08.11.2012 - Auftaktveranstaltung „Löffelkraut & Co."
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Am 8.11.2012 fand in Ollarzried die Auftaktveranstaltung zum Biodiversitätsprojekt „Löffelkraut & Co." statt. Nachdem dieses Artenhilfsprogramm das erste war, das im Rahmen des Programmpakets "Bundesprogramm Biologische Vielfalt" die Bewilligung erhielt, kam es zu einer für das Unterallgäu ungewöhnlich hochkarätig besetzten Veranstaltung. Teilgenommen haben die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, Prof. Dr. Beate Jessel, der Stiftungsvorstand des Bayerischen Naturschutzfonds, Ministerialrat Georg Schlapp, der Bundesvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (und Landesvorsitzenden des Bund Naturschutz in Bayern e.V.), Professor Dr. Hubert Weiger, die Projektmanagerin aus Oberbayern, Gaby Schneider, der Projektmanager für die schwäbischen Vorkommen, Peter Harsch, die Artenschutzreferentin für Südbayern des Bund Naturschutz, Dr. Christine Margraf, der Projektinitiator (Beisitzer im Vorstand der Kreisgruppe Memmingen-Unterallgäu des Bund Naturschutz), German Weber, Projektbetreuer vor Ort, Peter Keppeler, Terry Müller, Edmund Strehler, Gebhard Brandner (Ollarzried aktiv) und Helmut Scharpf (Bund Naturschutz) sowie viele weitere Akteure rund um den Naturschutz, der Kreisgruppe des Bund Naturschutz, 1. Vorsitzender Reiner Krieg, 2. Vorsitzender Joachim Stiba, die 2. Vorsitzende der Kreisgruppe Rosenheim, Dr. Gertrud Knopp, für den BN im Ostallgäu Dr. Greifenhagen, das Amt für Ländliche Entwicklung, die Bayerischen Staatsforsten, das Amt für Landwirtschaft und Forsten Mindelheim, Rainer Nützel, die Landschaftspflegeverbände Unterallgäu (Jens Franke), Ostallgäu (Josef Freuding) und Oberallgäu (Stefan Pscherer), die Fachabteilung aus dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Gesundheit, der Biologe Peter Guggenberger-Waibel von der Stiftung KulturLandschaft Günztal, Vertreter der unteren Naturschutzbehörde (Konrad Schweiger, Hubert Klucker und Bernd Nothelfer), der höheren Naturschutzbehörde bei der Regierung von Schwaben sowie mehrere Bürgermeister.
„Ollarzried aktiv" lud nach einer kleinen Exkursion zu den Vorträgen in den „Hoigata" in Ollarzried ein. Seitens der Medien war die Memminger Zeitung vertreten (Brigitte Unglert-Meyer) sowie durch ein Team von TV Allgäu (Fernsehbericht vom 09.11.2012 auf youTube, ab Min. 3.50 - 7.42, Link youTube). In der Zeitung erschien der Bericht am 10.11. (S. 38, „Zum Schutz des Löffelkrauts"), der Filmbeitrag wird auf youTube eingestellt: (noch nicht erschienen)
Um 13 Uhr stand zunächst die Begehung eines Löffelkraut-Vorkommens am Südwestrand von Ollarzried auf dem Programm. Peter Keppeler erläuterte dort zusammen mit Peter Harsch die Besonderheiten des Gebiets. Durch Entbuschungsmaßnahmen und Mahd kommt mehr Licht an die Standorte, wodurch sich die Wuchsbedingungen verbessern. Die überregional bedeutsamen Wuchsorte des Bayerischen Löffelkrautes (Cochlearia bavarica) und die Wuchsorte weiterer überregional bedeutsamer Arten wie z.B. des Geschnäbelten Hahnenfuß (Ranunculus rostratulus) gilt es dauerhaft und nachhaltig zu sichern und zu entwickeln. Auf der Internetseite des Projekts, www.loeffelkraut.de, heißt es weiter: Die Wuchsorte „stehen exemplarisch zum einen für naturnahe Kalk-Quellfluren, wenig beeinträchtigte Quellbäche und Bachoberläufe und zum anderen für kleinere Bachtäler mit feuchten, extensiven Wiesen."
Als technische Besonderheit der Exkursionsfläche stellte Herr Keppeler einen sogenannten „Widder", der allein durch mechanischen Druckaufbau Wasser nach oben pumpt - ohne Strom. Hierzu hat der Verein „Ollarzried aktiv", der schon einen Wanderführer mit (u.a.) einem „Löffelkraut-Wanderweg" herausgegeben hat, eine Schautafel aufgestellt. Der Widder selbst lässt sich durch eine Luke betrachten, beleuchtet von einer Lampe, die mit Solarenergie betrieben wird. Peter Harsch erläuterte die Wuchsbedingungen. Ein Bild zeigt den deutlich erkennbaren Horst in einem Wassergraben.
Um 14 Uhr begannen in der Dorfgaststätte „Hoigata" die Reden. Peter Harsch und German Weber hatten im Hintergrund die neuen Ausstellungstafeln aufgebaut, „Ollarzried aktiv" sorgte für die Bewirtung. Herr Weber begrüßte und übergab das Wort zunächst an Peter Keppeler, der auf die Vereinsgeschichte einging. Die Initiative zur Gründung entstand nach dem Brand des einzigen Gasthauses. Auf der Homepage www.ollarzried-aktiv.de heißt es hierzu: „Für Ollarzried mit ca. 325 Einwohnern schaffte nach Jahren des kontinuierlichen Verlustes an Einrichtungen und Funktionen die Bevölkerung eine bemerkenswerte Trendwende durch die Gründung des Vereins Ollarzried aktiv im Jahr 2002, der sich übergreifend um die Belange des Dorfes kümmert und dem fast alle Bewohner über 18 Jahren angehören. Ein leerstehendes Bank- und Lagerhausgebäude wurde gemietet und durch den Arbeitseinsatz von 4000 ehrenamtlichen Stunden sowie mit Spenden und Darlehen der Bevölkerung zur Dorfwirtschaft mit Mehrzwecksaal umgebaut. Zwei Jahre später wurde der Dorfanger in einer Gemeinschaftsaktion neu gestaltet und auch noch das alte Schulgebäude renoviert." Der Verein betreut an mehreren Wuchsstandorten auch das Bayerische Löffelkraut, für das die bayerischen Bezirke Oberbayern und Schwaben als endemische Art eine besondere Verantwortung tragen. Herr Keppeler gab als Wunsch für die Zukunft noch auf den Weg, dass für Ausgleichszahlungen für Windkraftanlagen, die im Zuge der Energiewende aufgestellt werden, auch in der Region selbst Verwendung finden, die mit den Beeinträchtigungen leben muss. Im Süden des Ortes sind mittlerweile sieben Anlagen aufgestellt.
Die Präsidentin des BfN, Professorin Dr. Jessel, erläuterte in ihrer Rede, dass das Bundesamt die Projektkosten von knapp 650.000 € zu 70% fördere. Man müsse das Projekt in einem globalen Kontext sehen: Die biologische Vielfalt verschwinde in einem besorgniserregenden Ausmaß, was eine „globale Anstrengung für eine Trendwende" erfordere. Auch wenn beim vorliegenden Projekt einzelne Arten im Vordergrund stünden, so werde doch in erster Linie der Biotoptyp geschützt. Prof. Jessel erklärte, es gelte „das große Ganze" im Auge zu behalten. Der Fördertopf sei mit insgesamt 15 Millionen Euro großzügig ausgestattet und von den bislang eingereichten 150 Projektskizzen seien nach aufwändigen Prüfungen zwischenzeitlich schon 10 bewilligt worden.
Professor Dr. Weiger begann seinen Vortrag – im Vorgriff auf das Vereinsjubiläum 2013 – mit einer „Perspektive für die nächsten hundert Jahre". Das „Herzensanliegen", das die Naturschützer von heute bewege, solle auch zum Anliegen der Bevölkerung insgesamt werden. Die Lebensräume vor der eigenen Haustüre werden dabei so verteidigt, als ginge es um die Existenz des eigenen Fußballvereins, so seine Vision. Eine Verankerung in der Bevölkerung sei beim vorliegenden Biodiversitätsprojekt durch die Projektbetreuer, die „Kümmerer vor Ort", gegeben. „Die Rettung beginnt vor der eigenen Haustüre." German Weber bezeichnete der BN-Vorsitzende als den zentralen Initiator des Projekts. Weber selbst relativierte dies bescheiden und sprach vom „großen Partnerschaftsprojekt". Die Quellen sollten wir in einem neuen Bewusstsein als „heilig" sehen. Weiger ging weiters allgemein auf die lange Tradition des Landschaftsschutzes durch den BN ein. Schon 1933 wurde erstmals ein großer Lebensraum erworben, das heutige Naturschutzgebiet »Gfällach im Erdinger Moos«.
In Schwaben sind 84 Wuchsstandorte des Bayer. Löffelkrauts bekannt, in Oberbayern sind es 91. Erste Schutzmaßnahmen waren durch die Kreisgruppe Rosenheim (Frau Dr. Knapp) bereits in den 1980er Jahren ergriffen worden. Prof. Weiger sprach seine Hoffnung auf ein „vereinfachtes Antragsverfahren" für zukünftige Vorhaben aus. Es gelte den Schutz der Standorte durch ein Netzwerk von lokalen Betreuern auch dann zu gewährleisten, wenn der hauptamtliche Naturschutz nicht mehr da sei. An die Anwesenden gerichtet sagte er: „Das Projekt steht und fällt mit Ihrer Unterstützung!" Mit einem nochmaligen Dank an German Weber sowie an die fördernden Stellen „für die Bereitstellung unserer Steuergelder" endete sein Redebeitrag. Der BN trägt 10% der Kosten.
Eine weitere Förderstelle, der Bayerische Naturschutzfonds (mit knapp 130.000 € 20% der Kosten), war durch seinen Stiftungsvorsitzenden, MR Georg Schlapp, vertreten, der in der Bündelung aus „Grundstücksverfügbarkeit durch Grunderwerb und der Manpower durch die Kümmerer" eine ideale Voraussetzung für das Gelingen des Projekts sieht. Viele frühere Aktivitäten und Einzelvorhaben würden nun gebündelt. Dabei ging er u.a. auf die über die Glücksspiralengelder geförderten Projekte ein. Großes Lob erfuhr von seiner Seite die im Oktober 2008 erschienene CD „Der Kasperl und das Löffelkraut", eine „bairische Kasperl-Komödie für Kinder" (ISBN13: 978-3937563282). In Anspielung auf die ureigenste Aufgabe des Naturschutzfonds, der Finanzierung von Vorhaben, schloss Georg Schlapp mit den Worten: „Die beste Verzinsung ist der Erfolg draußen in der Natur."
Dr. Christine Margraf von der Fachabteilung des Bund Naturschutz stellte in ihrem wissenschaftlichen Vortrag einige Eckpunkte in den Vordergrund. Das Projekt laufe vom 01.09.2011 - 30.06.2016 und wurde als erstes Bundesprojekt in die Förderung aufgenommen. Die Regierung von Schwaben förderte das Vorhaben „Löffelkraut & Co." 2010 als eines von insg. 10 Vorhaben dieser Art. Zunächst stellte die Referentin die Pflanze als solche vor, bemerkte aber wiederum, dass es nicht nur um die Pflanze gehe, sondern dass vielmehr der (Quell-)Lebensraum im Fokus stehe. Als Besonderheiten des Lebensraums wurden auch der „Geschnäbelte Goldhahnenfuß" und die „Sumpfschrecke" genannt. Es gehe nicht um einen „Gartenscherennaturschutz". Bis 2020 soll im Rahmen der „Bayerischen Biodiversitätsstrategie" die Hälfte der gefährdeten Arten in Bayern eine Gefährdungsstufe nach unten rutschen. Neben detaillierten Ausführungen, (die hier demnächst als Powerpoint zur Verfügung stehen werden), erinnerte Dr. Margraf nochmals an die Vernetztheit des Projekts, bei dem der Bund Naturschutz lediglich als Mittler zu sehen sei, er setze allerdings immerhin knapp 13.000 € jährlich an Eigenmittel ein.
Von der praktischen Seite berichteten die beiden Projektmanager, zunächst Gabriele Schneider (für die BN-Kreisgruppen München, Ebersberg und Rosenheim) am Beispiel des Standorts Thalham. Anschaulich zeigte sie auf, dass oft „Knochenarbeit" geleistet werden müsse, man sei oft „klatschnass", die Standorte seien oft entlegen und müssten – falls überhaupt möglich – mit Spezialmaschinen bearbeitet werden. Die Mahd finde meist erst im November statt, oft sei Handarbeit gefordert. Unerlässlich sei die Effizienzkontrolle. In den Waldstandorten ziehe sich das Löffelkraut in Oberbayern stark zurück, was Schneider auf die vielen Wasserfassungen zurückführte. Ein Arbeitsschwerpunkt sei deshalb der Quellschutz, die Verhinderung von Quellfassungen und die Steuerung der Wasserführung. Interessant sei in der Biologie das teils parallel vorkommende Pyrenäen-Löffelkraut (Cochlearia pyrenaica), eine der beiden „Elternarten". In der Vorstellung der Arbeitsschwerpunkte 2011/12 wurde deutlich, dass man in Oberbayern in den Bereichen Datenbeschaffung, Bildung von Arbeitsgruppen, im Monitoring, der Umsetzung von Pflegeplänen und bei wissenschaftlichen Begleituntersuchungen noch etwas hinter den schwäbischen Landkreisen hinterherhinke. Als „Wunschliste" sprach sich die Projektmanagerin für wissenschaftliche Untersuchungen zur genetischen Plastizität, wasserchemische Untersuchungen, für eine Mooskartierung und Untersuchungen zur biogenen Kalktuffbildung aus.
Im abschließenden Vortrag verwies Peter Harsch auf die Vorleistungen verschiedener Spezialisten, so von Dr. Abs (Dissertation), Ralf Strohwasser und Dr. Greifenhagen. Die Situation im Allgäu war „dramatisch", so Harsch. „Ist ein Standort zwei Jahre erloschen, dann ist die Pflanze weg", erläuterte der Biologe. Wie schnell dies gehen kann, zeigte er anhand der Reverdis-Quelle im Tal der Östlichen Günz auf, wo durch Sturmwurf, Baggerarbeiten und verlegte Quellen der Bestand deutlich eingebrochen war. Ein Gegenmittel zeigte der Projektmanager für Schwaben anhand der „4-Säulen-Strategie" auf: Pflege/ Kooperation/ Betreuer/ Feldversuche.
Nach einem Schlusswort von German Weber mit einem Hinweis auf die Internetpräsenz und der im Naturschutz noch weitgehend ungenutzten Plattform Facebook (www.facebook.com/loeffelkraut) schloss sich eine kurze Fragerunde an. Anschließend nutzten viele Teilnehmer die Gelegenheit zum persönlichen Meinungsaustausch bei Kaffee und Kuchen.
Die vier abschließenden Bilder zeigen praktische Pflegemaßnahmen (Entbuschung, Durchforstungsmaßnahmen und Hochstaudenmahd) auf dem vom Bund Naturschutz seit 1993 gepachteten Löffelkraut-Grundstück im FFH-Gebiet „Ollarzried-Höhe".
Aktualisierung: Am 25.11.2016 fand – ebenfalls in Ollarzried – die Abschlussveranstaltung statt. Projektbetreuer, Dipl.-Biologe Peter Harsch, stellte die Ergebnisse zu allen untersuchten Standorten vor, der Dipl.-Biologe German Weber ging auf den Werdegang des Gesamtprojekts ein, u.a. auf die gemachten wissenschaftlichen Untersuchungen mit der Uni Regensburg. Jede der Populationen wurde genetisch untersucht. Zur Veranschaulichung von fehlender Vielfalt stellte Herr Weber hier eine erschreckende Zahl gegenüber: Die ca. 140.000 Rinder im Unterallgäu würden zu 95% von einem Bullen abstammen; auch die genetische Vielfalt auf den Wiesen ist weiter gesunken, nachdem bei sechs Schnitten im Jahr nicht einmal mehr das Gras zum Blühen komme.
Über zwei Glücksspiralen-Projekte (z.B. Nr. 236/13) wurde der Frage der Bestäubung nachgegangen – ein spezialisierter Bestäuber wurde übrigens nicht gefunden. Warum der Bestand an manchen Standorten abnehme, sei noch nicht geklärt, das Gros der Bestände zeigte sich jedoch stabil oder wuchs an. Nachdem die Esche als für die Wuchsbedingungen des Löffelkrauts wichtige Baumart gilt (Effekt der Ausdunklung zulasten der konkurrierenden Hochstauden), bereitet das Eschentriebsterben und die Frage des Überlebens dieser Baumart zunehmend Kopfschmerzen.
Das aufgebaute Betreuernetzwerk soll weiterhin aktiv bleiben; über 500 Stunden wurden in den fünf Jahren Laufzeit von den Ehrenamtlichen investiert. Dr. Christelle Novak (Bonn) von der DLR stellte im Auftrag des Projektträgers BfN (70%) die Betreuung der „Bundesprojekte zur biologischen Vielfalt" vor, für die immerhin 15 Millionen Euro jährlich aufgewendet werden. Das Bayerische Löffelkraut wurde von Frau Novak als eine von 40 „Verantwortungsarten" hervorgehoben. Die Diplombiologin Dr. Gisela Wachinger (pro re, Stuttgart) referierte über die Ergebnisse der Evaluation, die über 59 Fragebögen (von 250 verschickten) zustande kam. Ein Ergebnis: Von allen Kommunikationskanälen – Homepage, Facebook (116 Follower), Twitter, Flyer, Presse, TV – zeigte sich die Ansprache von Mensch zu Mensch als effektivstes Mittel, um Mitbürger für den Naturschutz zu begeistern. „Citizen science" erweist sich zunehmend als wichtige Stütze des Naturschutzes.
220.875 € wurden in den fünf Jahren (01.09.2011 - 30.11.2016) in „echte Naturschutzmaßnahmen" investiert – bei Gesamtkosten von 648.553 €. Peter Harsch und German Weber können auf das Erreichte Stolz sein. Über die unteren Naturschutzbehörden werden sich bestimmte Maßnahmen auch zukünftig finanzieren lassen.
Hinweis: Die hier verwendeten Bilder von Helmut Scharpf wurden als gemeinfrei erklärt und stehen jeweils auch in Druckqualität zum Download bereit. Die vier Bilder von rechts stammen von der Abschlussveranstaltung.