06.07.2024 - Vortrag „Kneipp im 21. Jahrhundert“ von Dr. Regina Webersberger

Titel

06.07.2024 - Vortrag „Kneipp im 21. Jahrhundert“ von Dr. Regina Webersberger

Beschreibung

In Ottobeuren ist die Kneippkur schon gut 20 Jahre lang passé, Ottobeurens berühmtester Sohn wirkt gleichwohl weiterhin nach. Dies stellte die österreichische Kneippärztin Dr. Regina Webersberger in ihrem knapp einstündigen Vortrag in der geschichtsträchtigen Wandelbahn in der Bad Wörishofer Promenadenstraße unter Beweis. Geschichtsträchtig ist der Ort schon allein deshalb, weil Sebastian Kneipp hier vom 10.09.1890 bis 01.04.1897 vor seinen Kurgästen sprach. Zum Nachlesen für die ca. 70 Besucher der Veranstaltung sowie für alle, die nicht teilnehmen konnten, wurde der frei gesprochene Vortrag vom virtuellen Museum transkribiert und mit dem ein oder anderen Link versehen. Es war sehr spannend zu erfahren, welch neue Erkenntnisse sich zur Wirkung der Kneippanwendungen immer wieder gewonnen werden. Frau Dr. Webersberger erklärte anschaulich, welch segensreiche Wirkung selbst kleine Kältereize entwickeln, wenn man den Körper entsprechend konditioniert und eine – den Bedürfnissen der Patienten entsprechende – individuelle Anwendung vorsieht. Einer der vielen Erfolgsfaktoren von Sebastian Kneipp, während Vorgänger wie Vincenz Prießnitz pauschal noch Ross- bzw. Gewaltkuren verordneten.
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Vortrag „Kneipp im 21. Jahrhundert“ am 06.07.2024 (15 Uhr)

Referentin: die österreichische Kneippärztin Dr. Regina Webersberger
Ort: die Wandelhalle in der Promenadenstraße in Bad Wörishofen

Grußwort: Bürgermeister Stefan Welzel

Bgm. Stefan Welzel:

Geehrte Damen und Herren, liebe Kneipp-Freundinnen und Kneipp-Freunde, es ist mir eine ganz besondere Ehre, an dem heutigen Samstagnachmittag Sie alle hier in der historischen Wandelhalle begrüßen zu dürfen. Und es hat einen gewissen Grund, warum wir heute hier sind: Da ist meine liebe Stadtratskollegin – die Paola Rauscher – nicht ganz unschuldig. Paola ist – ich habe es Helmut Scharpf gerade erzählt – anlässlich einer Outdoor-Stadtratssitzung, als wir „Pandemie und Co“ hatten, hier auch vereidigt worden. Und die Paola hat natürlich Kneipp auch mit im Blut und hat auch die Frau Dr. Regina Webersberger kennengelernt, die wir ja auch als Kneippianer gut kennen. Begrüßen Sie mit mir zusammen Frau Dr. Regina Webersberger. [Applaus]

Es freut mich, Frau Webersberger, dass wir hier ganz viele Kneipp-interessierte Kneipp-Expertinnen und Experten mit dabei haben, Stadtratskolleginnen und Kollegen. Und wir alle sind natürlich total gespannt, das Thema „Kneipp im 21. Jahrhundert“ von Ihnen zu hören. Wer die eine oder andere Kneipp-Verfilmung kennt, der kennt die Frau Dr. Webersberger von dort auch oder wer vielleicht auch schon das große Kneippbuch von Doktor Hans Gasperl gelesen hat: Da ist sie auch ebenfalls mit Co-Autorin, also ebenfalls ein Buch, was ich Ihnen wärmstens ans Herz legen darf. Deswegen freut mich ganz besonders, Sie heute – gut beschirmt, also da kann das Wetter uns jetzt nicht viel anhaben – an dieser historischen besonderen Stelle begrüßen zu dürfen. Und als kleines Gastgeschenk – jetzt nicht von Ihnen geschrieben, aber auch von einem Autor hier bei uns aus der Region, vom Harald Klofat, – natürlich mit einer guten Tasse – Kneipp-Tasse – mit dazu möchte ich Ihnen überreichen. Wir freuen uns jetzt auf eine gute Stunde geballte Kneipp-Informationen und „herzlich willkommen Frau Dr. Webersberger“!

Referentin Dr. Regina Webersberger:

Vielen Dank und ja, ich freue mich auch sehr, dass ich hier sein darf. Und ich darf mich jetzt an den Platz stellen, wo der Pfarrer Kneipp selbst gesprochen hat. Das ist wirklich für mich ganz was Besonderes. Und ich möchte diesen Vortrag auch dem Herrn [Gerd] Krakowitzer [*1941, 08.10.2023] widmen, weil ich es ihm zu verdanken habe, dass ich heute da sein kann. Er hat mit seinem Willen und mit seiner Durchsetzungskraft das auch geschafft. Dass es jetzt wirklich wahr geworden ist, und das bedeutet mir sehr viel. Ich bin sehr froh drüber, ja. [Applaus]

Jetzt war für mich natürlich schon die Frage: Ich komme nach Bad Wörishofen und soll Ihnen über Kneipp erzählen. Also da stellen sich einem die Haare auf, weil ich mir denke, ja also „Kneipp in Bad Wörishofen“, das ist ja wie Eulen nach Athen tragen und manche werden sich vielleicht auch denken: „Ja, um Gottes Willen, da kommt da eine Dame aus Österreich daher und will uns Kneippianern was erzählen!“

Naja. Ja, ich darf vielleicht ein bisschen etwas zu meiner Geschichte sagen: Ja, ich bin in Wien geboren und in Wien aufgewachsen. Ich bin Ärztin für Allgemeinmedizin. Und ich habe natürlich in meinem Studium eigentlich gar nichts gehört von Kneipp. Meine Mutter hatte die beiden Kneippbücher „Die Wasserkur“ und „So sollt ihr leben“, aber die sind schön im Regal gestanden und die habe ich natürlich nie angeschaut.

Aber ja, wie es das Schicksal so will: Ich bin zufällig – wirklich zufällig – in Oberösterreich als Ärztin in ein Kneipp-Haus gekommen und habe dort Kneipp kennen- und lieben gelernt und habe mich eben seit über 15 Jahren damit beschäftigt und da bin ich draufgekommen, ja also Kneipp ist ganz toll und Kneipp ist auch etwas ganz ganz Wichtiges und aus diesem Hintergrund möchte ich heute zu Ihnen sprechen.

Sie kennen die fünf Säulen, Sie kennen das Leben von Kneipp, also darüber will ich sicher nicht sprechen, aber ich habe mir gedacht: Ja, der Pfarrer Kneipp, wie würde er das heute sehen oder wie sehe ich das? Ich habe nämlich das Gefühl, der Pfarrer Kneipp wäre heute auch ein absoluter Wissenschaftler und ein ganz genauer Beobachter – was er ja auch war – und er hatte nur damals eben im 19. Jahrhundert sicher nicht die Gelegenheit, die Dinge so genau zu verstehen. Und heute haben wir das. Er hat beobachtet, er hat beschrieben und er hat eben den Menschen die Anleitungen gegeben, und das hat sehr viel bewirkt. Das hat vielen Leuten geholfen, viele Leute gesund gemacht, aber er hat eigentlich nicht die Chance gehabt, genau zu wissen, warum, weil einfach das medizinische Wissen noch nicht so weit war. Es waren Hormone noch völlig unbekannt. Es war auch das Nervensystem weitestgehend unerforscht. Ich kann mich auch noch erinnern, sogar wie ich studiert habe – in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts – da stand noch bei vielen Gebieten vom Gehirn „die Funktion ist eigentlich unbekannt“. Also man muss sich vorstellen: So viele Jahre davor hat der Pfarrer Kneipp beobachtet und gesehen und daraus geschlossen – ohne die Chance zu haben, zu verstehen.

Aber wenn er heute leben würde, dann würde er das sicher verstehen und dann würde er genau dem auf den Grund gehen, und das tolle ist eben, wenn man das macht, dann kann man auch wirklich herausfinden, dass das funktioniert und dass eben die Anleitungen vom Pfarrer Kneipp Hand und Fuß haben und dass das die Wissenschaft heute beweisen kann.

Wie Sie alle wissen, in der Corona-Pandemie, ja, da waren die Studien immer gefragt, alles musste mit Studien bewiesen werden. Und so ist es leider heutzutage überhaupt: Wenn wir Behandlungen machen, dann brauchen wir Studien und die haben wir halt gerade über Kneipp leider sehr wenige. Aber wir haben ein paar und auf die werde ich mich heute stützen bzw. werde ich Ihnen darüber erzählen. Und ja, ich fange mal an, vor allem mit dem kalten Wasser. Kaltes Wasser: Das ist das, was die meisten wissen, auch bei uns, wenn ich bei mir im Kurhaus arbeite und ich fange meinen Vortrag an und ich sage zu den Leuten: Naja, was verbinden Sie mit Kneipp? Oja, kaltes Wasser! Und das kennen Sie vielleicht auch, das Sprichwort, das ist auch in Österreich sehr bekannt. Na ja, was verbinden wir auch sonst mit dem Pfarrer Kneipp? Naja, der war „alt und kalt“. Und das ist auch etwas, was Menschen nicht unbedingt begeistert. Nein, und ich möchte Ihnen erzählen, was da auch so besonderes dran ist, weil es stimmt, das Kalte ist das Besondere am Kneippen, das Kalte hat Menschen ja immer schon – ich sage mal „in seinem Bann gezogen“, auch in Österreich und das ist auch mein Ausgangspunkt.

Hier bei uns war zwar nicht der Pfarrer Kneipp, aber in Österreich war auch die Kaltwassertherapie schon ganz lange sehr bekannt, schon vor dem Pfarrer Kneipp, im 18. Jahrhundert, gab es in Österreich Ärzte, die die Kaltwasserkur verordnet haben. Da gab es einen berühmten Herrn Pascal Joseph von Ferro, der schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Donau hat ein Floß installieren lassen, um dort Menschen die Kaltwasserkur angedeihen zu lassen. Der ist auch berühmt geworden. In Wien gibt es heute noch immer eine Ferrogasse, die auf ihn zurückgeht.

Auch später dann – ungefähr zu Zeiten von Pfarrer Kneipp – gab es Ärzte, die solche Kuren verordnet haben. Und eben ganz berühmt bei uns war der Vincenz Prießnitz. Der Vincenz Prießnitz war ein schlesischer Bauer, der sich bei der Arbeit die Rippen gebrochen hat und sich dann mit kalten Umschlägen geheilt hat. Das ist der „Prießnitz-Umschlag“ von dem vielleicht manche schon gehört haben. Das ist ein kalter Umschlag, den er sich um die Rippen gebunden und sich so geheilt hat. Vincenz Prießnitz ist 1799 geboren, also etwas vor dem Pfarrer Kneipp und der hat schon damals auch in Österreich große Bekanntheit erlangt. Aber – und das muss man sagen – der Vincenz Prießnitz war ein sehr einfacher Mann. Er konnte kaum lesen und schreiben und er war auch ein Bauer. Er war – sagen wir mal – eher „von der heftigen Sorte“ mit seiner Behandlung. Er war kalt und noch mal kalt und nur kalt und für alle kalt. Seine Therapien waren: Ab in die kalte Badewanne und hineinsitzen und drin bleiben und wenn Ihnen kalt ist, dann kriegen Sie eine Bürste. Dann können Sie sich bürschteln und dann wird Ihnen warm. Naja.

Und er hat auch – dort wo gelebt hat, das ist mittlerweile in Tschechien und den Ort gibt es auch noch – er hat ein Kurhaus gegründet. Er ist wirklich sehr berühmt geworden. Er hat dort von dem Berg runter eben die Bäche, die geflossen sind, eingefasst in so Rinnen und da konnte man sich dann drunter stellen und sich kalt abduschen – unter anderem auch über den Kopf. Das war auch so eine Therapie von ihm: drei Minuten eiskaltes Wasser auf den Kopf. Wer möchte das probieren? Ich nicht! Also, was ich damit sagen will: Seine Behandlungen waren sehr heftig, sehr, sehr heftig, und – wie wir heute wissen – nicht für alle geeignet. Sein Kurhaus gibt es immer noch, aber dort werden heute auch nicht mehr diese Therapien gemacht, sondern „normale Therapien“. Wir österreichischen Kneippärzte haben dieses Kurhaus einmal besucht und einen Kurarzt kennengelernt, und der hat uns gesagt: „Naja, heutzutage kann man das nicht mehr so machen.“ Das würde ich auch sagen! Ja, also, das war die Kaltwassertherapie in Österreich, und die hat sich auch verbreitet. Da gab es viele Kaltwasser-Kuranstalten, in Kaltenleutgeben bei Wien, auch in St. Radegund bei Graz – und da wurden auch viele Kurgäste betreut.

Aber eben der Haken war: Es war immer kalt. Es war viel kalt, es war sehr heftig. Und meine Meinung ist: Wahrscheinlich hat es sich aus diesem Grund auch nicht bewährt, weil eben – wie wir wissen und wie auch der Pfarrer Kneipp entdeckt hat: Das ist nicht für jedermann geeignet. Das war die große Kunst von Sebastian Kneipp, weil – Sie wissen das alle – angefangen hat er ja selber auch so: Eisbaden in der Donau. Aber der Punkt ist und das ist das, wo ich ihn sehr bewundere, er ist draufgekommen, dass eben Menschen unterschiedlich sind und dass jeder ein bisschen was anderes braucht und dass es auch Menschen gibt – mit Erkrankungen –, die sehr vorsichtig vorgehen müssen. Und er hat dann seine Therapien angepasst und angeglichen. Und das war aus meiner Sicht genial, weil das war ein wahrer Menschenfreund, der von sich aus bereit war, seine Therapie zu ändern und auf die Menschen zuzugehen und nicht so wie der Vincenz Prießnitz seine Theorie durchzuziehen und zu sagen: „Nein, jeder muss in die kalte Badewanne, wurscht!“ Und das ist „die wahre Kunst der personalisierten Medizin“ aus meiner Sicht und deswegen glaube ich hat sich eben auch die Lehre vom Vincenz Prießnitz in Österreich nicht halten können, obwohl großartigerweise – und das ist auch etwas was kaum Bekanntes – das dazu geführt hat, dass in Wien im Jahre 1899 der erste universitäre Lehrstuhl für Hydrotherapie gegründet wurde.

Damals gab es einen Herrn Professor Wilhelm Winternitz und der war Professor für Hydrotherapie. und er hat geforscht zu diesem Thema – schon unglaublich. Also das ist sehr lange her und die haben schon mit den damaligen Methoden versucht, das wissenschaftlich zu ergründen. Das war bahnbrechend. Leider – natürlich – heutzutage gibt es das lange nicht mehr, das ist abgeschafft worden.

Wie gesagt, also meine Theorie ist, dass leider eben dieses Festhalten an dem „immer kalt nur kalt für alle“, das war eben nicht passend und das Besondere für mich war eben, dass der Pfarrer Kneipp es möglich gemacht hat, auch das Warme einzubeziehen und Sie kennen wahrscheinlich die Stelle, wo auch gesagt hat eben: „Warme Bäder, nein, also das geht gar nicht. Warme Bäder sind nicht gut, nur für kranke Menschen.“ In manchen Fällen schon und sie geben die Möglichkeit, dass man dann auch kranken Menschen den Kaltreiz zugänglich macht. Das heißt: warm beginnen, gut vorwärmen und dann das Kalte nachher und so kann man das mehr oder weniger allen Menschen zugänglich machen. Absolut genial und so mache ich das heute auch. So verwende ich das im Kneipp-Kurhaus.

Wo arbeite ich? Ja, ich arbeite in einem Kneipp-Kurhaus und das ist auch eine besondere Geschichte. Das Kneipp-Kurhaus gehört den Marienschwestern vom Karmel, das ist ein oberösterreichischer Frauenorden. Und warum gibt es das dort? Ja, weil auch eine Marienschwester vom Karmel persönlich beim Pfarrer Kneipp geheilt worden ist. Und sie hat das im 19. Jahrhundert nach Oberösterreich mitgenommen. Der Frauenorden hat daraufhin das Gelübde abgelegt, die Kneipp’sche Therapie zu pflegen und weiterzutragen – auch in Oberösterreich. Und das passiert bis zum heutigen Tag und dort habe ich eben auch die Möglichkeit, Kneipp-Therapien, Kneippkuren zu verschreiben, Kneipp-Therapien anzuwenden. Und auch das hoffentlich ein bisschen weiterzugeben, damit es nicht verloren geht, weil aus meiner Sicht ist das wirklich absolut genial.

Ja, im 21. Jahrhundert – wie gesagt – bemühen wir uns, Vorgänge genau zu verstehen, wissenschaftlich zu erklären und deswegen habe ich mich auch aufgemacht, da ein bisschen nachzuforschen. Ja, was ist es jetzt eigentlich? Was ist so besonders an dem Kaltreiz? Wieso hat er so eine tolle Wirkung? Die Sie vielleicht eh schon alle ausprobiert haben. Was spielt sich da genau ab? Was macht der Körper? Und das hat mich wirklich in Begeisterung versetzt, weil, wenn ich das meinen Kollegen erzählen, dann kriege ich auch oft so ein bisschen skeptische Blicke, die sagen: „Ja, kalt waschen, naja, das haben ja die Leut’ immer gemacht. Ich meine, das war ja das normale früher. Früher hat es gar kein warmes Wasser gegeben und wenn man sich kalt wäscht, naja, ich meine, das soll eine Behandlung sein?“
Tja. Ja, aber was steckt dahinter? Nein, da steckt wirklich viel dahinter und zwar: Der Kaltreiz ist für unseren Körper tatsächlich eine kleine Bedrohung. Warum? Unser Körper hat eine wunderbare, ganz ganz vielfältige chemische Zusammensetzung, die eben auch eine optimale Temperatur braucht.

Das wissen Sie alle: Der Mensch ist ein Warmblüter und Warmblüter haben eben die Eigenschaft, dass sie ihre eigene Wärme erzeugen können. Warum? Weil die ganz komplizierten inneren Vorgänge eben eine bestimmte Temperatur brauchen, weil unser Gehirn, unsere Nerven, unsere Verdauung, alles braucht eine optimale Temperatur. Das ist eigentlich Chemie und das ist auch so ein bisschen wie beim Kochen. Sie wissen: Kochen braucht auch eine optimale Temperatur, wenn ich nicht genug aufdreh’, dann wird es nicht fertig. Wenn ich zu viel aufdrehe, dann verbrennt’s. Also, das ist die Kunst des Kochens: genau die richtige Temperatur, genau die richtige Zeit. Dann ist es perfekt. Dann schmeckt's gut, und das haben die alten Ärzte auch so gesehen. Die haben auch die Vorstellung gehabt, wenn wir essen, da muss der Körper – damit er sich aufbauen kann aus der Nahrung – auch das sozusagen „innerlich kochen“. Da gab es die „Kochung“, hat das geheißen. Damit wir uns aufbauen können, und die braucht eben die richtige Temperatur und dem liegt auch zugrunde, dass tatsächlich das körperliche Temperatur-Regulationssystem unglaublich genau funktioniert. Unglaublich! Es gibt kein Tier, kein Lebewesen auf diesem ganzen Planeten Erde, das seine Temperatur innerlich so genau einstellen kann. Das habe ich mal gelesen. Das ist in diesen Vergleichen oft drinnen. Welches Tier kann was am besten? Das werden Sie auch kennen, nicht? Die Ameisen können ihr Körpergewicht um ein Vielfaches tragen – das können wir nicht. Der Gepard kann so schnell laufen oder wie auch immer. Und der Mensch kann eigentlich nichts Besonderes, außer Temperatur regulieren. Das kann ein Mensch am besten von allen und damit arbeiten wir beim Kneipp, weil jeder kleine Kaltreiz, jeder kleine Kaltreiz – und wirklich jeder kleine – setzt Ausgleichsvorgänge in Gang. Weil der Körper über sein autonomes Nervensystem das registriert und sofort ausgleichen muss, weil jeder kleine Kaltreiz stört.

Und deswegen hat der Pfarrer Kneipp das auch erkannt, dass man keine Schocktherapien anwenden muss. Man muss nicht Eisbaden, sondern es geht auch mit den kleinen Reizen. Auch die kleinen Reize setzen diese Gegenregulation in Gang und um zu wissen, dass das funktioniert, haben wir die Wiedererwärmung. Deswegen ist Kneipp eigentlich eine Wärmetherapie eine „innere Wärmetherapie“, weil Sie wissen alle: Kneipp funktioniert dann, wenn ich mich wieder erwärme.

Das will ich eigentlich haben. Es geht nicht darum: Wer geht am meisten Runden im Kneippbecken? Das habe ich auch immer wieder. Ich habe immer wieder Patienten, die zu mir kommen und sagen: „Ich weiß nicht, was ich machen soll; die anderen gehen alle fünf Runden im Kneippbecken und ich schaffe aber nur drei. Was soll ich machen?“ Nix! Das passt, weil die Wärmeausgleichskapazität eben unterschiedlich ist. Jeder Mensch kann anders ausgleichen und das ist genial an Kneipp. Wenn ich Menschen habe, die vielleicht wirklich gesundheitliche Probleme haben – gröbere gesundheitliche Probleme –, da muss ich sehr vorsichtig sein, ganz geringe Reize anwenden, eine kalte Waschung und das passt und das hat der Pfarrer Kneipp auch geschrieben. Für das hohe und höchste Alter: Kalte Waschung kann ich machen, weil das ist leicht auszugleichen. Zu wissen, ob es passt, hängt davon ab, dass man sich wieder erwärmt. Dann weiß ich, dann setze ich diese positiven Vorgänge in Gang und dann habe ich den guten Effekt, weil wenn sich eben das Gebiet, wo ich die kalte Anwendung gemacht habe wieder erwärmt, dann habe ich dort mehr Blut mehr Sauerstoff. Dann bringe ich dort den Stoffwechsel in Gang und das ist das, was heilt. Das ist das, was uns hilft. Ich kenne keine Methode in der Medizin, die das kann. Aber das ist etwas, was eben Menschen selber tun müssen. Das kann ihnen niemand abnehmen. Aber so ein bisschen kalt, das geht schon und das ist ja auch das, was der Pfarrer Kneipp gesagt hat, wunderbar: klein anfangen und langsam weiter tun. Und das betrifft ja nicht nur meine Patienten, sondern das betrifft ja auch mich, und ich kann das auch sagen. Über die Zeit ist es erstaunlich, was man da erreichen kann – was der Pfarrer Kneipp über die Jahre auch erreicht hat –, weil man setzt eben nicht nur einen Reiz, der dann ausgeglichen wird, sondern man trainiert dieses System, das diese Sachen steuert, man trainiert sein Nervensystem, sein Steuerungssystem.

Und unser Gehirn – das wissen wir auch noch nicht so lange – ist ein System, das an den Herausforderungen wächst und lernt. Unser Gehirn wird so wie wir es verwenden und wenn wir unser Gehirn unser Nervensystem immer wieder herausfordern und verwenden, dann wird es immer besser darin.

Das kann man mittlerweile an Beispielen nachweisen. Z.B. bei Taxifahrern in London: London ist eine riesige Stadt mit lauter Dörfern, aus denen das gewachsen ist und hat ganz ein kompliziertes Straßennetz, keins vom Reißbrett. Und die Taxifahrer in London, die lernen müssen, sich dort zu orientieren, die entwickeln einen Teil von Gehirn – für die räumliche Orientierung. Der Teil wird immer größer – weil sie das können müssen. Weil sie es brauchen, und genau so funktioniert es mit allem: wenn Sie eine Sprache lernen, wenn sie irgendwas lernen, dann wird der Bereich, den sie dafür verwenden, größer. Wenn Sie Dinge nie mehr tun, dann schwindet das und wenn Sie Ihr Regulationssystem trainieren, dann wird es auch immer besser über Jahre. Und das ist glaube ich der Grund, warum der Pfarrer Kneipp auch seine Krankheit hat heilen können: weil er sein System über Monate und Jahre immer mehr trainiert hat und das immer besser geworden ist. Und wenn Sie Kneippen – und das nehme ich an – und Sie machen das jahrelang, da werden Sie da auch immer besser und dann wird der Kaltreiz eigentlich immer harmloser. Und dann werden Sie sich irgendwann denken: „Oh ja, das passt schon, kalte Dusche.“ Das war bei mir auch so. Vor 15 Jahren, als ich das gelesen habe – eben das kalte Bad – habe ich auch gedacht: Das ist nichts für mich! Mittlerweile ist es so, dass ich mir denke: „kalte Dusche wunderbar, sehr fein, sehr angenehm, kein Problem“.

Das heißt: Das hat der Körper gelernt. Das Problem für die Behandlung ist: Das kann man niemanden ansehen, das kann man nicht messen, da gibt es keinen Wert, mit dem man das feststellen kann. Und wenn eben ein neuer Patient zu mir kommt, dann weiß ich das auch nicht und da muss man sich halt langsam herantasten, aber meine Erfahrungen sind gut. Man muss eben langsam beginnen und kann dann steigern. Auf jeden Fall würde ich nicht empfehlen, mit der Schocktherapie zu beginnen, also das ist auch gar nicht notwendig und das gefällt mir und das finde ich auch sehr sympathisch. Und Sie kennen alle den Spruch vom Pfarrer Kneipp: „Von der Strenge zur Milde und zu noch größerer Milde bin ich herabgestiegen“. Und das ist etwas, was ich wirklich auch so schätze und so mag: an der Erfahrung zu lernen und an der Erfahrung auch sozusagen Menschen entgegenzukommen und zu sehen, was das alles bewirken kann.

Also das – glaube ich – würde der Pfarrer Kneipp im 21. Jahrhundert absolut genauso sehen und auch genauso schätzen in seiner Anwendung, weil ich glaube auch: So wie ich hätte er ein Vergnügen daran, diese Vorgänge zu verstehen. Das ist etwas, was mich an der Medizin und am Körper immer wieder begeistert. Dass man es verstehen kann und dass ich an meinen Patienten auch ihre Reaktionen sozusagen einordnen kann und sagen kann: „Ja, genau das will ich!“ Wenn Sie ins kalte Wasser gehen und nachher herauskommen sagen: „Meine Füße sind so schön warm, ist das herrlich!“ Dann weiß ich, das funktioniert. Und ein anderer Punkt ist auch noch wichtig, den wir auch noch nicht so lange wissen; wenn Sie eben einen Kaltreiz anwenden und nachher werden die Füße warm oder die Arme oder wie auch immer: Damit die Blutgefäße aufgehen können und sich das Gebiet erwärmt, muss ein Teil vom autonomen Nervensystem herunterreguliert werden, der normalerweise für Stress zuständig ist. Der Mensch hat in seinem autonomen Nervensystem zwei Teile: ein Teil ist sozusagen der „Aktivierungsstress-Teil“, das ist der Sympathikus. Und der hat einen Gegenspieler, das ist „Entspannungsruhe-Erholungsteil“, das ist der Parasympathikus. Der Sympathikus verengt die Blutgefäße, ja der steigert den Blutdruck; der macht uns bereit, mit Stress umzugehen. Aber wenn die Blutgefäße sich erweitern, dann muss dieser Teil ein bisschen auslassen. Und das ist aus meiner Sicht auch etwas, was in der Kneippkur so wunderbar ist: Nach der Kneipp-Anwendung entspannen Sie sich automatisch und die Nachruhezeit ist eine Zeit, wo tatsächlich unser Erholungssystem aktiv ist. Und mir kommt vor – in all den Jahren im Kneipp-Kurhaus – war das auch eine der allerwichtigsten Wirkungen der Kneipp-Therapie, dass die Leute endlich einmal entspannen können. Stress ist ein so weit verbreitetes Problem. Und Leute kennen das und wissen das und sagen: „Ich kann mich nicht entspannen, ich komme nicht runter. Ich möchte so gern!“ Und was sagt man denen? „Na, entspann dich doch!“ Und dann geht es besonders gut, oder? Dann geht es nämlich gar nicht! Aber durch diesen Trick über den Kaltreiz kann man Menschen in eine Entspannung hineinbringen. Und dann, wenn Sie die Möglichkeit haben, im Kurhaus in Ruhe zu bleiben, dann haben Sie Zeiten, wo Sie eben auch Entspannung trainieren können: Und der Trick ist, dann müssen Sie das nicht aktiv machen, sondern dann macht das Ihr Nervensystem für Sie.

Und dann ist das so erholsam und dann schlafen manche sogar. Weil Kneipp ja auch ein wunderbares Mittel gegen Schlafstörungen ist, weil eben dieser kleine Entspannungsimpuls den Leuten hilft, ein bisschen rauszukommen aus dem ganzen Gedankenkarussell, aus den ganzen belastenden Sorgen. Und dann hat man so einen kleinen Raum, wo man ein bisschen rauskommt. Und wie ich vorher schon gesagt habe: Wenn Sie das üben, wenn sie es öfter machen, dann können Sie es auch immer besser und dann können Sie sich erholen. Natürlich: Es ändert nichts am Leben und es ändert nichts, dass es immer wieder Herausforderungen geben wird, aber sich ein bisschen zu erholen zwischendrin – ist eine tolle Sache.

Weil – das ist auch etwas, was die Wissenschaft heute weiß: Immer nur entspannt, geht nicht und immer nur entspannt ist auch nicht das Ziel. Auch wenn wir uns das wünschen. Alle wünschen wir uns das Schlaraffenland, oder? Alle sind wir entspannt und das Essen fliegt uns in den Mund und wir brauchen nichts tun. Ja nur – wenn man sich das genau vorstellt: Also ich glaube, im Schlaraffenland sind alle krank, weil: Immer nur herumliegen und essen? Ja, also abgesehen davon, dass es auch fad wird mit der Zeit, oder? Und das ist auch eine Erkenntnis der modernen Wissenschaft. Das müssen wir auch nicht. Unser Körper ist wirklich ganz gut ausgestattet, um mit Herausforderungen umzugehen, eben durch unser vegetatives Nervensystem. Durch unseren Sympathikus, der uns eben Kraft gibt für Herausforderungen, für das, was uns auch immer wieder begegnen wird: für Stress.

Aber: Wir brauchen auch die Gegenbewegung, das Auf und Ab, und das ist auch in der Kneipp-Anwendung so. Der Kaltreiz ist ein kleiner Stress und nachher haben wir die kleine Entspannung und das ist das, was uns gut tut und was wir gut verkraften können und was uns auch am Leben hält. Nur Stress natürlich halten auch nicht aus. Das ist klar, aber nur Entspannung auch nicht. Und indem wir dieses Auf und Ab pflegen und unser Nervensystem sozusagen trainieren, glaube ich, haben wir die besten Voraussetzungen und Kneipp ist ein wunderbares Beispiel dafür. Mit Kneipp können wir das im Kleinen immer wieder probieren und das ist das, was wir auch wissen. Die kleinen Herausforderungen, die brauchen wir. Nicht unbedingt vielleicht die ganz furchtbaren großen Herausforderungen. Aber die kleinen – und mit denen umzugehen – trainiert uns und macht uns stärker. Das ist auch eine Erkenntnis der Wissenschaft, dass man eben Menschen nicht den Stress komplett abnehmen soll, weil, wie ich vorher gesagt habe, dann verlieren wir das Training und dann können wir irgendwann gar nicht mehr damit umgehen. Die kleinen Herausforderungen machen uns stark, natürlich. Ich weiß schon, man kann im Leben die Herausforderungen nicht immer dosieren, aber beim Kneippen können wir das und das ist unser Vorteil und deswegen glaube ich auch, es ist ein Punkt, der uns da eine ganz große Hilfe ist, auch sozusagen im ganz großen Ganzen gesehen.

Und ein letztes Thema was ich auch noch anschneiden möchte, was überhaupt ganz besonders spannend ist, was ich auch erst seit ein paar Jahren weiß, ist: Es gibt noch einen anderen Punkt, warum das Kneippen toll ist und was das Kneippen und was der Kaltreiz mit unserem Körper macht, und das ist, dass er unsere eigene Standheizung aktiviert. Und jetzt werden Sie sagen: „Was ist das? Ich habe eine Standheizung? Davon habe ich noch nie was gehört?“ Ja, wir haben eine Standheizung und zwar: eine bestimmte Art von Fettgewebe. Das kann direkt Wärme erzeugen. Und das ist unsere Garantie dafür, dass wir nicht auskühlen als Baby. Das ist das braune Fettgewebe. Manche haben es vielleicht schon gehört. Das braune Fettgewebe ist eine besondere Art von Fettgewebe, wo direkt Fett und Zucker verbrannt werden können, um zu wärmen. Und zwar in einem bestimmten Teil der Zelle in den sogenannten Mitochondrien. Das haben Sie vielleicht schon gehört: Das sind die Kraftwerke der Zelle, wo normalerweise eigentlich Energie erzeugt wird für den Stoffwechsel. In diesem braunen Fettgewebe aber, dort wird direkt Wärme erzeugt. Wenn man zum Beispiel unter der kalten Dusche steht, dann wird einem gleich warm. Und das ist das braune Fettgewebe, das ist die Heizung, die wir haben. Die schaltet sich nämlich auch über unseren Sympathikus ein, über unser Notfallsystem, damit wir nicht auskühlen. Das funktioniert schneller als über die Durchblutung, weil bis die Blutgefäße aufgehen und dadurch Blut hinfließt, das dauert ein bisschen; das braune Fettgewebe, das funktioniert sofort. Jetzt ist aber das Problem: Ich habe in meinem Studium gelernt: „Das braune Fettgewebe, das haben nur Babys und später geht's verloren“. Das geht auch verloren, nämlich wenn wir es nicht verwenden. Und – da sind wir wieder beim Pfarrer Kneipp: Wir sind alle zu „verwärmt“. Wenn man sich denkt wie es heutzutage ist, im Vergleich zu vor 150 Jahren. Es kann schon sein, dass es tatsächlich so ist, dass es wirklich verloren geht, wenn man einfach immer nur in warmer Umgebung ist und wenn man immer nur viel zu warm angezogen ist. Eingewickelt – hat der Pfarrer Kneipp auch geschrieben – die Leute, die sich immer einpacken von oben bis unten und der Schal und die Handschuhe und so weiter. Und wenn sozusagen dieses Gewebe nicht herausgefordert ist, dann verschwindet’s. Aber die gute Nachricht ist: Man kann es auch wieder hervorholen. Und zwar wie? Durch Kaltreize!

Die Pharmaindustrie hat das schon entdeckt, sie arbeitet an Medikamenten, die das braune Fettgewebe stimulieren. Das sind Medikamente, die eben auch über unser Stresssystem wirken. Naja, schauen wir mal, aber das ist natürlich auch wieder etwas, was für viele Leute die feine Alternative ist. Ich brauche nichts tun, ich schluck’ die Tablette. Juhu! Aber ich denke, die bessere Version ist es, sich mit den Kaltreizen zu pflegen und sein braunes Fettgewebe wieder hervorzuholen – das geht – und so auch den Stoffwechsel zu verbessern, weil es gibt mittlerweile auch schon Studien, die sagen, das braune Fettgewebe wäre ganz wichtig zur Prävention von Diabetes und Fettstoffwechselstörungen, weil das [braune Fettgewebe] eben den Überfluss an Zucker und Fett im Körper direkt verbrennen kann.

Das sollen eben auch diese Medikamente machen, die man dann vielleicht irgendwann einmal haben wird. Also als Kneippärztin kann ich da nur sagen: Ja, ich glaube es ist gescheiter, ein bisschen mit Kaltreizen sich zu pflegen und zu schauen, dass man seinen Stoffwechsel gut funktionsfähig hält und auf diese Weise eben auch vorbeugt – tatsächlich vorbeugt. Ich meine, die Situation allgemein ist bekannt, nicht? Es werden die Leute immer dicker; es gibt immer mehr ganz besonders dicke Menschen und die Probleme mit der Stoffwechselstörung, mit Diabetes, nehmen weltweit immer mehr zu. Wenn ich da an den Pfarrer Kneipp denke: Was würde er heutzutage wohl über unsere Situation sagen, also wie weit sich die schon weiterentwickelt hat im Vergleich zu vor 150 Jahren? Aber trotzdem denke ich mir, es hat nichts an seiner Aktualität verloren – aber ich weiß nicht wie es Ihnen da geht – indem ich das weiß und indem ich das verstehe, kommt mir das alles noch viel toller vor und das konnte der Pfarrer Kneipp nicht wissen. Aber ich stelle mir mal vor, ich meine, in dieser Umgebung ist mir das besonders wichtig: Wenn er das gewusst hätte, diese Informationen gehabt hätte, dann hätte er das sicher aufgegriffen – und zwar mit viel Begeisterung – und hätte wahrscheinlich auch hier stehend den Leuten das gesagt: „Pflegt’s euer braunes Fett, pflegt’s euer Regulationssystem!“ In seinen Worten hat das [damals] halt alles ein bisschen für uns noch so „altvaterisch“geklungen, nach dem Motto: „Härtet euch ab!

Naja, das hört sich auch recht heftig an, aber in Wirklichkeit hat er das gemeint: Unser Körper kann sich anpassen und diese kleinen Herausforderungen sind gut für uns und sie schaden uns nicht. Aber das ist das Besondere für mich, hier kommt die personalisierte Medizin ins Spiel. Jeder Mensch ist anders. Jeder Mensch hat eine eigene Art, damit umzugehen und das muss man berücksichtigen. Kneipp ist nicht so, dass man allen sagt: „So, jetzt geht's alle in die Donau schwimmen!“ oder wie auch immer. Und die Variationsbreite ist unglaublich. Das ist mir auch schon so gegangen. Ich habe einzelne Patienten gehabt, die waren, ja, unglaublich. Ich war mal eingeladen in Lech am Arlberg. Dort gibt es auch einen sehr schöne Wassertretanlage, da fließt das Wasser vom Lech hinein. Also der Lech ist ein Gebirgsfluss, im Juni, da ist oben noch Schnee auf den Bergen, da rinnt das Wasser runter. Also es ist wirklich kalt – richtig kalt! Und eine Dame, die da dabei war, hat zu mir gesagt: „Ja, ich gehe so gerne in den Lech zum Schwimmen. Ist das eh gesund?“ Und da habe ich mir gedacht: „Also ich gehe nicht in den Lech zum Schwimmen ich war dort im Wassertretbecken und das Wasser im Tretbecken ist so kalt, das empfindet man nicht mehr kalt, sondern das sticht. Und was heißt das? Das weiß man auch erst seit ca. 20 Jahren: Unsere Temperaturempfindung beginnt ungefähr bei sieben Grad. Ja, das ist das tiefste, was unsere Temperaturrezeptoren erfassen können. Und wenn man drunter ist, dann tut's weh. Also wenn Sie wo reingehen in ein Wassertretbecken und das sticht, dann können Sie sich vorstellen, das hat unter sieben Grad – und das war dort der Fall. Und dann bleibe ich auch nur ganz kurz drinnen. Aber diese Dame ist im Fluss daneben – ein reißender Fluss – schwimmen gegangen. Und dann habe ich zu ihr gesagt. „Naja, wie geht's Ihnen denn nachher?“ Und dann sagte Sie: „Gut, fein, wieso?“ Dann habe ich gesagt: „Ja, wunderbar, dann passt’s. Aber ich mache das nicht!“ Ja weil – das wissen wir schon – massive Kaltreize haben starke Wirkungen und es gibt Studien, die sagen, dass Menschen, die zum Beispiel nach der Sauna in das eiskalte Tauchbecken gehen, einen Blutdruck von bis zu 300 bekommen können. Und das ist vielleicht nicht das, was ich möchte. Nicht für mich und auch nicht für meine Patienten. Aber das ist auch wieder ganz unterschiedlich. Das heißt – was ich sagen will: „Bleiben Sie bei Ihren Empfindungen!“ Bleiben Sie dabei. Es hat nicht der gewonnen, der sozusagen mehr aushält, sondern es geht eben um diese kleine Herausforderung, um das Training, und eben auch um eine gute Wiedererwärmung, wenn Sie nachher das Gefühl haben: Ha [entspannter Seufzer]!

Dann war’s gut dann war’s richtig. Wenn Sie – wie ich – Freunde haben, Eisbaden ist natürlich „in“, die mir Fotos schicken, im Winter vom Teich in Wien in der Lobau mit den Eisschollen und so weiter. Und auch da ist es wieder so: Wenn mir dann nachher den ganzen Tag kalt ist, wenn mir dann jemand sagt: „Na, ich muss den ganzen Tag auf der Wärmflasche sitzen, sonst wird mir nicht wieder warm.“ Dann sage ich: „Das ist zu viel!“ Weil Unterkühlung – und das ist auch absolut richtig, was der Pfarrer Kneipp gesagt hat – Kälte ist lebensfeindlich. Ja, und solche Dinge sind nicht gesund. Gesund ist das, was ich verarbeiten kann, was mein System herausfordert und trainiert und was ich ausgleichen kann. Und das wissen nur Sie, mit Entspannung. Und eben solche Dinge hat der Pfarrer Kneipp Gott sei Dank nicht propagiert. Ich weiß schon, dass man sich herausfordern kann – auch in sportlicher Hinsicht. Und die Extremsportler – Sie kennen das alle – machen halt immer wieder ein bisschen mehr und ein bisschen mehr. Was geht noch und was geht noch und was geht noch?

So lange man’s – wie gesagt – ausgleichen kann, passt’s schon. Aber es soll nicht so sein, dass man dann übertreibt und im eiskalten Fluss schwimmt und dann irgendwann müssen sie einen rausholen. Weil die Kälte fährt uns herunter, die Kälte beeinträchtigt die Funktion der Muskeln, irgendwann sind sie nicht mehr funktionsfähig. Aufgrund der Abkühlung, aufgrund der chemischen Reaktionen ist das tatsächlich so. Das kann man mit dem Willen nicht beeinflussen. Das bremst die Nerven-Leitgeschwindigkeit. Kälte ist krampffördernd. Das sind schon ernsthafte Dinge, wo ich als Ärztin sage: „Naja, das will ich nicht auslösen!“ Ich weiß schon, die Sportler, die wollen das aushalten. Aber ich höre auch immer wieder Geschichten, wo Leute dann im eiskalten See unbedingt schwimmen wollen und dann irgendwann einmal nicht mehr können, wirklich untergehen, weil einfach die Muskeln nicht mehr arbeiten und das ist– Gott sei Dank – nicht Kneipp, das hat Kneipp sicher nicht propagiert. Und ich glaube, der Erfolg spricht für ihn –immer noch. Und das ist das, was ich so schön finde.

Deswegen – meine ich – hat sich auch in Österreich die Kaltwasserkur von Prießnitz in Richtung Kneipp gewendet, dass man sagt: „Nein, es geht nicht darum, mit aller Macht was auszuhalten, sondern es geht darum, eben mit dem Körper zu arbeiten, mit dem Körper sich herauszufordern und ihn so zu stärken.“

Das ist etwas, was nur das Kneippen kann, was keine Therapie sonst kann und was deswegen – glaube ich – auch bei allen Krankheiten mithelfen kann. Natürlich ist die Kneippkur keine Wundertherapie, die alle Krankheiten heilen kann. Natürlich nicht. Aber auf der anderen Seite, welche Therapie macht Menschen wirklich stärker, macht wirklich den Körper widerstandsfähiger? Und das ist einzigartig und deswegen ist mir das auch so wichtig und deswegen gebe ich das gern weiter. Und wenn ich Ihnen vielleicht ein bisschen eine Faszination auch habe weitergeben können, dann bin ich schon glücklich, weil ich mir denke, ja, wenn jemand das weiß und damit ein bisschen arbeitet, dann kann er sich ganz viel helfen – so wie meine Patienten. Ich habe viele ältere auch sehr alte Patienten. Die sind natürlich nicht alle ganz gesund. Die brauchen auch vielleicht Medikamente, haben auch Krankheiten, aber sie gehen gut damit um. Sie können das gut verkraften. Sie können gut leben. Eben das ist auch ein Grundsatz von Kneipp, eben auch mit Krankheiten gut leben, besser Leben, besser zurechtkommen und das Gefühl haben, ich kann selber was für meine Gesundheit tun.

Und ich habe einen Kollegen, der ist auch Psychotherapeut, und der versichert mir auch immer wieder: Allein dieses Wissen, dass man für sich etwas tun kann, dass das etwas hilft, dass ich etwas bewirken kann, allein das ist schon heilsam und unterstützend. Dies bekannt zu machen und weiterzugeben, wäre eine wichtige Sache. Der Haken ist, naja, man muss es wirklich machen und das bleibt niemanden erspart.

Das ist es, was ich auch meinen Patienten immer sage. Ja, die Kurgäste – und die habe ich natürlich auch im Kurhaus –, die kommen und sagen: „Frau Dr., Sie wissen alles, was ich brauche, Sie verschreiben mir alles, ich mache alles, was Sie sagen, Sie machen mich gesund!“ Dann denke ich: „O je, das wird leider nicht funktionieren!“ Also das Auto in die Werkstatt geben zum Reparieren, das funktioniert, aber beim Körper funktioniert das halt auch nur immer bis zu einem gewissen Grad. Und dieses kleine Stückerl, wo wir wissen, das mache ich selber, das kann ich selber, das traue ich mir zu, das hilft mir und das macht es besser. Das ist es, was das Kneippen ganz besonders macht und deswegen hoffe ich, dass ich dieses Wissen auch in Zukunft noch weitergeben kann an Interessierte, an Kollegen, an alle Menschen, damit, ja damit es nicht verloren geht. Pfarrer Kneipp war ein echter Pionier und hat eine ganz tolle Leistung vollbracht, dass er geschaut hat, dass die Kneipp-Lehre weitergegeben wird.

Und ich bin mir ganz sicher, Sie werden da auch drauf schauen, dass es auch in Bad Wörishofen weitergeht. In diesem Sinne vielen Dank fürs Zuhören. Ich hoffe, es war etwas Interessantes für Sie dabei, sogar in Bad Wörishofen, und obwohl Sie über Kneipp schon viel wissen.

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Organisatorin Paola Rauscher:

Wir haben noch ein bisschen Zeit für Fragen aus dem Publikum, ich übernehme jetzt einfach die Moderation.

Mann aus dem Publikum:
Ich hätte gerne noch etwas zum „braunen Fett“ gehört.

Dr. Regina Webersberger:

Zum „braunen Fett“, das weiß ich auch noch nicht so lange. Und es ist auch noch nicht so lange bekannt, dass es das braune Fett bei Erwachsenen überhaupt gibt, weil in meiner Studienzeit hat es geheißen: „Ja, das haben die Babys.“ Das brauchen sie um Wärme zu erzeugen. Jede Mama weiß das: Der Wärmehaushalt von Babys ist heikel, man darf sie ja nicht auskühlen lassen, Haube aufsetzen; über den Kopf geht die Wärme verloren und so weiter. Im Jahr 2003 hat man dann entdeckt, dass auch Erwachsene braunes Fett haben. Wie hat man das entdeckt? Auch sehr spannend: Man hat es entdeckt über eine spezielle Methode von PET-CTs, also wo ein Kontrastmittel eingenommen wird, und man versucht durch eine Computertomografie im Körper Strukturen zu erkennen. Das waren Patienten, die eine Krebserkrankung hinter sich hatten und man war auf der Suche nach Metastasen. Das kennt jeder. Man hat Kontrollen im Jahresabstand und man kontrolliert, dass keine Tumorherde nachgewachsen sind. Hoffentlich findet man nichts. Ja, und man hat eben bei diesen Personen – mit dieser modernen neuen Technologie in den USA – „Knödeln“ also Herde gefunden und dann hat man gedacht, „um Gott’s Willen, das sind Metastasen“ und hat sie rausgenommen und hat’s untersucht und hat gesehen: „Das sind keine Metastasen, das ist Fettgewebe; unglaublich. Ja, so hat man das entdeckt. Das war im Jahr 2003. Und das war natürlich für die Forschung eine spannende Entdeckung: „Aha, hat das jetzt nur einer oder haben das mehrere? Und dadurch entstand eine wirkliche Forschungsoffensive und man hat entdeckt, dass eben bei sehr vielen Erwachsene noch an manchen Stellen braunes Fettgewebe vorhanden ist.

Wobei man wissen muss: Man findet es nicht am ganzen Körper, sondern das braune Fettgewebe ist am Rücken im Bereich der Schulterblätter, neben der Wirbelsäule, im Bereich der Nieren. Also nur an bestimmten Stellen, und auch nicht dort, wo manchmal das Fettgewebe [gestikuliert in Richtung Bauch] wächst [Gelächter]. Nicht dort, nein, sondern an anderen Stellen. Das normale Fettgewebe, das Speicherfett, ist das weiße Fettgewebe. Warum heißt es so? Weil – wenn man es herausnimmt – erscheint es weiß und das braune Fett erscheint braun, warum? Weil im braunen Fettgewebe sehr viele Mitochondrien sind und das sind diese Kraftwerke der Zelle, wo die Energie erzeugt wird.

Mittlerweile gibt es in Dänemark eine Forscherin, eine Stoffwechsel-Forscherin, die das gezielt erforscht, wie das bei Erwachsenen ist. Das ist eine Frau, die auch Eisbaden und Winterschwimmen macht, und die hat bei ihren Studienteilnehmern erkannt, dass eigentlich fast alle Leute dieses braune Fett noch haben und dass man es stimulieren kann durch Kälte. Sie hat auch beschrieben, dass es einzelne Erwachsene gibt, die da wirklich nichts mehr haben – gar kein braunes Fettgewebe mehr. Die tun sich natürlich sehr schwer, wenn es kalt ist und wenn sie Eisbaden, dann zittern sie unkontrollierbar, weil für sie die einzige Möglichkeit Wärme zu erzeugen, ist über das Zittern der Muskeln. Und das hat ja auch der Pfarrer Kneipp gesagt: bewegen zum Erwärmen. Muskeln erzeugen Wärme, der Stoffwechsel, die Leber erzeugt Wärme, Muskeln erzeugen Wärme und eben auch das braune Fett. Und die gute Nachricht für alle ist: Es ist sogar möglich, weißes Fett zu bräunen. Und zwar auch durch Kälte.

Das ist ja leider alles noch nicht gut erforscht, weil die Methoden erstens viel zu jung sind und zweitens auch enorm viel Geld kosten. Diese Dame in Dänemark, Frau Professor [Susanna] Søberg; ich weiß nicht, woher sie ihre finanziellen Mittel bekommt, aber sie hat in ihrer Studie 20 Testpersonen, ja, und 20, das ist ziemlich wenig, aber es kostet Unsummen, die immer wieder so zu untersuchen. Also das ist der Grund, warum es so etwas im Zusammenhang mit Kneipp nicht gibt. Aber sie hat auch gesagt, man kann im weißen Fettgewebe auch solche Vorgänge induzieren, dass es sich sozusagen in Richtung braunes Fettgewebe entwickelt und mehr Wärme produziert. Und da gibt es einen ganz spannenden Querverweis, den ich auch persönlich erst vor kurzem entdeckt habe. Nämlich, ich interessiere mich auch sehr für traditionelle europäische Medizin und da hat man ja traditionell – ähnlich wie in China und in Indien – wärmende Heilkräuter. Heilkräuter haben die Qualität wärmend und dann fragt die wissenschaftliche Medizin: „Was soll das heißen? Was ist denn da wärmend?“ Ich meine, ein warmer Tee ist wärmend, ja. Und in China, wo diese Heilkräuter erforscht werden, ist man draufgekommen, dass tatsächlich in diesen Kräutern – Ingwer, Thymian, Johanniskraut – Inhaltsstoffe zu finden sind, die auch in diese Prozesse der Wärmeerzeugung im Fettgewebe eingreifen. Das heißt, die wärmenden Kräuter sind keine Fantasie, sondern das funktioniert tatsächlich! Thymian ist wirklich wärmend, weil sein Inhaltsstoff Thymol in diese Prozesse eingreift.

Also ich glaube, dass wir übers braune Fett noch sehr viel hören werden und dass da wissenschaftlich sehr viel im Gange ist. Und ich weiß auch, dass die Pharmaindustrie da auch schon dran ist, dass man Medikamente entwickeln will. Aber ich weiß auch in Deutschland – ich glaube in Bonn – gibt es Forscher, die in der Kinderheilkunde forschen, dass eben das braune Fettgewebe eine Möglichkeit sein könnte, schon bei Kindern den Stoffwechsel zu verbessern und im späteren Leben Diabetes und Fettstoffwechselstörungen zu verhindern, indem man darauf achtet, dass es nicht verloren geht – schon in der Kindheit.

Das heißt, „das bissl Kalt“ wäre eigentlich eine ganz tolle Sache und das braune Fettgewebe – wie gesagt – ist eine Erklärung, die mich auch in letzter Zeit sehr fasziniert hat.

Besucherin:

Obwohl vielleicht ja die Frage auch schon jetzt dadurch beantwortet worden ist: Ich habe Diabetes Typ 2 und nehme keine Medikamente. Ich kann das noch über Ernährung machen und ja auch über Bewegung, aber das klappt halt nicht so sonderlich. Und jetzt wollte ich mal fragen: Wie kann man jetzt die Werte auch durch so eine Kneipp-Therapie beeinflussen? Spielen da auch die Mitochondrien eine Rolle? Beeinflusst der Kältereiz auch die Zuckerwerte positiv?

Dr. Regina Webersberger:

Auf jeden Fall, das ist der Hintergrund. Ich meine, ich kann Ihnen das jetzt leider nicht schon als wissenschaftlich absolut untermauert präsentieren, aber ich habe mich damit deswegen beschäftigt, weil ja auch der Kneippbund voriges Jahr eine Initiative gestartet hatte über Diabetes-Prävention. Ich bin in diesem Zusammenhang mit der Hydrotherapie befasst worden und da habe ich diese Informationen gefunden. Natürlich steht Ernährung und Bewegung an vorderster Stelle, aber eben das braune Fettgewebe spielt sicher auch eine Rolle und ich kann Sie nur unterstützen, das als zusätzliche sinnvolle Maßnahme auch zu verwenden. (Einwurf der Fragestellerin: „Ich mache zu Hause immer meine Schenkelgüsse.“) Super. Also dann haben Sie das braune Fett.

Ich weiß, das ist eine Herausforderung und das ist etwas, was man nicht heute mal erledigen kann, sondern was einen immer wieder beschäftigt. Aber ich denke schon, ja, das geht und das ist – glaube ich auch – ganz ganz wichtig, vor allem auch: Ich habe jetzt vor kurzem einen Vortrag gehört bei einer Fortbildung. Sogar bei Menschen, deren Erkrankung schon sehr weit fortgeschritten ist, bleiben Lebensstilmaßnahmen immer noch sinnvoll, weil sie eine Verbesserung bewirken können. Auf jeden Fall dranbleiben!

Der Kräuterschatz der traditionellen europäischen Medizin enthält weitaus mehr wärmende als kühlende Heilkräuter, da gibt es eigentlich nur wenige: Spitzwegerich ist kühlend, Schachtelhalm ist kühlend; also die meisten Kräuter sind traditionell gesehen wärmend.

Das könnte ich auch als ein Hobby von mir bezeichnen: Die Verbindung von moderner Medizin mit dem traditionellen Wissen. Pfarrer Kneipp war ja nicht mehr so ganz verankert in der traditionellen europäischen Medizin. Er hat die Kräuter nicht mehr als „wärmend“ und „kühlend“ bezeichnet, aber das Wissen war schon noch vorhanden. Mich fasziniert es immer wieder, dass es so gut zusammenpasst. Dass es kaum Widersprüche gibt, in dem was er sagt, und wie man das heutzutage auch versteht. Und das ist auch mein Ziel im Zusammenhang mit meinen Kollegen, Ihnen das zu sagen und verständlich zu machen: Die Naturheilkunde oder die traditionelle Medizin, das ist nichts anderes, sondern das ist eigentlich das gleiche medizinische Verständnis, nur anders ausgedrückt. Wir verstehen oft die alte Sprache nicht mehr so gut. Aber wenn man ein bisschen übersetzt, da kommt man drauf. Naja, das passt ja alles zusammen!

Zum Thema Rheuma:

Ja natürlich, Rheuma hat ja mit Entzündungen zu tun und das ist auch etwas, wo Kälte gut wirkt. Entzündung heißt ja: Da läuft im Stoffwechsel eine Überaktivität und Kälte verwendet man in dem Fall, um diese Überaktivität ein bisschen zu reduzieren. Und deswegen sind sicher kalte Anwendungen oder kalte Wickel sinnvoll. Ja, auf jeden Fall, wichtig ist aber wieder die individuelle Dosierung.

Paola Rauscher (mit Blick auf das heranziehende Regengebiet):

Im Wasser ist Heil“. Also offiziell ist die Veranstaltung jetzt beendet, nicht weil ich sie beenden will, sondern weil ich immer mit dem linken Auge auf die Bäume schauen. Weil ich möchte, dass Sie alle trockenen Fußes nach Hause gehen. Ich würde sagen: Wer noch Lust habt, bleibt einfach noch da in dieser Runde. Wir bedanken uns einfach, dass Sie da sind. „Es ist für mich einer der schönsten Tage in meinem Leben heute!“ [Applaus]

Dr. Regina Webersberger:

Ja, ich bedanke mich auch fürs Zuhören, also es hat mir sehr viel Spaß gemacht. Das war sehr schön und das hat mir auch sehr viel bedeutet, dass ich hier sein darf*. Also vielen Dank fürs Zuhören und fürs Kommen und alles Gute!


* [auf der Kanzel der Wandelbahn, auf der auch Kneipp früher zu den Kurgästen gesprochen hat]

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Transkription Ende
Helmut Scharpf, virtuelles Museum Ottobeuren, 07/2024
Frau Dr. Webersberger sei herzlich dafür gedankt, dass wir ihren Vortrag im virtuellen Museum einstellen dürfen!

Abschließend lassen wir hier noch einen Kneipp-Kritiker und Prießnitz-Fan zu Wort kommen. Friedrich Frey (der laut Kneipp-Forscher Gottfried Mader auch mit dem Pseudonym „Philo vom Walde“ firmierte) schrieb in seiner Schrift „Das Prießnitz'sche Heilverfahren nach Pfarrer Kneipp“ 1896 auf den Seiten 54 und 55:
Kurze und milde Wasseranwendungsformen sind durchaus nichts Neues oder von Kneipp Erfundenes, und wer nur halbwegs in der alten Wasserliteratur bewandert ist, wird dies bestätigen. Dasselbe gilt von den Güssen und dem Nichtabtrocknen nach dem Bade.
Der Leser wird nach allen unseren Darlegungen mit vollem Recht den Eindruck empfangen haben, daß Kneipp eigentlich gar nichts Neues erdacht hat. Wer sich über diesen interessanten Gegenstand näher unterrichten will, lese die Broschüre: „Zur Steuer der Wahrheit, offenes Sendschreiben an Kneipp“ vom Oberlieutenant Hans Ripper. (Freiwaldau, A. Blazek 1893), die bisher in 20.000 Exemplaren Verbreitung gefunden hat.
Bei dem gegenwärtig herrschenden Kneipp-Fanatismus, der seine Hochflut zum größten Theil der Reklame gewinnsüchtiger Spekulanten verdankt, ist es schwer, der objektiven Wahrheit Eingang zu verschaffen. Aber es werden wieder Zeiten kommen, wo der Name eines Vincenz Prießnitz, als des Vaters der Wasser- und Naturheilkunde, oben ansteht, obenan für immerdar; so daß man dann Kneipp nur das Verdienst als des erfolgreichsten Prießnitzschülers zu erkennen wird. Überlassen wie es der Zeit – sie richtet in Gerechtigkeit, ohne Ansehen der Person: ob Bauer oder Prälat!

Literaturzitat:
Frey, Friedrich: Das Prießnitz'sche Heilverfahren nach Pfarrer Kneipp, Wilhelm Möllers Verlag, Berlin, 1896, 55 S., Format 17 x 11 cm

Urheber

Regina Webersberger, Helmut Scharpf (Fotos)

Quelle

Helmut Scharpf

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

2024-07-06

Rechte

gemeinfrei