15.03.1938 - Karte einer Teilnehmerin an der Kundgebung Hitlers in Wien zum „Anschluss Österreichs“ an das Deutsche Reich
Titel
Beschreibung
Sowohl die Postkarte aus Wien als auch die Fotos von Salzburg und Villach sind einmalige Zeitdokumente für den sog. „Anschluss Österreichs“ an das Deutsche Reich. Ottobeuren hatte mit dem Beitritt der Gemeinde zum Österreichisch-Deutschen Volksbund am 28.12.1925 seinen (kleinen) Beitrag zur Vorbereitung geleistet. Juristisch gilt der 13. März 1938 als Datum des Anschlusses.
Die Transkription der in Deutscher Kurrentschrift geschriebenen Karte können Sie unten oder in der angehängten Gegenüberstellung lesen. Elsa Harbick war eine Teilnehmerin „von angeblich ca. 250.000 Menschen“ (Wikipedia) auf dem Heldenplatz in Wien am 15.03.1938.
Die Begeisterung von Frau Harbick kennt keine Grenzen: Adolf Hitler als der „gottbegnadete Retter“, der „den geknechteten Menschen vor dem Bolschewismus“ bewahrt. Abrufbar sind im virtuellen Museum außerdem fünf Fotos, die der Bad Wörishofer Badearzt Dr. Fritz Sieber (1894 - 1982) am Karfreitag 1938 (15. April) in Salzburg und am Ostersonntag (17.04.1938) in Villach machte.
Postkarte mit Hakenkreuz-Stempel „Der Führer in Wien“
Stempel Wien 110, 16. III. 38 13 [Uhr]
Frau
Constanze Bieregel
Bad Wörishofen Bayern.
Heuweg Nr. 5.
Absenderin: Elsa Harbick
Wien 18./ Wallrißstraße 89/5 (Gersthof, Pötzleinsdorf, bis 1999 amtlich Wallrißstr., heute Wallrissstrasse)
Meine liebe Constanze! Wien, 15.3.1938.
Ich möchte die ganze Welt umarmen; so glücklich sind wir jetzt. Unbeschreiblich ist der Siegestaumel in Wien und wir können es kaum glauben, daß wir ein Teil des großen deutschen Reiches sind. Es kam so unerwartet schnell, aber schon in höchster Not. Unblutig und diszipliniert vollzog sich in 12. Mitternachtsstunde diese historische Wandlung und steht einzig in der Weltgeschichte da. So ein großes Werk kann nur unser gottbegnadete[r] Führer Adolf Hitler vollbringen und wir sind dem Schöpfer dank-
bar, daß er uns diesen Retter gesandt hat.
Dies ist die 12. Karte, die ich heute schreibe. Wie es in Wien zugegangen ist, wirst du ja in den Zeitungen gelesen haben. Wir standen vor dem Bolschewismus und durften uns nicht rühren; umsomehr wirst du unsere Freude begreifen, wenn wir uns als freies deutsches Volk bekennen dürfen. Wie wohl das tut, kann nur der einmal schon geknechtete Mensch ermessen.
Für deine ausführlichen Briefe habe Dank. Meine Zeitung wirst du wohl erhalten haben? Es gibt ein freudiges Wiedersehen und viel des Erlebten in den letzten bewegten Tagen. Nicht umsonst haben wir die ganzen Jahre so gelitten, der Sieg ist jetzt unser und er war die Gefahr wert.
Zum Briefeschreiben bin ich noch zu viel unterwegs und so schreibe ich mit einem kräftigen Sieg Heil! Und grüße dich und Frl. Irene herzlichst. In alter Treue und Freundschaft deine Elsa s.[amt] Familie
Wegen des Stempels schreibe ich noch an Fr. Jelenot. Karl
ist Markensammler.
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Was Frau Harbick mit der Aussage, „der Sieg ist jetzt unser und er war die Gefahr wert“ meinte, lässt sich zwar nicht eindeutig herauslesen, es dürften aber die 100.000 im Untergrund aktiven österreichischen NSDAP-Mitglieder gemeint gewesen sein, die den „Anschluss“ und die unmittelbar danach beginnenden „Deportationen sowie die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung“* vorbereitet hatten. Zum 80. Jahrestag mahnte deshalb der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen, man solle jene nicht vergessen, die sich gleichzeitig aus Angst zu Haus versteckten.
* Memminger Zeitung, 12.03.2018, S. 4
Die Fotos im Einzelnen:
15.04.1938:
Nr. 34; In Salzburg am Karfreitag 1938
17.04.1938:
Nr. 45; Villach an Ostern 1938
Nr. 46; Villach am Ostersonntag 1938 (Adolf-Hitler-Platz)
Nr. 47; Villach an Ostern 1938 (Wir grüßen den Führer; Wir danken dem Führer)
Nr. 50; Vor dem Hotel in Villach Ostern 1938
(Alle Bilder wurden als Stereofotos aufgenommen.)
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Der Ankauf der Karte gelang Mitte Dezember 2017. Transkription, Bildbearbeitung und Zusammenstellung: Helmut Scharpf, 12/2017. Die Fotos stellte die Tocher von Fritz Sieber, Frau Schneiderbanger, zur Verfügung (Scans Michael Scharpf). Ein Stereobild hat Sieber ein Jahr vorher (1937) auch in Ottobeuren aufgenommen.
Am 07.03.2018 erschien auf der Internetplattform 1&1 ein Interview mit dem österreichischen Zeithistoriker Oliver Rathkolb. Nach dem Einmarsch wären in Bezug auf die Juden „alle Dämme gebrochen“, es sei „jahrhundertelang aufgestauter Hass rausgelassen worden“. Die wilden Arisierungen waren schwer wieder in den Griff zu bekommen. Die Nazis hätten sogar die Tofesstrafe angedroht, um sie zu beenden - was mehrere Wochen dauerte. Bedient hätten sich nicht nur Nazis, sondern auch Berufskollegen, Nachbarn und Freunde. Bei aller Sympathie gegen die Ausplünderung der Juden, die „Pogrom-Charakter“ annahmen: schließlich sollte das Geld der Juden in die Reichskasse wandern.
Mexiko sei das einzige Land gewesen, das formell beim Völkerbund gegen den Anschluss protestiert habe. Die Appeasement-Politik von Briten, Franzosen und Amerikanern sei „völlig verfehlt gewesen“, so Rathkolb.
Am 10.03.2018 veröffentlichte Gerhard Zeillinger in der Online-Ausgabe des Wiener Standards einen ausführlichen bebilderten Zeitzeugenbericht.
1988 wurden im Wiener Burgtheater mit Thomas Bernhards „Heldenplatz“ Anschluss und Judenfeindlichkeit thematisiert. Im Bericht zur Neufassung des Werks in den Münchner Kammerspielen im Münchner Merkur vom 6.12.2021 (S. 17, „Kultur & Leben“) hieß es zur damaligen Uraufführung: „Wieder sind viele Menschen rund um Hof- und Volksgarten zu sehen. Doch diesmal, um gegen Bernhards Abrechnung mit dem auch Jahrzehnte nach Kriegsende schwelenden Antisemitismus im Land zu demonstrieren.“
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