01.08.1896 – Quidam: „Die lustige Station“ – eine Hetzschrift gegen Kneipp

Titel

01.08.1896 – Quidam: „Die lustige Station“ – eine Hetzschrift gegen Kneipp

Beschreibung

Der letzte Satz des Buches verdeutlicht die Intention des anonymen Autors („Quidam“ = Irgendwer):
„Vermag die Lektüre der vorliegenden Blätter, Allzuvertrauende, über die wirklichen Zustände in der ultramontanen Wasserheilstation Ununterrichtete von dort fernzuhalten, dann ist der Zweck dieser Schrift hinlänglich erreicht.“

Bücher, die sich zu Lebzeiten mit Kneipp und seiner Kur befassen, tun dies i.d.R. entweder in grenzenloser Verehrung oder ebensolcher Verachtung. Im vorliegenden Fall wird in Richtung Sebastian Kneipp und Wörishofen jede Menge Schmutz geworfen. Es geht um angebliche Profitgier, die Dominanz des katholischen Klerus, um Konversionen, die Kneipp (unstrittigerweise) aktiv betrieb, die katastrophalen hygienischen Zustände, laienhafte Äußerungen Kneipps bei seinen öffentlichen Vorträgen, vor allem aber um die sittlich-moralisch verwerflichen Zustände in Wörishofen („das freie Kleid macht auch die Sitten freier, weg mit der prüden Zimperlichkeit“), bei denen beispielsweise Mütter ihre Töchter mit „abstrapezirten Lebemännern“ verkuppeln wollten. Insbesondere französische Geistliche wären „an der Damenbegleitung zu erkennen, ohne die sie fast nirgends zu sehen sind“.

Allen Geistlichen werden Affären angedichtet:
„Fast so zahlreich wie das der stattlichen Frauen ist das Contingent der katholischen Geistlichen und Ordensbrüder in allen geistlichen Nuancen und – aus aller Herren Länder. Stattliche, kräftige und junge Figuren darunter. Auch sie wandern nacktfüßig oder in Sandalen über die Wege und Wiesen. Häufig in der Gesellschaft heilsbedürftiger Frauen und Mädchen. Honny soit, qui mal y pense! (...)
In den Wäldern gedeihen prächtige Beeren und finden sich heimliche Plätzchen. Und der Wald ist verschwiegen.“

Auf den Seiten 42f. treffen diese Anspielungen Kneipp unmittelbar:
„Und wenn wir auch weit entfernt davon sind, jenen schlimmen Leuten unbedingt zu glauben, die da sagen, der Herr Prälat predige öffentlich Wasser und tränke heimlich Wein, erkleckliche Portionen von allerlei Spirituosen gelangten in das pfarrherrliche Domizil hinein und nicht wieder hinaus, so werden indeß die guten Freunde des Hochwürdigsten mit uns darin einig sein, daß er es leider gar oft versäumt, den bösen Schein zu vermeiden.
Denn, ach, auch der Gottes- und der Wassermann figurirt in den Akten eines Ehescheidungsprozesses am Landgerichte der Münchener Hauptstadt. Da wird von Zeugen behauptet, daß die bei dem Prozeß engagirte Dame sehr häufig Abends mit ihm in fidelster Weise verkehrte, daß sie ihn trotz Verwarnung einer intimen Freundin, die „ein Gerede“ befürchtete (die Dame selbst gestand dieser zu: „Wir müssen jetzt noch mehr aufpassen, wenn das herauskommt, gibt es einen Höllenskandal!“) sehr häufig Abends allein nach Hause begleitete, daß sie ihm Morgens in aller Früh die heiligen Strümpfe anzog. Daß dabei die entzückte Dame gern in allen Ehren einen frommen Vaterkuß von ihm empfing, und auch später nicht müde ward, „die zarte weiche Haut des Herrn Pfarrers“ zu rühmen. Ferner wurde da ausgesagt, daß er mit dieser Dame öfter auf einer entfernt gelegenen Klosterkammer fromme Zwiesprache hielt, zu einer Zeit „in der sonst Niemand im Wege war“, wobei die kleinen Kinder der Dame mit bis zur Thüre gehen mußten, dann aber ausgesperrt wurden etc. etc.

Wörishofener, die offenbar keinen Sinn für die harmlose Fröhlichkeit haben, die jedenfalls untrennbar ist von einer richtigen und einträglichen ultramontanen Wundermedizin, ärgerten sich arg darüber, daß der Herr Prälat auch ein Freund urfideler Gesellschaft war. Die suchte und fand er oft des Abends im Pater Franz und den schon genannten Damen. Das lustige Vierblatt wurde oft auch umkränzt von anderen Dienern des Herrn und anderen schönen Damen, darunter solche, deren Weg bisher nicht der steinige Pfad der Tugend gewesen. Da amüsirte man sich ganz vorzüglich bei Wein, Klavierspiel und frohen Liedern. Und durch dichte Jalousien quollen aus geistlichen und weltlichen Kehlen oft hinaus in die laue Nacht die lieblichen Lieder: (...)
So gings und geht's gar fröhlich zu unter Küssen und Güssen in der lustigen Station. Nach dem Sinnspruch frommer Herren und Damen bei ihren urfidelen Zusammenkünften in der Villa X: Ja bei uns da gibts koa Sünd.“

Ergänzend meint „Quidam“ auf S. 45: „Für alle Fälle ruht auch noch genügendes Material in unserer Mappe, zur Auferstehung jederzeit bereit. Denn wir sind, in Anbetracht des reichhaltigen Stoffes, der zu Gebote stand, sehr schonend vorgegangen.“
Ein Lexikon der Pseudonyme gibt für Quidam die verschiedensten Möglichkeiten an. Wir sind guter Dinge, den „richtigen“ Verfasser ausfindig machen zu können!

Die Bösartigkeit der Schrift veranlasst die Kneipp-Blätter (hier: Nr. 18 vom 03.09.1898) zu einer Reaktion. Auf der Titelseite stand folgende Mitteilung des Zentral-Kneipp-Vereins:
Bekanntmachung. In letzter Zeit werden von München aus an die hiesigen Kurgäste Prospekte versendet und zum Kaufe einer Broschüre: Die lustige Station eingeladen.
Genannte Borschüre strotzt vor Unwahrheiten, Verleumdungen und häßlichen Angriffen gegen den hochwürdigen Herrn Prälaten und seine Methode. Deshalb möchten wir nicht versäumen, vor Ankauf derselben, welche zudem noch sehr teuer ist, zu warnen.
Die Vorstandschaft des Zentral-Kneipp-Vereines Wörishofen.“
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Wie unterschiedlich eigentlich identische Vorgänge beschrieben werden, zeigt sich an einem direkten Vergleich einer Kneipp'schen Sprechstunde (hier: die Seite über die Kneipp-Biografien von Alphons vom Rhein und Justus Verus).

Lesenswert auch die Schmähschrift von Adolf Boneberger aus dem Jahr 1898.

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Hier nun die Komplettabschrift, zum besseren Verständnis mit Hyperlinks und einigen Erläuterungen (in eckigen Klammern) versehen (siehe docx und pdf). Das Inhaltsverzeichnis auf der unnummerierten letzten Seite (an sich S. 47) wurde auf die Leerseite auf Seite 3 vorgerückt. Die alte Orthografie wurde beibehalten.
Das Original wurde für die Abschrift von der Stadtbibliothek Augsburg zur Verfügung gestellt. Originalseiten können aller Voraussicht nach bis Mitte 2023 verlinkt werden.

Die lustige Station
Briefe aus und über Wörishofen.

Von Quidam.

Nürnberg 1896.
Druck und Verlag von Wörlein & Comp.


Inhalt:                                                  Seite

Zur Einleitung                         . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   3
Einiges über den Wunderort und seine Bewohner         . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   5
Wie der Herr Prälat kurirt                     . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11
Wie der Herr Prälat konvertirt                 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
Wie der Herr Prälat profitirt                     . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
Die lustige Station                         . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Schlußwort                             . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44


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Zur Einleitung.

Bayern, das Land einer vielgerühmten Gemüthlichkeit, ist auch das bevorzugte Land des Ultramontanismus. Klerikal ist dort Trumpf fast überall. In der Volksvertretung herrscht eine ultramontane Mehrheit und wacht mit Argusaugen über die Parität auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens. Diese „Parität“ aus dem Bayerisch-Ultramontanen in landläufiges Deutsch übersetzt heißt: unverschämtes Ueberwiegen der klerikalen Herrschaft. So werden „ultramontane Bahnen“ und Bähnchen gebaut, so versucht man, „die norddeutschen“, d. h. die nichtkatholischen und die nicht intensiv centrumskatholischen Professoren aus dem Lande zu vertreiben, und so verstand und versteht man, sich einen Minister nach dem anderen dienstwillig zu machen. Wer weiß, wie lange es noch dauert, und als Abel II. thront auf dem Ministerpräsidentenstuhl Graf Conrad v. Preising, der „geliebte Sohn“ des Papstes, und die bayerischen Landesfarben schimmern statt weiß-blau weiß-violett.

Zwar schlägt, wie das gewaltige Anwachsen der Socialdemokratie beweist, die bayerische Centrumswirthschaft nicht zum Wohle des Volkes aus, aber das verschlägt dem echten Centrumsmann gar nichts. Und warum sollte das auch sein gutes Herz bekümmern? Bleibt ja doch noch auf bajuvarisch-katholischen Gefilden jener erquickende Humor, der sich in der Teufelsaustreibung in Wemding [13./14. Juli 1891, dem 10-jährigen Michel Zilk aus Oberlottermühle bei Feuchtwangen sollen durch Pater Remigius und Pater Aurelian Gaßner im Kapuzinerkloster Wemding mit Erlaubnis des Bischofs mit Weihwasser 10 Teufel ausgetrieben worden sein; Karikatur siehe: Die Wemdinger Teufelsbannung, in: Kladderadatsch. 45. Jg., 22.5.1892, Nr. 21., S. 82] so herrlich zu offenbaren wußte. Vergnügte sich ein so brauchbarer Centrumsführer, wie Herr Dr. Orterer ja eben erst in der Abgeordnetenkammer damit, den Dämonenglauben zu propagiren und eine Abstimmung über den Glauben an einen persönlichen Gott vorzunehmen. Und besitzt ja das glückselige Bayernland bereits die vielversprechenden Anfänge einer rein katholischen Menschenheilkunde. Im lieblichen Wörishofen ist sie stationirt diese Hoffnung der bayerisch-katholischen Zukunftsmedizin, und Msgr. Sebastian Kneipp, päpstl. Geheimkämmerer und Pfarrer, oder „der Herr Prälat“, wie er sich am liebsten nennen läßt, ist ihr Prophet. Ein fleißiger und geschäftskundiger Prophet dieser gottbegnadete Wundermann. Vielseitig, wie zweifellos die reinkatholische medizinische Wissenschaft sein muß, weiß er, zu kuriren, zu convertiren und zu profitiren aus dem Fundament. Nicht des frommen Bruders Heinrich aus Mariaberg, [vgl. Buch „Die empörenden Zustände in dem Alexianer-Kloster Mariaberg] in dessen schmutziger Station die katholische Pastoralmedizin des Herrn Kappelmann [Sanitätsrat Dr. Cappelmann, Anstaltsarzt des Alexianer-Klosters] so wundervolle Triumphe feierte, ist seine Art. Er treibt sein menschenfreundliches Geschäft lustiger, und ihm ist es zu verdanken, daß Wörishofen ward die lustige Station, das Mekka für abertausend Wassermänner und Wasserweiber, die Heilstätte, auf die der katholische Klerus aller Länder stolz schaut und bewundernd.


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Und dieweil das eine Arbeit wäre weit über unsere bescheidenen Kräfte gehend, allen Zweigen bayerisch-katholischen Sonderhumors eine spezielle Würdigung zu widmen, begnügen wir uns damit, eine Skizze zu entwerfen vom Leben und Treiben in der lustigen Station Wörishofen. Zur Erbauung aller frumben Wasserfreunde und zur Belehrung Derer, denen die Intimitäten der heiligen Kneippmedizin noch fremd sind.

Weil wir den nicht genug zu schätzenden Genuß hatten, die lieblichen Zustände des Wunderortes lange Zeit hindurch selbst beobachten zu dürfen, wird unsere Schilderung zwar ziemlich stark abweichen von dem, was die Kneippenthusiasten – und mit ihnen die ultramontane Presse – über das schwäbische Wassereldorado bekannt zu machen beliebten.

Allein das Nachfolgende fußt, abgesehen von eigenen Wahrnehmungen, auf authentischem Material, und unsere eigenen Beobachtungen sind, wie wir sehen werden, von Anderen zur Genüge bestätigt worden.

Bereits im Sommer des vergangenen Jahres sahen wir uns veranlaßt, einige längere Betrachtungen über die gar merkwürdigen Vorgänge in Wörishofen zu publiziren, und die „Leipziger Volkszeitung“ hatte den Muth, uns Raum dazu zu überlassen. Dieser Muth ist umsomehr anzuerkennen, als leider der Unfug einer völlig kritiklosen und unwissenschaftlichen „Naturheilmethode“, dank unserer herrlichen, den Volksmassen die Bildungsstätten verschließenden socialen Zustände immer mehr Anhänger findet. Und als weiter ein mit den üblichen unverschämten Verleumdungen gemischtes Entrüstungsgeschrei der braven Centrumspresse zu erwarten war. Das ist denn auch nicht ausgeblieben. Allein der Erfolg war ein negativer; nicht nur, daß die Artikel der „Leipz. Volksztg.“ in einer Reihe freimüthiger Blätter nachgedruckt wurden, die Nachfrage darnach war auch eine so große, daß mehrmals Neudrucke der betr. Nummern hergestellt werden mußten. Ferner wurde, wie der Leser im Verlaufe erfahren wird, die Augen der weltlichen und der kirchlichen Behörden auf die wissenschaftlichen Leistungen des Herrn Prälaten gelenkt und sogar einige allzu compromittirende Schößlinge am Wunderbaum der pastoralen Wassermedizin beseitigt.

Aber der Wunderbaum selbst blieb geschont, und da die neue Lenzsonne lacht, drängt sich an ihm schon wieder – Blüth' um Blüthe. –

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Einiges über den Wunderort und seine Gäste.

Im Juli des vergangenen Jahres [= 1895] konnten wir der Leipziger Volkszeitung das nachstehende Bild aus der lustigen Station entwerfen:

Der Fremde, wenn er nach einer erschütternden, fast einstündigen Omnibusfahrt über den holperigen Weg von der Bahnstation Türkheim nach Wörishofen gekommen ist, glaubt sich zunächst in ein Indianerdorf versetzt, mit dem die europäische Cultur eben in nähere Beziehung getreten ist. Auf den staubigen, steinigen Straßen des Dorfes wimmelt es von seltsamen weiblichen und männlichen Gestalten (die ersten sind zweifellos auch hier in der stärksten Mehrzahl vertreten). Männer und Frauen, dunkelgebräunt von der Sonne, stecken bis zu den Knien meistens in dem Kleideraufputz, den die fortschreitende Cultur zur Mode werden ließ. Von den Knien abwärts hört die Cultur auf, und die nackte Natur tritt in ihr Recht. Da wandelt so ein braungebrannter Geselle im hellen Gigerlanzug, den grauen Cylinder auf dem Haupte, eine Glasscheibe ins Auge geklemmt, die Hosen trägt er bis zum Knie ausgekrempelt, und mühsam watschelt er mit den nackten Füßen im Kieselgeröll der buckeligen Dorfstraße. Ihm zur Seite eine Donna, aus der blonden Frisur, die von den Ohren nur die mit pomphaften Brillanten beknöpften Endläppchen sehen läßt, das neueste Hutmodell. Das eine hellbelederte Händchen trägt kokett einen spitzenumsäumten Sonnenschirm, das andere rafft graziös die schimmernden Röcke und zeigt dem Wanderer nackte Knöchel und Füßchen, die tastend den kiesfreien Staubboden des Weges suchen. Nicht immer scheint ihnen das Finden des besten Wegstückes gelungen, mehrere der zierlichen Zehen sind mit Leinwandläppchen umwickelt. Spitze Kiesel waren so ungalant, die zarte Haut der parkettgewohnten Wegtasterin blutig zu ritzen.

Das Paar ist typisch für Wörishofen, es findet sich in allen Altersabstufungen von 20 - 60 Jahren in zahlreichen Exemplaren jetzt so gut vertreten, wie in Monaco, Spaa [Spa], Baden-Baden, Karlsbad oder Wiesbaden. Ueberall im selben Aufputz, nur dort natürlich weniger braun gesotten von der Sonne und in eleganterer Fußbekleidung.
Andere Gestalten kommen des Weges. Eine Mutter mit drei Töchtern, das männliche Familienhaupt keuchend hinterher. Kleine Beamte dem Anschein nach: die Mädel frisch und blühend, weniger umständlich kostümirt als das Gigerlweibchen, sie tragen das bequeme Kneipphemde als einzige Bekleidung. Ein hanfener Schlafkittel, in der korsettfreien Lendengegend mit einem Gürtel zusammengepackt. Die Beine strumpflos, aber – das kleine Bürgerthum thut noch ein wenig prüde – die Füßchen mit Kneippsandalen „bekleidet“. Dem Wohlbefinden der süßen Kinder fehlt nichts als ein Mann, den aufzutreiben Mama sich alle Mühe gibt. Wörishofen bietet dazu mehr Chancen als irgend ein anderes Luxusbad. Hier gibt es ein starkes

 
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Contingent abstrapezirter Lebemänner. Sehr kahlköpfig und ein wenig kreuzlahm stehen sie dafür auch billiger im Kurs. Wer weiß, vielleicht geht einer ins Garn, und während er bei den hübschen Kindern nur ein „Amüsement auf Zeit“ sucht, sorgt Mama fleißig für das Frischbleiben des Leims an der Ruthe, darauf der flügelschwache Gimpel sitzt. Die Mädel befinden sich dabei anscheinend pudelwohl. Das freie Kleid macht auch die Sitten freier, weg mit der prüden Zimperlichkeit, im Eldorado der Wasser- und Naturheilkunst. So bringt die Jagd auf den Mann hier wirklich noch mehr Aussichten als anderswo. Zudem ist sie weniger kostspielig. Zwar macht das Leben in den zahlreichen Pensionen, in den über Nacht entstandenen Hotels, eher mehr Ansprüche an den Geldbeutel als in Bädern mit Schuhen und Strümpfen. Allein das Kostüm stellt ja viel weniger Anforderungen, und dann das herrliche „sans gêne“ [die Dreistigkeit].
Auch Papa, dem der geistliche Wunderdoktor nach kurzem inquisitorischem Blick die Diagnose stellte: „Er üscht läberleidend, und hat schlechts Bluet!“ benimmt sich resignirter. Mit heroischer Wuth läßt er die Blitzgüsse und Bauchgüsse über sich plätschern und jeden Morgen patscht er bis an die Kniekehle im Altmühlbach [vgl. Foto von ca. 1890]. Was in der Kneipp'schen Therapeuthik „Wassertreten“ heißt.

Mehrere Tausend „Kurgäste“ halten sich zur Zeit in Wörishofen auf. Hereingeschneit aus allen Richtungen der Windrose, aus den entlegensten Winkeln der alten und der neuen Welt. Die Diener der weltumspannenden römisch-katholischen Kirche sind überzeugte Werber für ihren berühmten Confrater und Medizinmann. Im vergangenen Jahre konnte die Kurfrequenz sicher mehr wie 40,000 1) Waschbedürftige und sonstige Naturvergnüglinge ausgewiesen haben. Genaue Ziffern konnten wir nicht erhalten. Ein Versuch, uns in dem durch ein Riesenschild gekennzeichneten „Statistischen Bureau für Kneipp'sches Heilverfahren“ die nöthigen Informationen zu holen, schlug fehl. Das Bureau sei seit mehreren Tagen aufgehoben, hieß es. Die „statistische“ Arbeit wurde bis dahin von zwei jüngeren Damen besorgt. Eine davon (beide, wie man allgemein sagt, Convertitinnen und geschiedene Ehefrauen), eine große Verehrerin des Herrn Prälaten. Sie geleitet ihn in die „populären Vorträge“, küßt ihm, ehe er beginnt, inbrünstig die heiligen Hände und sitzt fast allabendlich mit ihm auf der Terrasse vor dem „Kinderasyl“. Gemeinschaftlich mit noch einer Gesinnungsschwester, ehrfürchtigen Erschauerns voll, den weisen Worten des heiligen Mannes lauschend.

Fast so zahlreich wie das der stattlichen Frauen ist das Contingent der katholischen Geistlichen und Ordensbrüder in allen geistlichen Nuancen und – aus aller Herren Länder. Stattliche, kräftige und junge Figuren darunter. Auch sie wandern nacktfüßig oder in Sandalen über die Wege und Wiesen. Häufig in der Gesellschaft heilsbedürftiger Frauen und Mädchen. Honny soit, qui mal y pense!

Verhältnißmäßig gering ist die Zahl der durch ärmliche Bekleidung und schwere Leiden auffallenden Kranken. Die armen und gläubigen Bresthaften, die wohl auch in großer Zahl hoffend zum wunderwirkenden Prälaten wallfahren, bevölkern nicht die „Boulevards“

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1) Ein „Rückblick auf das Jahr 1895“ in der kneippoffiziösen „Wörishofener Zeitung“ enthält die Mittheilung, daß sich im vergangenen Jahre etwa 10,000 Kurgäste dort aufgehalten haben. Hierin sind natürlich weder die Passanten, die aus Neugier hierher wandern, noch die zahlreichen Pärchen inbegriffen, die von München und anderen größeren Plätzen kommend, in W. sich vorübergehend aufzuhalten lieben.


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von Wörishofen. Sie hocken in den schäbigen Hütten, die der reiche Kurgast ihnen übrig ließ oben unter dem Dach, oft gemeinschaftlich mit den Dienstboten, für die natürlich der elendeste Winkel gerade gut genug ist. Wie in dem Schlupfwinkeln der ostelbischen Erntesklaven schläft hier alles „durcheinander“, Frauen und Männer und Kinder. Und die physischen Instinkte des Menschen lachen hier unter dem Dach allen frommen Predigten Hohn. Es gedeiht unter dem Doppelscepter des Mammons und der „heiligen“ Medizin hier oben die „Sittlichkeit auf dem Lande“ in ihrer unerfreulichsten Urwüchsigkeit.

Wie alle Nationen sind auch die verschiedensten Krankheitsträger in Wörishofen vertreten. Lupuskranke und Schwindsüchtige, Neurastheniker und Rheumatiker, Carcinöse, Lahme, von Knochenfraß infizirte, Hautkranke, Taube, Kurzsichtige und Blinde, Schwärige und Hypochonder und dazu die bunte Menge, die überall den Jahrmarkt der Eitelkeiten bevölkert, Genießlinge, Industrieritter, Getäuschte und Täuscher.

Denn „Herr Prälat“ heilt alles, und seine vier ärztlichen Helfer, staatlich geprüfte Mediziner, unterstützen ihn nach Kräften. Und die Spaziergänge um Wörishofen sind einladend. Wem der Weg zu rauh, der stapft zum inneren Aerger der Bauern – aber unbelästigt – über die Wiesen. In den Wäldern gedeihen prächtige Beeren und finden sich heimliche Plätzchen. Und der Wald ist verschwiegen. –

Einige Wochen später entsandte auch die Frankfurter Zeitung einen Vertreter nach Wörishofen. Unter dem 10. September brachte das genannte Blatt darauf eine Schilderung, aus der wir ebenfalls einige interessante Stellen wiedergeben wollen:
„Es ist ein reichgesegnetes Stück Land, in dessen Mitte das kleine weltbekannt gewordene Wörishofen liegt. Soweit das Auge über das lang hingedehnte Flachland schweift, zeugen üppige Getreidehaufen von dem Segen der Flur. Nur um Wörishofen selber mehren sich die Brachfelder und zeugt der Boden nicht mehr von dem gleichmäßigen Fleiß der Bebauer. Die Wörishofener haben nicht mehr Lust noch Zeit, ihre Mühen vollauf der Mutter Erde zu weihen. Sie sind Fremdenindustrielle geworden. Und wie rasch gewinnt das Landvolk die Fähigkeit, die Geldbörsen der Städter zu ergründen! Da wird gefahren und beherbergt. Die Häuschen haben sich vermehrt. Hunderterlei Gelegenheiten gibt es, den Kurfremden kleine Dienste zu erweisen, und zufrieden blickt der Wörishofener in den eigenen Geldbeutel.
Aber der Mann, der seinen Landsleuten die neuen und ungeahnten Erwerbsquellen geschaffen hat, Pfarrer Kneipp, oder wie er jetzt heißt, „der Herr Prälat“, ist ihnen deshalb kein Gegenstand der Dankbarkeit geworden. Der in so weiten Kreisen so Hochverehrte imponirt nur wenigen seiner Pfarrkinder. Er ist ihnen nicht Seelsorger genug und – der Prophet gilt wirklich nichts in seinem Vaterlande – die Wörishofener lassen sich nicht kneippisch behandeln. Aber von auswärts, aus Stadt und Land, aus Hütte und Palast strömen die Massen herbei. Nicht nur Wörishofen ist dicht mit Fremden belegt, auch die umliegenden Ortschaften sind stark von Fremden bevölkert und in mehreren Dörfern sind zum Theil luxuriöse Bade- und Kuranstalten entstanden. Was das Ansehen des Prälaten Kneipp namentlich in die Ferne glorifizirt, das sind die Adeligen und Geistlichen, die sich zu ihm flüchten und später für ihn wirken und werben. Namentlich sind sehr


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viel französische Geistliche hier, und wenn sie sich nicht schon durch ihr Aeußeres von unseren Klerikern unterscheiden würden, man würde sie an der Damenbegleitung erkennen, ohne die sie fast nirgends zu sehen sind. Aus hohen Fürstengeschlechtern kommen die Patienten. Ihr Vertrauen ist zugleich Gunst, und Gunst gibt dem Begünstigten Stärke. Arg vernachlässigt war und ist in Wörishofen die Hygiene. Das Trinkwasser ist stellenweise miserabel. Es besteht nun zwar eine Wasserleitung, aber ihre Benützung ist nicht allgemein. Die Häuser sind zu dicht mit Patienten belegt und es ist keine Vorsorge getroffen, die mit ansteckenden Krankheiten Behafteten von den übrigen Patienten fern zu halten.

In Wörishofen befindet sich ein Kinderasyl für verkrüppelte und an konstitutionellen Krankheiten leidende Kinder. – Eine Unsumme von Elend ist hier vereinigt. Von Heilung kann man da gar nicht einmal sprechen. Das Asyl hat eigentlich nur den Zweck, daß die armen Kinder irgendwo untergebracht sind. Dieses Asyl war bis vor einigen Monaten viel zu dicht belegt und im Dachraum hatte man noch dazu die Lupuskranken untergebracht. Da ist nun auf staatliche Anordnung ausgeräumt worden. Die Hygiene bietet nämlich für den Staat eine Handhabe der Einmischung, während eine solche in therapeutischer Hinsicht ausgeschlossen ist. Man entdeckte die unhygienischen Zustände, als in vorigen Monaten im Asyl der Typhus ausbrach. Staatlicherseits sind dem Asyl die hygienischen Auflagen gemacht worden, und es hieß auch, der Typhus sei erloschen. Nach verschiedenen dunklen Anspielungen von Wörishofener Einwohnern zu schließen, scheinen diese in letzter Beziehung etwas skeptisch zu sein, doch äußere sie sich nicht bestimmt. Hineinschauen kann man nicht in diese Verhältnisse.1)

Die im Kinderasyl untergebrachten Lupuskranken zogen, nachdem sie das Asyl auf staatliche Anordnung hatten verlassen müssen, wieder in die Logirhäuser des Ortes. Der Verkehr mit diesen Kranken macht den Ort geradezu unheimlich. Zur Zeit befinden sich etwa 30 Lupuskranke in Wörishofen. Man kann in Wörishofen kein Glas an die Lippen setzen, keine Gabel, keine Serviette in die Hand nehmen, ohne sich sagen zu müssen, es könnte ein Lupuskranker kurz zuvor davon Gebrauch gemacht haben. Es wird nun allerdings ein eigenes Lupusspital vom Kneippverein gebaut. Wenn das einmal fertig ist, wohnen die Lupuskranken wenigstens nicht mehr in den Logirhäusern. Aber, wenn sie dann nicht streng internirt gehalten werden, bleibt die Ansteckungsgefahr für die Besucher von Wörishofen nach wie vor bestehen. Die Behandlung der Lupuskranken ist eine besonders interessante Sache. Die Behandlung liegt in den Händen einer Frau, die früher in München lebte und von ihrem Manne geschieden ist. Wie sie die Lupuskranken behandelt, ist ein Geheimniß. Man weiß nur, daß sie auf die kranken Stellen Leinwandlappen auflegt, die mit einer braunen Flüssigkeit getränkt sind. Da man das Mittel nicht kennt, kann man nicht beurtheilen, ob es eine Wirkung haben kann. Man sollte aber meinen, daß eine feuchte Behandlung von tuberkulösen Hautgeschwüren deren Ausbreitung begünstigen müßte. Die Kneippianer behaupten nun, es
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1)  Tatsächlich war die Epidemie auch nicht erloschen, denn am 6. Oktober meldete die M. med. Wochenschrift aus Wörishofen: „Wie wir aus der Morbiditätsstatistik der Infektionskrankheiten in Bayern ersehen, ist im Pfarrer Kneipp'schen Kinderasyl zu Wörishofen neuerdings der Typhus ausgebrochen; vom 11. bis 31. August sind 26 Erkrankungen vorgekommen.“


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seien bereits Besserungen erzielt worden. Aber die Beweise liegen noch nicht vor. Wenn man einen Gebesserten hat, muß man ihn vorstellen können. Es ist aber noch keiner gezeigt worden. Diese Geheimmittelbehandlung ist ein sehr böses Ding, schon deshalb, weil sie eine so große Zahl von ansteckenden Kranken an einen Ort mit anderen Kranken zusammenruft. Der weibliche Geheimmittelarzt ist gewiß keine hübsche Zugabe für den Wörishofener Allheilort.“ –

Des Kneipp-Kalenders neuester Jahrgang, herausgegeben von dem Herrn Prälaten selbst, beschäftigt sich in einem von dem heiligen Manne selbst geschriebenen Vorworte auch mit der Typhusepidemie im Kinderasyl. Und wenn nicht das Thun eines so theueren Gottesmannes mit ganz anderem Maßstab zu messen wäre, wie das Gebahren simpler Weltkinder, müßte man sagen, die Betrachtungen des Wassermedizinmannes entbehrten nicht einer erstaunlichen Frivolität. Denn in besagtem Vorworte steht zu lesen:
„ . . Nun aber brach im letzten Jahre in dem Asyle ganz plötzlich und unerwartet eine Krankheit aus. Bei welcher Thüre dieselbe hereingekommen ist, weiß ich heute noch nicht. Dabei wurden die unglücklichen Kinder heimgesucht, und selbst Personen, die mir hilfreich beigestanden, sind nicht verschont geblieben; eine Klosterfrau und ein Dienstmädchen sind vielmehr ein Opfer ihres Berufs geworden.
Es gibt in der Welt viele Krankenhäuser und Spitäler, wo man Kranke aufnimmt und pflegt, wo die Einen geheilt werden, während die Andern sterben müssen. Viel Wesen wird daraus nicht gemacht; es heißt einfach: Der und der ist im Krankenhause gestorben, er wird begraben, und gar bald liegt ein Anderer in seinem Bette. Niemand fragt darnach, ob er wieder gesund wird oder nicht. Mir ist auch nicht bekannt, daß man ein Spital aus diesem Grunde geschlossen habe; dagegen wurde über mein Asyl gleich eine große Sperre verhängt; es ging so ziemlich mit ihm wie mit dem Grabe Christi, nur daß kein großer Stein vor dasselbe gewälzt wurde. Wahr ist, daß über fünfzig Kinder von der tückischen Krankheit ergriffen wurden; wahr ist aber auch, daß blos drei (!) an derselben gestorben sind. So hat mir das ganze Unglück doch noch den großen Nutzen und die Genugthuung gebracht, daß Alle nur mit Wasser geheilt worden sind, ohne daß für einen Pfennig Medikamente gebraucht worden wären. So hat fast jedes Unglück auch sein Glück“ (!).

Das Wasser, das diese „beste Wirkung“ erzielt hat, wird aber kaum die Untergrundverhältnisse des sumpfigen Typhusnestes verbessern können. Erzählt ja ein Mitarbeiter des lustigen Kalenders, der Lehrer Karl Dillmann, in der „kleinen Chronik von Wörishofen vom 1. August 1894 bis 1. August 1895“, daß zur Herstellung einer Parkanlage eine Fläche von ungefähr drei Tagwerk entwässert und mit Bäumchen und verschiedenen Sträuchern bepflanzt wurde. „Leider“, heißt es dann wörtlich, „hat beinahe die Hälfte der gepflanzten Ziersträucher und Bäumchen entweder gar nicht ausgeschlagen oder ist nach kurzem Grünen wieder verdorrt. Hieran mag einestheils der nasse sumpfige Lehmboden, anderentheils auch die Verpflanzung zur späten Frühjahrszeit die Schuld tragen“.

Im Auftrage der bayerischen Sanitätsverwaltung hatte auch der Geh.-Rath Dr. [med. Joseph] von Kerschensteiner im Laufe des Sommers mehrmals das Kinderasyl in Wörishofen inspizirt, worauf die dem Pfarrer Kneipp freundlich gesinnte Presse zu berichten wußte, Kerschensteiner habe sich „sehr lobend“ über die ganze Einrichtung geäußert. Darauf gab Dr. Kerschensteiner in Nr. 33 der „Münchner


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medizinischen Wochenschrift“ folgende Erklärung ab: „In den Tagesblättern sind über die Ergebnisse der vom Unterzeichneten am 6. v. Mts. gepflogenen Visitation des Kinderasyls in Wörishofen Berichte erschienen, die in ihrer Abweichung vom Thatsächlichen eine Richtigstellung erheischen. Zunächst war zu constatiren, daß im Asyle erhebliche Mißstände sich nicht vorfanden, ein Ergebniß, das von jeder nachfolgenden, sachverständigen Controlle bestätigt werden wird. In die Behandlung der Asylkinder einzugreifen, dazu fehlte dem Respizienten die Berechtigung ebenso wie in jeder Privatheilanstalt. Anlangend die an Lupus Erkrankten – Münchener Med. Wochenschrift vom 6. ds. Mts. Nr. 32 – wurde dem Unterzeichneten auf Anfrage vom Anstaltsarzte mitgetheilt, daß sich im Asyl derartige Kranke nicht mehr befänden. Da sich der Dienstauftrag lediglich auf die Untersuchung der hygienischen Zustände des Kinderasyls zu erstrecken hatte, so war dieselbe auf die im Orte befindlichen Kranken überhaupt nicht auszudehnen, ebensowenig auf das ärztliche Leben und Treiben sowie auf die sonstigen Zustände dortselbst, welche auf jeden gebildeten Arzt wohl einen nur traurigen Eindruck machen können.“


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Wie der Herr Prälat kuriert.

Außer dem bunten Völkchen, das seit den letzten Jahren nach Wörishofen eilt, um sich ungenirt und christlich zu amusiren, außer den Hypochondern und eingebildeten Kranken, denen weder das Barfußlaufen noch das kalte Wasser etwas schadet, befinden sich dort unzählige wirkliche und oft schwer Kranke.

„Auch dieses Jahr“ schreibt der Kalenderchronist, „sieht man Kurgäste aus allen Ländern und Erdtheilen und darunter oft wahre Jammergestalten. Wollte man alle Spitäler des Erdenrundes nach allen vier Windrosen durchwandern, so könnte man kaum so viel und so verschiedenes Elend auffinden. Hunderte kaum menschenähnlicher Gestalten, unglückliche Geschöpfe, bei deren Anblick man sich unwillkürlich denken muß: „Welch' große Schuld haben doch Diejenigen aus sich geladen, die einem solchen Menschenkinde das Leben gegeben!“ durchwandern täglich unsere Wege und Straßen.“

Angelockt sind diese Unglücklichen zumeist von der Reklame, die der Herr Prälat mit seinen periodischen Reisen trefflich zu besorgen versteht, von den freundlichen Empfehlungen gläubiger Amtsbrüder und den bereitwilligen Diensten einer die Kneipperei unterstützenden ultramontanen Presse. Dazu kommt die eifrige Propaganda betrügender und betrogener Naturheilapostel.

Und der Herr Prälat „heilt“ alles. Eine Art von katholisch-medizinischem Größenwahn scheint ihn gepackt zu haben. Ein Generalpächter der Universalmedizin thront der Wassergewaltige in seinem Sprechzimmer, assistirt von einem Geistlichen und öfters von einem oder zwei Doktoren der Medizin. Gemüthlich dampft er seine Cigarre und läßt das Elend vorbeidefiliren. Bei den „einfachen Leuten“ wird weder nach der Krankengeschichte gefragt, noch findet eine Untersuchung statt. Der Wundermann stellt mit verblüffender Findigkeit die Diagnose. Mit knarrender Stimme diktirt er, kaum, daß er den Kranken vorher selbst angesehen hat, seinem geistlichen Assistenten die „Ordination“, je nach dem: Ob.-G., R.-G., H.-B., B.-G. etc. (Ober-Guß, Rücken-Guß, Halb-Bad, Blitz-Guß). Der „Herr Prior“ schreibt diese Verfügung in das von dem Patienten um drei Mark beim „Kneipp-Verein“ erstandene „Ordinationsbüchlein“ und der arme Einfällige kann abtraben. „Höhere“ und „gewichtigere“ Damen und Herren genießen häufig den Vorzug, von Sr. Hochwürden selbst begossen und behandelt zu werden. Und wer Geld hat, kann gegen Extrahonorar sich nebenbei noch die Behandlung durch einen der zahlreichen ältlichen Heilgehilfen leisten. In seine „Ordination“ dürfen diese verehrten Aerzte ihrem Herrn und Gebieter nichts hineinreden, lediglich, wenn ein Patient gar zu schwach und hinfällig aussieht, müssen sie constatiren, ob der „die Kur aushält“. Das geschieht aber erst seit neuerer Zeit, nachdem einige Kranke (zumeist Phtysiker) [Abzehrung nach Lungenschwindsucht], die im letzten Stadium ihre Krankheit Heilung gesucht hatten, derart intensiv begossen wurden, daß sie rasch starben. Solche Kranke versucht man, in nicht gerade christlicher Weise, möglichst rasch aus dem Revier der Wasserwunder


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zu entfernen. Neben der rein wässerigen Behandlung wendet der Herr Prälat auch gern „Heilsalben“ an, deren Hauptingredienzen sind: Spitzwegerich, Honig, Fenchel etc. Dies hilft nach ihm ebenfalls bei ungemein vielen Krankheiten, von der Krätze bis zum Bindehautkatarrh, von der Balggeschwulst bis zum Furunkel, sogar gegen Kurzsichtigkeit.

Aehnlich, wie auch wir sie mehrmals genießen durften, schildert in Nr. 252 der Frankfurter Zeitung vom 11. Sept. 1895 ein Arzt die Sprechstunde des Hochwürdigsten:
„Ich selbst wohnte vor einigen Wochen in Wörishofen einer „Sprechstunde“ bei, die etwa fünf Viertelstunden dauerte. In dieser Zeit wurden 180 Patienten abgefertigt, was der Prälat am Schluß der Stunde mit Stolz feststellte. Daß dabei weder von einer Untersuchung der Kranken noch von der Aufnahme einer Krankengeschichte die Rede sein kann, liegt auf der Hand. Ob die Kranken zufrieden die Sprechstunde verlassen, wenn es ihnen weder die Zeit noch die Gegenwart von vielen anderen Leidensgefährten verschiedenen Geschlechtes möglich macht, auch nur das Allernothwendigste über ihr Befinden mitzutheilen? Die Hauptzahl der Kranken besteht aus Nervösen und Hysterischen. Aber auch viele Schwerkranke schleppen sich mühsam in's Sprechzimmer! Wahrlich die gesuchteste und größte Universitätsklinik könnte Wörishofen um sein Krankenmaterial beneiden. Mit Trauer muß es das Herz eines Arztes erfüllen, – wie Medizinalrath v. Kerschensteiner neulich schrieb – wenn er Zeuge ist, wie diese armen Schwerkranken, deren letzte Hoffnung auf Genesung sich hier erfüllen soll, summarisch mit Wasserverordnungen abgefertigt werden, wie unter Andern unterschiedslos jeden Augenleidenden, ob er an Bindehautkatarrh, ob er an einem Staar oder an einem Schwund der Sehnerven leidet – vom Prälaten eigenhändig die gleiche Augensalbe (eine Mischung von Honig mit Kräutern) applizirt wird.“ –

Neuerdings hat, „einem längst empfundenen Bedürfnisse Rechnung tragend“ die Vorstandschaft des Central Kneipp-Vereins Wörishofen dem Herrn Prälaten eine „Sprechstunden-Ordnung“ aufgedrungen, die mit dem 1. Febr. lfd. Jahres in Kraft getreten ist. Diese „Ordnung“ verfügt u. a. Folgendes: In der Sprechstunde steht dem Herrn Prälaten je einer der jourhabenden Herren Badeärzte zur Seite. – Laien sind von der Anwohnung derselben vollständig ausgeschlossen. Fremde Aerzte, welche den Sprechstunden des Herrn Prälaten beiwohnen wollen, werden zugelassen, wenn sie die beim Kurhausarzte Dr. Mahr ersichtlichen Bedingungen erfüllten 1) und durch Erlaubnißkarte legitimirt sind. –
Es wird nur mehr eine Person, bei großem Andrange höchstens zwei Personen des gleichen Geschlechts, oder eine Familie (Mann und Frau oder Eltern und Kind) zur Consultation zugelassen. – Zutritt zu den Sprechstunden erhalten nur diejenigen Personen, welche sich im Kneipp-Vereins-Bureau (Kurhaus der barmherzigen Brüder, Zimmer Nr. 7) eintragen lassen. – Das Verordnungsbuch berechtigt zum zwölfmonatlichen Besuch der Sprechstunden. – Nach dieser Zeit muß ein neues Buch gegen die übliche Gebühr gelöst werden. –
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1) d. h. es werden nur noch fromme Jünger Aeskulaps zugelassen, die entweder Verschwiegenheit geloben oder Kneippisch schwören.


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Die Reihenfolge des Zutritts richtet sich bei Neuangekommenen nach der Nummer des Verordnungsbuches; die Neuangekommenen haben jederzeit den Vortritt. Mitglieder des Centralkneippvereins Wörishofen, welche ein Jahr demselben angehören, haben vor allen anderen Hilfesuchenden Zutritt. –
Es ist im Interesse des Patienten gelegen, in gewissen Fällen aber sogar Erforderniß, sich untersuchen und die Diagnose in das Verordnungsbuch eintragen zu lassen. –

Die Erlassung dieser Vorschrift hängt mit der Absendung eines „bischöflichen Commissärs“ nach Wörishofen zusammen, wovon später noch die Rede sein wird. Allein gebessert wird durch diese Anordnung in Wirklichkeit gar nichts; bleibt doch der Wasserwundermann derselbe, und lehrt und übt er noch nach wie vor seine ganz eigenartige christliche Heilmethode.

Wer den großen Mann und seine Lehre ganz kennen lernen will, der muß sich das Vergnügen leisten, seine Vorträge anzuhören. Vorträge, von denen der Kalendermacher entzückt schreibt: „Wer in Wörishofen war und die alte Wandelbahn nicht gesehen und „Vater Kneipp's“ Vortrag nicht gehört hat, ist wie Einer, der nach Rom reist und den Papst nicht sieht. Diese Vorträge bilden für die Kurgäste stets einen längeren Unterhaltungsstoff, und die Anekdoten, sowie die Bonmots, die der greise Herr oft mit köstlichem Humor vorträgt, cirkuliren oft Tage lang unter den betreffenden Zuhörern. Also ist in Wörishofen auch für Belehrung, Unterhaltung und Erheiterung genügend Sorge getragen.“

In der That, der fünfundsiebzigjährige Verkünder der echtkatholischen Naturmedizin ist vom Gepäck allgemeiner Bildung so unbeschwert, wie der ehemalige Webergeselle Sebastian Kneipp. Seine „schriftstellerische Thätigkeit“ wird von guten Freunden besorgt, der hochwürdige Herr steht mit der deutschen Sprache ein wenig auf dem Kriegsfuße. Seine medizinische Fachbildung zu bewundern und sich daran zu erfreuen, wenn sie Humor genug dazu besitzen, werden Mediziner und ,,Giftärzte“ und Laien gleich Gelegenheit haben. Was den „köstlichen Humor“ des großen Heilkundigen anbelangt, so scheint er uns ein wenig an die „humoristischen“ Grimassen der Volkssänger letzter Qualität zu erinnern. Die „Bonmots“ aber des Herrlichen tragen das Parfum unverfälschter Stallatmosphäre. Doch der freundliche Leser urtheile selbst:

Ein beliebter oft wiederholter Kniff des Dozenten Kneipp besteht darin, daß er sich ein in Papier gewickeltes Korsett auf das Rednerpult legen läßt. Beim Beginn seiner Ansprache öffnet er das Packet behutsam, zeigt das corpus delicti grinsend nach allen Seiten und knüpft „witzige“ Bemerkungen an diese Demonstration. Jedesmal lohnt das Auditorium diese Leistung mit einem Beifallsgeheul, wie wir es außer hier, so intensiv bisher nur noch in einer Ahlwardt-Versammlung zu kosten bekamen.

Nach diesem oder einem ähnlichen Entrée liebt es der Herr Prälat, eine kleine Fastenpredigt zu halten, in der über „Salzfresser“, „Bockbiersäufer“ und ähnliche Sünder unbarmherzig der Stab gebrochen wird. Eine kleine Blüthenlese aus den Vorträgen neueren Datums wird genügen, um den hochwürdigsten Herrn als Mediziner, Socialpolitiker und Witzbold taxiren zu können. Wir folgen seinen herrlichen Worten mit chronologischer Treue.

Am 6. Dezember 1895 trat als zweiter Akteur unter den Auspizien des Herrn Kneipp der Erzherzog Joseph von Oesterreich, ein Parade„Kranker“ des Wunderortes auf. Im Verlauf seiner geistvollen Darlegungen kommt der Erzherzog auf die Pasteur'schen Einspritzungen zu sprechen, wodurch viele von wüthenden


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Hunden Gebissene geheilt worden sein sollen; bemerkt aber, daß von den Gebissenen nach den neuesten wissenschaftlichen Forschungen überhaupt nur 36 Prozent von der Wuth befallen werden, weil die Menschen meist dicke Kleider tragen, an welchen der zähe Geifer des wuthkranken Hundes hängen bleibt, so daß die Zähne rein an die Haut kommen und rein in die Haut dringen. „Ich habe die vollste Ueberzeugung“ fuhr der Erzherzog fort, „daß die Behandlung des Herrn Prälaten die schönsten Erfolge bei diesen Unglücklichen erzielen würde, und habe diese Ueberzeugung dadurch gewonnen, daß, wenn die Wunde in der ersten Stunde nach dem Bisse ausgeschnitten oder ausgebrannt wurde, nie ein Wuthanfall eintrat. Brannte man die Wunde in der zweiten Stunde aus, so wurden auch da noch die Meisten gerettet. Später war keine Hilfe mehr möglich. Der Geifer der wuthentbrannten Hunde ist ein zäher, dicker Schleim, welcher sich bei Weitem nicht mit der Schnelligkeit im Blute verbreitet, wie dies bei Blutvergiftung der Fall ist. Nachdem nun bewiesen ist, daß Blutvergiftung durch Heublumenüberschläge geheilt werden kann, warum sollte Heublumenbehandlung nicht auch eine Heilung in diesen Fällen erzielen? Würde in meiner Gegend ein Mensch von einem wuthkranken Hunde gebissen werden, so würde ich zuerst und zwar sofort für das Ausbrennen der Wunde sorgen, dann aber Heublumenüberschläge anwenden, und glaube – bei diesen Worten wendete sich der Erzherzog an den Pfarrer Kneipp – hochwürdiger Herr Prälat, daß dies ein vorzügliches Mittel wäre.“
Der Prälat erwiderte, daß er daran nicht im mindesten zweifle, denn so lange das Gift nicht in das Blut eingedrungen sei, könne es noch gepackt werden. Das Eindringen des Wuthgiftes finde gewiß nicht früher statt, als bei der Blutvergiftung, und darum könne er der Ansicht des Erzherzogs nur aus vollster Ueberzeugung beipflichten. Liege der Fall einer Blutvergiftung vor, so sorge er vor Allem dafür, daß durch eine außerordentliche Hitze, erzeugt durch Heublumenauflage, so schnell wie möglich eine Eiterung eingeleitet werde, da der Eiter auch den Giftsaft aus der Wunde schwemme. Die Hitze halte das vergiftete Blut an der verwundeten Stelle zurück, so daß es nicht weiter in den Körper sich verbreiten kann, sonst wäre der Kranke verloren. „Ich muß, schließt Pfarrer Kneipp, offen gestehen, daß der Erzherzog eine außerordentliche Einsicht hat in die Krankheiten und es freut mich das. Meinen Dank für die belehrenden Ausführungen.“ –

13. Dezember. Vortrag üben Pflichten der Mütter, Ursache eines frühen Todes, falsche Ernährung. Herr Prälat erzählt folgende Geschichte aus seiner christlichen Praxis: „Als ich noch in Augsburg Kaplan war, wurde ich in ein Haus gerufen. Da sollte ich einen Mann Beichthören und ein Brautbett einsegnen. Ich dachte mir, wahrscheinlich wird ein alter Mann sterben und der Sohn oder die Tochter heirathen. Im Hause angekommen fand ich einen von der Gesichtsrose sehr entstellten, mit Geschwüren und Eiter bedeckten Mann im Bette. Er bat mich nun, ihn Beicht zu hören, und dann das Brautbett einzusegnen. Nun sagte ich: „Ja Sie werden doch nicht der Bräutigam sein?“ – „Jawohl


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bin ich der.“ – „Ja, wollen Sie dann auf die Hochzeit beichten, oder zum Sterben?“ – „Auf die Hochzeit, die morgen sein soll, und dann auch zum Sterben, wenn es sein muß.“ –
Nach der Beicht nahm mich die Braut beiseite und frug mich, ob ihr Bräutigam wohl noch aufkommen werde. „Warum wollen Sie das wissen?“, meinte ich. Ja, sehen Sie, antwortete sie, „wenn er aufkommt, heirathe ich ihn nicht, wenn ich aber weiß, daß er bald stirbt, dann ist morgen Hochzeit.“
Ich war natürlich sehr erstaunt bei dieser Auseinandersetzung, die Braut erklärte mir aber, daß sie wenn sie ihn pflege und er sie heirathe, ihn beerben werde; sie habe ihm auch Geld geliehen und könne es nur auf diese Weise retten. Nun sagte ich, „Zeit zum Heirathen haben Sie noch, machen Sie aber schnell“; nach 23 Tagen starb der Mann.“ –

15. Dezember. Das Rauchen. „Ich habe nun während vier Jahren fast täglich einen Vortrag gehalten und Gott weiß, was es gefruchtet hat. Ich hoffe, daß es mir nicht geht wie einem Landmann, der einen Samen ausgestreut und gar nichts eingeerntet hat. Ich bin schon einigemal angegangen worden, etwas über das Rauchen zu sagen und da meint man, ich wolle nicht gerne anbeißen, weil ich selbst rauche. Allein ich will jetzt gleichwohl meinen Urtheilsspruch über mich selbst und über alle Raucher sprechen. Ich sage also: Wer gar nicht raucht, der thut am besten. Daß Gott den Menschen nicht erschaffen hat, damit er rauche, das ist gewiß. Selbstverständlich kommt auch auf die Schärfe der Cigarren viel an. So hat mir kürzlich einer eine Cigarre gegeben und ich habe gemerkt, daß die Cigarre stärker ist als ich. Im übrigen habe ich das Rauchen noch nie zur Gewohnheit werden lassen. Oft werde ich in einem Tage mit einer Cigarre nicht fertig. Bis 48 Jahre habe ich nicht drei Cigarren geraucht; aber ich wollte die Bienenzucht betreiben und deshalb habe ich angefangen. Vor allem muß ich vor den ordinären Sorten warnen. Als solche sind zu bezeichnen: Stinkatores, Luderos-Cigarren und Rauch-Du-sie-sell-Cigarren. Dieses, die Cigarren, die viel Unheil anrichten, das bleibt von allen unangezweifelt. Man sagt oft, es gibt Leute, die ihr ganzes Leben hindurch geraucht haben und doch alt geworden sind. Nun, es gibt auch Lumpen, die alt werden, aber es müssen auch viele Lumpen jung sterben, gerade wie die Raucher.“
Im Verlaufe dieses Vortrags vergaß der Hochwürdigste, daß er sich nur „der Bienenzucht wegen“ ans Rauchen gewöhnt habe und sprach weiten „Ich gestehe, daß ich selbst gerne rauche, will Euch aber auch den Grund angeben. Wenn ich besonders im Sommer so fünf Stunden anhaltend sitzen muß, muß ich von Zeit zu Zeit ein paar Züge thun, um nicht einzuschlafen.“

16. Dezember. Vom Tabakschnupfen. Herr Prälat Kneipp erzählt ein Geschichtchen, „um das Schnupfen der Frauen zu characterisiren“: „In Schwaben lebte vor 40 Jahren eine brave Bauersfrau, welche nur eine üble Gewohnheit hatte: Sie schnupfte gern und viel. Einst hatte sie einen Schuster für einige Tage zum

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Arbeiten im Haus, und der ließ es sich nicht nehmen, in der freien Zeit sein Plauderstündchen in der Küche zu halten. Da sah er dann der Hausfrau zu, wie sie eben „Schupfnudln“ machte und als sie eine Weile daran gearbeitet hatte, fragte sie den Schuster „Nun, möget Ihr die Nudln gern?“ Ja, sagte der Schuster, die eß' ich mehr oder weniger gern, je nachdem es halt getröpfelt hat. „Getröpfelt, sagte die Bäuerin, wie meinet Ihr denn das, was soll denn getröpfelt haben?“ „Nun, Eure Näs“ (Nase), sagte der Schuster, „denn wenn Ihr geschnupft habt, fällt gar oft ein Tröpfle in den Nudelteig und wenn's deren viele sind, mag man die Nudln halt doch nicht so gern?“ „Ja, sagte die Frau, das geht beim Schnupfen nicht anders, das derfet Ihr so genau nicht nehme!“

17. Dezember. Wie der Fußschweiß entsteht und die Wassersucht geheilt wird.

„Wie die Adern vom Herzen aus, die einen nach oben, die andern nach unten gehen und das Blut im ganzen Körper vertheilen, so sind auch Kanäle im Innern, in welchen sich die Säfte befinden. Diese Säfte können sich anstauen, wie sich das Blut anstaut. Wenn diese Säfte nicht auf gewöhnlichem Wege ausgeschwitzt werden, sickern sie nach unten und kommen in die Füße. So entsteht der Fußschweiß.“
„Wer Fußschweiß hat, muß vor allem für gutes Blut sorgen. Das Wasser ist die erste große Apotheke, aus der wir uns die Mittel dazu holen. Die zweite sind ausgewählte Kräuter. Auf den Magen, auf die Verdauung muß zuerst eingewirkt werden. Wermuth und Rosmarin eignen sich vorzüglich dazu. Der Wermuth greift gerade die faulen Säfte und schlechten Stoffe im Magen und in den Gedärmen an.
Ich erlebte kürzlich einen Fall, wo ein Kranker mit ein paar Rosmarinsträußen von der Wassersucht geheilt wurde. Derselbe nahm Morgens und Abends 3 bis 4 Löffel voll Wein mit Rosmarin während 8 bis 10 Tagen. Ferner rathe ich Tausenguldenkraut, Salbei und Spitzwegerich, oder Wachholderbeeren, 5, 6, 7, und täglich eine Beere mehr bis 15. Sodann geht man wieder immer um eine zurück bis auf 5 Beeren. Auch Eichenrinden-Thee wirkt blutreinigend, muß aber mäßig genossen werden, weil er durch seine zusammenziehende Wirkung Verstopfung erzeugen könnte.“

23. Dezember. Von der Neurasthenie und dem Glück der Bauern.
„Neurasthenie ist eine hervorragende Schwäche im menschlichen Körper, die sich auch auf den Geist erstreckt. Von dieser Krankheit kann Jeder angegriffen werden, das Kind sowohl, als auch der Mann und die Frau, das Mädchen und der Jüngling. Es ist kein kleiner Unterschied zwischen Nervosität und Neurasthenie. Keiner sehnt sich mehr nach Hilfe als der Nervenkranke, und das ist auch ganz natürlich. Der Bauer, der hart arbeiten muß, ist der glücklichste Mann, ohne daß er es weiß. Er arbeitet ununterbrochen an seiner Abhärtung, hat den besten Appetit und ist ihm infolgedessen auch jede Kost


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bald gut genug. „Der Hunger treibt Bratwürste ein!“ sagt ein altes Sprichwort.
Auch der Schlaf stellt sich nach harter körperlicher Arbeit leicht ein. Darum sind die Landleute die glücklichsten Leute.“

30. Dezember. Drüsen, Gicht, Wasserkur für Gesunde.
„Wenn Ihr Euch in der Früh das Gesicht waschet, geht es in einem hin, den ganzen Oberkörper zu waschen, das nimmt nur eine halbe Minute mehr in Anspruch. Das thut 2 - 3mal in der Woche. (Wie reinlich!) Dann könnt Ihr ebenso oft Wasser treten oder auf nassen Steinen gehen, etwa 3 Minuten lang, und wenn Ihr dann noch 2 - 3mal wöchentlich einen Knieguß nehmt, dann habt Ihr auch für Eure beiden Unterthanen was gethan. Für einen gesunden Menschen ist diese Kur vollständig ausreichend.

Viele leiden an Polypen. Das ist nichts anderes, als ein Drang des Blutes zur Nase, wo sich harte Schleimmasse bildet. Das kommt bei einem Abgehärteten gewiß nicht vor. Wie viele Hunderte leiden an Drüsen! Drüsen bilden sich bei schwächlichen Personen, bei denen die Natur sehr unthätig ist. Man nennt sie meist Kandidaten der Schwindsucht. Bei einem abgehärteten Menschen kommen solche Anstauungen nicht vor. Diese Leute haben alle schon Sünden begangen gegen die Gesundheit, sei es durch Verweichlichung, sei es durch falsche Ernährung. Es können die Drüsen den ganzen Körper zu Grunde richten.“

4. Januar 1896. Ausschläge, Geschwüre.
„Hat Jemand „eine Karfunkel“, so soll er, wenn die Haut weiß und beim Hindrücken weich ist, mit einem Federmesser (!) aufmachen, kein großes Loch, es geht dies ganz leicht ... „Die schlechten Säfte werden angezogen durch das Pech, man darf nur an die betreffende Stelle etwas Pech hin thun und es jeden Tag erneuern, das zieht prächtig. Eine Näherin hat sich einmal eine Nadel unter dem Daumennagel hineingestoßen und die Nadel ist zerbrochen. Ein Stück fuhr im Daumen immer weiter und kam schon bis zum 2. Glied des Daumens, aber das Pech hat diese Nadel in wenigen Tagen wieder herausgezogen. Auch eine Mischung von Honig und Pech, oder von Wachs und Pech leisten gute Dienste, doch nicht so gute wie das Pech. Es macht's das Pech wie der Magnet mit dem Stahl. Da habe ich eine große Freude gehabt mit dem Magnet in meiner Jugend. Auch das Zinnkraut zieht, aber so scharf, daß nicht jeder es aushalten kann. Recht gut ist auch das foenum graecum.“

5. Januar. „Ueberstauung des Fußes“.
„Heute ist gleich ein sonderbarer Fall vorgekommen und ich möchte fragen, ob keiner wüßte, was man in solchen Fällen thun soll? Eine Frau in den 30er Jahren fällt über einen Stuhl und verletzt sich den Fuß an den Knochen – wie man sagt überstaut sich den Fuß (!) – und er hat sich stark entzündet. Es ist jetzt schon ein Jahr vorüber seit der Verletzung, der Patient ist noch nicht geheilt. Was hat man gethan? Wochendurch hat man Eis aufgelegt; dadurch ent-


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zündeten sich die Venen. Am Waden entstand eine Entzündung, sie kam bis auf den Schenkel und man hat dann auch Eis übergelegt. Auch einen Gypsverband hat man angelegt, um die Entzündung zu heben und wie man ihn weggethan hat, war die Entzündung wie zuvor. Also, erst nach Wochen ist die Entzündung heraus in die Waden, dann in die Schenkel. Jetzt geht die Wichs hinunter in den andern Fuß und fangt gerade so an. Man hat auch mit dem Eis so angefangen und die Person ist jetzt seit einem Jahre im Bette und sehr herabgekommen.
Also, was hatte man da gleich Anfangs thun sollen? Stimmen aus dem Publikum: „Einen Lehmwickel geben“, „Güsse verordnen“, „Waschungen und Güsse vornehmen“, „Arnika anwenden“, „mit Wasser und Essig einwaschen“, „Heublumen“.
Stimme aus dem Hintergrund des Saales: „Ich würde eine Topfenkäs-Salbe aufgelegt haben.“
Sind halt doch schon einige Pfuscher da. Jetzt brauchen wir noch einen, der uns sagt, ob wir da richtige Anwendungen gemacht haben und was gefehlt hat, daß der Fuß noch nicht geheilt ist und die Person nach einem Jahre nicht darauf stehen kann, daß es auf den andern Fuß gekommen ist und der rechte jetzt gesund ist.
Da hat eine Ueberstauung stattgefunden, die Knochen sind fest erschüttert worden; den Beweis liefern die Geschwulst und die Hitze. Also: Wasser und Essig, Arnika, Topfenkäs, Lehm etc. etc. Wie würde das angewendet werden? Mit allen diesen Mitteln könnte man helfen und ausreichen bei einer Quetschung, besonders wenn Blut ausgetreten ist. Das kennt man an den blauen Flecken. Da bleibts bei dem alten Hausmittel, das man auch in den 60er Jahren schon kannte, bei Wasser und Essig. Wenn der Fuß unterlaufen ist, so zieht der Essig alles heraus. Hätte man fleißig fortgemacht, so wäre der Schaden auf der verletzten Stelle geblieben und der Fuß nicht in eine Entzündung gerathen; man hätte vorgebeugt und was zerstoßen worden ist, wäre ganz gut zurecht gebracht worden, besonders wenn es blos eine Störung in den Säften gewesen wäre.
Soll der Essig kalt ober warm sein? „Kalt.“ Der warme würde die Hitze und die Entzündung unterstützen.

Lehm. Das ist gar kein Zweifel, daß Lehm ganz ausgezeichnet gewesen wäre. Ich gäbe ihm noch ein Mittel bei. Der Lehm zieht auf und an, aber er löst nicht auf. Er nimmt die Hitze, saugt auf, löst aber nicht auf. Um ganz sicher zu gehen, wenn etwas ausgetreten ist, könnte man mit noch etwas kommen. Einen Wickel, Heublumenwickel könnte man nehmen, kalt ober nur lau und höchstens nur ½ Stunde. Auch Wasser und Essig konnte man mit Lehm wechseln. 2, 3 Stunden ober ½ Tag Essig und dann wieder Lehm.
Topfenkäs wäre für den Schaben ausgezeichnet gewesen, die Hitze hätte er schnell genommen. Aber den ganzen


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Fuß kann man nicht so gut einwickeln mit Topfenkäs. Man soll den Topfenkäs auflegen bis die Hitze genommen ist, dann den Fuß einwickeln mit Wasser und Essig und auch mit Lehm; also zweierlei Wickel. Diese würden auch ziehen.

Gießungen. Das wäre gerade so gut gegangen, wenn man den Fuß so oft gegossen hätte, als die Hitze groß geworden wäre. Wenn die Hitze stark ist, muß gegossen werden. Wenn Blut ausgetreten ist (das zeigt die blaue Farbe), so wäre es gut mit den Gießungen auch einen Wickel zu geben. So hätte der Fuß 6 - 7 Tage gebraucht, dann hätte er recht sein können, wenn kein Bruch vorhanden war.

Eis, ist nun das passend oder nicht? Meiner Ansicht und Ueberzeugung nach wäre dies die allerletzte Anwendung und ich würde gar nie für unsere Natur Eis wählen, weil das Eis doch gegen unsere Natur zu schroff und zu kalt ist und weil ich die Ueberzeugung habe, wenn man viel Eis aufgelegt hat, hat man großen Schaden angerichtet. Der Gefrierpunkt und die Blutwärme, das sind so schroffe Gegensätze, daß ich nicht glauben kann, unsere Natur könne das Eis aushalten ohne beeinträchtigt zu werden. Man nimmt es bei Kopfentzündungen und ich weiß, daß der Kopf schon ganz schwarzblau geworden ist bei meinem seligen Vorgänger [Pfarrer Ziegler], wo man 10 Stunden lang lauter Eisbeutel aufgelegt hat. Er hat im bewußtlosen Zustande immer nach dem Eisbeutel gelangt und ihn herunterreißen wollen, es kann dies also nie passen. Es muß das Mittel auch seine Ruhe bringen. Wie ich ihm den Eisbeutel heruntergethan hatte, hat er nicht mehr nach oben gelangt, wenn er auch noch bewußtlos blieb. Auflösen kann das Blut das Eis nicht und thut es auch nicht.
Statt daß in unserem Falle die Geschwulst nachgelassen hat, hat sich die Sache weggewendet und ist von unten aufgefahren, ist dann in den Leib und in den anderen Fuß, dort ist die ganze Wichs hinuntergefahren. Da hat man zunächst erreicht, daß der Schaden von einem Fuß in den andern kommt. Das ist ganz klar. Wenn nun der Schaden wieder heraufkommt, frägt es sich, ob er nicht lieber in den Leib als in den Fuß geht.

Die Heublumen haben wir vergessen; aber die darf man nur warm umlegen und nur wenn keine Entzündung da ist; außer es ist schon Blutvergiftung eingetreten, dann kann man Heublumen nehmen zur Radikalkur.

Wir haben gestern von den Geschwüren am Körper gehört und gehört, daß der Topfenkäs so brauchbar sei. Auch im Magen bilden sich oft Geschwüre. Man kann zwar da kein Pflaster aufstreichen und den Magen damit austapezieren, aber dennoch kann man auch da den Topfenkäs recht gut anwenden, indem man stündlich ein kleines Quantum zu sich nimmt. Die Geschwüre im Magen sind recht gefährlich, weil dort so viel Blutadern sind. Darum darf man sie nicht zu stark werden lassen. Auch den Spitzenwegerich kann man da wieder anwenden.“


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7. Januar. Aphorismen über „Verkältungen“ und Kolik. Die „Darm Verwicklung“.
. . . „Man kann also durch ein Glas Bier eine Kolik sich zuziehen und wer sie einmal gehabt hat, weiß recht gut, was es ist. Wenn das Bier länger im Magen ist, so dehnt sich der Magen aus, das Bier kommt auch in die Gedärme und treibt sie auseinander und entwickelt sich die Säure, die sich mit dem Speisebrei verbindet und so kann eine Entzündung wie im Magen, so auch in den Gedärmen entstehen, und wie fürchterlich ist die Darmentzündung. Wie leicht kann auch eine Darmverwicklung entstehen.
Ich habe einen Herrn gekannt, der schon 2mal in großer Verlegenheit war wegen Darmverwicklung. Er war kein Trinker, nur 2 - 3 Glas hätte er sich nicht nehmen lassen. Dieser Herr verreiste eines Tages und trank 2 Glas Bier und fuhr dann mit der Eisenbahn nach Hause. Er hatte 2 Stunden zu fahren. Während dieser Zeit ist das Bier ganz in Gährung gekommen und er wurde so aufgetrieben, daß er sich nicht zu helfen wußte. Da haben sich auch im Unterleib die Gedärme mit Gas gefüllt, so daß sie ausgetreten sind. Daraus entstand eine Darmverwicklung und nach acht Stunden ist der Herr gestorben. So gewiß 2 x 2 vier ist, haben das die zwei Glas Bier, auf der Bahn getrunken, bewirkt. Die Gährung war vor sich gegangen und dies bewirkte den Tod.

Ein falsches Getränke kann wie im Magen so auch in den Nieren, in der Blase und in der Leber die größte Revolution hervorbringen. Das kann man dann Kolik heißen. Erst kommen fürchterliche Schmerzen, dann eine Art Entzündung, die gefährlich ist, die zur Darmentzündung oder Verbrandung werden kann. . .
. . . Das Eisenbahnfahren ist für viele schädlich und vermindert die Natur. Mir ist es ein Vergnügen und gesund . . .

. . . Wohin die Luft kann, kommt kein Katarrh, sperrt man die Luft hinaus, so kommt der Katarrh gewiß. Nun mir läg nichts daran, wenn ich heute einen bekäme. Der müßte morgen sicher zum Kuckuck sein. Ich hab' dazu ein Mittel: Entweder halte ich dann eine Predigt oder einen Vortrag und schrei ihn hinaus oder ich laufe irgend wohin, dann geht er gleich, wenn er noch nicht lang da ist . . .“

8. Januar. Weiteres über die Kolik.
„Von den Verkältungen haben wir gestern genug gesagt. Jetzt können wir noch Etwas von der Kolik hören. Wenn durch einen Trunk Kolik entsteht, durch kaltes Bier oder Wassertrinken, so will das sagen, daß zu viel Kälte in den Magen gekommen ist. Die Zeichen sind Leibschmerzen, und zwar krampfhafte. Die können so arg sein, daß sie an die Choleraschmerzen erinnern, und meistens tritt dann Abführen ein. Das ist eine „junge Cholera“, ebenso wie die Cholerine eine Cholera im Kleinen ist. Dabei ist gewöhnlich eine Entzündung im Magen, die auch übergehen kann auf die Gedärme, und so den ganzen


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Unterleib in die größte Unruhe, auch in die größten Schmerzen bringen kann. Weil die Kolik ein Zweikampf in der Natur ist, der stattfindet zwischen Kälte und Wärme, werdet Ihr Euch wohl zu helfen wissen. Ihr müßt einfach der Wärme zum Siege verhelfen über die Kälte.“

9. Januar. Wo sind „die Herkules“?
Herr Prälat erzählt: „Vor sechs Jahren kam ein geistlicher Herr hieher; der war sehr nervös und ganz heruntergekommen. Ich rieth ihm, im Garten zu graben, erst wenig, eine Viertelstunde z. B., denn solche Leute athmen schon schwer, wenn sie den Spaten oder die Schaufel bloß sehen. Er befolgte meinen Rath und ist heute ein wahrer Herkules. Darum haben die Landkinder etwas voraus vor den Stadtkindern; entfernt von dem Getümmel der Welt, hinter einem Wald, auf der Einöde, da sind die Herkules. Sie haben gesunde Luft, einfache Kost und üben die Körperkraft. Das bleiben sie meistens durch das ganze Leben hindurch, und darum heißt es von Manchem: er war von Jugend auf schon gesund und kräftig.“

9. Januar. Von der Blutcirkulation. Ein Blitzgußwunder.
„Es kam heute ein Herr, von dem man seinem Aeußern nach glauben möchte, er wäre gewiß nicht blutarm und hätte ohne Zweifel auch eine gute Blutcirkulation, und doch kommt er nach Wörishofen; jedenfalls deswegen, weil man ihn sonst schon überall aufgegeben hat. Denn nach Wörishofen kommt nur, was sonst nirgends mehr Hilfe findet. Also, was fehlt dem Herrn? Der hat einen Fuß, an dem man außer dem Knochen nur noch die Haut sieht. Das Uebrige ist geschwunden. Was ist das nun für eine Krankheit? Da fehlt bloß das Blut im Fuß. Es ist die Cirkulation des Blutes im Fuße aufgehalten, deswegen ist dieser verhungert und hinter dem andern zurückgeblieben; denn es kann auch von uns keiner fett werden, wenn er nichts zu essen bekommt. Was thun nun die Aerzte dagegen? Nichts können sie thun. Mit Medikamenten kann man keine Blutcirkulation hervorrufen. Das geht am besten mit dem Wasser. Da kann man das Blut von oben nach unten und von unten nach oben, überhaupt überall hinbringen, wo man es haben will. Fraget hundert Aerzte und Apotheker, ob sie ein Mittel haben, Blutstauungen zu heben, sie werden kaum eines finden. Und gerade das ist die Hauptsache.
. . . Tritt in der Jugend ein Schwund an den Füßen ein, dann kann man im Alter wohl nicht mehr gut helfen. Im Asyle wollte ich gestern einem Herrn, der das Gießen lernt, einen Blitzguß vormachen. Da kam gerade ein rothaariger Bube, der den Fuß zurückgebogen hatte. Ich „blitzte“ ihn auf das Knie und in die Kniehöhle, da fiel ihm auf einmal der Fuß hinunter, und ich habe jetzt Hoffnung, daß der Bube bald stehen und gehen können werde.“ . .


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10. Januar. Der Lehmwasserwickel und der Heublumenwickel.
„Wenn die Hand geschwollen oder verstaut ist, nehme man Heublumenwickel, den man alle Stunden erneuert, und am andern Tage Lehmwasserwickel. Was für ein Unterschied ist zwischen Beiden? Der Unterschied ist ziemlich groß. Der Heublumenwickel löst auf, macht los und schält ab. Der Lehmwickel zieht an und saugt auf.“

11. Januar. Der Gottesmann gibt neue Weisheitssprüche zum besten.
„Mäßigkeit im Essen und Trinken ist ein Haupterforderniß zur Erhaltung der Gesundheit. Man darf da nicht immer seinem Geschmack folgen. Wer z.B. trinkt so lange es ihm schmeckt, läuft Gefahr, einen Kapitalrausch zu bekommen. Wer ein hitziges Temperament hat und sich bei jeder Gelegenheit stark aufregt, dem garantire ich, daß er nicht alt wird, und wenn er noch so gut gebaut ist. Was nützt es übrigens, wenn man sich so viel alterirt, bewahre man doch stets Ruhe und Kälte. Wenn ein Haus brennt, soll man löschen, statt unnützes Geschrei zu machen.“

15. Januar. Ein einfaches Mittel „gegen die Korpulenz.“
„Wenn Einer eine gute Verdauung hat, dann bekommt er viel Blut und kann es nicht verhindern, daß er dick wird. Wenn aber Einer mit schwammigem Aussehen kommt, so ist das ein Zeichen, daß die Korpulenz keine gesunde ist. Es geht das Blut bei ihnen in Fleisch über.
Wie habe ich nun meine Korpulenz geringer gemacht? Das ging so: Ich hab' mir gedacht, wenn man etwas probirt, kann man zu etwas kommen oder, in diesem Falle kann man etwas verlieren. Anfangs Herbst vorigen Jahres habe ich Vorträge gehalten über Spitzwegerich, Tannenzapfen und Aehnliches und habe behauptet, Honig in Spitzwegerich löse die Hypothek, nicht die beim Gericht, sondern am Körper. Weil ich nun nichts empfehle, außer ich habe Versuche gemacht, habe ich Spitzwegerich, mit Honig gemischt, versucht und davon eine größere Portion bereiten lassen. Davon habe ich täglich einen Löffel voll genommen und dem habe ich die Verminderung meiner Korpulenz zu danken. Darum will ich nächsten Sommer gerade Spitzwegerich und Honig noch mehr empfehlen. Außer Spitzwegerich und Honig habe ich auch täglich noch dreimal ungefähr 30 Tropfen von einem Kräutersaft genommen, den ich mir selbst bereitet habe.“

21. Januar. Wechselfieber, Schleimfieber, Bärendreck, Urinbeschau, Fleischbrühe und Kuhknochen.
„Das Wechselfieber, von dem der heutige Vortrag handelt, ist eine Folge, von Verkältungen, wie die Influenza. Leute, welche davon befallen werden, fühlen zeitweise ein gewaltiges Frösteln, dann wieder eine glühende Hitze, und daher mag wohl auch der Namen kommen. Ihre Zunge ist ganz belegt und der Appetit schlecht. Der Urin ist wolkig und hat einen rothen Satz. Früher hat man sich mit dem Urin viel besser ausgekannt, als


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heutzutage. Ich kannte einen Landarzt, der schaute nur den Urin an und dann wußte er alles. Er verordnete dann Medizinen, welche noch schuldloser waren, als heutzutage.
Manchmal hat man einen sogenannten „Bärendreck“ gesotten und einige Kräuter darauf gethan, welche auf die Nieren und auf den Magen wirkten und so hat man Viele kurirt. In Runsberg [vermutlich Ronsberg im Ostallgäu] war ein Bauernweib, zu welchem ein großer Zulauf stattfand, selbst Aerzte schickten den Urin hin und meistens stimmte ihr Ausspruch mit der ärztlichen Prognose.
In Baisweil war ein Kranker, welcher auch den Urin hinschickte. Er bekam die Antwort, es werde nicht mehr viel werden, die Krankheit sei schon stark vorangeschritten. Er bekam ein Rezept, zu welchem 13 Kräuter erforderlich waren, und es brachte ihm eine große Erleichterung, aber das Uebel blieb ihm. Mir wurde ihre Medizinerei bald klar. Sie nahm nämlich viele Kräuter, in der Hoffnung, eines werde gewiß helfen. Diese Medizinen waren aber gar nicht theuer.
In Ottobeuren war ein Landarzt, der für das Rezept 12 Kreuzer verlangte und für einen Gang in der Entfernung einer Stunde 18 Kreuzer. Mit solchen Medizinen also heilte man einst das Schleimfieber. Der Verlauf der Krankheit war ein langer Zweikampf der Kälte mit der Hitze.

Ich würde diese Krankheit ganz anders heilen, indem ich nämlich einwirkte, daß der Schleim rasch abgeleitet würde. Auch auf eine gute Kost soll man sehen, rathe aber nicht mit Vorzug der Fleischbrühe, sondern vielmehr der schwarzen Brodsuppe [Brotsuppe], welche bei all' ihrer Einfachheit so delicat ist, daß ich ihr keine andere vorziehen möchte. Vor dieser Suppe habe ich Respekt. Aber in die Fleischbrühe kommen die Säfte des Fleisches und wenn das Stück Vieh krank war, so enthält auch die Suppe diese kranken Säfte.
Etwas anderes ist's, wenn man einen Knochen zerschlägt, und diesen aussiedet. Zu Ehren der Knochen von den Ochsen und Kühen habe ich voriges Jahr 2 Vorträge gehalten und habe behauptet, ich wollte einen Knochen in der Größe einer Faust essen –, nachdem ich ihn nämlich durch Sieden zersetzt habe. Das Schleimfieber wird gerade so geheilt, wie das Wechselfieber.“

24. Januar. „Um zu zeigen, welch ekles Zeug die ahnungslose Menschheit oft in Pillen und Pulvern einnimmt,“ erzählt der Hochw. Herr auch ein appetitliches Geschichtlein von einem Dorfbader.
„Der Mann machte nämlich aus Mehl, Wasser und Zucker etc. ein Teiglein und mit diesem umhüllte er je einen „Mäuse- oder Rattenbollen“, letztere sollten besonders kräftig wirken. Meinte nun ein Bäuerlein, es sei bei ihm nicht alles in Ordnung, so kaufte es sich ein paar solcher Pillen und hatte es die verschluckt, meinte es was recht Tüchtiges gethan zu haben.“ –

25. Januar. Ein unfehlbares Spezificum gegen die Kolik.
„Ich kannte einst einen Studenten, einen ganz verwöhnten Menschen. Der konnte nichts essen, was nicht ganz fein zubereitet war. Eines Tages bekam er plötzlich so heftige Kolik schmerzen, daß er laut aufschrie und sich krümmte und wand im


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Bette wie ein Wurm. Man schickte nun zu mir, ob ich fein Mittel dagegen wisse. Ich sagte, ich wüßte wohl eines, das augenblicklich wirke, aber ich glaube kaum, daß der junge Mann es nehmen werde. Man sagte mir, er nehme alles, ich möge mich nur beeilen, sonst schreie er sich noch todt. So ging ich denn zu einem Bauern und bat ihn, er möge mir ein bißchen Roßstaub geben, es habe ein mir bekannter Student heftige Kolikschmerzen und es könnte leicht eine Darmverschlingung geben.
Nun gingen wir in den Stall, wo so ein alter „Häuter“ stand, den striegelte das Bäuerlein, dann thaten wir den Staub in ein Papierchen, so daß es aussah wie ein Pülverchen, frisch aus der Apotheke geholt. Dies gab ich dann dem Studenten in einem Löffel voll Schnaps. Er war sofort beruhigt und nach fünf Minuten war der ganze Anfall vorbei. Ich habe mich natürlich gleich aus dem Staube gemacht, denn wenn er mich nach dem geheimen Mittelchen gefragt und die Sache erfahren hätte, würde er sich vor allem heftig erbrochen haben und mich hätte er sicher nicht mehr ansehen können. –
Es ist im Grunde nicht viel dabei und man nimmt noch schrecklichere Sachen ein. Ich wüßte auch nie, daß es nicht geholfen hätte; die ganze Wirkung liegt darin, daß die Gase schnell erfaßt und ausgeleitet werden, dann tritt Ruhe ein.“

28. Januar. Wie Brüche geheilt werden.
„Ist ein Bruch vorhanden, so ist es von großem Nutzen, unter das Bruch-Band und durch dieses gehalten, ein Leinentüchlein zusammengelegt und in Thee von junger Eichenrinde getaucht, zu tragen. Durch Anwendung dieses höchst einfachen Mittels können noch nicht zu alte Brüche geheilt werden.“

Von Ende Januar bis Ende März. In die Wiederholung der alten und so überaus lehrhaften Vorträge eingestreute neue „wissenschaftliche“ Einfälle.
Das Kaffeetrinken ist nichts anderes, als eine feine Strychninvergiftung. –
Die Kartoffel ist eine sehr empfehlenswerthe Nahrung. Man kann sie zu jeder Art von Speisen benützen. – Blutarme Leute sollen bei Beginn des Frühlings die ersten Pflanzen, wie Löwenzahn, Spinat etc. nehmen und Salat davon essen. Das ist sehr gut für Blutarme. –
Man kann Schleim- oder Wechselfieber bekommen. Beides ist nicht ungefährlich. Dauert zumeist 3, 4 - 5 Wochen und kann man dabei das Leben sogar einbüßen. Dann gibt es ein weiteres Fieber, das zwar bei uns nicht bekannt ist, es ist dies das Malaria-Fieber. –
In jener schönen alten Zeit war auch betreffs der Frauen ein Sprichwort bekannt; dies hieß: „Hausfrau und Hund gehören zum Haus.“ –
Die heutige Welt gleicht einem schwer beladenen Wagen, der auf einem hohen Berge steht und mit voller Gewalt unaufhaltbar hinunter und somit ins Verderben rennt.


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Was sind denn die Fabrikarbeiter für Leute? Meistens solche, denen die Arbeit auf dem Lande nicht nobel genug war, also Landleute. –

Noch einiges Kurzweilige, Wunderbare und Lehrhafte (aus den letzten Tagen des März).
Der Herr Prälat bestätigt die Lehren eines hundertjährigen Buches. Am 21. März sprachen Hochw. Herr Prälat über den Unterschied zwischen Stadt und Land in gesundheitlicher Hinsicht. Herr Prälat las einst ein Buch, das schon wenigstens 100 Jahre alt ist und ganz nach in Uebereinstimmung mit seinen Ansichten geschrieben und aus dem er manches, was als Stoff des heutigen Vortrages diente, entnahm. In diesem Buche fand Herr Prälat u. A. die Anschauung ausgedrückt, daß jede Stadt nach und nach förmlich aussterben würde, wenn nicht Landvolk in die Städte ziehen würde. Herr Prälat bezweifelte dieses zwar anfangs selbst. Nachdem er aber großes Interesse dafür hegte zu wissen, ob dem wirklich so sei, stellte er selbst Beobachtungen an und kann nun auf Grund eigener Erfahrung letzterer die Nichtigkeit dieser Anschauung bestätigen. – (Bericht der Wörishofer Zeitung.)

Die Kneippsche Theorie von den Katarrhen.
„Katarrhe gibt es verschiedene, wie: Nasen-, Rachen-, Augen- und noch andere Katarrhe. Katarrhe entstehen, wenn ein zu plötzlicher Wechsel von Wärme und Kälte vorhergegangen ist. Es entsteht zwischen diesen beiden Faktoren sozusagen ein Zweikampf. Das beste Mittel, einen Katarrh zu vermeiden, ist, daß man in der Frühe eine Hand voll kaltes Wasser aufschnupft.
Ich lasse selten eine Verordnung direkt auf den Magen anwenden, sondern vom Unterleib aus ist es besser, auf den Magen einzuwirken. Die Wärme muß vom Unterleib in den Magen kommen. Kolik ist auch eine Art Katarrh.“

Haberstroh und Leberleiden.
„Haberstrohthee ist besonders gut für Leberleidende. Bei solchen Leiden wie bei Leberschrumpfung etc. kann durch Haberstrohthee vollständige Gesundheit erzielt werden. Auch für Gichtleidende ist Haberstrohthee zu empfehlen.“ –

Heublumenwunder bei Menschen und Vieh.
„Ein Mann, dem bereits ein paar Knochen aus dem Fuße genommen wurden, hörte, als ihm zuletzt höchst wahrscheinlich der Fuß abgenommen worden wäre, von den Heublumen und deren Wirkung. Derselbe wandte nun diese Wickel an und wurde vollständig geheilt. Aus Heublumen und Heu selbst kann also auch guter Thee bereitet werden. Besonders ist letzter für Husten gut. Im Heu selbst sind sehr viele Nährstoffe enthalten. Am besten ist das beim Vieh zu bemerken.“
Herr Prälat erprobte diesen Thee an einem Kalbe. „Diesem gab ich zuerst in den ersten Lebenstagen ein paar Löffel voll von genanntem Thee, als es 8 Tage alt war, bekam es ½ Liter. Schon am 5. oder 6. Tage hatte sich das Thier ganz gut an den Thee gewöhnt und nach und nach bekam es gar keine Milch mehr. Man könnte da glauben, daß das Kalb minder geworden wäre bei diesem Futter. Nach 6 Wochen bekam das Kalb gestockte Milch, Heuthee und dazu eine Hand voll Kleie. Mit dieser Fütterung wurde nun ein ganzes Jahr lang fortgefahren. Nach diesem Jahre war in Türkheim eine Viehausstellung. Zu dieser


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Ausstellung ließ ich nun auch dieses Kalb bringen. Es wog nach diesem Jahre 6 Ctr. 30 Pfd. und bekam ich darauf den 1. Preis. Man sollte diesen Vorfall kaum glauben, aber es ist wahr.“ – – – – – – – – – – – –

Genug des Erbaulichen und Wunderbaren. Wen diese Proben von des göttlichen Medizinmannes Lehre und Kunst nicht befriedigen, der ist verloren für die ultramontane Zukunfts-Menschen- und Thier-Heilkunde. Unrettbar verloren. Unbillig aber wäre es, wenn wir nach den so überaus belehrende Exempeln wunderbarer Heilvielfältigkeit des Hochwürdigen nicht auch die hochchristliche Art seiner außerordentlichen Bescheidenheit ein wenig würdigen wollten. Der Gottes- und der Wassermann hat uns diese Würdigung in zuvorkommender Weise erleichtert. Denn in dem schon mehrfach lobend erwähnten Kneipp-Kalender für 1896, den der Herr Prälat als Herausgeber zeichnet, hat er sich für jeden Monat eine Zueignung in glänzenden Versen anfertigen lassen, die sowohl der Form als des Inhaltes wegen die Wiedergabe verdienen:

Januar. Natur-Wunder des Wassers.
Der Christ beginnt das Jahr in Jesu Namen;
Glück auf! In diesem Namen wunderbar
Rief Petrus aus: „Steht auf!“ und heilt den Lahmen. –
Kneipp heilt in Gottes Namen Jahr für Jahr, –
Und sieh! – sieh auf dem Koffer dort die Krücken!
Die Frau, jüngst lahm, geht heim voll Dank-Entzücken.

Februar. Zum Faschings-Tanze treibt die Luft-Tarantel, –
Zum Veitstanz treibt das Weh ein krankes Kind:
Kneipp's Wickel wird da zum Elias-Mantel;
Gott schuf das Wasser, daß es heilend rinnt. –
Dämonen suchten Zaub'rer einst zu bannen:
Kneipp treibt sie aus mit Wasserzauber-Kannen.

März. O Frühlingslicht! Beglückt ist, wer dich schaute;
Dort meint ein Armer, der Erblindung nah;
Auf daß auch ihm der Frühlings-Himmel blau'te,
Führt Kneipp ihn hin zum Teiche Siloah.
Drei „Schwalben“ kamen blind vom Alpenlande;
Bald sah'n sie hell den Karst am Adria-Strande.

April. O heilige Osterzeit, da Christ erstanden!
Wie Viele seufzen, die dem Tode nah:
Kein Arzt hat ihre Krankheit recht verstanden, –
Kneipp weckt das Leben noch, – Hallelujah!
Den Tod hat Mancher selbst sich wollen geben,
Kalt Wasser gibt statt Leichenstarre – Leben!


Mai. Am Pfingsttag löste Gottes Geist die Zungen,
Doch stumm und taub war kein Apostel dort.
Mit Wasser statt mit Feuer hat erzwungen
Kneipp's Blitzguß oft Gehör und freies Wort.
In allen Sprachen klang die Ehre Gottes.
So tönt's „Gott Lob!“ um Kneipp trotz freveln Spottes.

Juni. Mit Jordans-Wasser taufte Sankt Johannes, –
Aussätz’ge wurden dort, dann Sünder rein.


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Kneipp's Kur, des Gottes- und des Wassermannes
Heilt Lupus, Krebs, oft Sünden im Verein.
Mit Honig, Heuschreck-Blumen und mit Wasser,
Mit Fasten auch genas manch armer Prasser.

Juli. Der Juli bringt im Jahr gar große Hitze,
Doch Fieberhitze macht viel ärger heiß;
Daß dann statt Fieberfrost der Kranke schwitze,
Bringt kaltes Wasser den gesunden Schweiß.
O ließen sich von Kneipp Gesunde rathen,
Zu baden, – würden Fieber selten schaden.

August. Der Kräuterweihe-Mond ist Frommen tröstlich;
Auch Kneipp erkennt der Kräuter heil'ge Kraft.
Für Magenleiden braut er Tränklein köstlich,
Selbst bitt'rer Thee wird frischer Lebenssaft;
Geschwür, Blutbrechen, Tod schon droh'nde Krämpfe
Stillt Kräutertrank und heilen Kräuterdämpfe.

September. Es herbstet; kalte Nebel wallen, feuchte;
Gichtkranke schmerzt durchzuckend da ein Riß;
Noth dräut dem Athem, ja der Husten keuchte,
Ruhr bringt dem Kind unreifer Apfelbiß.
Gott Dank, daß Wasserkraft den Schmerz zertheilte
Und Kräutersaft die kranken Säfte heilte!

Oktober. Im Kirchweih-Mond, im Monat auch des Weines,
Erinnert euch des Weinsteins in dem Faß!
Wer heilt die Schreckenspein des Nierensteines?
„Da hilft nur Kneipp,“ so seufzt, vom Todschweiß naß,
Ein Arzt, dem nicht Mariazeller Tropfen Steinknollen lösen,
die so schmerzlich stopfen.

November. Das Leid der armen Seelen, der erlösten,
Verwandelt sich in ewige Seligkeit.
Oft schwerer ist's, der Menschen Schwermuth trösten,
Belebend Wasser heilt auch dieses Leid.
Mög' Vater Kneipp stets heiter sein auf Erden,
Gleich nach dem Tod im Himmel selig werben!


Dezember. Weihnachten, Fest der Kinder! Wie viel Wiegen
Entnimmt die Mutter – ach! – ein krankes Kind!
Getrost! Bald wirb's gesund im Arm ihr liegen, –
Heut' lacht's, wie tausend Kinder freudig sind.
Die Mütter wünschen heut noch viele Jahre
Dem Vater Kneipp, den Gott gesund bewahre!


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Wie der Herr Prälat convertirt.

Jammern in der bayerischen Volksvertretung die Myrmidonen des Ultramontanismus über die Disparität in den akademischen Lehrämtern, schreien sie Zeter und Mordio über die im Verhältniß zur Bevölkerung zu große Zahl protestantischer Professoren der Medizin, so muß das dem gewöhnlichen Culturmenschen, sei er nun Katholik oder „Heide“, als etwas ganz Absurdes erscheinen. Wägt doch der gemeine Menschenverstand die wissenschaftliche Befähigung eines Lehrers der Medizin nicht nach dessen religiösem Bekenntnisse ab. Ein Mediziner kann ein recht schlechter Katholik, ja ein Protestant, Jude, oder – horribile dictu! [„schrecklich zu sagen“] – sogar ein Atheist sein und dabei in seinem Fache Vorzügliches leisten. Das die einfache Deduktion des gewöhnliches Verstandes. Anders die Fanatiker der Lehre vom allein seligmachenden Heil. Ihnen ist Religion gleichbedeutend mit Katholizismus. Nur der streng gläubige Katholik, sagen sie, ist im Stande, wirkliche dem Leib und der Seele dienliche Wissenschaft zu üben. Den Juvenal'schen Satz mens sana in corpore sano [„ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“], drehen sie flugs um und dekretiren [verordnen, verfügen]: „Ohne centrums-katholischgesunde Seele kein leibliches Wohl!“ Daraus ergibt sich dann ohne weiteres die alleinige Berechtigung der nur katholischen Wissenschaft insbesondere der nur-katholischen Menschenheilkunde.

Und wenn daher Herr Sebastian Kneipp diese freundliche Auffassung in seiner drastischen Art also zusammenfaßt: „Der Mensch ohne Religion ist nichts. Ein Hund ist glücklicher als ein Religionsloser;“ weiß der Nichtkatholik und auch der nicht auf das Centrum eingeschworene („ungläubige“) Katholik, wie er sich zu werthen hat.
Vor beiläufig 500 Jahren hat der große Inquisitor [Pedro de] Arbués, den im Jahre 1867 Papst Pius IX. heilig sprach, derartiges Ketzergesindel auf allerchristlichste Art verbrennen lassen. Solche Späße sind heute nun doch nicht mehr üblich. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich die auf dem Felsen Petri gegründete Kirche mit dem ihr eigenen Geschick den Verhältnissen angepaßt. Und wenn in den achtziger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts der große und heilige Peter Arbues ketzerische Hunde sanft durch röstendes Feuer zum Himmel oder zur Hölle beförderte, wäscht am Ende des neunzehnten Saeculums der Wundermedizinmann Kneipp – ein ungleich kleinerer als jener aragonische Heilige – die ihm unglücklicher als die Hunde erscheinenden „Ungläubigen“ milde mit kaltem Wasser zu allein echten Christen um. Für die auf Kneipp'sche Weise Geläuterten hat, wenn sie vorher leidlich gesund waren, diese Behandlungsweise auch zuweilen noch den Vortheil, daß sie am Leben bleiben dürfen.

Ueber jene, die sich bei gesunden Sinnen dem wasserheilenden Proselytenmacher ausliefern, sei es „aus Ueberzeugung“, sei es, um in Wörishofen und Umgegend ein besseres – auf hochwürdiger Empfehlung basierendes – wirtschaftliches Gedeihen zu finden, über jene ist weiter kein Wort zu verlieren. Auch nicht über die zahlreichen


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jüngeren und älteren nach dem wahren Heil sich sehnenden Damen, denen stramme katholische Diener des Herrn durch überzeugenden frommen Trost die hungernde Seele zu sättigen wissen.

Ein Anderes aber, wenn fromme Heilwuth sich den geschwächten Willenszustand der Kranken zu Nutze macht, wenn sie heimlich und schleichend zu Werke geht, wider besseres Wissen Heilung des Körpers versprechend, mir um das Verzeichniß der für die Alleinseligmachende gewonnenen Seelen um eine Nummer zu bereichern. Nun sichert ja die bayerische Verfassung (4. Titel § 9) „jedem Einwohner des Reiches vollkommene Gewissensfreiheit“ zu und in einem besonderen „Verfassungs-Edikt über die äußeren Rechtsverhältnisse des Königreichs Bayern, in Beziehung mit Religion und kirchliche Gesellschaften“, sind die folgenden klaren Bestimmungen über die Wahl des Glaubens-Bekenntnisses enthalten:

§ 5. Die Wahl des Glaubens-Bekenntnisses ist jedem Staats-Einwohner nach seiner eigenen freien Ueberzeugung überlassen.
§ 6. Derselbe muß jedoch das hiezu erforderliche Unterscheidungs-Alter, welches für beide Geschlechter auf die gesetzliche Volljährigkeit bestimmt wird, erreicht haben.
§ 7. Da diese Wahl eine eigene freie Ueberzeugung voraussetzt, so kann sie nur solchen Individuen zustehen, welche in keinem Geistes- oder Gemüthszustande sich befinden, der sie derselben unfähig macht. § 8. Keine Partei darf die Mitglieder der anderen durch Zwang oder List zum Uebergang verleiten.
§ 10. Der Uebergang von einer Kirche zu einer anderen muß allezeit bei dem einschlägigen Pfarrer oder geistlichen Vorstande sowohl der neu gewählten, als der verlassenen Kirche persönlich erklärt werden.

Indeß der Eifer, dem der Zweck das Mittel heiligt, kümmert sich nicht um die geltenden Gesetze. Auch hier scheint das neuentdeckte Windthorst'sche Prinzip zu gelten, sich mit Gottes Hilfe glücklich durchzulügen. Zudem mischen sich in dem Staate, in dem der katholische Klerus einen so entscheidenden politischen Einfluß ausübt, in dem hohe protestantische Beamte „aus Loyalität“ den katholischen Gottesdienst besuchen, die weltlichen Behörden aus begreiflichen Gründen nicht gern in so heikle Angelegenheiten. Und schließlich sucht auch die protestantische Orthodoxie – um kein Haar besser als die katholische, mit der sie getreulich Gesetze wider „den Umsturz“ ersinnt, – nach Möglichkeit den Skandal zu vermeiden, soll doch „den Massen die Religion erhalten werden.“

Das hindert natürlich die jenseits von dem geschorenen und dem gescheitelten Muckerthum Stehenden nicht im geringsten, die Propaganda gebührend und bewundernd zu würdigen, welche der Wörishofener Begründer einer ultramontanen Heilkunde im Nebenberufe – oder im Hauptberufe? – unter den seiner Wunderkunst vertrauenden Einfältigen mit hervorragender Energie übt.

Die Aktion der Umwaschung selbst vollzieht sich in kritischen Fällen möglichst in heimlichster Stille, und dem thätigen Umtäufer genügt es zweifellos, wenn er, gleichviel ob das die neu geadelte Seele beherbergende Individuum bei der Prozedur dem Todtengräber verfällt oder nicht, von Zeit zu Zeit die Meldezettel der himmpischen [verm. himmlischen] Rekruten nach Rom senden kann, und erblühte einem Konrad Fischer1) der päpstliche Segen, warum sollte eine so viel mehr verdiente Kraft, wie die des Herrn Prälat nicht berechtigte Anwartschaft haben auf den echten und soliden Heiligenschein? Vollzieht sich, wie gesagt, die „Bekehrung“ zumeist abseits der Oeffentlichkeit, so gibt es doch einen höchst wahrscheinlich typischen Fall, über den eine aktenmäßige Darstellung vorliegt. Wir meinen den, von dem Pfarrer [W.] Stockmayer in seiner

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1) Eine inzwischen wegen betrügerischen Bankrotts und Meineids strafrechtlich verfolgte und flüchtig gegangene Münchener Centrumsgröße.


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Broschüre [von 1894] „Ein doppeltes Opfer Kneipp'scher Kur“ 1) erzählten. Dieses Stück Wörishofener Propaganda, dessen vorliegende Darstellung in keinem Punkte bestritten werden konnte, gewinnt neuerdings umsomehr Bedeutung, als eine der handelnden Hauptpersonen und Gehilfinnen beim frommen Werk just in der letzten Zeit gar wenig christlich-sittlich von sich reden machte. Wovon in einem späteren Kapitel zu lesen sein wird. Die erwähnte Broschüre schildert den Hergang der Umwaschung kurz folgendermaßen:

Fräulein Mina K., protestantische Lehrerin von O. in Württemberg, kam im Oktober 1892 an Ischias leidend nach Wörishofen. Heilung und „neue Gesundheit“ wurden ihr von Pfarrer Kneipp in sichere Aussicht gestellt. Die Kranke wohnte zuerst in einem Privatlogis. Kurz nach Weihnachten wurde sie von Pfarrer Kneipp ins Pfarrhaus geladen, wo er ihr u. a. „von der Trostlosigkeit des protestantischen Glaubens“ sprach. Um diese Zeit machte Fräulein Mina die Bekanntschaft eines Frl. Schweitzer 2) [korrekt: Louise Marie Schweizer], die nun auch die Kranke in energische unverhohlene Bekehrungsarbeit nahm. In einem Briefe an ihre Schwester vom 19. März 1893 erwähnt dann die Kranke zum ersten Mal eines Herrn K. aus Gelsenkirchen, der als Kurgast im gleichen Logis wohnte. Derselbe, katholisch und im Bureau bei Pfarrer Kneipp beschäftigt, bewarb sich in aufdringlicher Weise um ihre Gunst und Hand. Die Kranke widerstrebt anfänglich, aber der energische Werber stellt sich in einem Schreiben vom 5. August an den Schwager der Kranken bereits als glücklicher Bräutigam vor. Wiederholt war die Kranke inzwischen entschlossen, zur Fortsetzung ihrer Kur in die Heimath zurückzukehren, aber Pfarrer Kneipp redete ihr stets mit den Worten zu: „Heimgehen und sterben; dableiben und gesund werden.“ Die mit dem Abreiseprojekt verbundene Aufregung ließ die naturgemäß auch psychisch sehr heruntergekommene Kranke sich thatsächlich auch schwächer fühlen, als sie die Abreise wirklich antreten wollte. Dieser bei der beliebten Behandlungsweise nur zu natürliche Zustand wurde ihr von dem Wundermanne dahin ausgelegt, „daß es ein höherer Fingerzeig für sie sein sollte, dazubleiben, und auch hinsichtlich ihrer Widersetzlichkeit gegenüber seinen Bekehrungsabsichten sollte es seine Bedeutung haben.“
In derselben christlichen Weise deutete Kneipp auch einen Armbruch, den die Kranke sich Ende Mai zuzog. Pfarrer Kneipp hatte im Zimmer der Frl. Mina ein längeres religiöses Gespräch mit ihr geführt, in dem er auch über Luther sich sehr absprechend äußerte. Frl. Mina hatte sich energisch zu ihrem protestantischen Glauben bekannt. Als sie mit Pfarrer Kneipp nachher die Treppe hinabstieg, glitt sie auf den untersten Stufen aus und fiel so unglücklich gegen das Geländer, daß sie, einen Armbruch erlitt. „So, das ist die Strafe dafür, daß Sie den Luther so in Schutz genommen!“
Nun setzen der Herr Prälat und seine Freundin Schweitzer der Kranken zu, daß sie in das Asyl übersiedeln möge. Die Kranke weigert sich, aus Furcht, von dem Verkehr mit anderen Kurgästen abgeschnitten zu sein. Man sagt ihr, daß die Güsse im Asyl viel wirksamer gemacht werden können, und Pfarrer Kneipp garantirt, „daß sie dann in 5 Tagen gesund sein werde.“ Ein direkter Befehl, von der Schweitzer überbracht, macht den Weigerungen der willensschwachen Dame ein Ende. Sie siedelt in das Asyl über und wird in das Zimmer der Schweitzer gelegt. Der
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1) Ein doppeltes Opfer Kneipp'scher Kur. Ein Stück Wörishofener Propaganda. Von W. Stockmayer, ständ. Pfarrverweser, 2. Auflage, Halle a. d. Saale, Verlag von Eugen Strien, 1894.
2) Vgl. das Kapitel: Die lustige Station. Die Schweitzer, welche sich als fanatische Convertitin geberdete [gebärdete] und bei der geistlichen Behandlung von Protestanten die rechte Hand des Herrn Prälaten war, soll nach Angaben Kneipps schon als Mädchen von 14 Jahren (1 § 6 der dt. Beilage zur Verfassungsurkunde!) vom Protestantismus zum Katholizismus übergetreten sein. Diese Bekehrungsgeschichte erzählte übrigens der Herr Prälat in verschiedenen nicht unerheblich von einander abweichenden Lesarten.


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„Bräutigam“ K. und ein französischer Pater Fayolle j. erhalten zunächst noch Zutritt. Die intensive Bearbeitung durch Kneipp und seine treffliche Gehilfin haben inzwischen bei der Kranken gewirkt. Im Juli erhält sie den Besuch ihrer Schwester Frau H., und im Laufe eines Gesprächs mit dieser tritt ihre Neigung zum Uebertritt an den Tag. Am Krankenbette kommt es auch zu Unterredungen Kneipps und der Schweitzer mit Frau H., an der ebenfalls sofort Bekehrungsversuche gemacht werden. Ein Zwiegespräch zwischen Kneipp und der Schweitzer, das die zum Besuch ihrer kranken Schwester Anwesende zufällig mit anhört, belehrt sie intensiv über die frommen Absichten. „Pfarrer Kneipp fragte die Schweitzer: „Nun, wie stehts droben?“ Antwort: „O, mit der ist nichts anzufangen, die ist dick protestantisch.“ (Damit war ein im Zimmer neben Frl. Mina liegendes protestantisches Fräulein M. G. aus Potsdam gemeint, bei der alle Bemühungen der Schweitzer vergeblich gewesen waren.) Nun fragte Kneipp: „Wie steht's denn mit der Schwester der Frl. Mina, die zu Besuch gekommen?“ Statt die Antwort abzuwarten, gab sich Frau H. hervortretend in diesem Augenblick zu erkennen.1) Frau H. reist Ende Juli fort, beim Abschied nimmt der Hochwürdige ihr das Versprechen ab, „sie solle ihrem Manne nichts von dem sagen, was er alles mit ihr gesprochen.“

Die Dame hielt das Versprechen nicht, sondern setzte sämmtliche Geschwister vom Stand der Sache in Kenntniß, dieselben suchten Frl. Mina nun brieflich zu bewegen, heimzukehren, sie solle sich bereit halten, abgeholt zu werden. Auf diese Nachrichten hin machte nun der „Bräutigam“ von Frl. Mina (er hat inzwischen eine Commisstelle in einem Wörishofener Geschäft angenommen) Besuche bei den Schwestern derselben in O. Er sagte dabei, Frl. Mina werde bald, wohl schon in drei Wochen, heimkehren; er selbst wolle nicht, daß sie katholisch werde, seine künftige Frau solle ruhig ihren Glauben behalten; er wolle dadurch keinen bösen Streit in die Familie bringen, deren friedliches, schönes Zusammenleben er hochschätze. Die Angehörigen beruhigten sich daraufhin wieder ohne eine Ahnung davon, daß wenig Tage darauf, am 20. August, der Uebertritt an der Schwester vollzogen wurde. K. aber schreibt unter jenem 20. August nach
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1) Recht amüsant sind einige Aeußerungen des Herrn Prälaten in den „Bekehrungs-Gesprächen“ mit Frau H., welche die cit. Schrift wiedergibt: Die Protestanten seien arme Tropfen, da sie keine eigentlichen Pfarrer haben und nur ein Sakrament. Die protestantischen Pfarrer wissen, warum sie sich nur Pastoren nennen; sie seien eben keine ordnungsmäßig eingesetzten Priester. Darum sei auch das Abendmahl bei den Protestanten werthlos und gar kein Sakrament. Denn die Pfarrer haben als solche keine Macht, Sünden zu vergeben, das können nur die Priester. Ueberhaupt gebe es gar keine einheitliche protestantische Kirche, es seien lauter einzelne Sekten. Nur die Katholiken seien in ihrem Glauben einig. Dabei kam Pfarrer Kneipp auf die Eingabe der 150 Geistlichen Württembergs an das Württ. Konsistorium, in der sie angefragt hätten, was sie thun sollten, da sie nicht mehr glauben können, was sie in der Predigt lehren und sagen müssen. Die Antwort des Konsistoriums sei gewesen, sie sollen nur das Volk nichts davon wissen lassen und ruhig fortpredigen. Das seien protestantische Pastoren und ein protestantisches Konsistorium. Ueberhaupt stehe eine große Umwälzung bald bevor; in 50 Jahren gebe es keinen Protestantismus mehr, die Protestanten würden entweder Katholiken oder Heiden. Viele Protestanten seien in letzter Zeit zu ihm gekommen, um mit ihm zu reden, da sie keinen Frieden in ihrem protestantischen Glauben finden und bei ihm nun erst sehen, daß allein die katholische Lehre die wahre und befriedigende sein könne. Auch an andern Orten kehren die Protestanten massenweise in die katholische Kirche zurück. -
Die Jesuiten verteidigte Kneipp dadurch, daß er sich selbst als Jesuiten bezeichnete. - Weiter kam er auch auf Luther zu reden, der ein gemeiner Mensch gewesen sei. In seinen Tischreden habe er einmal neben anderen schlechten Dingen geäußert, er freue sich am meisten auf die Nacht. Als die deutliche Anspielung aufs Gemeine von Frau H. entrüstet zurückgewiesen wurde, sagte Pfarrer Kneipp, man kenne Luther ganz gut. Er habe seine „Käther“ [Anhänger?] verführt, die Reformation nur aus Haß und Rache gegen seine Oberen ins Werk gesetzt und nicht aus Ueberzeugung, auch sei er ja am Säuferwahnsinn gestorben. Das seien Thatsachen. Die Protestanten lassen sich nur anlügen. Pfarrer Kneipp gab Frau H. auf, die von dem Jesuiten P. Scheffmacher verfaßte und in Straßburg neu bearbeitet herausgegebene Schrift: „Kontroversbuch, Licht in den Finsternissen, Gegensätze der katholischen und evangelischen Lehre,“ sie solle es studiren, und wenn sie es gelesen, ihm wieder zustellen. Aus demselben ist die Bekehrungsweisheit Kneipps geschöpft. Am Schlusse seiner Belehrung bemerkte der Herr Prälat stets vorsichtig, er sage aber zu niemand: werde katholisch.


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seiner Rückkehr von O. an die Schwestern: „Betreffs der Religion kann ich nur mittheilen, daß die liebe Mina sich noch nicht entschließen kann, zum Katholicismus überzutreten, deshalb bitte ich, daß Sie sich nur keine Unruhe machen, denn es wird alles im Frieden enden.“ . . .

So war die Seele für den Himmel gerettet. Die allein christliche Heilkunde hatte ihre Hauptarbeit verrichtet. Dem Leib der Kranken erging es trotz intensivster Begießung – sieben Güsse pro Tag! – von nun an immer schlechter. Die Kranke beklagte sich in Briefen und bei einer anderen sie besuchenden Schwester über empörend rohe und nachlässige Behandlung.
Das Leiden der Kranken nahm seinen Fortgang, die Lähmung verbreitete sich immer mehr auf die inneren Organe des Unterleibs, der Zustand wurde immer qualvoller. Am 11. November erhalten die Geschwister in O. ein Telegramm, das sogleich eines nach Wörishofen beruft. Man hatte der Kranken schonungslos mitgetheilt, daß K., ihr Bräutigam, sich schwerer Unterschlagungen schuldig gemacht habe bei seinem Dienstherrn, Buchhändler Sch., im Betrage von 700 - 800 Mark. –
Frl. Mina hat sofort ihr letztes Geld drangegeben, um den Werth sämmtlicher von K. erhaltenen Geschenke an Herrn Sch. zurückzuzahlen. Ihre älteste Schwester P. kam umgehend am 12. November. Die Kranke war in Verzweiflung. Sie verlangte heimgebracht zu werden und sagte: Der Pfarrer ist Schuld dran, hätte er mich heimgelassen, wo ich hatte heim wollen, dann wäre alles nicht geschehen, aber allemal hat er mich zurückgehalten und gesagt: heimgehen und sterben, hierbleiben und gesund werden. Sie jammerte, daß sie nun solches Leid über die Ihren gebracht habe. Ihre Schwester fragte, ob sie denn übergetreten sei. Sie schüttelt mit dem Kopf. Erst als sie an andern Morgen nach einem laut gebeteten Vater unser noch ein katholisches Gebet anknüpfte und sie daraufhin von der Schwester nochmals gefragt wurde, ob sie katholisch geworden sei, gesteht sie es ein. Pfarrer Kneipp habe es ihr immer verboten, es den Schwestern zu sagen; er habe gesagt, „was sie nicht wissen, brenne sie nicht“.
Ebensowenig hatte Kneipp die gesetzliche Vorschrift erfüllt, dem in Wörishofen amtierenden protestantischen Pfarrer den Uebertritt anzuzeigen; der, meinte er, „mache ihm doch immer Schwierigkeiten.“

Am 6. Januar 1894 hatte die Kneippkur ihre volle Wirkung gethan: die an Körper und Geist barbarisch gequälte Arme hatte ausgelitten. Den auf die Todesnachricht nach W. geeilten Angehörigen der Verblichenen sagt der päpstliche Kämmerer Kneipp frohgemuth, er habe es schon im Frühjahr gewußt, daß Minas Leiden unheilbar sei und sie sterben müsse. Die Ueberführung der Leiche nach der Württembergischen Heimath weiß er auf schlaue Weise zu hintertreiben, und die Beerdigung findet auf dem katholischen Kirchhofe des Wunderortes statt, wo schon so manches Opfer der allein seligmachenden Medizin schläft. Bei der amtlichen Verhandlung, welche infolge des Eingreifens des evangelischen Pfarramtes später stattfand, gab Herr Sebastian Kneipp u. a. folgende schriftliche Erklärung ab: „Ich kann hoch und theuer versichern, daß ich nie gesagt habe, sie (die Mina K.) solle katholisch werden, sondern es habe jeder Mensch seinen freien Willen.“ . . . –

Nach einer uns von zuverlässiger Seite aus W. gewordenen Mittheilung soll der Gottes- und Wassermann Kneipp geäußert haben, „unter dreißig geretteten Seelen jährlich thue er's nicht.“ Ist diese Mittheilung zutreffend – und nach allen unseren persönlichen Erfahrungen scheint sie das zu sein – dann begreift sich die Klage des Kneipp-Kalender-Chronisten erst recht, daß der Wörishofener Friedhof zu klein geworden ist.


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Der Fall der Mina K., meint Pfarrer Stockmayer, „mag ein Schlaglicht werfen auf die Thätigkeit des Mannes, die bis dahin von Protestanten nicht weniger als von Katholiken als eine rein nur auf das Wohl der Menschheit bedachte gepriesen wurde. Freilich mögen vollends die letzten Vorgänge zwischen Wörishofen und Rom schon manchem Zweifel erweckt haben, ob nicht auch Kneipp im Dienst der römischen Propaganda stehe. Denn solche Auszeichnungen, wie sie Kneipp zu theil geworden, ertheilt Rom nicht umsonst.“ In der That scheint es, daß Wörishofen eine Hauptstation für die Proselytenmacherei eines Theiles des bayerisch-katholischen Klerus ist. In mehreren Fällen wurden anderwärts Umgetaufte zur „Nachkur“ nach dem Allheilorte gesandt, und über einen Fall aus der neueren Zeit berichtete unterm 5. April d. J. die Münchner Post:

„Der Zweck heiligt die Mittel. Nachstehende Bekehrungsgeschichte, die uns von zuverlässiger Seite zugeht, kennzeichnet so recht die „edlen“ Grundsätze und „lautere“ Taktik gewisser gottesfürchtiger Diener der katholischen Kirche. Unser Gewährsmann schreibt: Ein gegen Andersgläubige tolerant Gesinnter (Protestant) nahm Zwecks Betrieb eines Fabrikgeschäftes im Jahre 1890 Wohnsitz in dem Fabrikvororte Pasing; im Glauben, daß seine religiöse Ueberzeugung ebenso respektirt werde, wie er selbst die Anderer achtet, nahm er keinen Anstand, sein schulpflichtiges Töchterchen als Externe in das Institut der englischen Fräulein zum Unterricht zu senden; den protestantischen Religionsunterricht erhielt es in der Volksschule daselbst. Der betreffende Fabrikant war durch die Ueberwachung seines umfangreichen Geschäfts in Pasing als noch durch ein anderes in München außergewöhnlich stark in Anspruch genommen, glaubte auch, seiner ebenfalls protestantischen Ehefrau die religiöse Erziehung der Kinder überlassen zu dürfen, wurde aber darin schmählich getäuscht und betrogen. Man verstand es nämlich, die Frau hinter dem Rücken des Mannes zum Uebertritt in die katholische Kirche zu bewegen und die vollendete Thatsache dem Manne 3 ½ Jahre lang geheim zu halten. Dabei verkehrte der geistliche Rath [Josef] Wörnzhofer, der wohl die Hand in erster Linie im Spiele hatte, während dieser Zeit des öfteren gastlich im Hause des betreffenden Fabrikanten, ohne demselben von dem Vorgegangenen auch nur ein Wort zu sagen. Noch mehr, der Betrogene mußte später die Wahrnehmung machen, daß seine Kinder neben dem protestantischen auch den katholischen Religionsunterricht besuchten, selbst zur Beichte herangezogen wurden und die Kommunion und Firmung erhalten sollten, wenn nicht der Vater noch rechtzeitig das verhindert hätte. Pfarrer Wörnzhofer, vom Vater verklagt, erhielt von der Regierung einen Verweis, der Glaubenswechsel der Frau wurde als nicht korrekt vollzogen ungiltig erklärt und damit basta. Die Frau trat alsdann formell richtig zur katholischen Kirche über und führte in Wörishofen in der Umgebung des Pfarrers Kneipp ein recht frumbes und gottgefälliges Leben, ja sie ließ Messen und Aemter lesen, damit auch ihr Mann sich bekehre und bezahlte diese kirchlichen Handlungen mit Geldern, die ihr rechtlich nicht gebührten. An den Bekehrungs- und Erbauungsstunden nahm Pfarrer Kneipp sehr lebhaften Antheil und scheint der alte Herr speziell in dieser Hinsicht auch schon ganz merkwürdige Erfolge erzielt zu haben.“

Die ein wenig allzu unvorsichtige Art der Wirksamkeit des Wasser-Apostels von Wörishofen berührte anscheinend doch etwas unangenehm bei der geistlichen und weltlichen Obrigkeit, und am 19. Dezember 1895 las man in der ultramontanen Augsburger Postzeitung die folgende Notiz aus Wörishofen: „Herr Pfarrer Stückle von Mindelau wurde vom Bischof von Augsburg zum bischöflichen Kommissär in Wörishofen ernannt mit der Obliegenheit, die Legitimationspapiere der nach Wörishofen zur Kur kommenden katholischen Priester zu prüfen und denselben je nach Befund das Celebret zu ertheilem“


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Hierzu bemerkte die Augsburger Abendzeitung: „Die Ertheilung des Celebret, d. h. die Ertheilung der Erlaubniß an einen fremden Geistlichen, in der Ortskirche die Messe zu celebriren, ist unter normalen Verhältnissen in die Hand des Ortspfarrers, des parochus loci, gelegt. Wenn für Wörishofen diese Befugnis einem Nachbarpfarrer übertragen wurde, so ist das ein Mißtrauensvotum der kirchlichen Oberbehörde gegenüber dem Pfarrer Kneipp. Thatsächlich ist Pfarrer Kneipp in den letzten Monaten mehrfach von Seite der vorgesetzten geistlichen und weltlichen Behörden disciplinirt worden.
Zunächst geschah diesbezüglich verschiedener Konvertirungen, bei denen die Bestimmungen der bayerischen Verfassung hintangesetzt wurden. Darüber wurde dem Pfarrer Kneipp sowohl seitens des Ordinariates Augsburg, wie seitens der Regierung eine Rüge ertheilt. Neuerdings hat das Ordinariat auf Veranlassung des Ministeriums des Innern dem Prälaten Kneipp auch über sittliche Zustände innerhalb der Wörishofener Kurgemeinde ernsten Vorhalt gemacht und Verweis ertheilt. Die von der „Postzeitung“ gemeldete Ernennung eines bischöflichen Spezialkommissärs für Wörishofen ist offenbar der Abschluß der vom Bischof von Augsburg auch nach dieser Richtung gepflogenen Disziplinar-Untersuchung.“

Am 1. Januar 1896 erhielt darauf aus Wörishofen die Augsburger Postzeitung von „zuständiger Seite“ die Versicherung, daß die jüngst erwähnte Ernennung des Pfarrers Stückle zum bischöflichen Kommissär in Wörishofen keineswegs ein Mißtrauensvotum der kirchlichen Oberbehörde gegenüber dem parochus loci Geheimkämmerer Pfarrer Kneipp, in sich schließe. „Die oberhirtliche Stell[e] war vielmehr gegen Letzteren von den wohlwollendsten Absichten beseelt und hatte mit erwähnter Maßregel nichts Anderes im Auge, als daß sie demselben bei der großen Anzahl der alljährlich sich einfindenden Kurgäste geistlichen Standes einen Theil seiner Verantwortlichkeit abnehmen wollte und überhaupt ihm eine Erleichterung in der Ausübung seiner pfarrämtlichen Rechte und Pflichten zu verschaffen gedachte. Eine solche war aber Herrn Pfarrer Kneipp umso nothwendiger, als die Zahl der ortsanwesenden Bevölkerung von Wörishofen sich nach dem Ergebnisse der jüngsten Volkszählung im Laufe der letzten Jahre beträchtlich vermehrt hat und die vielen Leidenden, welche dort zu jeder Jahreszeit Rath und Hilfe suchen, die Zeit des Herrn Pfarrers in hohem Grade in Anspruch nehmen.“

Daß trotz dieser offiziösen Ableugung ein sanfter „Deuter“ nach Wörishofen gerichtet wurde, geht indessen aus der Aeußerung des Herrn Prälaten hervor „I hän't ä Wischer [einen „Wisch“, sprich: ein Schreiben] kriegt aus Augsburg, aber an mei'm breite Rücke geht das hinunter wie's Wasser.“ Und da der „bischöfliche Kommissär“ im Vorstand des „Kneipp-Vereins“ sitzt, braucht der Hochwürdige Herr Sebastian Kneipp die „Maßregelung“ im Uebrigen auch nicht zu tragisch zu nehmen.


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Wie der Herr Prälat profitirt.

Der rein weltlichen Medizin haften gewiß Mängel genug an. So gut es Aerzte gibt, denen bei aller Tüchtigkeit und bei allem gutem Willen der Hunger sein schaurig Lied krächzt, so gut gibt es diplomirte Nichtwisser, die nur eins trefflich verstehen, die Taschen ihrer Patienten zu leeren. Dem Apothekenwesen mit seinen monopolistischen und kapitalistischen Auswüchsen, seiner Ausbeutung der Gehilfen und Lehrlinge wird kein Vernünftiger das Wort reden wollen. Allein wie einerseits gerade in der deutschen medizinischen Wissenschaft erfreuliches Streben und erfreuliche Fortschritte erblühen, bereitet sich unter der Mehrzahl ernster und tüchtiger Aerzte eine Bewegung vor, welche in der consequenten Verfolgung ihres Zieles schließlich doch zur vernunftgemäßen Verstaatlichung des Aerztewesens führen muß. Hier ist naturgemäß nicht der Platz, darüber mehr zu sagen, auch bleibe dies berufenen Federn überlassen.

Von der ultramontanen Medizin à la Wörishofen, die sich nicht genug thun kann, ihre Uneigennützigkeit und Menschenfreundlichkeit hinaus zu posaunen und Hinausposaunen zu lassen, deren Musterapostel Kneipp sich bescheidenlich mit dem Welterlöser vergleicht, sollte indessen eine Spekulation auf schnöden Mammon füglich nicht vorausgesetzt werden dürfen.

Allein der praktische Sinn der Alleinseligmachenden bewährt sich auch hier an ihrem wasserwunder-wirkenden Jünger Kneipp. Auf den schmutzigen Straßen der schwäbischen Wasserheilstation liegt das Gold, und der Herr Prälat und seine Jünger verstehen, es aufzulesen. Dieser ungebildete Landpastor heimst alljährlich Summen ein, von denen die auf bescheidener wissenschaftlicher Grundlage bestehende Medizin sich nichts träumen läßt. Hier weiß man – ohne alchemistische Zauberstückchen – aus Wasser Gold zu machen. Die Dummheit und Leichtgläubigkeit der Menge, der Einfluß gewisser kirchlicher und weltlicher Kreise sind die Faktoren, mit denen der geschäftskundige Kneippianismus sein güldenes Produkt münzt. Gleichgiltig kann es dabei dem geschröpften Kranken bleiben, ob die Goldfüchse zum größeren oder zum kleineren Theil in den Säckel des Herrn Prälaten gleiten, oder ob sie von dem guten Magen der Kirche verdaut werden. –

Außer den großen Summen, die aus den „Geschenken“ der Kranken zusammenwachsen, bildet der Kneipp'sche Malzkaffee eine Haupteinnahmequelle. Mit Eifer zieht der Herr Prälat in seinen Vorträgen gegen den Bohnenkaffee zu Felde und unerschöpflich ist er in Reklamevariationen für den Malzkaffee, die er an das Verdammungsurtheil zu knüpfen versteht. Dies das neueste Sprüchlein:
„Die Vielesser nehmen gern einen Kaffee nach dem Essen, denn er macht eine Treibjagd auf das Uebrige, schon ehe der Körper genährt ist. Vom Malzkaffee dagegen kann man nur ein gewisses Quantum nehmen, dann widersteht er, d. h. man wird gesättigt.“
                                                    3*

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Das Geschäft ist ein außerordentlich lohnendes. Die große Firma in München, welche das „Nahrungsmittel“ vertreibt, setzt jährlich ca. 300,000 Centner davon ab.1) Herr Prälat erhält, wie uns versichert wird, vom Centner 50 Pfennig Douceur [„Bakschisch“, „Anerkennung“], also jährlich ca. 150,000 Mark „Trinkgeld“. Die Abgaben von der „Kneipp-Leinwand“, den „Kneipp-Sandalen“, dem „Kneipp-Brod“, „Kneipp-Honigwein“ etc. etc., der Gewinn an den einigen Apotheken zum Alleinvertrieb überlassenen „Kneipp'schen Arzneimitteln,“ von den „Kneipp-Pillen“ bis zum „Kneipp Malefiz-Oel“ werfen natürlich auch erkleckliche Summen ab. Sehr erheblich ist ferner der Gewinn an der Kneipp-Literatur, deren Reichhaltigkeit und Preiswürdigkeit nachstehende Auslese verdeutlicht:

                                            Mark
Kneipp, Seb.,     Meine Wasserkur, gebundene Ausgabe ...............................     3.20
„...... „.......    So sollt Ihr leben! Gebd .......................................................     3.20
,,...... „.......     Rathgeber für Gesunde und Kranke ....................................        1.70
„...... „.......    Kinderpflege in gesunden und kranken Tagen ....................        1.50

Pflanzen-Atlas zu Kneipp's Wasserkur,
Ausgabe I (in einf. Lichtdruck) 6 Lieferungen à 60 Pfg                 3.60
„ II (in Farbendruck) in ca. 8 Lief. À 1. –  .................................................        8.–
„ III (in Schwarzdruck) komplet, gebd .......................................................        1.20

Kneipp-Kalender     1891, 1896 .................................................................     –.50
Kneipp, Seb., Bienenbüchlein, ungebd. ........................................................     1.–
„     „ Fritz, der fleißige Landwirth, ungbd. .............................................     1.60
„     „ Fritz, der eifrige Viehzüchter, ungbd. .............................................    –.75
„     „ Fritz, der fleißige Futterbauer, ungbd. ............................................    –.60

32 Vorträge des Herrn Pfarrer Kneipp über Krankheiten und Heilkräuter .....     1.–
Pfarrer Kneipp's volksthümliche Vorträge über seine Güsse, Wickel, Bäder und Waschungen ..................................................................................................    –.75
Desgleichen gebd. etc. etc..............................................................................     1.–

Die „Hauptwerke“ des Herrn Prälaten zum Preise von Mk. 3.20 enthalten nichts, als eine Wörishofenische Vergröberung uralter Hufeland'scher, Hoffmann'scher, Bock'scher etc. Rathschläge und populär-medizinische Gassenwahrheiten. Selbstverständlich, daß auch die Kneippjünger sich beeifern, die interessante Literatur ins Ungemessene zu vermehren. So brillirt ein Herr Hans Volker mit dem um 1 Mk. 50 Pfg. käuflichen hochinteressanten Werk: „Seb. Kneipp, der Pfadfinder zur Verjüngungsquelle auf Bimini.“ Musikalische Kneipplinge können sich an dem „Pfarrer Kneipp-Marschlied“ (mit Begleitung Mk. 1,–) ergötzen. Und was des Unsinns mehr ist.
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1) Ein niedliches Geschichtchen, das die „Güte“ des gerühmten Malzkaffees preist, wurde anfangs September vorigen Jahres aus München der N. Züricher Zeitung erzählt:
„Einer der hervorragendsten hiesigen Gesangsvereine machte zur Feier seines Stiftungsfestes einen Ausflug an die oberösterreichischen Seen und kann mit der Zahnradbahn in das Hotel auf den Schafberg, wo übernachtet wurde. Beim Sonnenaufgang inscenirte nun ein Witzbold einen köstlichen Scherz, indem er den Sängerbrüdern mittheilte, daß der in der Gesellschaft anwesende Kommerzienrath ein bekannter Fabrikant, beim Frühstück sein eigenes Fabrikat miserabel nennen werde. Sofort ward der Hotelköchin ein Paquet Malzkaffee eingehändigt und der Kellner verständigt, dem Herrn Kommerzienrath diesen, aber nur diesen Malzkaffee zu serviren, den der Herr sehr gerne trinke. Richtig wird gleich darauf das Frühstück bestellt, und mit nicht geringer Spannung guckt die Sängerschaar auf den Kommerzienrath, der sich behaglich seinen Kaffee eingießt. Plötzlich windet sich der Feinschmecker auffallend, riecht nochmal an die Tasse hin. „Verdammt schwach“ brummt der Kommerzienrath, schlürft aber dennoch den braunen Trank, um ihn aber sofort mit wahrem Entsetzen wieder auszuspucken. „Das Zeug ist skandalös miserabel! Kellner was ist das für eine Schandbrühe?“ „Verzeihen Ew. Gnaden, es ist echter Kneipp-Malzkaffee!“ Unter homerischen Gelächter der Sängerbrüder verfärbt sich der wüthende Kommerzienrath. Worin liegt der Witz? der schimpfende Kommerzienrath ist Chef der Münchener Malzkaffeefabriken und hat sein eigenes Fabrikat so heruntergefetzt!“


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Ohne daß dabei die besonderen Spenden hochgeborener Kranker eingerechnet sind1), wird man das jährliche Einkommen des Wundermanns auf ca. 500000 Mk. schätzen können. Die Mitglieder des Kneippvereins, zum größten Theil Wörishofener Geschäftsleute, stehen sich natürlich auch nicht schlecht, und die Herren Aerzte, die als Heilgehilfen des päpstlichen Kämmerers figuriren, bemessen ihre Einkünfte auf 15 - 20000 Mk. jährlich. –

Mit der christlichen Nächstenliebe aber scheint es, trotz des Goldsegens, bei den Wörishofener Größen nicht allzu weit her zu sein, denn Annoncen, wie die nachstehende aus der Wörishofener Zeitung, gehören gar nicht zu den Seltenheiten:
„An edle Wohlthäter. Ein lungenkrankes, sehr braves, solides Mädchen, mit tadellosem Ruf, welches nicht die Mittel hat, die Kneipp-Kur mitzumachen, bittet eine edle Wohlthäterin um Hilfe zum Wohle ihrer Gesundheit.“
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1) Die Parkanlage mit den beiden kleinen Weihern im sumpfigen Lehmboden hat z.B. der zur Kur in Wörishofen weilende intelligente Erzherzog herstellen lassen.


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Die lustige Station.

Ein bitterer Humor der Natur liegt darin, wenn es wahr ist, daß religiöser Wahn und der Hang zu ganz groben geschlechtlichen Exzessen bei den damit belasteten Individuen auf Defekte in denselben Gehirnpartien zurückzuführen sind. Und diejenigen Volkswirthe, welche bei der Betrachtung socialer Vorgänge nach dem Muster des Herrn Schäffle gern mit biologischen Vergleichen arbeiten, haben am Wundernest Wörishofen ein dankbares Objekt.

Denn hier auf dem Boden, wo sich an der Seite ultramontaner Wundermedizin ein intensiver religiöser Fanatismus spreizt, gedeiht jene Lustigkeit, welche der Moralist nicht mit Unrecht als Unsittlichkeit definirt, in ungeahnter Pracht. Für liebende Pärchen der größeren Städte des Landes, ob sie nun durch jene vertraulichen Inserate in gewissen Blättern sich fanden, ob auf einfachere Weise, ist die lustige Station – ein ganz modernes Gretna-Green – zum bevorzugten Ausflugsort geworden. Unzweifelhafte Dämchen und Herrchen von Nah und Fern besuchen gern diesen Ort der natürlichen Ungebundenheit; und die Justizstatistik, wenn sie sich damit befassen wollte, könnte lehrreiche Ziffern bringen über Alimentationsklagen Wörishofener Ursprungs.

Gar eigenthümlich dabei, daß die so fromme ultramontane Presse, welche Thränen blutigen Zornes vergießt über eine nackte Statue, mit hastigem Eifer bemüht ist, den Mantel christlicher Liebe über die sehr bedenklichen Zustände im Dorfe der naturheilsamen Fröhlichkeit zu breiten. Ließ sich doch das Hauptorgan des bayerischen Centrums, da die andersseitige Presse wiederholt das Treiben besprach, noch am 3. Januar aus Wörishofen schreiben, „daß die Sittlichkeitsverhältnisse in Wörishofen weit bessere, keinesfalls aber schlechtere sind, als die in anderen bayerischen Badeorten.“

„Keinesfalls aber schlechtere,“ ist sehr gut. Sagt die ultramontane Zeitungssittlichkeit auch mit dem Schultes, von dem der ihr verhaßte Luther in seinen „Tischreden“ erzählt: „War's meine Kuh? das ist ein ander Ding,“ so hat doch der Leser, dem zur Warnung diese Blätter dienen sollen, ein Anrecht darauf, die Dinge in ihrer unerfreulichen und wirklichen Lustigkeit zu sehen.
Und so sehe er: Lange bevor uns die Pflicht die Feder in die Hand gab, war die Wörishofener Sittlichkeit bereits in der Evangelisch-Lutherischen Kirchenzeitung (Jahrgang 1895, Seite 660) folgendermaßen gerühmt: „Warnung vor Wörishofen. Neue bedenkliche Dinge werden aus Wörishofen bekannt, die uns veranlassen, eine sehr ernste Warnung vor dem Besuch der dortigen Wasserheilanstalt besonders


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an die Frauen und Töchter ergehen zu lassen. Daß die dort betriebenen „Bekehrungsversuche“ schon manches Glied der evangelischen Kirche unter das Joch Roms gebracht haben, ist bekannt; weniger bekannt ist vielleicht, daß diese Versuche neuerdings ungescheuter und aufdringlicher als je zuvor betrieben werden, vor allem durch Pfarrer Kneipp selbst. Doch nicht darauf wollen wir heute das Augenmerk richten, sondern auf die sittliche Gefährdung, der das weibliche Geschlecht dort ausgesetzt ist. Bei mehr als einer Konvertitin ist auf die Verleugnung des evangelischen Glaubens auch der sittliche Fall gefolgt, und das eben in Wörishofen. Sehr, sehr schlimme Dinge werden uns von dem Treiben unter den Kurgästen geschrieben, worüber wohl demnächst näheres zur Veröffentlichung gelangen wird. Ein Fall ist bereits vor Gericht gekommen. Wie die Aerztliche Rundschau in Nr. 18 mittheilt, handelt es sich um eine Ehescheidungsklage, die von einem Ehemann anhängig gemacht wurde, nachdem seine Frau in Wörishofen sich hatte verführen lassen. Der Kläger hat dabei nachgewiesen, daß ein im besonderen Vertrauen der Spitzen des Kurwesens stehender fremder Ordensgeistlicher mit weiblichen Kurgästen im Wald bei Wörishofen sehr intim verkehrte und schließlich mit einer der Verführten nach Amerika entfloh. Auch sonst sollen unter der großen Menge römischer Geistlicher, welche sich bis 300 im Durchschnitt in Wörishofen aufzuhalten pflegen, mancherlei böse Dinge vorkommen. – Jedenfalls konnten wir auf Grund der uns zugegangenen, mit Namen und Daten versehenen Mittheilungen die Pflicht nicht länger von uns weisen, diese Warnung hiermit hinausgehen zu lassen.“ –

Wie versittlichend das Exempel gewisser geistlicher Vorbilder und wie erziehlich es auf die Jugend von Wörishofen wirkt, dafür erbrachte die kneippoffiziöse Wörishofener Zeitung schon selbst den Beweis. In ihrer Nr. 52 vom 3. Juli v.[origen] J.[ahres] liest man nachstehende niedliche Notizen:

1. „Nachtbuben. Es wurde uns von hochachtbarer Seite mitgetheilt, und wir haben uns daraufhin persönlich von der Vollberechtigung dieser Klage überzeugt, daß Abends vor und während der Theatervorstellungen in Haggemillers Kursalon Damen von den frechen, kaum der Feiertagsschule entwachsenen Buben in frivolster Weise belästigt werden, welche sich bekanntlich schaarenweise an die Lücken der Vorhänge dieses schönen Pavillons drängen, um unentgeltlich die Vorgänge auf der Bühne mit ansehen zu können. Wir sind die letzten, welche den jungen Leuten dieses billige Vergnügen mißgönnen. Nur sollten sie sich dabei anständig verhalten, nicht durch Schreien und Lärmen den Gang der Handlung im Innern stören und am allerwenigsten die in den Zwischenakten aus- und eintretenden Damen durch Reden und Anspielungen beleidigen, welche vielleicht in bäuerlichen Kreisen nicht so schlimm aufgefaßt werden, jedem Gebildeten aber die Röthe des Zorns und der Scham ins Gesicht treiben müssen.“
2. „Grober Unfug. Dieselben Nachtbuben, deren freches Betragen wir in vorstehender Notiz gerügt haben, treiben es, wie uns von zuständiger Seite geklagt wird, während der Nachtstunden noch ärger. Burschen, welche kaum trocken sind hinter den Ohren, besteigen die in der Wandelbahn befindliche Rednertribüne und versuchen, unter frivolem Gelächter der Uebrigen, unseren Vater Kneipp zu verhöhnen, indem sie die auf dieser Tribüne liegen gebliebenen Briefe und Anfragen der Kurgäste verlesen, wohl auch solche fingiren und dieselben sodann, Haltung und Geberde des edlen Menschenfreundes nachäffend, mit unfläthigen Späßen beantworten. Ist dies erledigt, dann wählt sich die wilde Rotte unter wüstem Geschrei und Gejohle das über der Tribüne angebrachte Marienbild als Zielscheibe ihrer Steinwürfe und wagt es jemand, diesem Unfuge entgegenzutreten, so wird er mit den gröbsten Schimpfworten überhäuft, ja sogar mit Steinwürfen bedroht. Wird


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die Gendarmerie gerufen, welche – wie z.B. am letzten Sonntag – mit anerkennenswerther Schnelligkeit am Platze war, so verbergen sich die Unholde hinter den Gebüschen und den vielen dunklen Winkeln dieses Platzes, um nach Entfernung der Schutzmannschaft ihr abscheuliches Treiben von neuem zu beginnen. Später erscheinen dann noch liederliche Dirnen . . .“

Dieses herrliche Wörishofener Nachtbild mag noch ergänzt sein durch die Mitteilungen eines katholischen Geistlichen, die er uns in Gegenwart von Zeugen machte. Der Herr Pfarrer, der nach gewonnenem Einblick entrüstet und beschämt das Wirkungsgebiet seines Konfraters verließ, erzählte: „Gestern (am 4. Juli) unternahm ich einen Spaziergang nach Mindelheim. Von Wörishofen aus ging ich zuerst ein Stück durch den Wald. Etwa zehn Minuten von Wörishofen entfernt ertönte im Walde abseits des Pfades das Gejohle spielender Kinder. Ich trat auf den Spielplatz – eine kleine Lichtung – zu und sah dort Buben und Mädchen von 10 - 14 Jahren in Situationen, die zu schildern mir der Anstand verbietet. ,Aber Kinder, um Gotteswillen, wie kommt ihr dazu, solche Unzucht zu treiben?', frug ich einen etwa 12jährigen Jungen, der dreist stehen geblieben war, als die anderen bei meinem Erscheinen auseinanderstoben. Der Junge sagte ziemlich gelassen und frech: ,Jo, wir hän't ewe dös „Kneipp'sche Spiel“ gespielt!' . . .“


Die „Luft- und Sonnenbäder“ im frischen grünen Wald, das gemeinsame Baden im See, die ungenirten Begießungen, bei denen die Damen mit nichts bekleidet waren, als mit ihrer Anmuth und einem 40 Gramm schweren, 1 Meterlangen, 45 Zentimeter breiten durchsichtigen leinenen Flor, das Alles ist ja zum Theil durch das Eingreifen weniger lustiger Einwohner von Wörishofen und einer löblichen Polizei ziemlich verschwunden. Offiziell wenigstens.
Aber vorsichtige und ortskundige Eltern verwehren ihren Kindern heute noch wie früher die der Jugend sonst so nützlichen Waldspaziergänge. Mit gutem Grund, wie die Enthüllungen beweisen, welche einem zur Zeit noch am Landgericht München I schwebenden Prozeß zu verdanken sind. Aus den betr. Akten des gen. Landgerichts geht nämlich hervor, gemäß den Aussagen einer vereidigten Zeugin, daß ein Pärchen, bestehend aus einer noch nicht geschiedenen Ehefrau und einem stattlichen geistlichen Herrn an einem heiligen Sonntage des hellen Nachmittags im Eichwalde bei Wörishofen in einer nicht mißzuverstehenden, den Geboten des Zölibates stracks zuwiderlaufenden Situation betroffen wurde. –
Die stattliche Geliebte des geistlichen Herrn war eine der Sekretärinnen und intimen Freundinnen des Herrn Prälaten. –

Aber dieser geistliche Waldvergnügling ist nicht der einzige der heiligen Männer in Soutane und Scapulier, die derartiger Lustigkeit hold sind. Hinreichenden Beweis dafür erbringt folgender weitere wortgetreue Auszug aus den erwähnten Akten des Münchener Landgerichts I, darin die Rede ist von einem speciellen Liebling des Herrn Prälaten, dem Benediktiner-Pater Franz Maier. Die betreffende Akteneingabe ist datirt vom 17. Mai 1895 und der betreffende Passus lautet: „ . . . Dieser Pater, der in Wörishofen als eine Zierde der Geistlichkeit galt, war ein berühmter Kanzelredner, gesuchter Seelsorger und dem Anschein nach vom frommsten Lebenswandel. Die Folge ergab, daß er dem Gebote des Zölibates nicht Stand zu halten vermochte; sich mit der hübschen und stattlichen Privatiere Schweitzer [Schweizer] in Wörishofen in geschlechtlichen Verkehr eingelassen hatte, den geistlichen Stand aufgebend mit derselben nach Amerika reiste und sich dort mit ihr civiliter trauen ließ . . .“


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Diese Dame Schweitzer ist dieselbe Freundin und Gehilfin des Prälaten, welche bei den in einem früheren Kapitel besprochenen Convertirungsversuchen eine so bedenkliche Rolle spielte!

Daß gerade dieser Vorgang gewissen Stützen der römischen Propaganda recht unangenehm war, und sie nichts unversucht ließen, die Sache zu verhüllen und zu vertuschen, ist erklärlich. Nachstehende der Münchner Post entnommenen Correspondenzen geben eine Probe davon „wie's gemacht wird.“

1. Februar 1896. „In jener Kritik über die sittlichen Zustände in Wörishofen, die durch eine Reihe Blätter ging, war auch die Rede von einem ehemaligen Benediktiner-Mönch Franz Maier, der mit einer Lehrerin aus Wörishofen nach Amerika verschwunden war. Die „Newyorker Zeitung“ hat Herrn Maier auf Grund jener Mittheilungen in Newyork ausfindig gemacht und ihn regelrecht „interviewen“ lassen. Maier ist mit jener Dame, Frl. Schweitzer, seit seiner Ankunft auf amerikanischem Boden verheirathet und bereits glücklicher Vater. Frl. Schweitzer war in Wörishofen erst Kurgast, wurde in kurzer Zeit geheilt und von Kneipp veranlaßt, ihre Anstellung in Oesterreich zu quittiren und in seine Dienste zu treten. Zunächst organisirte sie den Unterricht im Kneipp'schen Kinderasyl, lehrte dann die höheren Unterrichtsfächer im Töchterpensionat der Dominikanerinnen, dem Prälat Kneipp vorsteht, und trat endlich ausschließlich in Kneipp's Dienst. Der ehemalige Pater erklärte dem Interviewer, er führe die skandalösen Anschuldigungen auf Brodneid, Rachsucht und Undank der barmherzigen Brüder und falscher Freunde zurück, denen er nur Gutes erwiesen habe. Er sagte wörtlich: „In Wörishofen suchen eben alle, voran die barmherzigen Brüder, dann die Badeärzte und endlich die Geschäftsleute und Pensionen- und Villenbesitzer das Eisen zu schmieden, so lange es noch warm ist, während ich diesem Treiben fernstand und dadurch ihren Haß mir zuzog, daß ich Pfarrer Kneipp öfters vor ihnen warnte.“
Daß Herrn Maier und seiner nunmehrigen Gemahlin vortreffliche, beglaubigte Zeugnisse von Pfarrer Kneipp, Oberbadearzt Dr. Baumgarten u. A. zur Verfügung stehen, davon hat sich der Vertreter der „Newyorker Ztg.“ überzeugt.“

Zu dieser Notiz wird nun am 4. Februar dem genannten Blatte von informirter Seite geschrieben: „Der Benediktiner-Pater Maier und seine Geliebte gehörten zu den Bevorzugten des Herrn Prälaten, und es ist sehr fraglich, ob es dem letzteren und seinem „Badearzt“ zur Ehre gereicht, daß Herr Maier sich „vor trefflich beglaubigter Zeugnisse“ von ihnen rühmen kann. Das „Interview“ der „Newyorker Zeitung“ riecht aber bedenklich nach Mache. Denn es ist festgestellt, daß Herr Maier nicht erst in Newyork Vater wurde, sondern daß seine Freundin, die Privatiers Schweitzer und Sekretärin des Herrn Prälaten, in Deutschland entbunden hat. Außerdem haben Recherchen ergeben, daß im vergangenen Jahre weder Herr Maier noch „Frau“ Maier-Schweitzer von der Newyorker Polizei aufgefunden werden konnten. Gewisse Leute, die Verbindungen in Newyork haben, scheinen aus allerlei Gründen genöthigt zu sein, Alles aufzubieten, um die Angelegenheit möglichst zu verwirren. Sehr wahrscheinlich ist es, daß das halbheilige Liebespärchen sich in einem stillen Winkel Deutsch-Oesterreichs auch ohne die Segnungen einer christlichen Trauung des Lebens freut. „Fräulein“ Schweitzer ist bekanntlich nicht die einzige Vertraute des Herrn Prälaten, die fromme Priester auf Abwege lockte.“
Und zuverlässige Leute behaupten mit Bestimmtheit, daß sowohl Pater Maier wie Dame Schweitzer Anfangs Februar dieses Jahres in einem Hotel in Wörishofen übernachtet haben!1)
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1) Während uns diese Zeilen zur Correktur vorlagen, erhielten wir von ganz einwandfreier Seite die Nachricht, das Pärchen Maier-Schweitzer habe sich mit Vorwissen des Herrn Prälaten in diesem Frühjahr längere Zeit in W. aufgehalten!


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Dabei wird dann der enragirte [empörte] Anhänger der frommen Kurmethode betrübt vernehmen müssen, daß der Herr Prälat – dank seiner ländlich bieder-heiligen Einfalt jedenfalls – eigentlich keinen zu starken Anstoß an dem seltsamen Treiben der Naturheil-Jünglinge und Jungfrauen nimmt, einem Treiben, das in jenem Prozesse von einem Zeugen mit dem sehr derben Schmuckwort: „Saustall“ gekennzeichnet wurde. Erinnert sich der Hörer der reizenden „wissenschaftlichen“ Vorträge doch sicherlich gar mancher derber Geschichtlein, die von dem hochwürdigen Dozenten in seine Vorlesung verwoben wurden. Geschichtlein, manchmal so derb und eindeutig, daß wir uns aus guten Gründen hüten werden, sie hier wiederzugeben.

Und wenn wir auch weit entfernt davon sind, jenen schlimmen Leuten unbedingt zu glauben, die da sagen, der Herr Prälat predige öffentlich Wasser und tränke heimlich Wein, erkleckliche Portionen von allerlei Spirituosen gelangten in das pfarrherrliche Domizil hinein und nicht wieder hinaus, so werden indeß die guten Freunde des Hochwürdigsten mit uns darin einig sein, daß er es leider gar oft versäumt, den bösen Schein zu vermeiden.
Denn, ach, auch der Gottes- und der Wassermann figurirt in den Akten eines Ehescheidungsprozesses am Landgerichte der Münchener Hauptstadt. Da wird von Zeugen behauptet, daß die bei dem Prozeß engagirte Dame sehr häufig Abends mit ihm in fidelster Weise verkehrte, daß sie ihn trotz Verwarnung einer intimen Freundin, die „ein Gerede“ befürchtete (die Dame selbst gestand dieser zu: „Wir müssen jetzt noch mehr aufpassen, wenn das herauskommt, gibt es einen Höllenskandal!“) sehr häufig Abends allein nach Hause begleitete, daß sie ihm Morgens in aller Früh die heiligen Strümpfe anzog. Daß dabei die entzückte Dame gern in allen Ehren einen frommen Vaterkuß von ihm empfing, und auch später nicht müde ward, „die zarte weiche Haut des Herrn Pfarrers“ zu rühmen. Ferner wurde da ausgesagt, daß er mit dieser Dame öfter auf einer entfernt gelegenen Klosterkammer fromme Zwiesprache hielt, zu einer Zeit „in der sonst Niemand im Wege war“, wobei die kleinen Kinder der Dame mit bis zur Thüre gehen mußten, dann aber ausgesperrt wurden etc. etc.

Wörishofener, die offenbar keinen Sinn für die harmlose Fröhlichkeit haben, die jedenfalls untrennbar ist von einer richtigen und einträglichen ultramontanen Wundermedizin, ärgerten sich arg darüber, daß der Herr Prälat auch ein Freund urfideler Gesellschaft war. Die suchte und fand er oft des Abends im Pater Franz und den schon genannten Damen. Das lustige Vierblatt wurde oft auch umkränzt von anderen Dienern des Herrn und anderen schönen Damen, darunter solche, deren Weg bisher nicht der steinige Pfad der Tugend gewesen. Da amüsirte man sich ganz vorzüglich bei Wein, Klavierspiel und frohen Liedern. Und durch dichte Jalousien quollen aus geistlichen und weltlichen Kehlen oft hinaus in die laue Nacht die lieblichen Lieder:

Zwei Sternderln am Himmel, die leuchten mitz'sam,
Das ani zum Dirndal, das and're leucht hoam.

Ka Vögerl is treuer sein' Nesterl am Bam',
Als i mein' liab'n Dirndlan, ob i wach' oder tram.

Und bei mein' Dirndlan, da bin i so gern,
Und da wird ma so guat, daß ma übel kunnt wern.
Holdrio, Holdrio, Holdriohoho, Holdrio, Holdrio, Juhu!


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und:
Du flachshoarats Dirndl, i hob di so gern,
Und i kunnt weg’n dein Flachs glei a Spinnradel werd'n.

Du schwarzaugets Dirndl mit nußbraunem Hoar,
Wennst mi no a mol so anschaust, so werd' i a Noar.

Je höher der Kirchthurm, je schöner das G'läut,
Und je weiter zum Dirndl, je größer die Freud.

* * *

So gings und geht's gar fröhlich zu unter Küssen und Güssen in der lustigen Station. Nach dem Sinnspruch frommer Herren und Damen bei ihren urfidelen Zusammenkünften in der Villa X:

Ja bei uns da gibts koa Sünd.


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Schlußwort.

Im Verlaufe unserer Betrachtungen wurde schon kurz darauf hingewiesen, daß Prophet Kneipp in seiner Heimath eigentlich nichts gilt. Der realpolitisch veranlagte Einwohner von Wörishofen nimmt gern den Abfall vom Tische des Herrn; deutsch und bieder und unter zeitgemäßer Fruktifizirung langjähriger Erfahrungen heimst er den Nutzen des lebhaften Fremdenverkehrs ein. Von der Kneippkur und den Heilslehren ihres eifrigen Apostels will er wenig oder gar nichts wissen, und wenn ihn eine Krankheit heimsucht, geht er vernünftig zum „Giftarzt.“ Der heiligen Kneipperei erfreuliche Früchte kennt er ja auch aus der allernächster Nähe.

Daher kommt es auch, daß die Gemeindeverwaltung verhältnißmäßig sehr wenig zur Verbesserung der unhygienischen Zustände des Heilortes aufwendet, ja, daß sie kaum die Hand rührt zur Schaffung erträglicher Straßen. Der Herr Prälat, so deduzirt [schlussfolgert] der Vollblut-Wörishofener, ist ein alter Mann, und ob, wenn die Himmlischen den Wunderthäter zu überirdischen Ehren abrufen, einer seiner Schüler im Stande sein wird, die profitbringende Gnade des Glaubens in so hohem Maaße zu wecken, das ist ihnen zum mindesten unwahrscheinlich. Drum freut er sich des Goldsegens, so lange noch des Gottes- und des Wassermannes Lämplein glüht und läßt er der Barfüßlinge vertrauende Schaar sich auf den miserablen Wegen des Wundernestes Sohlen und Zehen blutig schinden.

Nicht so die Privatindustriellen, die Hotelbesitzer, Badeinhaber, Sandalen-, Kneippbrod-, Honigwein- etc. Fabrikanten. Auch nach dem Hinscheiden des Hochwürdigen – fern sei der Tag zum lustigen Weitergedeihen ultramontaner Wunder-Wasserheilkunst! – möchten sie den Ursprungsort der Kneippmirakel zum Mittelpunkt für fröhliche Wasserzünftlerei behalten wissen. Und darum schufen sie bereits eine – elektrische – Straßenbeleuchtung und planen gar die Erbauung einer elektrischen Bahn zwischen der Bahnstation Türkheim und Wörishofen!

Des regen Spekulationseifers wird aber, wie es scheint, selbst dem sonst doch gar nicht allzu bedenklichen Herrn Prälaten etwas viel. In seinem Vortrage vom 15. April besprach er nämlich „die rege Baulust, welche sich namentlich jetzt bei Beginn der warmen Jahreszeit wieder geltend macht.“ Seine Ansicht diesbezüglich geht dahin, daß weitere bauliche Vergrößerungen nicht eben nothwendig erscheinen, da Wörishofen seit der Bekanntwerdung der Methode wegen des großen Zusammenströmens von Fremden ohnehin schon zu einem Orte von ganz beträchtlichem Umfange herangediehen sei, aber alle, welche hier ankommen und Hilfe suchen, mag auch ihre Zahl eine große sein, zu beherbergen vermag.
Unbegreiflich sei es ihm, wie manche vornehme Herren (und Damen), welche bis dahin in Städten gewohnt hatten, ihren Aufenthaltsort mit einem so schlichten Landdorfe vertauschen mögen. Da müßte doch wohl, meinten der Herr Prälat ein wenig naiv, die Kur selbst die Hauptzugkraft ausüben! Auch die Rotte von Quartiermachern, welche hier aufgetaucht ist, sei nicht nöthig und sollten sich diese ihr Brod auf eine bessere Weise verdienen.


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Die hier ankommenden Fremden hätten ja doch in den meisten Fällen noch Füße, um sich selbst ein Quartier zu besorgen und aufzusuchen. Was das Verhältniß der seßhaften Einwohner zu den Kurgästen angehe, so sei ihm nicht unbekannt, daß die Wörishofener einigemale nicht auf das menschlichste mit ihnen umgegangen seien; Hochwürden versichert aber, daß von seiner Seite alles geschehen sei, um solche mit den Gesetzen der Gastfreundschaft wenig Vertraute durch Personen, welchen dieses zustehe, auf den Weg der Pflicht und des Rechtes und der Billigkeit zurückzuführen. Doch es lasse sich nicht leugnen, daß auch von Seite der Kurgäste zuweilen zu immense Anforderungen gestellt werden, und nicht immer könne man ihren einzelnen Wünschen, besonders wenn diese in Launen ausarten, bis ins kleinste gerecht werden. „Mein Bestreben“, so schloß der Hochwürdige emphatisch diesen Absatz seiner Kundmachung, „geht stets dahin, aus Wörishofen alles, was modern heißt, zu verdrängen und einen Ort daraus zu machen, wo man recht wohlfeil und recht einfach leben kann.“

Wer würde es wagen, an der Ehrlichkeit dieser begeisterten Worte des Wundermannes zu zweifeln? Des Wundermannes, an dem sich das Bibelwort: „seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben“, so himmlisch-herrlich erfüllet hat? Doch, wer im Glück sitzt, soll den Schmerz lernen. Und so muß auch der Herr Prälat erfahren, daß dies „sein Bestreben“ nicht von gar hohem Erfolg gekrönt war. Weil, wie der Leser mit uns gesehen hat, die Stätte, wo der päpstliche Kämmerer Msgr. Kneipp seine Schäflein hütet und Wasserwunder wirkt, so recht eigentlich ein Tummelplatz von dem geworden ist, was sich, nicht gerade im christlichen Sinne, „modern“ nennt und „lustig.“
Und der Herr Prälat – wie seine frommen Freunde – haben sich ja auch mit bewunderungswürdiger Anpassungsfähigkeit in diese Wendung der Dinge zu fügen gewußt.
Denn schließlich: die Kirche hat einen guten Magen, und schon der alte Juvenal glossirte jene Profitfröhlichkeit, die auch in Wörishofen bei gesalbten Dienern des Herrn wie bei ungeweihten Menschlein gilt: Lucri bonus est odor ex re Qualibet1).
* * *

Ehe wir unter diese am Ende des „aufgeklärten“ Jahrhunderts besonders erbaulich zu lesenden Kapitel das Schlußzeichen setzen, noch ein paar Worte zur Vermeidung von Mißverständnissen. Nicht an die Adresse einer verehrungswürdigen Centrumspresse und ihrer p. t. Hintermänner. Was die keifen mag und wird, läßt uns kalt. „Für alle Fälle ruht auch noch genügendes Material in unserer Mappe, zur Auferstehung jederzeit bereit. Denn wir sind, in Anbetracht des reichhaltigen Stoffes, der zu Gebote stand, sehr schonend vorgegangen.“
Nur dem sei vorgebeugt, daß hier oder dort vielleicht vermuthet werde, die Tendenz dieser Schrift wende sich gegen eine vernünftige Naturheilmethode. Nicht im entferntesten war das ihre Absicht. Kein Verständiger – darin wissen wir uns einig mit den meisten Vertretern der wirklich modernen medizinischen Wissenschaft – wird die Bedeutung eines auf genaue Kenntniß des menschlichen Körpers gegründeten Naturheilverfahrens unterschätzen. Und was ist schließlich die zu immer größerer Bedeutung gelangende Hygiene anders, als ein Hauptfaktor einer wirksamen Naturheilkunst?
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1) Der Geruch des Gewinnes ist gut, woher dieser auch stamme.


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Wir halten es mit Dr. Pollack, der in seiner trefflichen Schrift: „Aerztliches Hausbüchlein“ [1893] u. a. sagt: „Man macht den Aerzten nicht mit Unrecht den Vorwurf, daß sie sich nicht von vornherein der Bewegung bemächtigt haben, welche jetzt im Volke nach der sog. naturgemäßen Heilmethode geht. Es würde dann nicht eine wirklich gute Sache in die Hände von größtentheils ungebildeten Laien gerathen sein, die in marktschreierischer Weise das – nach allem Neuen begierige und urtheilslose – Publikum anlocken und ausnützen. Die Verführungskünste, welche diese Leute anwenden, sind die denkbar niedrigsten. Gemeines Schimpfen auf die Aerzte und die Medizin spielt eine Hauptrolle, von Vergiftung durch Arznei handelt das dritte Wort in den Reden und Schriften dieser Herren, immer und immer wieder finden sich die alten falschen Begriffe von der Thätigkeit des Arztes, vom Wesen der Arzneiverordnung und von den Wirkungen der Medikamente . . . Mein Standpunkt befindet sich weder auf Seiten derjenigen Aerzte, die sich im Verschreiben etwas zu gute thun (eine leider recht häufige Spezies!) noch auf Seiten der allein seligmachenden Hydropathen. Ich weiß, daß der Arzneischatz eine Reihe trefflicher Mittel enthält, die eben kurzer Hand „helfen.“ Ich weiß aber noch etwas, die Thatsache nämlich, daß viele Anhänger der Wassermethode in ernsten Krankheitsfällen doch zum Arzte gehen und sich Arznei verschreiben lassen. Warum? Weil sie fühlen, daß es immerhin eine andere Sache ist, sich von einem Manne kuriren zu lassen, der fünf und mehr Jahre auf sein Studium verwandt hat, als von einem Schustergesellen, der kaum weiß, wie ein menschlicher Körper aussieht …“

* * *

Einen Mittelpunkt des soeben gekennzeichneten „Heilverfahrens“ und einen Hauptvertreter desselben hat der Leser nun ziemlich gründlich kennen gelernt. Vermag die Lektüre der vorliegenden Blätter, Allzuvertrauende, über die wirklichen Zustände in der ultramontanen Wasserheilstation Ununterrichtete von dort fernzuhalten, dann ist der Zweck dieser Schrift hinlänglich erreicht.

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Ende der Abschrift, Helmut Scharpf, 09/2022. Das Original wurde von der Stadtbibliothek Augsburg zur Verfügung gestellt.

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Das Exemplar über die Teufelsaustreibung von Wemding wird hier demnächst abrufbar sein. Hilbert Kadgien vom gleichnamigen Antiquariat (Froebelweg 3, Ortsteil Brand, 95615 Marktredwitz) hat das Original des Heft in seinem Angebot und machte sich die Mühe, es fürs virtuelle Museum zu scannen. Wie der Stempel auf der Coverseite zeigt, befand es sich einst im Bestand des Kapuzinerklosters Türkheim.

Literaturzitat:
Gaßner, Aurelian: Authentischer Bericht über die Teufel-Austreibung welche am 13. und 14. Juli 1891 im Wemdinger Kapuziner-Kloster stattgefunden hat, Wemding, 15.08.1891, 16 S.

In seiner Dissertation „Deutsche Irrenärzte und Irrenseelsorger. Ein Beitrag zur Geschichte der Psychiatrie und Anstaltsseelsorge im 19. Jahrhundert“ von 2010 schreibt Benjamin Kocherscheidt im Kapitel „Religion und Wahnsinn im 19. Jahrhundert“ im Abschnitt „Besessenheit und Irresein – Exorzismus und Dämonomanie“ auf Seite 38: „Der Bericht erregte den liberalen Teil der Öffentlichkeit aufs höchste. Dass es in einer so aufgeklärten Zeit noch praktizierende Exorzisten gab, konnte man als liberaler Protestant nicht hinnehmen.“
Als Beleg wird auf derselben Seite u.a. das Ende eines Artikels aus der Oberfränkischen Zeitung vom 11. Mai 1892: „Gott behüte uns davor, daß ein Geist, der solchen Wahnwitz erzeugt, jemals in unserer Volkserziehung noch größeren Einfluß gewinnt.“


Urheber

Quidam

Quelle

Stadtbibliothek Augsburg

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

1896-08-01

Rechte

gemeinfrei