01.09.1509 – Abt Leonhard Wiedemann richtet eine Druckerei ein
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Beschreibung
Was wir heutzutage als „Presse“ bezeichnen (lt. Wikipedia vom mittellateinischen „pressa“) leitet sich von der Druckerpresse aus der Zeit der analogen Drucktechnik ab und bezog sich ursprünglich auf die Gesamtheit aller verbreiteten Druck-Erzeugnisse (Flugschriften, Einblattdrucke, Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Plakate). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann der Begriff allmählich, die Bedeutung „Gesamtheit der gedruckten Zeitungen und Zeitschriften“ anzunehmen.
Gutenbergs Erfindung hielt im frühen 16. Jahrhundert auch in Ottobeuren Einzug: Am 1. September 1509 eröffnete Abt Leonhard Wiedemann – er war am 15.02.1508 zum Nachfolger des unbeliebten Abtes Matthäus Ackermann (Abt von 1492–1508) gewählt worden – eine Druckerei („Presse“); schon am 11.09.1509 erschien das erste Werk: über die Heilige Dreifaltigkeit. Mit der Verwendung von beweglichen Lettern revolutionierte Johannes Gutenberg ab 1450 die herkömmliche Methode der Buchproduktion (das Abschreiben von Hand) und löste in Europa eine Medienrevolution aus. In einigen Städten gab es bereits Druckereien, im ländlichen Schwaben war es laut dem Ottobeurer Geschichtsschreiber Pater Maurus Feyerabend in seinem zweiten Band der Jahrbücher die erste. Zitat S. 789f.:
„Jetzt begann eine literarische Anstalt, welche zwar in den Städten Deutschlands, Italiens, und Frankreichs schon eher bestand, auf dem Lande aber in Schwaben unstreitig die erste war. Bis hieher war es die Schreibfeder, wodurch die hiesigen Mönche von der Stiftungszeit an manche kostbare Werke des Alterthums erhielten, die eigenen Verstandsprodukte niederschrieben, ihre Büchersammlung vermehrten, und mit allem Aufwande der Mühe die so wohl göttlichen, als menschlichen Urkunden der ältesten Literatur auf die Nachkommenschaft fortpflanzten; nun errichtete der unvergeßliche Abt Leonhard mit Beihilfe des gelehrten Niklas Ellenbog, welcher schon damals der Klostergemeinde als Prior vorstand, in seinem Kloster eine eigene Buchdruckerei, wobei ohne alle Beihilfe einer weltlichen Hand nur Mönche, und zwar mit Ausnahme des Marx Elend, eines Mönches von Füssen, welcher die Formen reinigte, nur Mönche vom eigenen Hause angestellt waren.“ [Frater Markus Elend weilte „längere Zeit“ in der Reichsabtei Ottobeuren; s. Bigelmair und Zoepfl, Einleitung, S. LI]
Der Klosterdruckerei war weder eine lange Lebensdauer noch ein großer Produktionsumfang beschieden. Zum einen wurde die Druckerei im Bauernkrieg von 1525 zerstört und ruhte bis 1533, zum anderen wurde die Produktion laut eines Beitrags von Klosterarchivar Pater Rupert Prusinovsky (von 1994; s. Anlagen) im Jahr 1543 ganz eingestellt. Bekannt sind aus der Zeit lediglich 11 Werke meist geringen Umfangs. Die hier im virtuellen Museum verwendete Eingangsgrafik zeigt den Ordensgründer, den heiligen Benedikt in einen Holzschnitt aus dem ersten Druckwerk vom 11.09.1509.
Pater Maurus Feyerabend geht nicht darauf ein, dass es so früh zu einem Ende der „schwarzen Kunst“ in der Abtei Ottobeuren gekommen wäre. Auf Seite 793 schrieb er im Jahr 1814: „Die Druckerei, welche beiläufig vor anderthalb hundert Jahren in weltliche Hände kam, bestehet noch jetzt, und erhält sich.“ Rechnet man zurück (hier: 1814 - 150), dann ergibt sich das Jahr 1664, in der die Druckerei in weltlichen Besitz kam: zunächst möglicherweise an Karl Joseph Wankenmiller, Anfang des 19. Jh. dann vermutlich an Johann Baptist Ganser und zuletzt an Julius Baur, der auch das „Ottobeurer Wochenblatt“ herausgab. Die Begründung von Curt Visel (s.u.) zum Ende 1543 erscheint schlüssiger.
Abt Wiedemann erläutert im Vorwort des ersten vor Ort gedruckten Buches die Beweggründe. Der Memminger Verleger Curt Visel (1926 - 2012) zitiert diese in seiner fundierten Arbeit in den Memminger Geschichtsblättern (Doppel-Jahresheft 1952/53) ausführlich; als Quelle gibt Visel dabei auch J.G. Schelhorn, Amoenitates Historiae Ecclesiasticae et Litterae aus dem Jahr 1725, Bd. 2, S. 603 - 609, an:
„Darum hat unser hl. Vater Benedikt den Müßiggang verwünscht und gesagt: Der Müßiggang ist der Seele Feind; deshalb sollen die Brüder sich zur bestimmten Zeit mit Handarbeit, zu gewissen Stunden wieder mit den göttlichen Wissenschaften befassen. Entschlossen darum, diese tödliche Pest von meiner Herde fernzuhalten, habe ich mit großen Unkosten zusammengekauft, was zum Bücherdrucke nötig erschien, damit meine Brüder nicht mit gemeiner, sondern mit edler und nützlicher Arbeit sich beschäftigen.“ Zum Schlusse heißt es: „Ich beschwöre nun Euch, ihr Nachkömmlinge und treuesten Zöglinge dieses edlen Stifts, lasst diese Buchdruckerei nie zu Grunde gehen, sondern erhaltet dieselbe vielmehr mit männlichem Mut und Eifer und helft sie befördern und vergrößern. Dann wird in keinem Jahrhundert Euch in diesen Mauern rühmliche Arbeit und von außen Ehre und Achtung fehlen. Gegeben in meinem Kloster Ottobeuren, den 1. September im Jahre des Heils 1509, dem zweiten unserer Prälatur.“
Curt Visel weist im folgenden Abschnitt nach, dass Abt Wiedemann die nötigen Druckutensilien bei dem Memminger Drucker Albert Kunnes gekauft haben muss und stellt dabei aufwändige Typen-Vergleiche an, um den Nachweis führen zu können. Über die Zeit der Unterbrechung durch den Bauernkrieg von 1525 schreibt er:
„Abt Leonhard, der beim Ausbruch der Unruhen nach Ulm geflohen war, während die Mönche bald danach in der Schweiz und in bayerischen Klöstern Zuflucht gesucht hatten, hatte nun vollauf mit der Wiedereinsetzung des verwüsteten Klosters zu tun und konnte erst 1532 die Druckerei mit neuen lateinischen, griechischen und hebräischen Schriften wieder eröffnen.“
Die Wiedereröffnung brachte keinen neuen Schub. Andreas Bigelmair und Friedrich Zoepfl schrieben 1938 in ihrer Einleitung des Buches über die Briefwechsel von Pater Nikolaus Ellenbog auf S. XLVIII:
Aber die Verhältnisse waren an sich zu klein, die zur Verfügung stehenden Kräfte zu wenige und zu dürftig geschult. Es sind nur wenige kleine Werke bekannt, die zum Erscheinen kamen. Ellenbog selbst mußte gelegentlich ein ihm zum Druck angebotenes Werk ablehnen, da er zu sehr beschäftigt war. Immerhin hat er noch kurz vor seinem Tod – am 10. Mai 1543 – angeregt, daß die von Michael Dornvogel beim Gottesdienst für den Lehrer an der neuerrichteten Ottobeurer Hochschule Johann Gaza gehaltene Leichenrede in der Klosterdruckerei gedruckt würde. Sie wurde tatsächlich gedruckt, und da sie noch die Widmung trägt: „Patri D. Nicolao Elenbogio Ottenpurrhani conventus alumno, patrono suo Mi. Dornvogel salutem“, und da in der Schlußvignette sich noch die Angabe: Impressum Ottenpurrhe XI. Kalendas Junij Anno salutis MDXLIII (mit dem Wappen und Namenszug FLvV = Frater Leonhard Widenmann [Wiedemann]) findet, so hat Ellenbog den Druck noch zu Gesicht bekommen. Es scheint allerdings der letzte gewesen zu sein.
Über das mutmaßliche Ende der Klosterdruckerei führt Visel aus:
„Freilich viele Drucke scheinen die Offizin nicht mehr verlassen zu haben. Im Jahre 1543 erlitt sie einen schweren Verlust durch den Tod ihres Leiters, Pater Nikolaus Ellenbog (*18. März 1481 in Biberach, † 06.06.1543 in Ottobeuren). Als dann der Schmalkaldische Krieg neue Gefahren über das Kloster brachte, war für den Druck von Büchern keine Zeit mehr übrig. Schon zu Beginn hatte Abt Leonhard alle besseren Geräte, die Vorräte und Kostbarkeiten nach Füssen bringen lassen. [Andreas Bigelmair und Friedrich Zoepfl schrieben auf S. XLVIII: „1546 mußte der größte Teil der Einrichtung nach Füssen geflüchtet werden, und die Druckerei ging bald darauf in andere Hände über.“] Als aber das Heer der Reichsstätte unter Schertlin von Burtenbach nach Tirol zog, wurde das geflüchtete Gut in Füssen zuallererst eine Beute des Kriegsvolkes. Auf dem Rückzug von Tirol besetzten dann die Truppen Mitte Oktober des Jahres 1547 Ort und Kloster Ottobeuren. Abt Leonhard war beim Herannahen des Heeres nach Sipplingen bei Überlingen am Bodensee geflohen, wo er einige Weingüter angekauft hatte; sein Vertreter, der spätere Abt Kaspar Kindelmann, konnte das Kloster nur durch Zahlung einer Brandschatzung von 7000 Gulden vor erneuter Plünderung bewahren. Dem Abte wurde nun die Rückkehr erlaubt. Es kam aber nicht mehr dazu, denn am 15. Dezember 1546 starb er in Sipplingen.
Damit war das Schicksal der Druckerei besiegelt. Abt Leonhard hatte sie gegründet, um dem Kloster Ruhm und Ansehen zu geben und seinen Bewohnern eine edle Beschäftigung, mit seinem Tode zerfiel sein Werk, und wenn er auch in der Vorrede zum ersten Druck die Mahnung an seine Brüder und Nachfolger richtete, die Druckerei und damit die Wissenschaften zu bewahren und zu fördern, so hat sich unter den späteren Äbten doch keiner mehr gefunden, der sein Werk wieder aufgenommen hätte. Andere Probleme standen im Vordergrund, neue Kriege brachten Not und Gefahr über das Kloster und nach ihrem Vorübergang wurde unter Aufbietung aller Kräfte und Mittel in der [barocken] Basilika ein Kunstwerk geschaffen, das wie die Werke des Geistes in tieferem Sinne zur Ehre Gottes gereichte.
Wenn in dem neuen Klosterbau, der 1711 begonnen wurde, auch keine Druckerei mehr Platz hatte, so bewies doch der prachtvolle Bibliotheksaal mit seinen reichen und wertvollen Bücherschätzen aus allen Gebieten der kirchlichen und wissenschaftlichen Literatur, dass in seinen Mauern weiterhin ein wacher Geist, Bildung und Gelehrsamkeit ihren Sitz hatten. Die Bibliothek war ein Anziehungspunkt für Bücherfreunde und Gelehrte. Zu ihren Besuchern gehörte auch Martin Gebert, der gelehrte Abt von St. Blasien, der in seinem Reisebuch Itel Alemannicum (1765, S. Blasien) auch die Ottobeurer Druckerei erwähnt.“
In der Station über die „Ottobeurer Presse“ im Klostermuseum ist das erste Druckwerk (in einem Faksimile-Druck) zu bewundern, ebenso zwei Seiten aus dem dritten Buch, das die Ottobeurer Presse verließ – von Pater Nikolaus Ellenbog, Passio septem fratrum von 1511.
Literaturverzeichnis der Ottobeurer Klosterdruckerei
1. Alcuinus de Sancta trinitate, 23 Blatt (mit dem abgebildeten Holzschnitt „St. Benedikt“), Ottobeuren 1509
2. Philipp Graf, Benedictini Ottenburani speculum benedictinum, angeblich 1510
3. Pater Nikolaus Ellenbog, Passio septem fratrum s. Felicitatis, 30 Blatt, 1511
4. Einblattdruck mit Gebeten (Erklärung des Vaterunsers), vor 1517
5. Einblattdruck mit Ablassgebeten zu Ehren Mariens (mit wunderschönem Holzschnitt „Maria mit Kind im Strahlenkranz“) vor 1517
6. Officium Beate Marie virginis, 142 Blatt (mit drei Holzschnitten), 1517
7. Hore Dive virginis Marie secundum usum monasticum cum aliis multis folio ultimo notatis, 26 Blatt (mit zwei Holzschnit- ten), 1517
8. Oration Reverendissimi Augustensis ecclesiae Antistitis Christophori Stadion in synodo ad clerum habita, 9 Blatt (mit Wappenholzschnitt des Bistums Augsburg und Stadions), 1518
9. Ordo ad benedicendum, 67 Blatt, 1533
10. Neudruck der Pestordnung des Arztes Ulrich Ellenbog (Vater des P. Nikolaus Ellenbog) von 1494 (erschienen bei Kunne in Memmingen), 1541
11. [Michael Dornvogel:] Oratio funebris in obitum M. Johann Gazae Sigmaringens. Graecar. Literar. In Benedictino Collegio professoris, 8 Blatt (mit Holzschnitt des Impressums von 1517: Wappen des Stiftes, des Konvents und des Abtes Leonhard Wiedemann), 1543
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Weiteres Literaturzitat
Hinweis aus dem Salzburger Kirchenblatt Nr. 43 vom 03.11.1881, S. 351 („Wissenschaftliche Studien und Mittheilungen aus dem Benedictiner-Orden, Haupt-Redacteur: P. Maurus Kinter, O.S.B., Stifts-Archivar zu Raigern. Inhalt des vierten Heftes von 1881“), Bernhard, Magnus: Die Buchdruckerei des Klosters Ottobeuren
Die Geschichte der Druckerei bzw. der Drucktechnik ist noch lange nicht vorbei: Am 10.08.2024 titelte der Memminger Kurier: „Neues Zeitungsformat. Ein Schritt in die Zukunft - der Umwelt zuliebe“ Im Text wird näher erklärt:
Unsere Druckmaschinen haben viele Jahre lang treue Dienste geleistet, doch mittlerweile sind sie veraltet und wartungsintensiv. Daher war die Anschaffung einer neuen Druckmaschine unvermeidlich. (...)
Mit der neuen Druckmaschine setzen wir auf zukunftsfähige und nachhaltige Technologie. So wird weniger Energie bei der Herstellung des neuen Formats benötigt, was die Kosten senkt. Die neue Maschine bringt viele Umweltvorteile mit sich: Sie verbraucht weniger Ressourcen und nutzt umweltfreundliche, mineralölfreie Farben. Die Druckmaschinenkühlung erfolgt mit gesammeltem Regenwasser, was den Wasserverbrauch senkt, (...)
Zusammenstellung, Repros, Abschriften: Helmut Scharpf, 08/2024