16.09.1939 - Als erster Ottobeurer fällt Martin Haider im Polenfeldzug
Titel
Beschreibung
Martin Haider (*13.04.1915) war Ottobeurens erster Kriegstoter, 1939 allerdings auch der einzige. Das Portrait zeigt einen stattlichen jungen Mann, der mit 24 Jahren einen sinnlosen Tod starb.
Die Mutter - Kreszentia Wörle - kam aus Baisweil, der Vater - Johann Haider - aus Erkhausen bei Schwabmünchen. Die Mutter (*09.05.1892) arbeitete in der Blauen Traube in Ottobeuren, wo sich auch der Vater verdingt hatte, vermutlich als Knecht. Johann Haider wurde im 1. Weltkrieg eingezogen, Sohn Martin blieb in Ottobeuren bei einer Frau, die noch zwei weitere Kinder in Pflege hatte, während Kreszentia bei ihrem Bruder in Baisweil arbeitete. Der Vater (*04.06.1889, †22.03.1975) muss vor dem 1. Wk. auf einem großen Gutshof nördlich von Buchloe gearbeitet haben, nach dem Krieg ging es für beide in Buchloe weiter. Martins Schwester, Maria Malcher (*12.04.1927, †14.03.2021), erzählte in einem Interview vom 08.06.2014:
Mein Vater betrieb in Buchloe einen „Handelsstall“, von den Juden Bacharach und Weimersheimer. Die wohnten selbst in Memmingen und hatten in Buchloe einen großen Bauernhof für Handelsvieh. Mein Vater handelte im Auftrag mit dem Vieh, verkaufte und kaufte auf den Viehmärkten. Dort waren wir, bis es mit den Nazis begann. Eines Tages kam die SS und sperrte alles ab, aber da waren sie schon weg. Die waren schlau genug und waren vorher nach Palestina ausgewandert. Denen gehörte das ganze Bahnhofsviertel in Memmingen, vom Ottobeurer Haus an der Kalchstraße bis zur Maximilianstraße.
Martin Haider ging in Buchloe zur Schule; er war ein sehr guter Schüler. Ab Juni 1928 machte er in der „mechanischen Werkstätte von Ludwig Fink“ in Buchloe eine Lehre als Mechaniker, wurde dort nach der Gesellenprüfung wegen Arbeitsmangel entlassen und war anschließend - ab 01.08.1934 - bei den Dornier-Werken in Lindau-Rickenbach beschäftigt. Es folgten ab 01.04.1936 der Arbeitsdienst und drei Jahre Wehrpflicht (in Sonthofen), ehe er 1939 als Mechaniker nach Ulm zu den Magirus-Werken ging. Die Familie war zwischenzeitlich nach Ottobeuren übersiedelt, wo ein Bruder (Vorname fehlt noch) der Mutter, gemeinsam mit seiner Frau, Margarete Wörle, in der Memminger Straße 6 (frühere Haus Nr.: 235) einen kleinen Lebensmittelladen betrieb, den die Eltern von Martin und Maria 1933 übernahmen. Dazu demnächst mehr auf einer eigenen Seite).
Martin war nicht oft in Ottobeuren, meist nur im Urlaub. Er hatte unterm Dach ein kleines Zimmer mit Sofa. Er war unglaublich akkurat, legte großen Wert auf ein gepflegtes Erscheinungsbild. Wenn er mit seiner (wesentlich jüngeren) Schwester raus ging, dann wusch er ihr erst einmal das Gesicht. Er ging gerne in die Berge.
Er war erst enige Wochen in Ulm, als der Gestellungsbefehl mit der Einberufung kam. Martin war als Gefreiter beim „Gebirgs-Jäger-Regiment 99“, das wiederum Teil der „1. Gebirgs-Division“ unter Generalmajor Ludwig Kübler war. Kübler hatte nicht von ungefähr den Beinamen „Bluthund von Lemberg“ erhalten. Aufgrund der sog. „Sturmfahrt auf Lemberg“ im Polenfeldzug erhielt die Truppe die Bezeichnung „Langemark der Gebirgsjäger“. Langemark (bis 1945 Langemarck) steht für ein völlig sinnloses Unterfangen in Flandern im November 1914. Es prägte sich jedoch der patriotisch ausgeschlachtete Begriff vom „Mythos von Langemarck“, über den auch das Ottobeurer Volksblatt am 12.11.1914 berichtete.
Militärisch genauso sinnlos war der Versuch Küblers, mit aller Gewalt und unter enormen Verlusten nach Lemberg (damals in Südost-Polen, heute Lviv in der West-Ukraine) vorzustoßen. Man erreichte Lemberg zwar, aber am 20. September 1939 flauten die Kämpfe ab, nachdem sowjetische Panzer vor der Stadt erschienen waren. Gemäß einem geheimen Zusatzprotokoll des Hitler-Stalin-Paktes wurde Lemberg der Roten Armee überlassen, und die Gebirgsjäger zogen sich wieder hinter den San zurück.
Martin fiel vermutlich am 16.09.1939, so weist es eine sogenannte Gräbersuche (vom 13.06.2014) beim Bund Deutscher Kriegsgräberfürsorge aus. Es wurde möglicherweise keine Leiche gefunden. Es hieß im Zuge der Internet-Recherche noch:
Martin Haider konnte im Rahmen unserer Umbettungsarbeiten nicht geborgen werden. Die vorgesehene Überführung zum Sammelfriedhof in Laurahütte / Siemianowice war somit leider nicht möglich. Sein Name wird im Gedenkbuch des Friedhofes verzeichnet.
Es gab allerdings zunächst ein einfaches Soldatengrab (s. Bild), welches laut der Wehrmachtauskunftstelle für Kriegsverluste und Kriegsgefangene in Berlin vom 05.04.1941 umgebettet wurde, nachdem es dem deutschen Umbettungskommando gelungen sei, Haiders Grab aufzufinden und seine sterblichen Überreste einwandfrei zu identifizieren. Es handelte sich um eine Aktion „auf Befehl des Führers“, um die Gefallenen des Polenfeldzuges aus dem Gebiet der UdSSR umzubetten. Eine neue Bleibe fanden sie auf den Ehrenfriedhöfen in Mlawa und Bielitz. „Da sich die Ehrenanlagen noch im Ausbau befinden, können Besuche noch nicht zugelassen werden. Sobald sie freigegeben werden, erhalten Sie unmittelbar oder durch die Presse Nachricht.“
Die Aufschrift unter einem überdimensionalen Eisernen Kreuz auf dem Soldatengrab lautet:
Martin Haider
Gefreiter
5./ Geb. Jägerregiment 99
geb. 13.4.1915
in Ottobeuren
gef. 16.9.1939
(nicht mehr lesbar)
Das Bild wurde stark bearbeitet und aufgehellt, um die Schrift weitgehend lesbar zu machen.
Es gab keine Beerdigung in Ottobeuren. Eine Tochter von Frau Raith, die in Polen verheiratet war, hatte vom Tode Martin Haiders erfahren und konnte das Soldatengrab damals besuchen. (Anm.: Einen Ort namens Biolice, wie von Maria Malcher erwähnt, war in der Umgebung von nicht zu finden, auch nicht auf alten Karten von Galizien.) Der Allgäuer Beobachter erwähnte seinen Tod nicht, die hier vorliegenden Todesanzeigen (07.11. und 05.12.1939) waren vermutlich im Ottobeurer Volksblatt abgedruckt, das aber nicht vollständig vorliegt. Die insgesamt drei Todesanzeigen sind mit großem zeitlichen Abstand erschienen. Die letzte Anzeige wurde von seinen ehemaligen Kollegen bei Klöckner-Humbold-Deutz in Ulm am 25.06.1940 aufgegeben.
Das Sterbebild (mit zwei verschiedenen Rückseiten bei Max Werner in Ottobeuren gedruckt) nennt den 19.09.1939 als Todestag. Dieses Datum nennt auch Leutnant Ströhl, Kompanieführer der 5. Kompanie des Gebirgsjäger-Regiments 99, in seinem Kondolenzschreiben. Er schrieb am 25.09.1939:
Prymysel (heute: Przemyśl, Polen), den 25.9.1939
An Familie Haider, Ottobeuren, Memmingerstraße 235.
In der Schlacht bei Lemberg am 19.9.1939 fiel Ihr Sohn Martin Haider in soldatischer Pflichterfüllung, getreu seinem Fahneneide für das Vaterland.
Ich spreche Ihnen, zugleich im Namen seiner Kameraden, meine wärmste Anteilnahme aus. Die Kompanie wird ihm stets ein ehrendes Andenken bewahren.
Möge die Gewißheit, daß Ihr Sohn sein Leben für die Größe und den Bestand von Volk, Führer und Reich hingegeben hat, Ihnen ein Trost in dem schweren Leid sein, das sie betroffen hat.
Ich grüße Sie in aufrichtigem Mitgefühl
Ströhl
Leutnant u. Kp.-Fhr.
In den knapp zwei Wochen andauernden Kämpfen hatte die ursprünglich 17.000 Mann starke 1. Gebirgsjäger-Division unter Küblers Kommando 1.402 Mann verloren.
Es hatte wohl mit Vorsehung zu tun, von der seine Schwester Maria im Interview berichtete:
Er [der Vater Johann Haider] kam gemeinsam mit Max Holzmann fort. Sie kamen nach Lemberg und in der Nacht, in der mein Bruder gefallen ist, sagte er am Morgen: Er hätte im Traum gesehen, er hätte beide Beine verloren und sagte dann seinen Freunden: Heut' Nacht ist „mei Bua g‘storba“. Sie sagten: „Das gibt’s doch nicht“, aber es war tatsächlich so.
Wir hatten noch einen Gartenzaun mit einem großen Briefkasten. Sonst habe ich immer gleich die Post reingeholt. Aber an dem Tag wollte ich die Post nicht - da war halt der Brief drin: „Gefallen für Großdeutschland“. Den Brief habe ich heute noch.
Aus den Wikipedia-Seiten lassen sich die militärischen Bewegungen der Truppe – und damit auch Martin Haiders – nachvollziehen:
Am 25. August 1939 erreichte die 1. Gebirgs-Division der Befehl zur Mobilmachung. Sie verließ ihre Garnisonen zwei Tage später und wurde per Bahntransport in den Osten der Slowakei verlegt, um von dort aus am Feldzug gegen Polen teilzunehmen. Die Division Küblers überschritt erst am 7. September 1939 die slowakisch-polnische Grenze mit dem Befehl, in Richtung Lemberg vorzustoßen und den polnischen Truppen somit den Rückzug nach Südosten zu versperren.
Der Vormarsch erfolgte unter ständigen Gefechten, während Kübler von seinen Soldaten verlangte, in „einem rücksichtslosen Vorwärtsdrang“ den Kontakt zum ausweichenden Gegner nicht abreißen zu lassen. Er befahl: „dort wo der Feind den Versuch macht, sich zu stellen, unter Ausnutzung des Motors seine Reihen ohne Rücksicht auf die Vorgänge links und rechts geradeaus kühn durchzubrechen, wo er sich hartnäckig wehrt, mit wohlgezielten Schüssen der weit vorne eingeteilten mot. Art. zu zermürben und im Angriff der Jäger zu zerschlagen“.
Nach dem Überschreiten des San befahl Kübler am 10. September die Bildung einer motorisierten Voraustruppe, welche die polnischen Verbände zu durchstoßen und nach Lemberg vorzudringen hatte, was später als „Sturmfahrt nach Lemberg“ bekannt wurde. Am späten Nachmittag des folgenden Tages erreichte die Voraustruppe ihr Ziel. Sie konnte die Stadt zwar nicht einnehmen, erstürmte aber die Höhen westlich und nördlich davon, bevor sie vom Rest der Division abgeschnitten wurde. In den folgenden Tagen wurden alle Teile der Division, besonders aber die Vorausabteilung unter dem Kommando des Oberst und späteren Generalfeldmarschall Ferdinand Schörner (1892–1973), von mehr als drei polnischen Divisionen angegriffen, welche versuchten, nach Südosten durchzubrechen. Trotz enormer Anstrengungen und außerordentlich hoher Verluste wurde Lemberg nicht eingenommen.
Das rechte Bild zeigt eine Aufnahme von der Tafel des Kreigerdenkmals (an der Klostermauer beim Basilikaparkplatz), auf der Martin Haider genannt wird. Die Dokumente werden von Martin Haiders Lebenslauf (S. 1 Original, S. 2 Abschrift) abgerundet.
Interview, Scans und Aufbereitung: Helmut Scharpf