselben, und die obigen Deputirten, als sie mit der bemeldten Erklärung an die auf dem Hardt versammelte Landschaft zurückgekehrt

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waren, fanden sich eilend wieder mit der Rückantwort auf die gegebene Erklärung hier ein, welche dahin lautete, daß sich die versammelte Landschaft nicht nur einer gütlichen Verhandlung keineswegs zu widersetzen, sondern auch dem Herrn Abte, wenn er sich entschlösse zurück zu kehren, neben einem friedlichen Willen alles sichere Geleit zu geben bereit wäre.*

Nun glaubte der Herr Prior mit dem umständlichen Berichte hierüber an seinen Herrn Abt nicht länger säumen zu dürfen; am Charfamsttage gieng also das Berichtschreiben nach Ulm ab.**

Abt Leonhard, der sich mit den Seinigen gewiß gerne vereiniget hatte, fand dennoch die Rückkehr nach Hause weder sicher, noch zur Herstellung der Ruhe dienlich genug. Er kannte nämlich die wandelbare Laune eines aufgewiegelten Volkes, und die Zwangmittel, in welche er bei einer angemaßten Pöbelsgewalt hätte können verstrickt werden; gab

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* Wider diese richtung, und gemachten vertrag, war die Antwort, wollen sie nit fein, auch wolten sie frid und geleit geben [wollten sie den Frieden und sicheres Geleit geben].

** Demnach so ist unser bitt, Euer Gnaden als unser allerliebster Herr und Vater wolle auf diese mainung zu uns kommen, damit solche Schäden, so immerzue aus der sach erwachsen, vermittelt bleiben. Ep. Prioris & convent. Ottenb. ad Abb. Leonhard am Osterabend 1525.

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deßwegen seinem Stellvertreter, dem Prior, die Weisung, ohne etwas wichtiges zu beschließen sich mit den Empörern freundschäftlich zu benehmen, und wartete eine reifere, und zum Unterhandeln kraftvollere Zeit ab, welche auch nach drei Monaten endlich erfolgte.

Die benachbarte Reichsstadt Memmingen, woraus sich mit der emsigst verbreiteten Freiheitslehre aller Strom des Uebels über diese Gegend ergoß, hatte auch wider alle Erwartung in manchen sauern Apfel zu beissen. Da sie der neuen Lehre eifrig zugethan war, und Schappeler, der Stadtreformator, sich in mehrern Reden wider die alte Ordnung heftig, und für die Einführung der evangelischen so genannten Freiheit in einer den Bauern sehr beliebtgen Sprache nicht wenig ereifert hatte, so fiel sehr natürlich der Verdacht so wohl auf den verrufenen Stadtprediger, als auf die Stadt selbst, daß beide mit den rebellischen Horden unter der nämlichen Decke lägen. Daher das Mißtrauen des schwäbischen Bundes, auf die Treue der Stadt, und daher auch die Foderung des schwäbischen Bundes, daß der berüchtigte Christoph Schappeler an den Bund sollte ausgeliefert werden. Beides von sich abzuwenden war die Stadtobrigkeit politisch genug; das Erstere zwar durch Erklärung, und Darthun, daß die versammelten Stadttuppen bloß zur innern

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Ruhe, und zur Abtreibung der rebellischen Bauern (Selbst aus dem memminger Stadtgebiete befanden sich viele darunter*) inner der Stadt wären aufgestellt worden; das Zweite aber durch die von Obrigkeitswegen geschehene Verheimlichung des Christoph Schappelers, welcher kaum drei Stunden vorher, als die schwäbischen Bundstruppen zu Memmingen eintrafen, auf geheimen Nebenwegen nach seiner Vaterstadt St. Gallen befördert wurde.**

Uebrigens zeigte es sich bei dem Einzuge selbst der schwäbischen Bundtruppen, daß die Stadt von Empörern, und Mitverschworenen nicht rein, und leer war. Denn vierzig Bürger, welche die Schuld drückte, fanden noch Zeit und Gelegenheit aus der Stadt zu entweichen, ehe die Bundstruppen die Thore, und die Stadtmauern besetzten, und fünf andere welche mit den Bauern unter der Decke lagen, wurden theils verbannt, theils öffentlich hingerichtet.***

In dem Stadtpredigtamte

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* Non diffiteor, rusticos quoque Memmingenisium ditioni subjectos turbas excitasse, & articolis quibusdam magistratui exhibitis, jugum excutere voluisse, Schelhorn Amoenitates pag. 327.

** Christoph Schorer. Joh. Georg Schelhorn. Herr Karrer locis sit.

*** Da dann der schwäbische Bund auf Begehren der Stadt alsbald unter jedes Thor zwei Rottenknecht verordnete, auch andere auf die Mauern, Tag und Nachr allda zu wachen, also daß welcher Bürger zuvor nicht davon kam, wie dann ihrer vierzig entwichen, ietzunder nicht mehr entrinnen konnte. Nachdem nun des schwäbischen Bundes Volk darinnen lag, fieng man am Samstag darauf fünf Bürger, davon hernach etliche gerichtet, etliche verbannt wurden. Denn ihrer etliche mit den Bauern unter der Decke gelegen, und wider die Obrigkeit conspirirt. Schorer Memmingische Chronik.

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folgte auf den flüchtigen Schappeler ein ausgesprungener Karthäuser, Simprecht Schenk, ein gelehriger Schüler des Ulrich Zwingli, der schon fruher nach Memmingen kam, mit dem vorigen Prediger einige Zeit zu Memmingen lehrte, und sich, unrücksichtlich auf seine Gott feierlich gethanene Gelübde, noch vor dem 14ten Tage des Heumonats mit einer Frau verehelichte. Der schwäbische Bund ereiferte sich sehr gegen eine so unerlaubte, gelübdbrüchige, und ärgervolle Verbindung, und schrieb deßwegen an die Stadtobrigkeit zu Memmingen mit folgenden Worten: „Aus nothdurftigen Ursachen ersuchen wir Euch bei euern Pflichten, damit Ir [Ihr] gemeinem Bund verwandt seit, mit ernst bevehlend, das Ir zu Stund Ewern Prediger, der ein Kartausser gewest ist, und sich in kurz mit einem Weib verheurathet

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haben soll, mit sampt demselben seinem Weib, als unnütz Personen, aus ewer Stadt treiben, und weisen, und das nit waigern. Das wöllen wir uns zu Euch entlich versehen.*
Jedoch die Stadtgemeinde wollte lediglich einen gelübdbrüchig beweibten Kartäusser zu ihrem Prediger haben, und überreichte zur weitern Beibehaltung desselben an die Stadtobrigkeit so gar eine Bittschrift, worinn sie diesen Mann blindhin einen frommen, christlichen, friedsamen, und gottesfürchtigen Prediger, dessen Wandel aber einen ehrbaren, stillen, und züchtigen nennt**; die Folge hievon war, daß

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* Datum den 14ten July Anno 1525. Schelhorn 337. Karrer S. 515.

** Herr Karrers Memminger Chronik S. 515. Karlstadt, oder der sonst genannte Andreas Bodenstein, ein ehemaliger Kanoniker zu Wittenberg, welcher den Luther zur Doktorswürde beförderte, wagte es im Jahre 1523 der Erste, sich ohne alle Rücksicht auf Gelübde, und Pflichten seines geistlichen Berufes mit einer Frau zu verehlichen. Sogar gieng die Ruchlosigkeit, und der Unsinn der damaligen Zeiten so weit, daß die neue Kirche dieses Attentat feierlich kanonisiere, und auf das Hochzeitfest des Karlstadt eine neue Meßliturgie in Druck heraus gab, worinn nach dem Gloria folgende gottlose Kollekte vorkömmt: „Deus qui post tam longam & impiam facerdotum tuorum caecitatem beatum Andream Carolostadium es gratis donare dignatus es, ut primus, nulla habita papistici iuris ratione, uxorem ducere ausus sit: da, quaesumus, ut omnes Sacerdotes, recepta sanamente, ejus vestigia sequuti, ejectis concubinis, aut eisdem ductis, ad legitimum consortium thori convertantur per dominum nostrum Jesum christum &c.“

Selbst Luther verehlichte sich in diesem Jahre mit der edlen Katharine von Bore [Katharina von Bora], einer vergelübdeten Klosterfrau, welche ihm der unselige Leonhard Köppe, ein Bürger [Ratsherr] von Torgau sammt noch andern acht Nonnen schon im Jahre 1523 selbst am heiligen Charfreitage aus dem Kloster entführt hatte. Gerade das Gegentheil thaten die Apostel des Herrn, welche das reine Wort Gottes predigten, und ihre Frauen verliessen!

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Simpert Schenk nach einer sehr kurzen Entfernung wieder zu seinem Predigamte gelangte.

Indeß trieben die für die sogenannte evangelische Freiheit hitzigst eingenommenen theils Landbürger, theils Bauem, und Söldner, und Handwerker ihr einträgliches Zerstörungs- und

Plünderungswerk mit aller Haftigkeit [Heftigkeit] fort, und hatten sie eine Strecke Landes ausgeplündert, so zogen sie, wie die alten Hunnen weiter. So erlitt der edle Herr Achatius von Rotenstein,

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damaliger fürstbischöflicher Pfleger zu Schöneck, welcher damals das Schloß zum Falken bei Ittelspurg [Ittelsburg] bewohnte, durch dieselben einen beträchtlichen Schaden an Gewehr, und Hauswaffen; nicht lange darauf machten die Rebellen, unter welchen sich drei und zwanzig aus dem ottenbeurischeu Gebiete befanden, dem fürstlich augsburgischen Pfleghofe zu Schöneck einen sehr unangenehmen Besuch, und leerten denselben rein aus. Auch der damalige Ortspfarrer zu Sunthei Leonhard Ganter, ein Freund des neuen Evangeliums, hielt es gegen den dortigen Ortsvorstand Leonhard Hegg, gleichwie der Miller des Orts, ein hitziger Brauskopf, offenbar mit den Rebellen, und so darf man sich weniger wundem , daß sich die Suntheimer bei ihren empörerischen Unternehmungen vor allen andern so sonderlich auszeichneten.

Endlich, kam es mit dem langen Spiele zum Ende, und die Sachen nahmen eine andere Wendung. Der oberste Hauptmann des schwäbischen Bundes, Herr Georg Truchseß von Waldburg, nachdem er unter den Bauern in Thüringen, Franken, Würtenberg [Württemberg], und andern Gegenden mehrere schwere Niederlagen angerichtet, viele der Rebellen zur neuen Huldigung mit Waffengewalt gezwungen, oder durch plötzliche Enthauptungen aus dem Kreise

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der Lebendigen fortgeschaft, und die untern Gegenden Schwabens so ziemlich von dem bösen Raubgesindel gereiniget hatte, zog sich am Ende des Brachmonats [Juni] über Nördlingen in das Günzthal [Günztal], und von dannen nach dem Flüßchen Luibas unweit Kempten hinauf, wo er den Bauem in der schwersten, und härtesten Tonart ein so lautes und heftiges Lied sang, daß ihnen allen auf lange Zeit die Ohren darüber gellten.*

Die Bauernarmee war sehr beträchtlich, und bestand beiläufig aus 23000 wohl bewaffneten Rebellen. Der oberste Herr Feldhauptmann wartete deßwegen zuerst auf eine Verstärkung von 3000 Knechten, womit der edle Herr Johann Georg von Freundsperg [Frundsberg] von Mindelheim her zu seinen Truppen stieß, nahm nachmals den Bauern einen ziemlichen Theil ihrer Kriegsbedürfnisse weg, steckte ihr Schießpulver in Brand, gieng den wilden Horden näher zu Leib, und erfocht an der Luibas über die Bauernarmee einen vollständigen Sieg. Dreißig Rädelsführern wurden öffentlich die Köpfe vom Rumpfe geschlagen, ein grosser Theil derselben in die Flucht zerstreuet, alle Uebrige mußten sich ohne alle Bedingung auf Gnade und Ungnade

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* Daher das noch heute in Schwaben übliche Sprich- und Drohewort: Wart! ich will dir den Herrn Jörgen singen.

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des Siegers ergeben, und der Herr Truchseß hielt sich noch nach der vollbrachten Niederlage acht Tage lang in dem Lager zu Durach auf, bis nämlich alle Rebellen sich zum Gehorsame bequemmt, und ihren rechtmässigen Herren neuerdings gehuldiget hatten. Dieses war das Ende des Liedes, welches der Herr Jörg Truchseß von Waldburg den Bauern gesungen hatte. Man berechnet die Zahl der Empörer [Aufständischen], welche bei allen drei Bauernarmeen erschlagen wurden, über einmal hundert tausend Köpfe.*

So vieles Unheil verbreitete die gepredigte neu evangelische Freiheit über Schwaben. Zu Memmingen gestattete man den grauen Schwestern gleichwohl wieder einen Ordenspriester, welcher die Messe hielt, und den katholischen Kultus, wie ehedem, ungehindert besorgte, welches einige Zeit nicht statt fand, als die Stadt nichts zu befürchten hatte.** Ueberhaupt fiel, oder stieg der neuevangelische theils Reformations- theils Verfolgungseifer wider die Katholiken

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* Chronik der Truchsessen von Waldburg S. 196 und 197 etc. Die Handgeschriebene Chronik der Stadt Weissenhorn; andere Chroniken der benachbarten Stifter, und Städte nebst den eigenen Hauschronographen.

** Hauschronik der grauen Schwestern St. Francisci Ordens zu Memmingen, 19ten Blatt Ms.

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nach dem tiefern, oder höhern, unglücklichern oder glücklichern Stande des Kriegensbarometers. Eine Bemerkung, wovon sich die Anwendung noch auf lange Zeiten der Zukunft erstrecket; indem die Waffengewalt stets mehrere Ruhe bewirkte, als die Prediger des so genannten reinen Wortes Gottes im wahren Ernste, und mit wahrer Aufrichtichkeit suchten. Uebrigens trat um die Mitte

des Heumonats [Juli] wieder Ruhe, und Ordnung in Schwaben ein, und unser Herr Abt Leonhard, welchen man am Palmensonntage in dem Kloster der grauen Schwesern in Memmingen zum Tode aufsuchte, wohnte ohne alles Besorgniß der feierlichen Verlobung seiner sehr tugendsamen, und ausserordentlich standhaften Niece, Anna Widemännin, in dem ebenbemeldten Kloster zu Memmingen bei*. Auch sammelten sich allmälig unsere Klostergeistlichen wieder, welche der Wuth der Bauernzerstörung entflohen waren.

§. V.

J. 1526

Nach der schweren Niederlage der neu evangelisch belehrten Bauern laßt es sich leicht deuten, welch ein schweres Stück Arbeit nach

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* Ebenbemeldete Hauschronik cit. folio.

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einem erlittenen Schaden von mehr, als 20000 Gulden*, und nach einer solchen Zerstörung aller Klostergebäude dem würdigen Abte Leonhard oblag. Jedoch der Mann von Einsicht und Geist zeigt eben in solchen Fällen dir Gewandtheit, Stärke, und Grösse seines Karakters. In kurzer Zeit waren die beschädigten Theile der Kirche ausgebessert, die Ornamente, die priesterlichen Kleidungen, die heiligen Gefässe, wenigstens zur Notdurft, wieder hergestellt, die zerstreuten Ueberbleibsel der heiligen Gebeine wieder gesammelt**, das erste vor 24 Jahren vom Grunde aus neu errichtete allgemeine Schlafhaus neuerdings in Ordnung gebracht***, inner der Klausur die Zellen der Mönche, und ausser derselben die Gastzimmer in einen bewohnbaren Stand gesetzt,

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* Diese gar nicht übertriebene Schadenberechnung hinterließ der unmittelbare Nachfolger des Abtes Leonhard, der Herr Abt Kaspar Kindelmann, in seinen Handschriften. Bei unsern Zeiten [Juni 1815] würden 80000 fl. [Gulden] den Schaden kaum aufwiegen. [Laut historischem Währungsrechner für 1820 entspräche das einer heutigen Kaufkraft von knapp zwei Millionen Euro.]

** Ein Theil derselben liegt jetzt in der neuen Stiftskirche neben dem St. Martinsaltar in der Wandnische verwahrt mit einer geschichtlichen Aufschrift, welche von 247 rebellischen Unterthanen bestimmt meldet.

*** So bezeuget eine bleierne Platte mit der folgenden Aufschrift: Anno 1502 regnante illustrissimo Maximiliano, romanorum rege, Archiduce Austriae factum est hoc dormitorium sub religiosis ac devotis patribus & fratribus; Dno [Duo?] Mathaeo Ackermann abbate &c.

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und so allenthalben, wie es je seyn konnte, alle wilde Spuren der neu evangelischen Zerstörung mit grossem Aufwande verkleidet; nur an dem schadhaften Abteigebäude, welches der würdige Abt im Jahre 1514 vom Grunde auf neu bauen ließ*, erneuerte, und ergänzte er nicht das Geringste, und bewohnte dasselbe lebenlänglich so, wie es sein anmaßlicher Herr Vorfahr, der wilde und ungnädige Söldner von Suntheim, übel beräuchert, und noch übler behalten verließ.

Neben dem selbst erlittenen Schaden gab es noch andere Nachwehen des beendigten Kriegs, welche die Entschädigung des Herrn Achatius von Rotenstein, damaligen fürstbischöflichen Pflegers zu Schöneck [Schönegg], und wohnhaft auf der Burg, zum Falken genannt, bei Ittelspurg [Ittelsburg] betrafen. Wie schon oben gemeldet worden, plünderte man bei der letzten Aufruhr das Pfleghaus zu Schöneck rein aus, und

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* Ita lamina plumbea sequentis tenoris: Anno Domini 1514 VII idus Maji circa horam nonam jactum est fundamentum cujus domus (abbatialis) sub venerabili patre Leonardo Widenmann abbate hujus monasterii anno regimminis sui septimo.
[
So eine bleierne Tafel mit folgendem Tenor: Anno Domini 1514, der 7. Mai, gegen neun Uhr, wurde unter dem ehrwürdigen Vater Leonardo Widenmann, Abt dieses Klosters, im siebten Jahr seiner Herrschaftder, der Grundstein für selbige Abtei gelegt.]

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dem Falken raubte man dem bemeldten Herrn von Rotenstein alles zur Selbstvertheidigung dienliche Hausgewehr. Drei und zwanzig ottenbeurische Unterthanen, welche in der eingereichten Klagschrift namentlich angeführt werden, liessen sich dazu als vorzügliche Werkzeuge, und Mittäuber gebrauchen. Nun verlangte der beschädigte Theil einen vollkommenen Schadenersatz an das hiesige Stift, welcher auch gewiß bei bessern häuslichen Umständen unverzüglich erfolgt wäre, und das zweite Klagschreiben des ebenbemeldten Herrn von Rotenstein an den Herrn Fürstbischof zu Augspurg* ganz überflüssig gemacht hätte; doch nach einiger Zeit, vermuthlich, weil auch fürstbischöfliche Unterthanen an der ottenbeurischen Ausplünderung Theil nahmen, trat ein Vergleich ein, welcher beide Theile beruhigte.

Die obenbenannten acht Rebellen des hiesigen Marktorres, welche währender Aufruhre Weiber und Kinder verliessen, sich unter das ottenbeurische Fähnlein auf dem Ungerhauser Hardt stellten, und dort verschiedene Chargen annahmen, wünschten sich nun auch in den Schoos ihrer Familien wieder zurück, und

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* Datum zu Schöneck auf Mondtag [Montag] vor Philippi Jacobi Apl. A. 1526.

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krochen zum Kreuze. Der neu angehende Vogt des hiesigen Stifts, der edle Junker Hans Dietrich von Westerstetten, an den sie sich durch eine weitläuftige Bitt- und Entschuldigungsschrift* gewendet hatten, nahm sich der Reumüthigen an, und der gute Abt Leonhard, welcher zum Erbarmen, als zur Rache geneigter, und willfähriger war, vergab denselben nicht nur das verübte Verbrechen, sondern erließ auch den Unterthanen allen Schadenersatz, und man findet in keinem Hauschronographen, daß er etwas als eine Entschädigung für das so jämmerlich zugerichtete, und geplünderte Stift an dieselbe gefordert habe; selbst der Miller von Suntheim, ein grosser Bösewicht, welcher in diesem Jahre von Haus und Hofe verjagt wurde, kam

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* Geben Montag nach St. Luciae A. 1526. Darinn meldeten die Bürger , sie wären mit Gewalt, und ganz schuldlos in die Aufruhr verwickelt worden, und man hätte sie auf öfteres Ansuchen nicht zur Verantwortung kommen lassen. Ausflüchten, und keine erhebliche Gründe. Am Ende unterschreiben sich alle acht Hauptempörer namentlich, wie oben gemeldet worden, mit den Worten: Wir Arme austrettene Bürger des Markts Ottenpeuren [Ottobeuren].

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nach zwei Jahren auf die Fürsprache der hochedlen Frau Anna von Freundsperg* wieder zu Gnaden; nur die allgemeine von dem schwäbischen Bunde auferlegte Brandschatzung mußte durch eine Umlage erhoben werden.
Der Marktort Ottenbeuren, das Weiler Karlis [Karlins], und der Hof zum Guet [vermutl. zw. Hofs und Betzisried] genannt, blieben hierinnfalls in einigem Rückstande; alsbald folgte ein Schreiben des schwäbischen Bundes an das hiesige Reichsstift, worinn dasselbige ersucht wurde, die bemeldten Rückstände einzutreiben, und an den Herrn Steureinnehmer, und Bundesrath, Gordian Sautter, nach Memmingen einzuliefern.**
Die meiste Geldstrafe traf den damaligen Pfarrer zu Suntheim, Leonhard Ganter, welcher vor dem Ausbruche der Aufruhr 80 baare Gulden bei seinem Dorfvorstande Leonhard Hegg hinterlegt hatte. Der schwäbische Bund behandelte diesen Mann, als einen Mitempörer, belegte das Geld nach genommener Rücksprache mit dem hiesigen Herrn Abte mit Arreste und befahl am Ende dasselbe

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* Das Empfehlungsschreiben schließt die Frau Anna von Freundsperg so: „Das will ich meinem Herrn, so ihm Gott anhaimb hilft, in allem gueten von Euch berühmen, und für mich selbst umb Euch verdienen.“ Datum (Mindelheim) an St. Valentinitag A. 1528.

** Datum Ulm an St. Paulsbekehrungstag A. 1527.

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an die gemeinschäftliche Bandeskasse zu liefern. So stand es nach dem Kriege zu Ottenbeuren, und in der Gegend umher.

Uebrigens hatte die sogenannte Reformation noch kein volles Kindsalter erreicht, als in Schwaben aus der zwinglischen, und anderswo aus der lutherischen Evangeliumslehre neue Sekten hervorbrachen. Es konnte auch nicht wohl anders geschehen; nach dem die Reformatoren den Grundsatz einmal aufgestellt hattten, daß jeder Gläubige ohne auf die Auslegung und apostolische Erblehre der Kirche achten zu dürfen, die Schrift nicht nur zu lesen, sondern auch nach seinem eigenen Gutdünken auszulegen befugt sey. Unter andern Schwärmersekten machten die so genannten Anabaptisten, oder Wiedertäufer das meiste Aufsehen, und zwar zu Augsburg Thomas Münzer [Müntzer], mit Namen Johann Hütten, Jakob Kürsner, und Sigmund Salminger;* in der benachbarten Schweitz aber Konrad Grebel, ein guter Freund des berüchtigten Joachim von Watt, und dessen eifriger Mitarbeiter Wolfgang von Ulmann, und ein gewisser Hochreitiner. Diese hielten die Kindertaufe für ungiltig; weil die Kinder noch ohne Glauben wären, welcher doch von dem Worte Gotttes zur Taufe

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* Paul von Stetten Geschichte der Reichsstadt Augspurg VIII. Kap. S. 306.

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erfordert würde, und beredeten die Erwachsenen und die Alten beiderlei Geschlechtes sich noch einmal, ja sogar in der Folge noch öfter taufen zu lassen. Bald nahm die Zahl der Täuflinge so sehr zu, daß das Taufhaus zu St. Gallen die Täuflinge nicht mehr faßte, und man die Bäche, und den Sitternfluß zu Hilfe nehmen mußte. Setzte sich Jemand ihrer Taufe entgegen, so schrien sie, wie Unsinnige: O du verstocktes und blindes Herz! Das höllische Feuer wird dich taufen. Auf das Anrathen des Anton Kirsmers, eines zürchischen Wiedertäufers beichteten sie sich einander öffentlich ihre Sünden; weil es in der Schrift hieß: Bekennet einander euere Sünden. Als aber die Weiber ihre Ehebrüche bekannten, antworteten die Männer anstatt Amen: Dieß vergelte dir der Tüfel [Teufel]. Aus Antriebe des Wiedertäufers [Paul] Goldschmidt sehte man sich im Appenzeller Lande, und in der alten Landschaft im Hemde, oder auch unbedekt auf die Gassen, spielte im Staube, zog Tannzapfen an Fäden hinter sich her, und äffte alle Spiele, und Geberden der Kinder nach, weil geschrieben stünde: So ihr euch nicht den Kindern gleich machet, werdet ihr nicht in das Himmelreich eingehen. Sie wollten weder huldigen, noch einen Eid ablegen; weil der Heiland geböte, nur Ja, und und Nein zu sagen. Einige verbrannten die

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Bibel; weil es hieß: Der Buchstab tödtet, der Geist aber belebt. Weiböpersonerr schnitten sich aus einer übel verstandenen Folgsamkeit für die Schrift; Wenn dich deine Hand ärgert etc. die Haare ab. Kranke nahmen keine Arzneien zu sich; weil ihnen ohne den Willen Gottes kein Haar abfallen könnte. Andere machten sich durch die gewaltsamsten Krümungen, Gliederverrenkungen, und schmerzhaftesten Geberdungen beinahe ganz athem- und kraftlos: dieß hiessen sie in Christo sterben. Als sie wieder zu Athem gekommen waren, plauderten sie von himmlischen, und biblischen Dingen allerhand Unverdauliches her; und dieß hiessen sie eine Wiedergeburt in Christo. Zu Gossau verrichtete ein junger Mensch das Werk ihres Glaubens, das ist, er sündigte mit einer Wiedertäuferinn vor aller Umstehenden Augen; weil ihm, wie er vorgab, keine Sünde mehr schaden könnte, nachdem er durch den Tod mit Christus gestorben, und wieder erstanden wäre. Ein gewisser Leonhard an der Au von Oberdorf in der Schweitz behauptete so gar bei allen seinen Verbrechen durchaus, nicht er, sondern Gott der Vater habe dieselbe durch ihn begangen, und ihm dieselben zu begehen befohlen.

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* Der Herr Archivar von Arx II. Band S. 503. Wo diese, und noch andere Beispiele von neugläubischen Albernheiten, und Schriftauslegung angeführt werden. Item relatio de ortu & progressu hearesum ex antiquis annalibus mss. cujusdam contemporanel.

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Welch eine Gottlosigkeit! Zürich, die erste Mutterkirche der obern zwinglianisch bekehrten schwäbischen Reichsstädte, kam hiebei in die größte Verlegenheit. „Sehet“, riefen die Katholiken stets den Zwinglianem zu, „Sehet, wohin das eigenmächtige Schriftauslegen führen kann?“ Hierüber aufgebracht suchte man zwar allerdings, die Wiedertäufer ihrer groben Irtthümmer wegen ans der Schrift, oder ihrem vorgeblich reinen Worte Gottes, in überführen; allein das war platthin vergebens, ja unmögliche. Die Wiedertäufer behaupteten den wahren Schriftsinn besser, als die Zwinglianer, getroffen zu haben, und stellten den wider sie angeführten Stellen andere Schriftstellen entgegen. Selbst Ulrich Zwingli, welchen der erste memmnigische Stadtprediger, Christoph Schappeler, als seinen geistlichen Vater oder Geisteslehrer verehrte, konnte mit seinem Buche, das er gegen die Wiedertäufer schrieb, und dem Rathe der Stadt St. Gallen widmete, nichts ausrichten. Sie schrien, als dasselbe in der St. Laurenzenkirche abgelesen wurde, von der Porkirche

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herab, dieses sey Zwinglis, und nicht Gottes Wort.

§. 6.

Indeß würde es weder mit den Glaubensneuerungen der so genannten evangelischen Prediger, noch mit den Albernheiten der Wiedertäufer, und anderer Sektirer, welche wie die Schmetterlinge in den heissen Sommertagen allenthalbe umher schwärmten, jemals so weit gekommen seyn, wenn den Kaiser [Karl V.] nicht die Kriege wider Franz I., König von Frankreich, und selbst wider dessen Allirten, den Pabst Klemens VII. ausser Deutschland gerufen hätten, und so die genauere Befolgung des berühmten Wormseredikts vom Jahre 1523, worinn gegen die Verbreitung aller Glaubensnenerungen die ernsthaftesten Maßregeln genommen wurden, nicht ganz unterblieben wäre. So halfen aber alle Umstände zu einer grössern Verwirrung in Deutschland zusammen. Karl V. hatte mit auswärtigen Feinden zu tun; von Abend [Westen] war er von Frankreich bedrohet, von der Morgenseite [Osten] rückten die Türken gegen Ungarn an, gegen Mittag [Süden] waren die Feindseligkeiten mit Klemens dem Vll. obgleich Rom

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* Der St. Gallische Herr Archivar Ildefons von Arx in der Geschichte des Kantons St. Gallen II. Band S. 502. etc.

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schon erobert, und die Gefangennehmung, und Abführung des Pabstes in die Engelsburg schon erfolgt war, noch nicht vollkommen beendiget; die Nordischen Fürsten waren ohnehin durch

die Religionstrennung getheilt, und eben in diesem Jahre gieng auch Markgraf Albrecht von Brandenburg*, als Hoch- und Deutschmeister zur so genannten evangelischen Religion über, verehlichte sich mit einer dänischen Prinzessin Dorothea, erhielt Preußen als ein weltliches Herzogthum von Polen zum Lehen, und stellte so das erste Beispiel einer Säkularisation, oder Einziehung und Verwaltung der geistlichen Güter im Grossen auf, welches bald, wie es sich leicht denken läßt, so wohl unter den Deutschen Fürsten, als unter den Reichsstädten Nachahmung genug fand. Alle diese Umstände begünstigten, und reizten neuerdings die durch den übeln Ausgang des Bauernkriegs in etwas schüchtern gewordene Neuerungssucht, und man fieng wieder, besonders hier in Schwaben, mit aller Hitze an, alles Alte zu zerstören, die katholische Geistlichkeit zu verfolgen, die Mönche und Nonnen zu einem Meineide an ihren Gelübde

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* Dieser Markgraf wurde von dem Kaiser, und Reiche seiner Würde entsetzt, und anstatt dessen ein Landkommanthur zu Mergentheim in Deutschland von dem benachbarten Kronburg her aufgestellt. Chronik der Stadt Weißenhorn am 212. Blatte.

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und Religionspflichten zu bereden, die Klöster auszuleeren, und im verweltlichen, und überhaupt das zwar beabsichtigte, aber nicht ganz vollendete Zerstörungswerk des Bauernaufruhrs vollends zu Stande zu bringen.

Zu Memmingen, wo sich in diesem Jahre auch der Reformator der Stadt Konstanz, Ambros Blaurer, oder Blarer* einfand, gieng es bunt zu. Der ordentliche zwinglische Stadtprediger Simprecht Schenk,** trug kein Bedenken, öffentlich von der Kanzel wider die Kirchenorgeln los zu ziehen, und mit aller Heftigkeit zu behaupten, der Gebrauch der Kirchenorgeln sey ein Teufelswerk, und Abgötterei. Die unsinnigeRede wirkte auf die Stadtobrigkeit so sehr, daß der Abbruch der Orgel bei St. Martin durch einen förmlichen Rathschluß begnehmiget, und anbefohlen wurde.

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* Blarer war ein ausgesprungener Mönch an der Benediktinerabtei Alberspach in der Schweitz, übrigens von einem ansehnlichen edlen Geschlechte. Bemeldte Chronik 223. Blatt.

** Simprecht Schenk von Wertingen gebürtig war anfangs ein Weltpriester, hierauf ein Predigermönch, nachmals ein Karthäuser zu Buxheim, zuletzt ein zwinglischer Stadtprediger zu Memmingen, wo er sich im Jahre 1523 mit der ersten, und nach deren Tode mit der zweiten Frau verehlichte. Weißenhorner Chronik am 223. Blatt.

(…)

Ende der Abschrift, Helmut Scharpf, 05/2024

Urheber

Pater Maurus Feyerabend

Quelle

Band III der Jahrbücher

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

1525-03-15

Rechte

gemeinfrei