1870 – Statistiken zum Rentamtsbezirk Ottobeuren von Valentin Grübel
Titel
Beschreibung
Bücher zur Statistik mögen trocken erscheinen, bei genauerem Hinsehen ermöglichen sie dem Leser jedoch tiefere Einblicke in die Lebensverhältnisse der jeweiligen Zeit. Erstaunlich, dass es 1870 erst der privaten Initivative eines Würzburger Regierungsfunktionärs bedurfte, um über die bayerischen Rentämter eine Gesamtstatistik zu erstellen. Heute – mit unseren statistischen Landesämtern und dem statistischen Bundesamt – gehört die Erfassung aller möglichen Daten zum Alltagsgeschäft.
Interessant wird vor allem die Gegenüberstellung der gewonnenen Zahlen, so auch damals: Ein Vergleich der Ortspläne zeigt Ottobeuren von 1819 bis 1876 nahezu unverändert (s. Links unten). Waren 1847 im Rentamtsbezirk 3.171 Familien bzw. 16.323 Einwohner, so waren es gut 20 Jahre später 4.290 Familien mit ca. 14.000 Seelen. Das würde bedeuten, dass sich die Größe des Familien verkleinert hat. Richtig vergleichbar würde es aber erst, wenn klar wäre, dass sich der Rentamtsbezirk, der sich 1847/48 noch von Steinheim bis Unteregg, von Böhen bis Arlesried erstreckt hatte, unverändert geblieben ist. In Ottobeuren selbst – also ohne Betzisried, Guggenberg, Haitzen und Ollarzried – wohnten 1847 433 Familien bzw. 1.515 Einwohner, 1870 420 Familien und 1.489 Seelen (darunter „ca. 13 Protestanten“). Die innerörtlichen Einwohnerzahlen bedeuten einen Rückgang von knapp 3%, die Zahl der Familienmitglieder (3,55 statt vorher 3,5 Köpfe/Familie) blieb nahezu unverändert. Im gesamten Rentamtsbezirk wäre der Rückgang um etwa 15% bei den Einwohnern und der deutliche Rückgang bei den durchschnittlichen Familiengrößen um 27% (auf 3,26 Köpfe/Familie) schwer erklärlich. (Eine Unsicherheit ist freilich die Frage nach der Korrektheit der von Grübel verbreiteten Daten.)
Hier der Vergleich zur Ortsausdehnung:
Karte 1819 // Ortsplan 1876
In einer weiteren Publikation* von 1863 nennt Grübel für den Rentamtsbezirk Ottobeuren 3.217 Familien und 13.743 Einwohner.
Literaturzitat:
Grübel, J. Valentin: Statistik sämmtlicher Rentämter der dießrheinischen Kreise des Königreichs Bayern, im Selbstverlag, Würzburg, 1870, VII, 180 S.
Das Digitalisat ist hier abrufbar.
Vorbemerkung.
Nachdem das hohe königliche Staatsministerium der Finanzen inhaltlich höchster Entschließung vom 8. Januar 1870 die Herstellung einer „Rentämterstatistik“ für die dießrheinischen Kreise des Königreichs nach Maßgabe des vorgelegten Prospekts gutgeheißen und gnädigst genehmigt hat, daß die königlichen Rentämter die bezüglichen Notizen mir auf mein Ansuchen mittheilen dürfen, habe ich mich der mühsamen und kostspieligen Arbeit unterzogen.
Indem ich nun das von mir hergestellte Elaborat den titulierten Herren Subscribenten übergebe, glaube ich, – wohl bekannt nicht nur mit der Nützlichkeit, sondern auch mit der Schwierigkeit meines Unternehmens – in demselben Maße auf die Nachsicht und das Wohlwollen der Herren Abnehmer gegenwärtiger Schrift rechnen zu dürfen, als mich der Wunsch beseelt, etwas Ersprießliches geleistet zu haben.
Denjenigen königlichen Rentämtern und titulierten Herren Beamten und Bediensteten aber, welche mich in meinem Unternehmen durch die Mittheilung der erbetenen Notizen so bereitwilligst unterstützt haben, sage ich hiermit meinen wärmsten Dank.
Der Verfasser.
Das „Inhalts-Verzeichniß“ gliedert die Rentämter nach Regierungsbezirken, beginnend mit Oberbayern, Niederbayern, Oberpfalz & Regensburg, Oberfranken, Mittelfranken, Unterfranken & Aschaffenburg und zuletzt „Schwaben und Neuburg“ mit seinen 29 Rentämtern. Ottobeuren – zu der Zeit üblicherweise „Ottobeuern“ geschrieben – wird auf Seite 175 behandelt. Memmingen auf S. 169f., Mindelheim auf 170f.
Die 29 Rentämter setzten sich ähnlich wie in der im virtuellen Museum abrufbaren Statistik zu 1848 zusammen. Nicht mehr geführt werden die Rentämter Göggingen, Roggenburg und Wettenhausen, neu dafür Burgau und Weißenhorn:
Augsburg (Stadtrentamt sowie königliches Landrentamt), Buchloe, Burgau Dillingen, Donauwörth, Füssen, Günzburg, Höchstädt, Illertissen, Immenstadt, Kaufbeuren, Kempten, Lauingen, Lindau, Memmingen, Mindelheim, Monheim, Neuburg, Nördlingen, Oberdorf, Oettingen, Ottobeuern [Ottobeuren], Schwabmünchen, Türkheim, Ursberg, Weißenhorn, Wertingen und Zusmarshausen.
S. 175
23. Kgl. Rentamt Ottobeuern.
Dieser Rentamtsbezirk begreift mit einem Flächeninhalt von 5,41 Quadrat-Meilen – 95,473 Tagwerken – den Landgerichtsbezirk Ottobeuern [Ottobeuren] und 2 Gemeinden des Landgerichts Obergünzburg, zählt 33 Steuergemeinden nebst 3 ärarialischen Revieren und eine Bevölkerung von 4290 Familien mit ca. 14,000 Seelen. –
Der Bezirk ressortirt zum Bezirksamte Memmingen und grenzt an die Bezirke Babenhausen, Mindelheim, Grönenbach, Obergünzburg, Memmingen. Die Parzellirung des Grundbesitzes ist unbedeutend, größtentheils bestehen geschlossene Anwesen.
Ottobeuern, Markt an der Günz, 18 Stunden von Augsburg entfernt, zählt 420 Familien und 1489 Seelen, mit Ausnahme von ca. 13 Protestanten*, durchgehend Katholiken. – In Ottobeuern ist auch der Sitz eines Landgerichts, Notars und Forstamts, dessen Auflösung jedoch beabsichtigt ist; ferner besitzt der Markt 1 Bezirks- und 1 praktischen Arzt, 1 Apotheke, 1 Pfarrkirche und Volksschule. – Postverbindungen bestehen mit Memmingen und Günzach. – Das Klima zählt zu den milden und äußerst gesunden. –
S. 170
Das Rentamt befindet sich in den sogenannten Amtshäusern [früher für Beamte des Klosterstaats, heute privat genutzte Wohnungen, im Volksmund als „Ämtergebäude“ bezeichnet], welche jedoch ein zusammenhängendes Ganzes bilden und worin sich auch das Forstamt und Landgericht befinden, in freier schöner Lage.
Die Brutto-Einnahme des Amtes beträgt ca. 117,860 fl. [Gulden], Rent-, 82,500 fl. Forst-, 12,280 fl. Ablösungs-Gefälle, in Summa 212,640 fl.; der Umschreibgebührenanfall ca. 200 fl. – Amtsgehilfen 2 - 3.
*Vgl. die Gründung eine „evangelischen Vereins“, die in Ottobeuren erst 1919 stattfand.
Hier geht es zur Geschichte der evangelischen Landgemeinden von 1894.
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Wer weiß, was es mit dem „Umschreibgebührenanfall“ auf sich hat? Für Türkheim werden 740 Gulden, für Oberdorf [Marktoberdorf] 160 Gulden, für Mindelheim 390 und für Memmingen 138 Gulden jährlich genannt. Es könnten Gebühren sein, die bei Ein- oder Ausbürgerung anfielen, um die Fluktuation der Bevölkerung aufzuzeigen.
So ein Umzug (z.B. von der damals selbstständigen Gemeinde Betzisried) nach Ottobeuren bedeutete nicht nur den Gang ins Einwohnermeldeamt bzw. Bürgerbüro, sondern ist heute vielleicht vergleichbar mit der Einbürgerung in einen anderen Staat.
Hier die Urkunde zur „Verleihung des Heimatrechtes“ in Ottobeuren von 1897.
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Aufgrund der Nähe hier auch der Eintrag für Memmingen (Seite 169f.)
16. Kgl. Rentamt Memmingen.
Dieses Rentamt begreift die Stadt und den Landgerichtsbezirk Memmingen, die Gemeinden Grönenbach, Kronburg, Lautrach, Legau, [Maria] Steinbach und Zell vom Landgerichte Grönenbach, dann die Gemeinden Heimertingen und Niederrieden des Landgerichts Babenhausen (Bezirks-Amt Ilertissen) zusammen 22 Steuergemeinden, enthält 72,486 Tagwerk – 4 ½ Quadrat-Meilen – und zählt eine Bevölkerung von 18,550 Seelen, hierunter ca. 5800 Protestanten und 40 Israeliten. – Der Bezirk, zwischen den Flüssen Günz und Iller gelegen, grenzt an die Rentämter Ilertissen, Ottobeuern und Kempten, dann an das Königreich Württemberg. – Der Grundbesitz ist im Süden des Bezirks sehr gut arrondirt, darunter viele Einzelhöfe, dagegen im Norden und im Stadtbezirk mehr parzellirt. – Im Bezirke liegt ein ärarialisches Revier.
Memmingen, unmittelbar der Regierung untergeordnete Stadt, an der Iller und der Ulm - Kemptener Eisenbahn, in gerader Linie 18, per Eisenbahn 35 ¼ geometrische Stunden von Augsburg entfernt, mit 2070 Familien, 7109 Seelen, und zwar 1302 Katholiken, 5771 Protestanten und 36 Israeliten, ist auch der Sitz eines Bezirks-, Handels-, Stadt und Landgerichts, eines Bezirksamts [dem heutigen Landratsamt vergleichbar], 1 Baubehörde, 1 Notars, 4 Advokaten, 1 Oberzollamts, 1 Post- und Bahnverwaltung und Ausschlagstation etc., hat ferner 1 Bezirksarzt, 4 praktische Ärzte, 3 Apotheken, eine vollständige
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Lateinschule, Gewerb- und höhere Töchterschule, 2 protestantische, 1 katholische Kirche, 6 protestantische Knaben- und Mädchenschulen und 1 katholische Schule. – Das Klima ist wegen der hohen Lage und Nähe des Gebirges etwas rauh, jedoch gesund. – Das Rentamtsgebäude, mit dem königlichen Bezirksamte unter einem Dach, ist geräumig und sonnig, jedoch ohne Garten.
Mit dem Rentamte rechnet außer den Behörden am Amtssitz das königliche Landgericht und der königliche Notar in Grönenbach ab.
Die Brutto-Einnahme des Amtes entziffert ca. 115,600 fl. Rent-, 30,400 fl. Forst- und 27,600 fl. Ablösungs-Gefälle, in Summa 173,600 Gulden; der Umschreibgebühren-Anfall ca. 138 fl. – Amtsgehilfenzahl dermalen 4.
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*Josef Valentin Grübel ist bereits früher mit statistischen Publikationen in Erscheinung getreten, so z.B. mit dem „Geographisch-statistischen Hand-Lexikon über das Königreich Bayern“ Würzburg, 1863, 440 Seiten (auf S. 17 die Angabe zum Rentamtsbezirk Ottobeuren)
Digitalisat hier verlinkt.
Abschriften, Zusammenstellung: Helmut Scharpf, 12/2020