04.11.1914 - Ottobeurer Feldpost ans Amerikanische Rote Kreuz in München

Titel

04.11.1914 - Ottobeurer Feldpost ans Amerikanische Rote Kreuz in München

Beschreibung

Vordergründig weist die Karte auf Informationen über die Elektrifizierung eines Ottobeurer Betriebes, auf den zweiten Blick lenken die Texte sowie die Adresse die Aufmerksamkeit dann aber auf das Kriegsgeschehen sowie auf das Thema des Amerikanischen Hospitals in München.

Die Familie Haupeltshofer betrieb lange Jahre eine Schmiede in der Luitpoldstraße, der hier angegebene Wohnort Ludwigstraße 110½ ist im Adressbuch von 1926 schon nicht mehr verzeichnet. Im Ottobeurer Wochenblatt Nr. 26 vom 27.06.1878 ist auf S. 1 eine Danksagung von Walburga für ihren verstorbenen Gatten Bartholomäus Hauptelshofer, Schmiedmeister und Stiftungsverwalter dahier,  abgedruckt, aus der hervorgeht, dass die Witwe mit ihren Kindern die Schmiede weiterbetrieb: „Wir empfehlen den Dahingeschiedenen dem frommen Gebete und bitten, das dem Verstorbenen geschenkte Wohlwollen auf uns zu übertragen.“

Hier zunächst die Transkription des umfangreichen Kartentextes:

Abs. Haupeltshofer W. Ottobeuren
Ludwigstrasse 110½
[Stempel: OTTOBEUREN, 4 DEZ. 3-4 Nm. 14]
4.11.14 Feldpostkarte

Infanterist
Martin Baur
Amerikanisches-Rotes
Kreuz München
Prinz-Ludwigstrss. Nr. 9.

Werter Martin ! Endlich dein
Atreß erfragt. Wie steht es
zur Zeit mit deinem Befin-
den, hoffentlich gut. Du
darfst es für ein Klück schät-
zen daß du mit deinem Leben
dafongekommen bist und in
guter Pflege bist. Ich schließe
dich täglich im Gebete
ein u. wünsche zu-
gleich baldige Genesung
u. mehrere Wochen er-
holungs-Urlaub in der
Heimath. Viele freundl.
Grüße v.[on] Haupeltshofer Wal.[burga]

Querschrift:
Besten Dank
für deine lb. Karte
auf baldiges
Wiedersehen.

Bildseite, gedruckter Text oben und unten:
Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft München
Verwendug der Elektrizität in einer Schlosserwerkstatt.

Bildseite linker Rand:
Es ist in Ottbr. schon der 12.
Gottesdienst abgehalten worden f. d. grossen [?] Krieg.

Bildseite unten:
schon 80000 Russen gefangen*

Bildseite rechter Rand oben:
Samstag d. 5. für
Georg Notz.**

* Meldung der „Obersten Heeresleitung“ vom 02.12.1914:
80000 Russen in Polen gefangen
Großes Hauptquartier, 2. Dezember, vormittags.
Die in der ausländischen Presse verbreitete Nachricht, daß in der von uns gemeldeten Zahl von 40000 russischen Gefangenen die bei Kutno gemachten 23000 mitenthalten seien, ist unrichtig. Die Ostarmee hat in den Kämpfen bei Wloclawek, Kutno, Lodz und Lowicz vom 11. November bis 1. Dezember über 80000 unverwundete Russen gefangengenommen.

1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus, Band 1, Nationaler Verlag, Berlin, 1915

Hinweis: Die Meldung vom 2.12. ist ein Dementi anders lautender Berichte. Die Karte ist zwar mit 4.11.1914 datiert, wurde aber erst am 4.12. postalisch befördert. Vermutlich wurde der Hinweis auf die 80000 gefangenen Russen erst im letzten Moment mit Bleistift auf die Vorderseite geschrieben - zusammen mit den beiden anderen Hinweisen mit Bezug auf Ottobeuren.

**Der Name Georg Notz ist auf der Tafel des Kriegerdenkmals für 1914 bestätigt.
Für 1914 ist dort übrigens auch ein „Sylv. Haupeltshofer“ aufgeführt.

Zum Amerikanischen Roten Kreuz finden sich vereinzelt Zeitungsausschnitte von 1914, mit dem Hinweis: „Die amerikanische Kolonie hat in der Ludwigstraße in München ein Hospital errichtet, in dem verwundete Soldaten aufgenommen werden.“ Der Text auf der Rückseite zitiert fast wörtlich den deutschen Heeresbericht vom 30.09.1914:
Vor Antwerpen sind zwei der unter Feuer genommenen Forts zerstört. Nördlich und südlich von Albert (Departement Somme) vorgehende überlegene feindliche Kräfte sind unter schweren Verlusten für sie zurückgeschlagen. An den Argonnen geht unser Angriff stetig, wenn auch langsam, vorwärts.
Insofern hat das Amrikanische Rote Kreuz mit der Einrichtung des Hospitals auf den Bedarf unheimlich schnell reagiert.

Wie es zur Eröffnung eines Krankenhauses in München durch das Amerikanische Rote Kreuz kam, ist in nachfolgendem Buch gut erklärt: Zum einen Stand die Hilfe aus Nächstenliebe Pate für den Betrieb von Hospitälern für Kriegsverletzte, zum anderen fühlte man sich ausdrücklich zur Neutralität verpflichtet und eröffnete spezielle Kliniken in mehreren Ländern Europas, so auch in Deutschland. Aus Geldmangel musste man sich 1915 jedoch auch aus München wieder zurückziehen.
Literaturzitat:
Moser Jones, Marian: The American Red Cross from Clara Barton to the New Deal, Johns Hopkins University Press, Baltimore, 29.11.2012, 375 S., ISBN-13: 978-1421407388.

Infos zu Mabel Boardman bekommt man auf der englischsprachigen Wikipedia-Seite.

Und hier - als Zitat von S. 158 f. des oben angeführten Buches von 2012 - eine Erklärung des Zusammenhangs:

Humanity and Neutrality in Wartime
When war broke out in August 1914, Boardman rushed back from Murray Bay, Ontario, where she was vocationing with the Tafts, to coordinate a new ARC European war-relief fund-raising drive. Boardman and ARC board members wanted to raise enough funds to send an ARC hospital unit of surgeons and nurses to each country involved in the war. President Wilson helped by issuing an appeal to the American people to contribute to the ARC relief fund. In one month, the ARC collected enough donations to finance its first relief ship, which sailed from New York on September 12 with 33 surgeons and 137 nurses aboard. Several similar groups sailed within the next few months.
    In this early effort, the ARC followed its principle of neutrality, which was consistent with the neutral position of the United States in the war. While many Americans' sympathies lay with the Allies, especially the British and the French, the ARC took pains to aid the wounded on the other side as well. Boardman's German-born friend Dr. Sofie Nordhoff-Jung and her husband Dr. Franz Jung, who had a well-established medical practice in Washington, D.C., returned to Munich and opened the Amerikanische Rotes Kreuz hospital. Assisted by female volunteers drawn from the American expatriate community as well as German noblewomen, the Jungs treated wounded soldiers from all armies. Boardman and other ARC volunteers meanwhile collected funds and supplies for them. The ARC also sent teams of doctors and nurses to England, France, Russia, Germany, Serbia and Belgium, along with volunteer ambulance brigades funded and staffed by students from Ivy League colleges. In early 1915, the ARC and the Rockefeller foundation organized a joint Sanitary Commission, led by American medical experts, to fight a typhus epidemic that developed in Serbia.
    As the war dragged on, however, Americans retreated into isolationist indifference and the ARC's fund-raising effort petered out. By August 1915, its wartime relief funds had dwindled so much that ARC officials had to bring their medical teams home. While the unit sent to Belgium remained until May 1916, and a few ARC nurses and doctors chose to stay in Europe to serve with other nations' Red Cross units, all other ARC medical units returned to the United States by the end of 1915. The Allies meanwhile began to successfully block the ARC's shipment of medical supplies to Germany and the other Central Powers. In total, between 1914 and 1916, the ARC spent $1.97 million on European war relief – a pittance in relation to the severe needs of European combatants and civilians.
    When the United States entered the war [Kriegserklärung am 6. April 1917], a new and different Phase of ARC relief began. (...)

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Aus einer Bildunterschrift („Das amerikanische Rote-Kreuz-Hospital in München“, English: "The American Red-Cross Hospital in Munich“) in einer (nicht näher bekannten) Zeitschrift oder Zeitung von 1914/15 gehen die Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hervor, darunter die in dem englischen Buch erwähnten Protagonisten Dr. Sofie Nordhoff-Jung und ihr Ehemann Dr. Franz Jung. Die Namen im Einzelnen:
Von links (untere Reihe):
P. Max Kuehnrich, Los Angeles; Dr. Milnor Coit, Concord, H.H.; Dr. Sofie Nordhoff-Jung, Washington, D.C.; Ministerialrat Freiherr von Lutz, München; Generaloberarzt Dr. Hofbauer, München; Wilson G. Crosby, Duluth, Minn.; T. St. John Gaffney, New York; Generalarzt Dr. Helfrich, München; Generallleutnant Obermayr, München; Miss [Miß] M. Meinecke, San Francisco; Fräulein von Greifenstein, München; Miss E. Schwarz, San Antonio, Tex.; Miss F. Barkan, San Francisco; Miss Cath. Minsel, Chicago, Ill.; Frau Bassermann, München; Miss S. Schwarz, San Antonio; Mrs. Lewis; Miss Emma Ruhl, Hoboken, N.J.; Oberschwester Eva Adam, München; Miss Marion Shaw, St. Lewis, Mo.
Obere Reihe: Prof. Dr. Gustav Klein, München; Mrs. P. Max Kuehnrich, Los Angeles; Dr. Franz A.R. Jung, Washington; Generalarzt Dr. Dessauer, München; Miss L. Pattee, Chicago, Ill.; Dr. Chas. Miller, New York [Newyork]; Miss E. Humes, Homer, La.; Mr. Schussel, New York; Miss Helen Stevens, Detroit, Mich.; Miss Frances Moor, Toledo, O.; Miss Enid Bliß [Bliss], New York; Matuschka von Keil, Wien; Fräulein Klee, München; Miss El. Ch. Pohl, Boston, Mass.

Man kann an den Namen erkennen, dass viele der amerikanischen Ärzte und Krankenschwestern deutschstämmig sind. Fotograf dürfte Franz Xaver Ostermayr (16.11.1853-09.01.1940) aus München (Atelier: Karlsplatz 6) gewesen sein.

Über den damaligen Standort des Hospitals - Prinz-Ludwig-Straße 9 - gibt es einen kleinen geschichtlichen Abriss auf der Seite der „Carat Wohnungsbau“ in Riemerling, die das heute denkmalgeschütze Gebäude energetisch saniert. Vergleicht man die Bilder des Eingangsbereichs auf der Seite mit dem Zustand heute (Bild vom 19. August 2015), so scheint er weitgehend unverändert.
Zitat von der oben verlinkten Seite:
Das Haus Prinz-Ludwig-Straße 9
„Prinz Ludwig 9“ wurde im selben Jahr erbaut, wie die Straße, an der es liegt, 1897. (...) Die Geschichte des Hauses spiegelt auch die Geschichte Bayerns und Deutschlands wider: Errichtet noch zu Zeiten der Monarchie als herrschaftliches Haus mit ebensolchen Mietern. Die erste Besitzerin war die Rentierswitwe Marie Crämer. Im ersten Weltkrieg und in den 20ern war es eine Pension, eine „Zwischenlösung“ in bewegten Zeiten, so wie die Weimarer Republik. Zu dieser Zeit befand sich auch der Wohn- und Amtssitz des Bulgarischen Generalkonsuls Ludwig Ritter von Steub in der zweiten Etage. Die Nationalsozialisten nutzten es als Verwaltungs- und Gerichtsgebäude. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde es indes auch ein Schauplatz demokratischer Gewaltenteilung – als Sitz des Amtsgerichts.

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Zur Vertiefung sei der sehr interessanter Artikel zur Rolle der USA im 1. Weltkrieg bei Spiegel-Online empfohlen. (Bis auf einen sachlichen Fehler, wenn es bei der „Kriegserklärung an die Entente“ eigentlich „an die Mittelmächte“ heißen müsste!)

Recherche, Bildbearbeitung, Transkription, Abschrift und Sammlung: Helmut Scharpf, 08/2015
Wer noch Ergänzungen zur Transkription machen kann, bitte melden!

Urheber

Wallburga Haupeltshofer

Quelle

Sammlung Helmut Scharpf

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

1914-11-04

Rechte

gemeinfrei