01.01.1783 - Erlass neuer Rechtsvorschriften für die Ottobeurer Bürgerinnen und Bürger

Titel

01.01.1783 - Erlass neuer Rechtsvorschriften für die Ottobeurer Bürgerinnen und Bürger

Beschreibung

Mit welchen Strafen musste man in Ottobeuren ab 1783 bei „Verführung“ oder Fretterey rechnen? Auch der Ein- und Auszug aus der Kirche war geregt: Das Schießen war schärpfist verbotten. Kritik an den - vermutlich von Abt Honorat Göhl - erlassenen Vorschriften wurde ebenso bestraft.

Hier zunächst der Originaltext, darunter dann eine Fassung in verständlicherem Deutsch:

Reichs-Stift-Ottobeurische Baudings
Puncten, mit dem Jahr 1783. anfänglich zu beobachten.

Weilen bishero aus unüberlegten, und eigenmächtigen Eheverlobnussen nit nur unverantwortliche Verführungen, sondern auch unversöhnliche Feindschaften zwischen denen nächsten Freunden, und die unglückseligste Haushaltungen entstanden, so werden hinfüro in befreff des burgerlichen Contracts alle und jede vor Null und Nichtig, auch alles Herrschaftlichen Consens unwürdig, erkläret, welche ohne Einwilligung der Elteren, oder Vormunderen, und ohne Herrschaftliche Gutheißung hinfüro geschehen :
        Zur Straffe ihres ärgerlichen Ungehorsams wird das Mannsbild, so eine Weibs-Person verführt, denen Soldaten auf 6. Jahr übergeben : das Weibsbild aber, welches eine Manns-Person verführt ; oder jendes Mannsbild, welches zum Soldaten-Stand untauglich, der helfte seines Vermögens beraubt, oder auf einige Monath in ein Zuchthaus übergeben werden :
        Jenen hingegen, welche sich mißbrauchen oder schwängeren lassen unter solchen Verheissungen, soll weder ein Versprechen zu halten, weder ein Ersatz zu machen seyn.
        Und damit das H. Sacrament der Ehe mit gebührender Andacht empfangen werden, sollen alle Spilleuth, und Ausgelassenheiten so wohl bey dem Einzug in die Kirchen, als bey dem Auszug aus selber, wie auch alles Schießen, schärpfist verbotten seyn und bleiben.
        Endlich alle und jede, welche sich unterstehen, offentlich, oder heimlich, diese, oder andere Herrschaftliche Gebott, und Verbott nach ihrem Unverstand, und Ungehorsam einiger maßen zu critisieren, oder zu verläumden, sollen und werden die gebührende Straff nur ihnen selbsten zuschreiben müssen :
        Jene Burger- und Bauren-Söhn aber, welche mit Frett- und Rauffereyen bey Tag, oder bey Nacht, sich verfehlen, denen Soldaten auf gewiese Jahr übergeben werden.
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„Übersetzung“ in moderneres Deutsch:

Herrschaftliches Gericht des Reichsstiftes Ottobeuren, Vorschriften, die mit Wirkung vom 1.1.1783 zu beachten sind.

Sind bislang manchmal aus unüberlegtem und eigenmächtigem Eheversprechen nicht nur unverantwortliche Verführungen, sondern auch unversöhnliche Feindschaften zwischen engen Freunden und größte wirtschaftliche Probleme entstanden, so verlieren zukünftig all diejenigen ihre bürgerlichen Rechte und jedes herrschaftliche Vertrauen, die ohne Einwilligung von Eltern, Vormunden oder ohne Zustimmung der Obrigkeit wie folgt handeln:

Zur Strafe für seinen skandalösen Ungehorsam wird der Mann, der eine Frau verführt, sechs Jahre zum Militärdienst verpflichtet. Eine Frau jedoch, die einen Mann verführt, oder diejenigen Männer, die für den Militärdienst untauglich sind, verlieren die Hälfte ihres Vermögens oder landen einige Monate im Zuchthaus.
Jenen aber, die Unzucht treiben oder sich unter dem Eheversprechen schwängern lassen, sollen diese Versprechen weder gehalten werden müssen, noch Alimente zu zahlen sein.    
Damit das heilige Sakrament der Ehe mit gebührender Andacht empfangen werde, bleiben das Aufspielen von Musikanten und andere Ausgelassenheiten sowohl beim Einzug als auch beim Auszug aus der Kirche sowie das Schießen schärfstens verboten.
Schließlich sollen alle, die es wagen, egal ob öffentlich oder heimlich, diese oder andere herrschaftliche Ge- und Verbote aufgrund der eigenen Beschränktheit und des Ungehorsams in irgendeiner Form zu kritisieren oder zu verunglimpfen, haben die darauf folgende gebührende Strafe selbst zu verantworten.
Jene Söhne von Bürgern und Bauern, welche – egal zu welcher Tageszeit – Unruhe stiften oder sich Raufereien zu Schulden kommen lassen, werden einige Jahre zum Militärdienst verpflichtet.
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Die Verordnungen wurden vermutlich von Abt Honorat Göhl erlassen. Göhl (*1733, Amtszeit von 1767 bis zu seinem Tode 1802) war der letzte Abt bis zur Aufhebung des Klosters in der Säkularisation.

Vergleiche die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Ottobeurischen Jagd-, Forst- und Holzordnung von 1787. Auch hier taucht der Begriff „Bauding“ auf. Zusätzlich enthält der Abschnitt den Hinweis darauf, dass die Vorschriften jährlich verlesen wurden, schließlich konnten vermutlich nur wenige lesen und schreiben. Ob das Verlesen mit dem jährlich im Kaisersaal abgehaltenen „Schwörtag“ zusammenfiel, an dem die Untertanen dem Abt (erneut) ihre Treue schwören mussten, ist offen.

25tens. Wird daß in den Bauding jährlich abgelesene Verbott kein Feuer in daß Holz zutragen etc. hieher wiederholet, und solle hiermit alles Branden, Reithen, Aschenbrennen, Stocken, Streumähen und dergleichen, sowohl in klein und Laub als hohen Holz, bey willkürlicher Strafe, nach des Frevels Beschaffenheit, wiederholtenmalen abgeschaffet seyn.
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Die nachfolgende Abhandlung von Philipp Funk (1884 - 1937) aus dem Jahr 1931 gibt uns einen guten Eindruck zum Klosterleben in Ottobeuren vor der Säkularisation, vor allem von der Strenge des Abtes Honorat Göhl:

Funk, Philipp: Aus dem Leben schwäbischer Reichsstifte im Jahrhundert vor der Säkularisation, S. 145 - 162 in: Funk, Philipp (Hrsg.): Historisches Jahrbuch im Auftrage der Görres-Gesellschaft, Bd. 51, Kommissions-Verlag J.P. Bachem, Köln, 1931
Quelle: www.mgh-bibliothek.de/dokumente/z/zsn2a036617.pdf

(Beginn der Abschrift, S. 157)
Alle diese im oberdeutschen Lande verstreuten geistigen Mittelpunkte machten sich aber nicht erst durch ihre literarischen Erzeugnisse fruchtbar, sondern schon unmittelbar durch die Art, wie sie ihren Personenstand erneuerten: jedes Stift zieht frische Begabungen aus dem Volk, bildet sie aus, macht sie zu Mitbesitzern des herrlichen Hauses und seiner Bildungsschätze; das ist idealer Bildungskommunismus, von fester Überlieferung geistig geformt. Es versteht sich, daß zunächst die Schulen aller dieser Klöster das Hauptorgan der Bildungspflege war[en]. Fast in jedem Stift finden wir Singschulen und lateinische Schulen, die den begabten Knaben aus dem Stiftsgebiete und der Nachbarschaft offen standen. Statt vieler Zeugnisse greifen wir das eines dankbaren Schülers von Ottobeuren heraus, der dort einst Singschüler und dann Novize war, Ludwig Aurbachers18, der später als Volksschriftsteller und Kadettenlehrer in München auf weitere Kreise sympathisch wirkte. Ludwig Aurbacher rühmt die vorzügliche Schule, in der zu seiner Zeit 150 Studierende waren, Pensionäre aus Schwaben und der Schweiz, sogar aus Italien und Frankreich. Latein war die Unterrichtssprache und der Unterrichtsplan der übliche, der auch in den Jesuitenschulen herrschte. Als besonders gut nennt der dankbare Schüler den naturwissenschaftlichen Unterricht und er rühmt das Naturalienkabinett des schon erwähnten Ulrich Schiegg. Eine gute lateinische Klassikerbibliothek, die auch mittellateinische Schriftsteller enthielt, stand den Schülern zur Verfügung. Von den deutschen Klassikern lernte man nach Aurbachers Zeugnis nur Klopstock kennen. Die Lehrer übten gute und pädagogische Methoden. Besonders gerühmt wird Maurus Feyerabend, dem wir nach der Säkularisation eine wertvolle Geschichte des Stiftes verdanken. Der Professor der Philosophie Januarius Riggemann legte dem Unterricht das kantianisch eingestellte Lehrbuch der Logik und Metaphysik von J. Weber, dem bekannten Sailerfreund, zugrunde. Freilich ließ der monastisch strenge Abt Honorat Göhl, der ein Gegner der Aufklärung war, die Neuauflage, auch weil sie in

17 Korrespondenz des Fürstabtes Martin II. Gerbert von St. Blasien, hrsg. von der Bad. Hist. Komm., bearb. von Gg. Pfeilschifter. Bd. I 1752-1713, Karlsruhe 1931. Besonders ist zu verweisen auf die Einleitung Pfeilschifters, die die wissenschaftliche Persönlichkeit Gerberts kennzeichnet. - Siehe auch die Charakteristik Gerberts bei Zapf, S. 63 ff. Ober andere Gelehrte, wie Marquard Hergott, Rusten Heer, Moriz Ribbele: Zapf, S. 84f.
18 Ludwig Aurbacher, Jugenderinnerungen, hrsg. v. W. Kosch: Ver. Schr. der Görresges, 1914.

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deutscher Sprache verfaßt war, sofort konfiszieren. Zugleich wurde Riggemann abgesetzt. Gerade die Strenge dieses Abtes gibt den letzten Zeiten des Reichsstiftes eine besondere Note. Er betrat die Prachtzimmer der Prälatur nur dann, wenn er als Reichsprälat Audienz gab oder Gäste empfing, sonst lebte er streng monastisch mit seinem Konvent. Kein Mönch durfte in der Zelle ohne Erlaubnis des Abtes etwas hegen und pflegen, weder Blumen noch Vögel, selbst Gemälde waren verpönt. Trotzdem fühlte man sich wohl. „So lebten denn“, sagt Aurbacher, „die Mitglieder des Stiftes jahraus, jahrein in würdiger Beschäftigung, mannigfacher Unterhaltung, ohne Sorge für die Zukunft, in einer freundlichen Gegenwart. Jede Fähigkeit konnte Pflege finden.“

Besonders lebhaft wurde in Ottobeuren zum Schluß die Musik gepflegt. 40-50 Sänger führten in der prachtvollen Kirche „italienische Meisterwerke im Kontrapunkt“ auf. P. Theodor Clarer, Organist und selbst Komponist und guter Tenor, von Aurbacher als vornehmer „Weltmann“, als „gesellig“ gekennzeichnet, leitete den Gesang. Der musikalische Mönch liebte und kannte auch „seinen Kant“. „Wenn mir je das Bild einer heiteren und heuteren Künstlergesellschaft vorgekommen, so war es diese Versammlung, wo so ganz aus Liebe für die gute Sache aus Zuneigung für die leitende Person gewirkt wurde.“ Das ist der Eindruck, den Aurbacher aus dem Kloster ins Leben mitnimmt.

Die musikalischen Leistungen beschränkten sich nicht auf kirchliche Musik. In den Festräumen des Klosters, vermutlich im pompösen Kaisersaal, vielleicht auch im Refektor oder Kapitel wurden Werke, wie Haydns „Schöpfung“ und „Vier Jahreszeiten“ und eigene Kompositionen von Stiftsinsassen aufgeführt, vielfach zu Ehren fürstlicher Gäste, so 1723 für den Kurfürsten von Bayern ein Melodrama „Sol austriaco-bavarus“ mit lateinischen, französischen und italienischen Chören und großem Orchester, 1766 bei Gelegenheit der Einweihung der Kirche eine Oper „Alceste“, deren Musik P. Benedikt Kraus den Text P. Augustin Bayrhammer geliefert hatte. Jedes Jahr brachte musikalische und dramatische Aufführungen, und ein eigenes Theater wurde eingerichtet. Die Studentenschaft der Erziehungsanstalt gab die Darsteller ab, und jedes der künstlerisch gedruckten Programme verzeichnet sorgfältig Namen, Geburtsort und Klasse des Darstellers. Für die Geschichte der deutschen Dramatik und Musik steckt hier noch interessantes, völlig ungehobenes Material. Die Texte sind meist lateinisch; erst später, da die Schäferdichtung ihre Wellen nach Ottobeuren warf, werden sie im ganzen deutsch. Vorher sind manchmal die Regiebemerkungen oder die für die Gäste bestimmten Auszüge und Erklärungen in deutscher Sprache. Daß diese in schwäbischen Schulen damals noch recht ungeschliffen war, mögen folgende Beispiele erläutern. (...)
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Die hier gezeigte Urkunde hat Klosterarchivar Pater Rupert Prusinovsky zur Verfügung gestellt. Das Original ist schon relativ stark angegriffen, insbesondere von Pilzen. Das Dokument wurde digital verbessert (Scan, Repro, Bearbeitung, Helmut Scharpf, 06/2016), die pdf daneben zeigt den unbearbeiteten Scan.

Urheber

vermutlich Honorat Göhl

Quelle

Rupert Prusinovsky

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

1783-01-01

Rechte

Status nicht letztendlich geklärt; eher gemeinfrei