31.05.2017 - Wiedereröffnung des Ratskellers als „Allgäuer Windbeutelparadies“
Titel
Beschreibung
Dieter Elsner begann seine Eröffnungsrede mit dem Satz: „Wenn einer mit Steinen schmeißt, dann schmeiße sie nicht zurück, sondern hebe sie auf und baue eine Brücke zum Nächsten.“ Zusammen mit den Architekten Klaus Huber und Rolf Steinhauser habe er diese Brücke gebaut - von der Memminger Straße 2 an den Marktplatz 16.
In den 3 ½ Monaten habe er hier etwa 1000 Arbeitsstunden reingesteckt, was vom Tausch und Umbau der Theken und Geräte, das Herunterkratzen der Tapeten oder das Polieren der alten Beschläge reichte - „Sträflingsarbeit“, wie es Rolf Steinhauser immer bezeichnete, wenn er ihn sah. Es habe dennoch Spaß gemacht; das Haus sei ein Teil von ihm geworden, weil er immer dabei war. Er und sein Sohn Florian hätten viel Herzblut reingesteckt. Sein Resumee: „Es ist äußerst schön geworden, wir sind ganz begeistert. Wir sind über die Brücke gegangen und stehen jetzt in diesen herrlichen Räumlichkeiten.“ Seit 14 Tagen laufe das Geschäft mittlerweile und sie seien sehr zufrieden, wie es angelaufen ist. Elsner weiter: „Ab Samstag (3.6.2017) werden wir dann auch Reklame in der Zeitung haben und ich bin überzeugt, dass es sehr gut laufen wird, wenn erst einmal das gesamt Umland davon erfährt.“
Wie war das mit den Windbeuteln?
Viele würden ihn kennen, die meisten wüssten allerdings nicht, wo er herkomme oder was er früher gemacht habe. Über die Familie berichtete der neue Pächter: „Wir sind fünf Geschwister, vier Brüder und eine Schwester. Meine Eltern waren immer stolz darauf, dass aus allen etwas geworden ist.“ Das mit den Windbeuteln gehe auf seine tschechische Großmutter zurück (der Großvater kam aus der Wiener Neustadt). Sie war Haushälterin und habe zu Hause immer schon kleine Windbeutel gebacken. (Für den heutigen Anlass gab es deshalb dieselben Windbeutel nach Omas Rezept - den Löffel ins Wasser getaucht, ein kleines bisschen Teig aufgesetzt ...).
Er habe „diese Dinger“ geliebt. Sie wären ein Grund dafür, warum er Konditor geworden sei. Seine Lehre absolvierte Dieter Elsner in Weilheim in einer sehr renommierten Konditorei – königlich bayerischer Hoflieferant, Hersteller von Kerzen und Süßwaren. Der Beruf des Konditors kam von den sogenannten „Lebzeltern“, erklärte er den geschichtlichen Hintergrund. Das sei die erste Zunft gewesen, die Met (Wein) ausschenken durfte. „Mit dem Ratskeller bin jetzt soweit, dass ich als Konditor wieder Wein ausschenke“, scherzte Elsner.
Vom Sport zum Cafè
Nach seiner Lehre musste er zur Bundeswehr. Weil er in seiner Freizeit viel Sport getrieben habe, wollte er dabei etwas mit Sport machen und kam zu den Gebirgsjägern. Dort war er zwei Jahre Ausbilder. Als er sich hier in Ottobeuren angemeldet habe, traf er mit Franz Degen sogar einen ehemaligen Rekruten von ihm – so klein sei die Welt.
Nach zwei Jahren kam er zur Sport-Fördergruppe nach Mittenwald und durfte Biathlon machen, stand dort erstmals auf Langlauf-Skiern und hatte damit kleinere und mittlere Erfolge.
1979 habe er in Ruhpolding einen Gasthof kennengelernt, der herrliche Windbeutel machte. Da kam er an den Punkt mit dieser neuen Idee, dass er sich sagte: „Wenn ich einmal mit dem Sport aufhöre, dann mache ich irgend etwas mit Windbeuteln.“ 1985, am Ende der Meisterschule, war es dann soweit. In der Zeitschrift „Konditorei & Café“ entdeckte Elsner über eine Anzeige das Geschäft in der Memminger Straße 2 in Ottobeuren. Der bisherige Betreiber Haggenmiller musste aufgrund einer Erkrankung seiner Frau das Café aufgeben. Mittlerweile gehöre seine Einrichtung zu den bekannstesten Cafès im Allgäu: „Man kennt uns von München bis Augsburg, Ulm, Bodensee, überall.“
Von der Memminger Straße an den Marktplatz
„Dass wir jetzt hier am Marktplatz sind, haben wir dem neuen Besitzer des alten Standortes zu verdanken.“ Die Kündigung 2016 sei für den Betreiber das eingangs zitierte „Steine schmeißen, Steine aufheben und Brücken bauen“ gewesen. Erschwerend kam eine schwere Sportverletzung hinzu. Barbara Geis in der Bergstraße habe es es dankenswerterweise ermöglicht, dass ihre „Katakomben“ [die ehemaligen Käsekeller der Fa. Frischknecht in der Bergstraße] als Zwischenlager für die Gerätschaften genutzt werden durften.
Elsner: „Es ist ein Neubeginn, nach fünf Jahren übergebe ich dann – wie vertraglich festgelegt – alles an meinen Sohn. Schwiegertochter Steffi leistet gigantisch viel Arbeit und macht dabei vor allem das Geschäftliche. Mit im Boot sind 13 Kräfte auf 450-Euro-Basis.“
Grußwort von Bürgermeister German Fries
„Danke, dass Sie es gewagt haben, wir sehen das als Gewinn.“ Der Marktplatz würde an dieser Schlüsselstelle wieder Leben erfahren, es wäre wieder „Leben in den Gemäuern“. Ein Dank galt auch an die Architekten Klaus Huber und Rolf Steinhauser, dass sie das „Projekt Ratskeller“ gestemmt hätten. Der erste Eindruck sei, dass es „klasse geworden“ sei.
Viele Ottobeurer waren schon früher im Ratskeller, kommen jetzt wieder herein und schwelgten in Erinnerungen. Fries erinnerte an eine Zündfunk-Sendung auf Bayern2 vom 27.05.2017, bei der in der Dampsäg in Sontheim auch einige Bundestagsabgeordnete zugegen gewesen seien. Am Rande habe er sich mit der Grünen MdB Ekin Deligöz unterhalten, wo man herkomme. Als er auf Ottobeuren verwies, dann kam die Rede nicht – wie man dies normalerweise vermuten würde – auf die Basilika, sondern aufs „Allgäuer Windbeutelparadies“. Deligöz hatte sich dort mit einem Bekannten einen Winbeutel geteilt und sich daran erinnert. Fries: „1:0 für Elsner!“
Abschließend wünschte der Bürgermeister: „Gutes Gelingen, viele Gäste und immer soviel Arbeit, dass Sie sie auch gerne bewältigen können.“
Infos zum Ratskeller
Ab 10 Uhr gibt es Frühstück – bei Voranmeldung für Gruppen auch schon ab 9 Uhr; geöffnet ist bis in die späten Abendstunden; Montag ist Ruhetag.
Auf der Nordseite wacht der heilige Ulrich vor der „Ulrichsstube“, der Raum in der Mitte heißt „Ratsherrnstube“ (mit Kreuzgratgewölbe), zum Marktplatz hin befindet sich die „Lounge“, im langen Zwischengang wurde eine Stehtheke aufgebaut, viele der alten Accessoires wurden erhalten, darunter uralte Schlösser und Beschläge. Manches wurden originalgetreu nachgebaut, um das alte Flair zu erhalten, so z.B. die alten Dreh-Lichtschalter. Zum Vergleich kann man sich die Lounge auf einer Ansichtskarte von 1915 ansehen, die 1919 lief.
An der Wand hängen die Portraits vom früheren Besitzer Adolf Fergg, der von 1919 - 1933 Ottobeurer Bürgermeister war, und das seines Vaters Johann Fergg (1842 - 1914, s. auch Gemälde, das 1947 dem Foto nachempfunden wurde: Maler Franz-Xaver Lipp, Besitz von Elsbeth Scheufele, geb. Fergg, Ulm), der 1870 Firmengründer war (zunächst als Buchbinderei). Wie man unschwer erkennen kann, war Johann Fergg begeisterter Jäger. Die Jagdtrophäen (siehe auch Bildpostkarte von 1915) wurden allerdings von den Wänden abgenommen.
Die Innenausstattung wurde 1929 erneuert. Das Datum geht zweimal aus den groben Malereien hervor, die ein „K. Gries“ („Pent et pixit 28.10.1929“) hier aufgebracht hat. Nachdem die Wände und Decken vom Jahrzehnte langen Qualm der Raucher geschwärzt waren, ist nach der Renovierung von 2016/17 nun alles deutlich heller und freundlicher.
Vor der Kuchentheke finden sich einige Tische mit Blick nach draußen. Vor der Südseite des Gebäudes kann man auf dem Marktplatz sitzen. Das Haus wird durch die Belieferung über einen gut sortierten Fachhandel – Weinfleck aus Memmingen – jetzt auch seiner ursprünglichen Ausprägung als Weinstube wieder gerecht. Im Angebot sind mehrere Bio-Weine, die man z.B. zum Flammkuchen genießen kann. Dieter Elsner zeigte sich schon am alten Standort dem Fairtrade-Gedanken gegenüber aufgeschlossen und bietet Bananen-Windbeutel auch am Marktplatz ausschließlich mit Fairtrade-Bananen aus Bioanbau an. Die Eröffnung bot den zahlreichen Besuchern auch die Möglichkeit, die Räumlichkeiten des Wirtschaftstraktes zu besichtigen.
Nach Adolf Fergg wurde der Ratskeller von seinem Sohn Johann bzw. Hanns Fergg weitergeführt, bis die Familie Mitte der 1950er Jahre nach Tübingen ging. Die hier ausgestellte Speise- und Getränkekarte stammt ca. von 1950. Danach kaufte Max Graf das Anwesen. Betreiber waren ein Herr Weiß, dann Viktor Rembold sowie ein Italiener (Nino ?, der jetzt eine Imbissbude an der Sebastian-Kneipp-Straße betreibt). Sieben Jahre stand der Ratskeller leer. Die Gemeinde hatte den Ratskeller 2012 erworben und den Investoren das Gebäude im Jahr 2016 in Erbpacht für 60 Jahre überlassen.
Auf der Homepage des Windbeutelparadieses steht: Unser letzter Öffnungstag in den alten Geschäftsräumen ist der 11.12.2016, ab dem Frühjahr 2017 finden Sie uns unter der neuen Adresse Marktplatz 16 (Ratskeller), 87724 Ottobeuren.
Auf dieser Homepage geht es auch um Rekorde. Es heißt: Der größte Windbeutel, der bei uns hergestellt und gefüllt wurde hatte einen Durchmesser von 60 cm. Die größte Anzahl an einem Tag waren 220 frisch zubereitete Windbeutel.
Die größte Sahnemenge wurde im Jahr 2000 verarbeitet. Es waren 3 Tonnen!!! In diesem Jahr konnten 19.456 Windbeutel hergestellt werden. Bei ca. 10 cm Höhe ergibt dies einen Turm von 2000 m. Ein Turm der Basilika ginge 24 mal in diesen Turm aus Sahne, Früchten, Soßen und Eis hinein.
Die bis Januar 1951 gültige Hausnummer war Marktplatz 7. In der Bayerischen Denkmalliste ist der ehemalige Pfarrhof unter der Aktennummer D-7-78-186-24 aufgeführt, als zweigeschossiges Eckhaus mit Satteldach und abgewalmten Eckrisaliten. Oberkonservator Habres spricht in seiner Stellungnahme davon, dass der ehemalige Pfarrhof der Pfarrkirche St. Peter seinem Äußeren nach noch weitgehend dem barockzeitlichen Ursprungsbau entspreche, gekennzeichnet vor allem von den beiden risalitartigen Standkernen an den zum Marktplatz gewandten Gebäudeecken, der symmetrischen Giebelfassade und den Traufgesimsen. Der Bau sei eines der ortsprägenden Gebäude Ottobeurens. Die städtebauliche Lage sowie seine orts- und baugeschichtliche Bedeutung würden ihn als Baudenkmal von überregionaler Bedeutung ausweisen.
Eine vom früheren Kemptener OB veranlasste Steintafel nennt zur Geschichte des Gebäudes folgende Eckdaten:
Nr. 7 - beim alten Pfarrhof
746 Fränkischer Reichshof des Grafen Sylach [Silach]
Sitz der Fronhofmaier
1200 - 1810 Pfarrhof, 1686 abgebrannt
Mit dem Brand von 1686 sind leider auch die Akten der Pfarrei St. Peter verbrannt. 1710 wurde das Gebäude neu errichtet. Von 1879 - 1903 kam es zu diversen Anbauten (siehe Bilder; zuletzt war hier unter Elfriede Mertinet das Geschäft „Schreibwaren Fergg“ untergebracht; jetzt Marktplatz 8)
Im Obergeschoss wird ab Sommer 2017 die Architektengemeinschaft Huber + Steinhauser einziehen.
Aktualsierung. Der Umzug wurde Anfang November 2017 abgeschlossen. Am 23.12.2017 inserierte die Architektengemeinschaft, um darauf aufmerksam zu machen.
Weitere Bilder und Links zum Ratskeller sowie zur Familie Fergg
02.12.1945 - Bgm. a.D. Adolf Fergg verstorben
1897 - 2017 - Bilder vom Ratskeller; Fergg
1940 - Bruder Michael malt den Blick vom Kloster Richtung Marktplatz und Fröhlins
1904 - Kolorierte Ansichtskarte vom Marktplatz
19.06.1918 - Weinstube Fergg
Bilder und Zusammenstellung: Helmut Scharpf, 01.06.2017