12/1897 – Ottobeuren im „Geographisch-historischen Handbuch von Bayern“

Titel

12/1897 – Ottobeuren im „Geographisch-historischen Handbuch von Bayern“

Beschreibung

Im Band 2 des „Geographisch-historischen Handbuchs von Bayern“ erfahren wir, wie sich Ottobeuren sowie der – weitaus größer gefasste – Amtgerichtsbezirk Ottobeuren kurz vor der Wende zum 20. Jahrhunderte darstellte. Dem zweiseitigen Artikel ist ein Holzstich vorangestellt, der zwar im Original nur in schwarz-weiß abgedruckt ist, hier aber gekonnt nachkoloriert wurde.

Die Abschrift des Artikels:
S. 1079
(...)

II. Amtsgericht Ottobeuren

29779 ha; 15041 Bewohner in 31 Gemeinden mit 150 Ortschaften.
(Abbildung)

Ottobeuren, Markt an der Günz in 665 m Seehöhe, kommt durch die mächtigen Gebäude seines Benediktinerklosters und dessen große Abteikirche nach den umgebenden Höhen hin wirksam zur Geltung. Entsprechend dem geräumigen Hausbau der meisten schwäbischen Gegenden reihen sich namentlich an der o-w Hauptstraße behäbige Häuser mit breiter Giebelfront aneinander, wie hier das Rathaus mit seinen Hallen und seinen beiden Giebeln als ein stattlicher Bau des Marktfleckens erscheint. w[Westlich] von demselben geht es steil zu der Terrasse hinan, auf welcher die zweitürmige gewaltige Kirche im Barockstil sich erhebt. Das Innere des 90 m langen und in seinem Querschiffe 60 m breiten Baues ist durch bedeutende Verwendung der Plastik in großen Figuren und Verzierungen, durch seine Gemälde und anderes wirkungsvolles Verwenden der Farbe, seine große Orgel, auch seine geschnitzten Chorstühle ausgezeichnet und erinnert an Niederaltaich (1. Bd. S. 520). Die Klostergebäude, in großer Ausdehnung sich anschließend, besitzen sowohl durch einzelne reichere Säle, als durch ihr Museum und ihre Bibliothek eine bevorzugte Ausstattung. Jenseits der herrlichen Allee vor der Kirche steht etwas höher an dem geneigten Hang das frühere Schloß, die heutigen Räume des Amtsgerichts.
Im gewerblichen Leben des Ortes findet man u.a.

S. 1080 Schwaben und Neuburg. B.-A. Memmingen
[Bezirksamt Memmingen, entspricht einem heutigen Landratsamt; Ottobeuren gehörte bis 1972 dem Landkreis Memmingen an.]

3 Brauereien, 2 Getreide- und Sägmühlen, 1 Lohmühle und 3 Gerbereien. O.1) hat [Zeichen für Post und Telegraphenamt], königliches Amtsgericht, Notariat, Rent- und Forstamt, Messungsbehörde, Aufschl.-Einn., Gend.-Stat. [Gendarmerie-Station = Polizei], Distriktssparkasse, katholische Pfarrei u. Dekanat, Benediktiner-Priorat, Fililale der Franziskanerinnen und barmh. Schwestern, 2 katholische Volksschulen, 3 Jahr- und Viehmärkte, Schranne. 1903 Einwohne (22 protestantisch) in 2 Orten. –
Ottobeuren war ehemals eine reichsunmittelbare Abtei des Benediktinerordens, welche ein Edler, namens Silach, alamannischen Stammes, wahrscheinlich Gaugraf des Illergaues und durch seine Gemahlin Erminswinda Schwager des Kaisers Karl des Großen, mit seiner Gattin und seinen Söhnen Gaucipert oder Gospert (Bischof), Toto (Cleriker) und Dagobert (Laie) „auf eigenem Grund und Boden“ am Ausgange des 8. Jahrhs. stiftete. Zum 1. Abte des für 12 Cleriker adeligen Geschlechts bestimmten Klosters Uotinburra wurde der genannte Toto ernannt, welchem Karl der Große 805 alle bisherigen Dotationen bestätigte; er starb 815. Als Totos Nachfolger erscheinen bis 972 die Bischöfe von Augsburg, namentlich der hl. Ulrich, nach dessen Tod Radung zum ersten Abt gewählt wurde. Fast gleichzeitig verlieh Kaiser Otto I. dem Stifte das Recht der freien Abtswahl und andere Freiheiten, namentlich von allen Reichs- und Kriegslasten, gegen Überlassung des Zehents im Illergau, zu Amendingen und Trunkelsberg an den Herzog von Schwaben und Lieferung zweier guter, gleichfarbiger Jagdhunde an den kaiserlichen Hof zu Ulm oder Augsburg. An diesen Rechten, namentlich der Freiheit vom Heerbann, hatten auch die Klosterunterthanen teil. Schon 1083 heißt der Ort ein „Markt“, wenn er auch erst von Kaiser Friedrich III. i. J. 1488 zwei Jahrmärkte und von Ferdinand I. i. J. 1557 ein Marktgericht erhielt. Alle Kaiser bestätigten und mehrten die Freiheiten des Klosters, das bereits unter Abt Rupert I. (1102 - 45) Nichtadelige aufnahm. Abt Konrad II. (1296 - 1313) legte sich mit kaiserlicher Bewilligung den Fürstentitel bei, der sich aber später wieder verlor. Abt Leonhard Widemann von Schretzheim bei Dillingen errichtete 1543 unter Mitwirkung der Abteien Kempten, Ochsenhausen, Zwifalten, Weingarten, Elchingen, Irsee und Donauwörth eine Akademie, welche jedoch wegen fortwährender Kriegsunruhen 1545 nach Elchingen, 1546 nach Dillingen verlegt wurde. Im Jahre 1634 wurde das Stift von den Schweden besetzt und ein volles Jahr unter die Verwaltung des schwedischen Kanzlers Melonius gestellt, 1646 von den Franzosen geplündert. Abt Rupert II. legte 1711 den Grund zu Neubau der Klostergebäude, welchen er 1731 vollendete; dagegen musste er die Vollendung des von ihm begonnenen Kirchenbaues (1740 - 67) seinem Nachfolger, Anselm II., überlassen. Infolge des Lüneviller Friedens kam das Reichsstift samt Gebiet – dasselbe umfasste 1 Markt, 14 Dörfer, eine größere Anzahl kleiner Dörfer und Höfe mit 9 – 10000 Unterthanen und ertrug ein Jahreseinkommen von ca. 130000 fl. – am 1. Dezbr. 1802 an Bayern. Nun wurde das Kloster – in welchem damals der Physiker Ulrich Schiegg und die Historiker Maurus Feyerabend und Augustin Bayrhammer wirkten – aufgehoben, die bisherigen Kloster- zur Pfarrkirche bestimmt und die bisherige Marktpfarrkirche in ein Schulhaus umgewandelt. Am 20. Dez. 1834 errichtet König Ludwig I. daselbst ein der Abtei St. Stephan in Augsburg unterstelltes Benediktiner-Priorat, welchem die Pastorierung der Pfarrei und die Leitung der k. Kreiserziehungs- und Beschäftigungs-Anstalt für verwahrloste Knaben zusteht. In O. ist am 17. Mai 1821 der Regenerator des Naturheilverfahrens, Seb. Kneipp, Pfarrer in Wörishofen und päpstl. Geheimkämmerer, geboren, † 17. Juni 1897 zu Wörishofen.

Arlesried , pr. Pfdf. mit Volksschule. 202 Einw. in 2 Orten. A. gehörte ursprünglich den Herren von Schellenberg, von welchen der Ort 1291 an das Hochstift Augsburg, dann an das Spital in Memmingen kam.
Attenhausen, k. Pfdf. mit Volksschule und 457 Einw., gehörte zum Gebiete des Reichsstiftes Ottobeuren.
Betzisried, Df. 439 Einw. in 8 Orten.
Böhen, k. Pfdf. [Pfarrdorf] mit Volksschule. 748 Einw. in 23 Orten. B. gehörte seit 1152 zum Stifte ...
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1) Monum. Boica XXXI, p.1 – Feyerabend, Jahrbücher von O. – Raiser v., Wappen ? 104. – Kal. f. Kath. 1850. – IV. Jahresbericht d. hist. Vereins für Schwaben S. 67. – Lexikon von Schwaben II, 356. – Hohn. – Schwaben, 83. – Schöppner, Sagenbuch II, 492. – Kramer, Schwaben II, 173. – Braun, Diöcese Augsburg I, 105. II, 60, 234.

Literaturzitat:
Amtsgericht Ottobeuren, Seite 1079 - 80, in: Götz, Wilhelm: Geographisch-historisches Handbuch von Bayern. Band2: Ober-, Mittel- und Unterfranken. Rheinpfalz. Schwaben und Neuburg, G. Franz'scher Verlag, München, 1898, 1158 S. und 39 S. Register
(Vorwort vom „Königlichen Professor Dr. Wilhelm Götz“, vom Dezember 1897. Götz war Geograph, er lebte von 1844 - 1911)
Das Digitalisat des Gesamtbandes ist bei Google Bücher abrufbar.

Abschrift, Scan, Nachbearbeitung und Zusammenstellung: Helmut Scharpf, 11/2023

Urheber

Wilhelm Götz

Quelle

Helmut Scharpf

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

1897-12-12

Rechte

gemeinfrei