01.04.2023 – Ulrichsfest in der Basilika Ottobeuren

Titel

01.04.2023 – Ulrichsfest in der Basilika Ottobeuren

Beschreibung

Als Auftakt zum Ulrichsjahr des Bistums Augsburg gedachten Diözesanbischof Dr. Bertram Meier und Abt Johannes Schaber im Rahmen eines Festgottesdienstes in der Basilika Ottobeuren dem heiligen Bischof Ulrich und seiner besonderen Verbindung zu Ottobeuren.

Der 1. Dezember 972 war für das Reichsstift Ottobeuren ein denkwürdiger Tag: Auf Bitten von Bischof Ulrich bei Kaiser Otto I. wurde der große Freiheitsbrief in Strassburg für Ottobeuren ausgestellt. Das Reichsstift war von nun an zu keinem Kriegsdienst mehr verpflichtet. Dieses kaiserliche Privileg galt 830 Jahre lang bis zur Säkularisation 1802.

In diesem langen Zeitraum fanden viele Kriege statt, zu denen Männer aus dem Gebiet des Reichsstiftes nicht mehr eingezogen werden konnten. Wie viel Leid blieb den Einwohnern des kleinen Kirchenstaates erspart! Das verdient heute noch einen besonderen Dank an Bischof Ulrich, der durch sein großes Ansehen bei Kaiser Otto I. diese Gunst erreichen konnte. Die besondere Beziehung von Bischof Ulrich zu Ottobeuren kommt auch darin zum Ausdruck, dass er sich nach dem Tod von Abt Adalbero am 5. April 973 – somit vor 1.050 Jahren – zum 7. Abt von Ottobeuren ernennen ließ. Bischof Ulrich starb am 4. Juli 973, nur knapp drei Monate nach der Ernennung zum Abt von Ottobeuren, im Alter von 83 Jahren.

Die beim Festgottesdienst am 01.04.2023 in der Basilika Ottobeuren beteiligten Geistlichen: Abt Johannes Schaber, Bischof Dr. Bertram Meier, Domkapitular Dr. Thomas Groll, Bruno Fink („Pfarrer im Ruhestand“), Gottfried Fellner (der frühere Stadtpfarrer von Dillingen und bis Juli 2021 Wallfahrtskurat der Wieskirche) sowie Pfarrer Ulrich Müller („bischöflicher Zeremoniar“, seit 1.7.2017 Leiter des Fachbereichs Liturgie und liturgische Bildung in der Hauptabteilung VI des bischöflichen Ordinariates)

Im Anschluss an die feierliche Messe referierte der Domkaitular (und bischöfliche Beauftragte) des Bistums Augsburg, Dr. Thomas Groll, über die Bedeutung von Bischof Ulrich für die Diözese Augsburg, über das Reichsstift Ottobeuren und die Zeit des hl. Ulrich. Der Bistumshistorikersteht dem „Bischöflichen St.-Ulrich-Komitee“ vor.

Ulrichstag, 01.04.2023, Basilika, Festgottesdienst und Fachvortrag, Transkript

Abt Johannes (Begrüßung, Einführung)
In der Mitte dieser Kirche steht [heute] ein Reliquiar mit einem Knochensplitter des hl. Bischof Ulrichs von Augsburg. Das Reliquiar ist ein Geschenk von Bischof Dr. Josef Stimpfle zum 70. Geburtstag unseres [1986] verstorbenen Abtes Vitalis Maier im Jahr 1982. Seitdem haben wir diese Reliquie [s. Fotos]. Wir sind froh darüber, weil der heilige Ulrich für Ottobeuren eine große Rolle spielt. Am 5. April 973 wurde er zum Abt von Ottobeuren ernannt. Und hätte er diese verantwortungsvolle Aufgabe nicht – wenn auch nur kurz – übernommen, dann wäre die Geschichte Ottobeurens anders verlaufen, ja, vielleicht wäre sie 973 – in einer schweren Krise – auch beendet gewesen.

Darum haben wir in Ottobeuren einen großen Grund, dem hl. Ulrich zu danken. Bischof Ulrich ist ein Mann Europas. Es ist deshalb eine Freude, dass die „Stiftung europäische Kulturtage Ottobeuren“* eingeladen hat, diesen Tag gemeinsam zu begehen. Ich darf alle Mitglieder des Kulturkreises herzlich begrüßen, die Gläubigen aus den Dekanaten Memmingen und Mindelheim, alle Bürgermeister, Gemeinderäte, Pfarrgemeinderäte aus allen Gemeinden, die ehemals zum Kloster Ottobeuren gehörten. Wir – der Konvent von heute – freuen uns sehr, dass Sie an einem Samstagvormittag in so zahlreicher Menge gekommen sind.

Es ist mir eine große Freude, als 59. Nachfolger des hl. Ulrich als Abt von Ottobeuren den (ebenfalls) Nachfolger des hl. Ulrich, den heutigen Bischof von Augsburg, Bischof Bertram, willkommen zu heißen. Ich darf dich bitten, mit uns diesen Festgottesdienst zu feiern.

Bischof Bertram Meier
Lieber Abt Johannes, danke für deine – wie immer – so herzlichen Begrüßungsworte. Keine Angst, liebe Konventuale von Ottobeuren, ich bin nicht gekommen, um die Abtei zu übernehmen. Sie haben im 59. Nachfolger des hl. Ulrich als Abt eine hervorragende und auch – im guten Sinne – schwergewichtige Persönlichkeit, die dieses Kloster in der Gegenwart hervorragend auf die Zukunft ausrichtet. Und so bin ich heute als 62. Nachfolger des hl. Ulrich auf dem Stuhl des Bischofs von Augsburg zu Ihnen gekommen. Interessant ist der von Abt Johannes erwähnte Vitalis Meier, zu dem auch ich eine besondere Beziehung hatte, da er mich gefirmt hat. Er war ja überall in der Diözese unterwegs. Bischof Josef Stimpfle hat ihn als „Weihbischof mit benediktinischem Habit“ eingesetzt. Ich war in Landsberg als 11-Jähriger bei der Schulfirmung für die fünften Klassen. Wir mussten unsere Namen sagen und waren von so einem Abt fast eingeschüchtert, so dass viele ihren Namen nur sehr leise sagten. Ich hingegen habe meinen Namen laut und deutlich gesagt. Abt Vitalis sagte daraufhin durchs Mikrofon: „Endlich einer, der seinen Namen g’scheid ausspricht!“ Also Stimme hatte ich schon immer gehabt. So bin ich heute zusammen mit Dr. Thomas Groll, Mitglied des Domkapitels und Bistumshistoriker sowie Vorsitzender des „Ulrichs-Komitees“, gerne hierher gekommen. Mit dem heutigen Tag beginnen eigentlich die Feierlichkeiten zum großen „Ulrichs-Doppeljubiläum“: 1050. Jahrestag, Abt Ulrich als Bischof von Augsburg.

Schön, dass Sie gekommen sind. Es ist heute wie eine Art „Aperitiv“ für das große Menü, das im Bistum ein ganzes Jahr lang gereicht wird. Und so fangen wir jetzt an: Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes, Amen. Der Friede sei mit euch …

(Orgel – Abt Johannes singt das Kyrie eleison)

Bischof Bertram Meier (Predigt)
Lieber Abt Johannes, liebe Mitbrüder Benediktiner hier in Ottobeuren, liebe Gäste aus nah und fern. Immer wieder staune ich, wie Gott den Weg weist, wie sein Wort hineinspricht in ein Ereignis oder eine Situation. Im Johannes-Evangelium hörten wir, wie Jesus sich in eine Gegend nahe der Wüste zurückzog. Wie passend ist diese Stelle für unser heutiges Jubiläum, die Ernennung des hl. Ulrich zum siebten Abt von Ottobeuren vor 1050 Jahren. Jesu Rückzug folgte auf die Auferweckung des Lazarus. Dieses Wunder war Jesu letztes und größtes Zeichen vor der Passion. Immer wieder geht Jesus in die Einsamkeit, er sucht die Stille. Am Anfang seines öffentlichen Wirkens machte Jesus 40-tätige Exerzitien in der Wüste, mit dem vollen Programm; auch mit Versuchungen, denen er widersteht. Die Wüste, ein Ort der Selbstvergewisserung und der Gottsuche. In der Wüste spürt Jesus im Gebet zum Vater seinem Weg nach, seiner Mission. Dahinter steht die alttesamtentliche Erfahrung des Volkes Israel, das beim Auszug aus dem Sklavenhaus Ägypten durch die Wüste Gott als treu und fürsorgend erfahren darf. Als den „Gott mit uns“, den „Immanuel“. Tun wir es Jesus gleich, liebe Schwestern und Brüder: Gönnen wir uns „Wüstenzeiten“! Das ist mein Wunsch für Sie heute, einen Tag vor dem Palmsonntag.

In der Wüste Ägyptens lassen sich die Ursprünge der klösterlichen Lebensform im Verlauf des 4. Jahrhunderts festmachen. In der Einsamkeit der Wüste – griechisch „Eremos“, wovon sich dann „Eremit“ ableitet – lebten Christen allein – griechisch „monachos“ – oder in Gemeinschaft eine besondere Form der Nachfolge Christi: abgesondert von der Welt, aber nicht ohne Beziehung zur Welt. Immer wieder sind gerade die Frauen und Männer der Wüste Ratgeberinnen und Ansprechpartner, damals wie heute. Und der hl. Ulrich ist auch immer wieder zu einer Eremitin gegangen, in St. Gallen, wo er als Schüler tätig war. Er hat sich nicht so sehr mit seinen Freunden getroffen und ist dem Studentenleben nachgegangen, sondern er ist zu einer Eremitin, zu einer „Reklusin“ namens Wiborata gegangen, um sich dort beraten zu lassen. [Zitat aus gloria.tv: „Da die Ungarn ihre Überfälle in das Land erneuerten, wollte Wiborata nicht, wie man ihr geraten hatte, die Flucht ergreifen; und das kostete sie das Leben. Die Barbaren wurden, weil sie bei ihr kein Geld fanden, erbittert, und versetzten ihr mit einem Beil drei Hiebe auf den Kopf, woran sie am 2. Mai 925 starb.“]

In der weiteren Geschichte des Mönchstums wird eine Insel, ein abgelegenes Waldstück oder – wie im Falle der Benediktiner – oft ein Berg zur Wüste, zum Gottesort, denken wir etwa an Monte Cassino. Klöster bleiben – auch wenn sie von einer Klostermauer abgeschirmt sind – Teil der Gesellschaft. Weil aber in ihnen in Gemeinschaft – cummunio – und im Zusammenleben – congregatio – das Evangelium gelebt wird, bilden sie sozusagen „Andersorte“, „Gegenorte“ zur Gesellschaft und genau dadurch werden sie zu Magneten; sie entfalten prophetische Kraft.

Lieber Abt Johannes, liebe Brüder hier im Kloster: Ihr habt prophetische Kraft. Viele Ideen wurden hier in Ottobeuren geboren, euer Kloster strahlt aus bis heute, wenn auch die Zahl [der Mönche] etwas kleiner ist. „Klein, aber oho“, ist dieser Konvent. Und ich sehe – wenigstens ein paar – jüngere Gesichter, die sich langsam hineintasten in das Kloster Ottobeuren. Ja, wie die Kirchen und Kapellen in unseren Dörfern und Städten verweisen die Klöster besonders auf Gott, sie zeugen von seiner Anwesenheit in der Welt – wie wir es eben in der alttestamentlichen Lesung hörten: „Ich werde für immer unter ihnen mein Heiligtum errichten. Und bei ihnen wird meine Wohnung sein. Ich werde ihr Gott sein. Und sie werden mein Volk sein.“ So können Gäste – wie aufgeschlossene Besucher – an diesen Gegenorten feinfühlig werden und die Menschenfreundlichkeit Gottes erahnen. Für uns Gläubige sollen Klöster die Einladung sein, in der besonderen Atmosphäre des Raumes, in der Stille des Gebetes, ja, in der gemeinsamen Feier der Liturgie, Gott zu suchen und ihm zu begegnen. So richte ich eine Bitte an Sie, liebe Schwestern und Brüder: Nutzen Sie die Gelegenheiten zur Beziehungspflege zum Kloster, damit Sie hier Offenheit und die Möglichkeit der Gottesbegegnung erfahren können.

Ja, wir dürfen hier nicht stehenbleiben. Wir blasen – und das tun auch die Mönche nicht – weder zur Weltflucht noch zum Rückzug ins Fromme. Aus der stärkenden Begegnung mit Jesus Christus sind wir aufgefordert, in die Welt hineinzuwirken. Ich freue mich auch, wenn ich sehe, dass Politikerinnen und Politiker – bis hin zum ehemaligen Regierungspräsidenten [des Bezirks Bayerisch-Schwaben, Dr. Erwin Lohner] und der jetzigen Regierungspräsidentin von Bayerisch-Schwaben [seit 1.3.2023, Barbara Schretter] – hier sind. Sie geben nicht nur ein Stelldichein der Prominenz, sondern zeigen damit, dass auch der Regierungsbezirk Schwaben von solchen geistlichen Zentren wie Ottobeuren lebt. Und natürlich die ganzen Bürgermeister, die ich hier sehe, und andere wichtige Repräsentanten: Schön, dass Sie sich den heutigen Samstag die Zeit genommen haben. Und wie ich es schon den Ministranten gesagt habe: Wenn man einen Samstag als ersten Ferientag dazu nützt, so früh aufzustehen, um in die Messe zu kommen, Gratulation, Kompliment!

Ja, einer, der dieses Charisma, das Zeugnis der Solidarität und des Teilens gelebt hat, ist der hl. Ulrich. Schauen wir ganz nach vorne zum Hochaltar, wo er überlebensgroß dasteht. Am Hochaltar, links neben den beiden Apostelfürsten Petrus und Paulus sowie dem hl. Konrad von Konstanz. Es ist ein ehrenvoller Platz für den hl. Ulrich. Und damit kommt zum Ausdruck: Die Benediktinermönche waren sich immer der Wohltaten bewusst, die der damalige Bischof von Augsburg zu seinen Lebzeiten diesem Kloster erwies. Seit seiner Ausbildung in St. Gallen war die Benediktsregel sein Lebensmotto. Beispielhaft erwähnt sei, dass auf seine Vermittlung hin, die Gebeine des hl. Märtyrers Theodor aus dem Chorherrenstift Bischofszell nach Ottobeuren kamen. Seither wird Theodor als zweiter Patron des Klosters verehrt. Und als hier [seitdem?] der Prior Theodor als zweiter Mann im Kloster war – Theodor ist auch ein Programm – wissen wir das. Ulrich wusste um die Bedeutung kraftvoller Fürsprecher. Weitreichend und folgenschwer war das außerordentliche Privileg, das Ulrich beim damaligen Kaiser Otto I. [912 - 973] erreichen konnte. Demnach waren die Untertanen des Reichsstiftes Ottobeuren von allen Hofdiensten und Kriegslasten befreit. Und diese Privileg – man höre und staune – galt bis zur Säkularisation 1803.

An seinem Lebensabend 973 übernahm Ulrich die Aufgabe als Abt von Ottobeuren, nachdem sein Neffe Adalbero [Abt von 941 - 972] zwar über das wirtschaftliche Einkommen des Klosters verfügte, die geistliche Leitung der Klostergemeinschaft aber nicht in seinen Händen lag, sondern bei einem Mitglied des Konvents. Gegen diese Fehlentwicklung des sogenannten „Kommendatar-Abtes“ [Zitat Mittelalter-Lexikon: „Kommendatar-Äbte waren solche, die ohne Wahrnehmung von Amtspflichten über die Einkünfte eines Klosters verfügten; häufig zweckentfremdeten sie diese in einem Umfang, dass ihrem Kloster kaum Mittel für dessen eigentliche Pflichten – Armenspeisung, Pilgerbeherbergung, Krankenpflege usf. – blieben.“] wollte Ulrich durch seine Ernennung vorgehen. Als er Station in Amendingen machte, traf er mit den Ottobeurer Mönchen zusammen. Auf seinen Vorschlag hin wählten sie aus ihren Reihen den Mönch Rudung einstimmig zum neuen Abt [Abt von 973 bis 1000]. Die Wahl bedurfte jedoch noch der Zustimmung des Königs. Auf dem Sterbebett am 4. Juli 973 erhielt Ulrich die Nachricht, dass die Angelegenheit nun glücklich geregelt worden sei. So berichtet es uns seine – zeitgenössische – Biografie [die „Vita Uodalrici“].

Der hl. Ulrich war ein großer Gönner der Abtei Ottobeuren in krisenhafter Zeit. Ulrich erkannte die Zeichen der Zeit: Als Bischof sorgte er für eine ordentliche Ausbildung der Priester. Und baute damals von den eingefallenen Ungarn zerstörte Kirchen wieder auf. Mit dem Pferd oder dem Ochsenkarren unternahm Ulrich beschwerliche Pastoralreisen; keine Strapaze war ihm zu groß. Ulrich visitierte Pfarreien und verkündete kraftvoll das Evangelium. Er hat nicht etwas heruntergelesen, er war da mit Leib und Seele. Er spendete die Sakramente und ließ den Leuten Trost und praktische Hilfe zukommen. Ulrich war nicht nur Seelsorger, sondern auch „Leibsorger“. Er verband Verkündigung, Liturgie und Caritas. Auf Ulrich dürfen wir Stolz sein. Es ist der Blick in die Vergangenheit, der uns das Verständnis für die Gegenwart aufschließt und den Weg in die Zukunft zeigt. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts spricht man aufgrund sinkender Zahlen in Europa und Nordamerika von einer Krise des Ordenslebens. Die Orden erscheinen wie „Seismographen für die jetzige allgemeine kirchliche Großwetterlage“.

Leider ist es zu einer üblen Gewohnheit geworden, bei Kirche immer nur an Krise und Kritik zu denken. Drehen wir das ganze mal um: Krisen sind auch Chancen zur Weiterentwicklung. Und darüber wird innerkatholisch gerade viel debattiert. Mein Wunsch an uns: Vermeiden wir Extrempositionen! Es kann weder um eine „Restauratio“ – Wiederherstellung nach altem Gewand – gehen noch um eine die Grundpfeiler umstürzende „Reformatio“, eine Neugestaltung, eine Reformation wie vor 500 Jahren. Es braucht vielmehr eine „Renovatio“ – Renovierung, Erneuerung –, eine im besten Sinne „neue Gestalt für die Kirche“, die ihre Wurzeln und ihre geschichtliche Ausgestaltung achtet. Heute sagen wir dazu fast als Zauberwort „Synodalität“. Das heißt nicht, Erneuerung in holzschnittartigen Formen zu suchen, Lösungen mit einem Hokus, Pokus, womöglich verbunden mit einem lauten Knall und viel öffentlichem Rauch, mit Grabenkämpfen. Synodal unterwegs sein heißt: gemeinsam auf Gott hören und Respekt aufeinander, um Schritt um Schritt voranzugehen. „Gemeinsam gehen“ – das wisst ihr, liebe Benediktiner, mindestens so gut wie ich – ist, denke ich, anstrengend. Es braucht Zeit und gutes Training. Vielleicht wirkt dafür ein so großes Kloster positiv, denn bei den vielen Gängen kann man sich dabei auch mal aus dem Weg gehen. Auf engstem Raum – das wissen die Familien – ist das viel schwieriger. Aber ich wünsche uns heute Aufmerksamkeit für den Heiligen Geist, ebenso wie das Gespür für die theologischen Zusammenhänge und schließlich auch Achtsamkeit, damit möglichst alle mitkommen.

Sie merken: Mich treibt die Sorge um die Einheit des Volkes Gottes. Und als Bischof sehe ich meine Aufgabe wesentlich als Dienst an der Einheit. Im Bistum Augsburg, aber auch in der Weltkirche. Eine gute Gelegenheit, als synodale Kirche im Bistum unterwegs zu sein, bietet unser bevorstehendes Ulrichs-Jubiläum, das unter dem Motto steht: „Mit dem Ohr des Herzens hören“. Daher die herzliche Einladung, die vielfältigen Angebote, die Domkapitular Dr. Groll mit seinem kleinen Team koordiniert, wahrzunehmen und die Gelegenheit zu nützen, in die Hörschule des Lebens und des Glaubens zu gehen. Auch alle Pfarreien sind eingeladen, mitzumachen.

Liebe Benediktiner von Ottobeuren: An diesem heiligen Ort ist der Anbruch des Reiches Gottes bis heute spürbar und so bin ich für Ihre Christusnachfolge dankbar. Sie gründet nicht auf den Mitgliedszahlen Ihres Konventes, sondern in der Ernsthaftigkeit und inneren Freude über Ihr Zeugnis. Liebe Pfarrangehörige, liebe Freunde und Förderer der Abtei: Unterstützen Sie bitte das segensreiche Wirken Ihrer Mönche weiterhin nach Kräften. Und empfehlen sie es der Obhut des hl. Ulrich, Ihres ehemaligen Abtes. So braucht es uns um das Kloster Ottobeuren nicht Bang zu sein. Der gleichnamige Titel des Tagungsbandes zur 1250. Jahrfeier [2014] brachte es hoffnungsvoll zum Ausdruck. Dort heißt es: „Mit Gott in eine gute Zukunft übersetzen.“ Ich wünsche euch viel Freude an der Übersetzungsarbeit. Und dann setzen wir über ans andere Ufer, wo der Herr sicher auf uns wartet. Amen. (47.27)

Abt Johannes Schaber
Nach der hl. Messe ist jetzt angedacht, dass Domkapitular Dr. Groll und ich noch ca. eine halbe Stunde auf Bischof Ulrich, auf Ottobeuren, auf Leben und Wirken des hl. Bischofs Ulrich überhaupt zurückschauen. Historienfeiern, Gedächtnisse sind da, damit man an wichtige Ereignisse in der Geschichte eines Ortes, unserer Abtei erinnert. Und deswegen wird von Zeit zu Zeit – in längeren Abständen von 25, 50, 100 oder mehr Jahren – eine Erinnerungsfeier gehalten. 2014 durften wir auf 1250 Jahre Abtei Ottobeuren zurückschauen, die als Kloster in Deutschland am längsten ununterbrochen besteht. Da können wir nichts dafür. Aber erstens sind wir nicht nur Stolz darauf, sondern auch dankbar. Denn als wir das Jubiläum 2014 gefeiert haben, stand ich mit dem Kloster Lorsch (bei Worms) und dem Kloster Ellwangen in gutem Kontakt. Beide wurden – wie wir – im Jahr 764 als Benediktinerabtei gegründet. Das berühmte Kaiserkloster Lorsch ist – nach einer ganz großen Blütezeit – schon im 12. Jahrhundert untergegangen, 1460 hat auch das Kloster Ellwangen aufgehört zu existieren. Darum werden Sie verstehen, dass wir in Ottobeuren heute dankbar sind, dass es uns eben noch gibt. Und da spielen solche historischen Ereignisse eine wichtige Rolle. Dass sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Menschen dafür eingesetzt haben, dass es hier gut weitergehen kann. Zu denen gehört der hl. Bischof Ulrich.

Er wurde am 5. April 973 zum Abt ernannt, schon drei Monate später ist er verstorben. In St. Lorenz in Kempten war er über 20 Jahre lang Abt. Die Krisenzeit in Kempten hat wesentlich länger gedauert als bei uns. Entscheidend ist, dass Bischof Ulrich in dieser wichtigen Zeit die Weichen gestellt, die Dinge neu geordnet hat, damit es gut weitergehen konnte. Die Ottobeurer waren sich der Verdienste des hl. Ulrich immer bewusst, darum steht er hier in der barocken Basilika. Links neben dem Hochaltar als überlebensgroße Figur, mit seinem Kennzeichen, dem Fisch. Rechts vom Hochaltar der hl. Bischof Konrad von Konstanz, ein langjähriger und enger Freund. Ulrich hat Konrad 923 zum Bischof geweiht, beide haben zusammen viel bewirkt – auch für Ottobeuren. Z.B. dass wir hier im Jahr 960 – also nur fünf Jahre nach der Schlacht auf dem Lechfeld – einen zweiten Patron bekommen haben als man von Bischofszell her – das war der Sommersitz der Konstanzer Bischöfe – Reliquien des hl. Theodor (vielleicht auch der Theodul – das liegt alles im Dunkeln) nach Ottobeuren überführt hat und wir seitdem den heiligen Alexander (seit Gründung) und den heiligen Theodor (seit 960) als Patrone haben.

Als ich im Magdeburger Dom war, wo Kaiser Otto I. begraben liegt, stellte sich mir erstmals die Frage, warum der hl. nach Ottobeuren verbracht wurde. Auch wenn wir die Vermutung historisch nicht beweisen können: Zum Dank für den Sieg auf dem Lechfeld ließ Kaiser Otto den Dom bauen, da er durch den Sieg auf dem Lechfeld in seiner Autorität als Kaiser bestätigt wurde. Die Schlacht war nicht nur für unser Land wichtig, sondern für Kaiser Otto auch persönlich – als Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Er brachte Reliquien des hl. Mauritius von der Thebäischen Legion nach Magdeburg. Es entstanden in der Zeit viele Patrozinien des hl. Mauritius (Patron ganz Deutschlands), es waren einfach keine anderen Reliquien mehr verfügbar. Die des Theodor, engster Mitstreiter des Mauritius in der Thebäischen Legion, waren vorher schon aus St. Maurice d'Agaune, wo die Legion lagerte und umkam, nach Bischofszell verbracht worden.

Viel wichtiger war dann das Jahr 972 als Bischof Ulrich zusammen mit Bischof Konrad für Ottobeuren die Reichsunmittelbarkeit – die „Exemtion“ – erwirkt haben. Von Karl dem Großen und vielen nach ihm wurden Klöster gegründet, Familienklöster, damit dort für die verstorbenen adeligen Familienmitglieder gebetet wurde. Man hat Grund gestiftet, ein Kloster gebaut, Höfe dazugestiftet. Viele Dörfer wurden dadurch erstmals urkundlich erwähnt, als sie als Schenkung an Ottobeuren gingen. Damit hat man gewirtschaftet. Wer bekommt nun die Einnahmen? Natürlich brauchte man Geld für den klösterlichen Unterhalt. Es war freilich auch eine Investition der adeligen Familien. Damit man die Hand darauf hat, waren zwei Positionen wichtig: die des Abtes und die des Vogtes. Abt Toto, der erste Abt von Ottobeuren – angeblich 50 Jahre im Amt – war der Sohn der Stifter Silach und Erminswint. Man hatte selbst auf die Einkünfte des Klosters die Hand drauf. Die Frage, wer der Abt des Klosters sei, war deshalb immer eine spannungsgeladene: Ist es ein Titel, der mit einer entsprechenden Pfründe versehen ist, oder ist er der geistliche Vater eines Konvents – wie es die Regel des hl. Benedikt vorsieht? Wegen dieses Richtungsstreits war die Exemption wichtig für die Abtwahl; dass ein Abt aus den eigenen Reihen oder einem anderen Kloster gewählt werden konnte, der auch im Konvent gelebt hat. Ottobeuren war ein „Reichskloster“, deshalb konnte Bischof Ulrich vom Kaiser zum Abt ernannt worden. Er hat es aber so geregelt, dass die Ottobeurer Mönche ihren Abt aus den eigenen Reihen heraus seitdem frei wählen durften.
Kurz vor seinem Tod ist es in Amendingen passiert, dass der Konvent den achten Abt – also den unmittelbaren Nachfolger von Abt Ulrich – aus den eigenen Reihen gewählt hat. Sie werden verstehen: Die Geschichte Ottobeurens wäre anders verlaufen. Der hl. Ulrich greift 972/73 in einer krisenhaften Situation ein, ordnet die Verhältnisse, legt neue – jahrhundertelang gültige – Grundlagen. Es heißt zwar immer, wir seien von den Kriegsabgaben und Lasten befreit gewesen. Man braucht nur die Chronik von Pater Maurus Feyerabend lesen [Link zur Abschrift von Band 1 von 1813], denn weiß man, wie oft man darüber hinweg gegangen ist und hohe Summen gefordert hat. Rupert Ness war raffiniert genug, immer gleich eine höhere Summe zu bezahlen, in der Hoffnung, dass nicht noch höhere Forderungen gestellt werden. Das Geld hat dann freilich beim Bau gefehlt, wodurch es immer wieder zu Bauunterbrechungen kam. Auch die Ottobeurer mussten immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen mitfinanzieren. In schwieriger Zeit garantierte Ulrich die weitere Existenz des Klosters Ottobeuren.

Es gab seit dem 8. Jahrhundert nicht viele Benediktiner-Klöster (Füssen, Kempten, Benediktbeuren, Wessobrunn), zu einer Gründungswelle kam es dann erst wieder im 11. Jahrhundert und später. Ottobeuren sollte erhalten werden, allerdings nicht als Familienkloster einschl. des Profits durch wirtschaftliche Pfründe, sondern als selbständige Abtei. Wir sehen im 12. Jahrhundert, welche Früchte daraus erwachsen sind. Der hl. Ulrich spielt auch als Patron des Bistums Augsburg eine wichtige Rolle. Wir wissen alle, dass er für Ottobeuren kein „richtiger Abt“ war, aber er steht an siebter Stelle in der Äbte-Liste. Möge er nicht nur auf das Bistum schauen, auch auf unser Kloster. Wenn es Krisen gibt – und davon gab es in der Vergangenheit genug – hoffen wir darauf, dass wir sie mit Gottes Hilfe und der Fürsprache des hl. Ulrich immer wieder gut meistern. Ich danke Ihnen für Ihr Kommen und freue mich auf den anschließenden Vortrag zum Leben des hl. Ulrich von Domkapitular und Bistumshistoriker Dr. Groll.

Dr. Thomas Groll.
Es hieß, ich möge in knapp 20 Minuten etwas zum Leben Bischof Ulrichs sagen. Sie verstehen sicherlich, dass man als Bistumshistoriker darüber auch stundenlang sprechen könnte. Ich versuche die Uhr genau im Blick zu behalten.

Aufgrund der zeitgenössischen Lebensbeschreibung seines Begleiters, des Dompropstes Gerhard, der diese nur 20 Jahre nach Ulrichs Tod [† 4. Juli 973] 993 verfasst hat, wissen wir über ihn relativ gut Bescheid. Sie ist uns in mehreren Handschriften überliefert. Wir sind sehr nahe bei Ulrich, weil Gerhard vieles selbst miterlebt hat. Wir wissen nicht immer, was er gedacht hat, aber: Es werden auch Dinge überliefert, auf die er aufbrausend reagiert hat. Damit wird deutlich: Es ist nicht nur eine Heiligenlegende, sondern es kommt dem Leben doch sehr nahe. Die Zeit der Weihe zum Bischof am 28. Dezember 923 im Alter von 33 Jahren gibt uns den indirekten Hinweis auf sein Geburtsjahr um 890. Wo er geboren wurde, ist schon etwas schwieriger. Als gebürtiger Augsburger behaupte ich natürlich immer, er sei in Augsburg geboren, in Wittislingen ist er aufgewachsen, dort könnte er auch geboren sein. Sind Dillinger oder Sulmetinger unter uns? Das wären auch Möglichkeiten; nur Ottobeuren ist nie diskutiert worden.

Im Alter von 10 Jahren kam er zur Ausbildung zu den Benediktinern nach St. Gallen. Geschult im benediktinischen Geist, hat er sein Leben und Arbeiten zeitlebens danach ausgerichtet und sich einen sehr einfachen Lebensstil erhalten. Wo genau er zum Bischof geweiht wurde, weiß man wiederum nicht. Wahrscheinlich in Mainz, dem damaligen Metropolitan-Sitz; aber zumindest das Datum am 28.12.923 – dem „Fest der unschuldigen Kinder“ – ist fest überliefert, so dass wir heuer das 1100. Weihe-Jubiläum begehen können.

Ulrich war ein sehr schwächlicher Knabe, der Überlieferung nach wäre er als Kind beinahe gestorben. Erst als man seine Eltern darauf hinwies, man möge ihn der Milch entwöhnen, entwickelte sich der Knabe kräftig. Man erkannte von Anfang an, dass er ein sehr kluger Kopf sei, man wollte ihn in St. Gallen deshalb gar nicht mehr gehen lassen. Nach einer kleinen Tätigkeit als Kämmerer des Bischofs Adalbero – Finanzdirektor würde man heute sagen –, war er dann Verwalter der elterlichen Besitzungen und Güter. Zum Bischof wurde er von den örtlichen Machthabern und vom König ernannt. Formal war es aber noch eine Wahl durch Klerus und Volk, wie das vorgesehen war.

Bischof Ulrich muss eine imposante Person gewesen sein, es sind liturgische Kleider überliefert, sowohl im Dom als auch in St. Ulrich & Afra (in Augsburg), die Seidenkasel im Dom hat eine Länge von 1,65 m. Weil oben praktisch noch der Kopf dazu kommt, können wir daraus schließen, dass er mind. 1,80 oder sogar gar 1,90 m groß war. Wenn man weiß, dass die Menschen damals durchschnittlich nur 1,50 m groß waren, hat er sie um Längen überragt. Das machte sein Äußerliches aus; vielmehr noch sein Auftreten: Seine Predigten, sein Zugehen auf die Menschen, seine Zugewandtheit hat ihn zu einem ganz bedeutenden Bischof seiner Zeit gemacht.
Die Bischöfe hatten nicht nur die Aufgabe, die Diözese zu leiten, sie mussten auch im weltlichen Bereich Dienst tun. Die Bischöfe waren zu der Zeit im Hochstift gleichzeitig die weltlichen Herren. Das weltliche Herrschaftsgebiet zog sich um Augsburg herum bis in der Nähe von Dillingen, bis nach Füssen und über die Berge bis nach Tirol und Vorarlberg. Dort war Bischof Ulrich als Landesherr sogar im Reichsdienst tätig, also in der Unterstützung des Königs – und späteren Kaisers Otto – in der Verwaltung des Reiches; bei Reichstagen, bei Versammlungen, Unterschriften zu leisten, zu vermitteln, diplomatisch tätig zu sein. Aber eben auch in der Heeresfolge. Als die Ungarn in dieser Zeit immer wieder in unser Land eingefallen sind, geplündert und gemordet haben, viel Gut mitgenommen haben, hat er als Bischof die Stadt Augsburg zunächst wieder aufbauen lassen, darunter die – damals außerhalb der Stadtmauern gelegene – Kirche St. Afra und ließ eine Stadtmauer aus Stein errichten.

[Darstellung] Diese Darstellung ist vom Dombrunnen in Augsburg: Auf dem Pferd sitzend, mit dem Kreuz in der Hand, verteidigt er die Stadt gewissermaßen. Auch wenn das nicht ganz für einen Bischof passte, aber er stand mit Rüstung und Pferd auf der Stadtmauer und verteidigte die Stadt gegen die immer wieder anstürmenden Ungarn. Die Rolle der Bischöfe wird im „Bamberger Sakramentar“ besonders anschaulich: auf der einen Seite Ulrich von Augsburg als „Prototyp eines Reichsbischofs“, auf der anderen Seite Emmeram von Regensburg – dort wo später das Kloster und das Sakramentar entstanden ist –, sie stützen die Arme des deutschen Königs [Heinrich II.], dem Christus selbst die Krone aufsetzt, Engel reichen ihm die hl. Lanze und das hl. Schwert. Die Reichsbischöfe haben eben diese unterstützende Funktion, angelehnt vielleicht bei Mose, dem Aaron und Hur die Arme gestützt haben [vgl. 2. Mose 17].

Großer Vorteil: Die Bischöfe waren ja im Zölibat und hatten keine Kinder. Damit war die bei den Fürsten geltende automatische Erbfolge nicht gegeben. Die Bischöfe waren damit die immer noch treueren Unterstützer der Reichsverwaltung. Es gab keinen eigentlichen Sitz der Reichsregierung, der König war immer nur mit dem Pferd unterwegs. Dort, wo er mit seinem Hofstaat gerade war, kamen die örtlichen Größen – unter ihnen auch die Bischöfe – hinzu und haben ihn in Rechtsprechung, Beurkundung und Verwaltung unterstützt.

Im Zuge der Einfälle der Ungarn kommt es zur „Schlacht auf dem Lechfeld“. Schon am 8. August hatten sie Augsburg bestürmt, Ulrich hat die Verteidigung geleitet, hat die Menschen gesegnet und am 10. August, als König Otto I. mit den Truppen heranrückt, kommt es zur großen „Schlacht auf dem Lechfeld“. Der Überlieferung nach – aber das ist wohl Legende – hat Ulrich das Sieg-zwingende Kreuz „Crux victorialis“ direkt von den Engeln im Himmel überreicht bekommen. Das erinnert natürlich an die Schlacht an der Milvischen Brücke von Kaiser Konstantin 312, wo die Schlacht eben auch im Zeichen des Kreuzes gewonnen wurde.
Wenn man das „Ulrichs-Kreuz“ – das Reliquien-Kreuz –, das in St. Ulrich & Afra aufbewahrt wird, öffnet, kommt im Innersten ein ganz einfaches kleines Holzkreuz zum Vorschein. Macht man die Reliquien-Monstranz oben auf, kann man das kleine Holzkreuz herausnehmen. Auf der Vorderseite befinden sich Edelsteine, auf der hinteren Seite ist die Schlacht auf dem Lechfeld eingraviert. Das kann man dann noch einmal öffnen, es kommt das kleine Kreuz heraus, das wir als Wallfahrtsandenken („Ulrichs-Kreuz“) gut kennen, mit Christus am Kreuz als Lebensbaum, an der Seite mit Johannes und Maria. Und auch diese Schatulle lässt sich noch einmal öffnen. Als Kaplan bei einer Führung in St. Ulrich und Afra durfte ich das früher noch selbst tun; heute ist das nurmehr Fachleuten mit Handschuhen erlaubt. Zum Vorschein kommt ein ganz einfaches Holzkreuz, ein bisschen größer als vier Zentimeter. Es soll vom Kreuz Christi stammen bzw. steht damit zumindest als „Berührungsreliquie“ [Reliquie zweiter Klasse] in Verbindung. Bischof Ulrich soll es bei einer seiner drei oder vier Romreisen vom Papst überreicht bekommen haben. Er trug es in gefasster Form als Brustkreuz. Es ist ein schönes Zeichen, dass es dieses Kreuz im Jubiläumsjahr in gleicher Größe, gefertigt aus Olivenholz aus dem heiligen Land, aus Bethlehem, geben wird.

Die Schlacht auf dem Lechfeld, die ja nicht im Mittelpunkt unserer Überlegungen steht, kann man nicht genau verorten. Der erste direkte Fund wurde – wo man es nicht erwarten hätte – 2011 bei Todtenweis gefunden, es handelt sich um die Reste eines ungarischen Pferdegeschirrs. Versilbert und vergoldet, also offensichtlich von einem der Anführer stammend. Niemand hätte die Schlacht auf dem Lechfeld bei Todtenweis – also nördlich von Augsburg – vermutet. Den wirklichen Ort kann man nicht so recht finden. Das eigentliche Lechfeld vermutet man dort, wo heute Königsbrunn ist, wo im 19. Jahrhundert die Kirche St. Ulrich erbaut wurde. Nur: Der Lech war nördlich der Alpen einer der reißensten Flüsse und hat sein Flussbett immer wieder verlagert, so dass man den genauen Ort nicht genau finden können wird. Wo dann auch viele Pfeilspitzen und Rüstungsreste wären – das wurde wohl alles weggespült.
Auch spannend: Manche behaupten ja, es wäre im Bereich von Neusäß gewesen. Besonders Forscher, die dort wohnen! Ein Forscher, der aus Friedberg kommt, sagt Kissing / Mering. Offensichtlich spielt hier ein wenig Lokalpatriotismus die Rolle. Entscheidende ist: Die Schlacht fand am 10. August – dem Laurentius-Tag – statt. Die Ungarn wurden vernichtend geschlagen und zogen sich in kleinen Gruppen zurück. Sie wurden verfolgt, an den beiden folgenden Tagen gab es kleinere Gemetzel. Manche Ungarn haben sich dabei vielleicht geflüchtet, so kann es sein, dass es einer der Anführer bis Todtenweis geschafft hat oder gar nur sein verletztes Pferd.

In Königsbrunn gibt es ein wunderbares Diorama [im „Infopavillon 955“]. Die Ansicht des Augsburger Doms zeigt – als Rekonstruktion der Zeit – schon zwei Türme; wir wissen zwischenzeitlich, dass selbst der Nachfolger-Bau 200 Jahre lang nur einen Turm hatte. Es ist also viel spekulativ. Aber wir sehen die Stadtmauer aus Stein und die Verteidigung, in weiteren Dioramen, dass ein Ausfall der Stadt zunächst eine Entlastung gebracht hat. Bis dann König Otto I. mit seinen Truppen heranrückte und die Ungarn in die Flucht schlug, zum Teil vernichtete. Vorteil: Es war ein heißer Tag. Das Sommergewitter, das viel Regen brachte, machte die Bogen der Ungarn unbrauchbar. Bei einer Rekonstruktion stellten wir fest, dass man mit nassen Bögen nicht mehr richtig schießen kann. Die anschwellenden Flüsse Lech und Wertach verhinderten die Flucht der Ungarn, deren Soldaten von den reißenden Fluten mitgerissen wurden.

Wichtig ist: Bischof Ulrich war für die Schlacht auf dem Lechfeld nicht entscheidend; das Entscheidendere ist, dass er vorher für Frieden gesorgt hatte. Der große Friedensstifter von „Tussa“ (Illertissen) im Jahr davor – 954 –, inzwischen dargestellt auf einem Illertisser Brunnen. König Otto I. und sein leiblicher Sohn, der Schwabenherzog Liudolf, standen sich bereits in Kampfformation gegenüber. Keiner glaubte mehr, die Schlacht könne verhindert werden, da hat Bischof Ulrich zusammen mit Bischof Konrad von Konstanz den Frieden vermittelt. Das ist auch für Europa ein wichtiges Zeichen: für den Frieden einzutreten. Und wenn es die Situation verlangt, weil es nicht mehr anders geht – wie wir es in der Ukraine erlebt haben – muss man die Waffe in die Hand nehmen, um den Frieden auf diese Weise zu verteidigen. Die Lehre der Kirche war lange Zeit die des „gerechten Krieges“ zur Verteidigung. Gerecht kann eigentlich nur der Friede sein. Aber: Mit dem Überfall Putins ist dies alles nochmal neu zu denken. Auch hier kann uns Ulrich Vorbild sein: Für den Frieden mit aller Macht eintreten. Wenn es gar nicht mehr anders geht, muss man denn doch zur Waffe greifen.

Ulrich ist nicht nur als Reichsfürst, sondern auch als Bischof durch seine Diözese gezogen, hat gepredigt, gefirmt, er hat sich – wie in seiner Vita überliefert – im benediktinischen Geist eindrücklich an der Bibel orientiert. Auf dem Pferd als gewandter Reiter, in jüngeren Jahren mit dem Ochsenkarren – hier als Illustration in dem neuen Comic. Der lateinische Text ist eindeutig: Es war ein zweirädriger Karren mit einer durch Ketten an den Wangen befestigten Sitzbank mit zwei Plätzen, damit man die Psalmen im Wechsel beten konnte. Es war ihm kein Weg zu weit, er ist sogar auf entlegene Almen gestiegen, um dort Kapellen und Kirchen zu weihen. Ulrich war ein wirklicher Hirte seines Bistums. Als Reiter ritt es durch Flüsse, deshalb sein „Flüsse-Patronat“, es werden ihm auch viele Quellen zugesprochen. Weil man das so schlecht darstellen kann, wurde der Fisch zu seinem Attribut.

Nach einer späteren Legende saß er an einem Donnerstagabend mit Bischof Konrad zusammen. Es wurde spät, da kam ein Bote des Herzogs vorbei. Bischof Ulrich denkt noch, er tut diesem etwas Gutes und gibt ihm als Proviant ein Stück Fleisch mit – ohne zu merken, dass es schon Freitag geworden war, einem Tag, an dem man natürlich kein Fleisch isst. Der Bote war ein übler Denunziant des Herzogs, der sich dachte: Endlich habe ich diesen Bischof einmal erwischt. Der Bote bringt beim Herzog seine Anschuldigung vor, die beiden Bischöfe würden das Fastengebot nicht einhalten. Der Herzog glaubt dies dem Boten freilich nicht. Zum Beweis möchte er das Stück Fleisch zeigen, zieht es hervor, wobei es sich jedoch in einen Fisch verwandelt. Der Bote ist dadurch auf das Übelste blamiert.

Sehr wichtig auch die Sorge Ulrichs um die Armen und Bedrängten. Es wird überliefert, dass überall, wo er unterwegs war, neben seinem Hofstaat und seinen Soldaten, eine Schar von 100 Armen mitzog, weil diese wussten, sie werden vom Bischof versorgt. Er setzte sich im Festsaal erst dann zum Essen hin, wenn er wusste, dass auch die hungernden Menschen draußen versorgt sind. In der Fastenzeit – und insbesondere am Gründonnerstag – hat er Armen die Füße gewaschen, hat sie beschenkt. Und er hat in Augsburg ein Armenspital gestiftet.

Nach fast 50-jähriger Amtszeit verstarb er 973. Hier eine wunderbare Darstellung wie ihn seine Seele gerade verließ. Er hat sich – wie Franz von Assisi – auf den Boden legen lassen, auf ein mit Weihwasser besprengtes Kreuz aus Asche und verstarb. Bischof Wolfgang von Regensburg, einer seiner Schüler und engen Freunde, kam auf dem Rückweg von einem Reichstag in Augsburg vorbei und bestattet Ulrich in der Basilika St. Ulrich & Afra. Zunächst hat er sich einfach nur in der Kirche in einem einfachen Erdgrab, abgedeckt mit einer Holzplatte, bestatten lassen. Als die Kirche 1187 eingestürzt war und man das Grab wiederfand, packte man ihn in einen Kupfer-Sarkophag (mit einer Gravur), später wurde er dann in diesen Rokoko-Schrein umgebettet, wie wir ihn kennen, verwahrt in dem Marmor-Grabmal in der Krypta.
Als man ihn aus dem Erdgrab nahm, zeigte er keinerlei Anzeichen von Verwesung, es gab kein Ungeziefer, nichts war angefressen. Deshalb gilt er – und vor allem die Erde aus seinem Grab – als Schutzpatron gegen Mäusefraß und Ratten. So hat man diese „Ulrichs-Erde“ in Säckchen von der Größe einer Haselnuss eingepackt und den Wallfahrern mitgegeben. In Scheunen gehängt, half die Erde gegen Mäusefraß. Die Ulrichskreuze halfen als Wallfahrtsandenken und Berührungs-Reliquien gegen Fieber und andere Krankheiten und Gebrechen. Das Grab war schon bald nach seinem Tod mit den Krücken der Geheilten übersät.

Auch ein wunderbarer Brauch, die sog. „Ulrichs-Minne“: ähnlich dem Johannis-Wein, gesegneter Wein. 1187 fand man bei der Öffnung des Ulrichs-Grabes die Cuppa des „Ulrichs-Kelches“. Der Kelch bekam erst später einen Fuß und findet heute als Messkelch Verwendung. In dieser Cuppa – und genauso in diesen Holzschalen (drei Schalen ineinander gestellt mit einem gemeinsamen Deckel) – hat Bischof schon zu seinen Lebzeiten Wein ausgeschenkt. Man hat sich immer wieder die Minne – die Liebe [„freundliches Gedenken“] – zugetrunken.

Eine Idee, die Bischof Bertram für das Jubiläumsjahr auf den Weg gebracht hat: Ulrichs-Minne, die uns an die liebevolle Zuneigung dieses großen Heiligen erinnert. In früheren Zeiten ohne Krankenversicherung und gute ärztliche Versorgung hat man diesem Ulrichs-Wein heilende Wirkung gegen Fieber und allerlei Krankheiten zugesprochen. Und so ist uns der heilige Ulrich Vorbild und kann in dem uns vorliegenden Jubiläumsjahr in verschiedenen Bereichen in dieser Weise neue Kraft geben, aus dem Glauben heraus ermutigen. Der Einsatz für Arme und Notleidende, für die Geflüchteten – nicht nur aus der Ukraine –, der soziale Einsatz, schließlich der europäische Gedanke, das Eintreten für den Frieden – solange es irgend möglich ist –, falls es notwendig ist, dieses Eintreten hier aber auch mit Waffen zu tun. So danke ich (nun) für Ihre Aufmerksamkeit!(2:01:21)

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* Die Kuratoriumsmitglieder der „Stiftung Europäische Kulturtage Ottobeuren“ sind:
Markus Ferber (Kuratoriumsvorsitzender und MdEP), Dr. Bertram Meier (Augsburger Diözesanbischof), Abt Johannes Schaber OSB (Abtei Ottobeuren), Reinald Scheule, Josef Miller (Staatsminister a.D.), Bertold Foerstl (Sparkassenvorstand a.D.), Peter Kraus (Leiter Touristikamt Ottobeuren), German Fries (Bürgermeister Ottobeuren), Ulrich Hagemeier (Redaktionsleitung Allgäuer Zeitung) und Daniel Scharpf (Kämmerer der Marktgemeinde Ottobeuren)


Fotos, Recherche und Transkription: Helmut Scharpf (04/2023)

Urheber

verschiedene, Fotos: Helmut Scharpf

Quelle

Helmut Scharpf, Dr. Thomas Groll

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

2023-04-01