09. - 13.03.1896 – Sebastian Kneipp auf Vortragsreise in Berlin, Hamburg, Aachen und Münster
Titel
Beschreibung
Auch im Jahr 1896 setzte Sebastian Kneipp seine intensive Reisetätigkeit fort. Wie so oft, war er in Begleitung seines „Reisemarschalls“ Alois Stückle, der die Reise vorbereitet hatte, für den reibungslosen Ablauf und dafür sorgte, dass Kneipp nicht allzusehr von den Mitreisenden belästigt wurde. Kneipp nannte sich selbst humorvoll „Stückles Reisegepäck“.
Fast wäre die Reise nicht zustandegekommen. Wendelin Waibel erklärte in seinem Buch „Kneipp – Wie ich ihn erlebte, von 1955: „Im Jahre 1896, dem letzten Jahre seiner Ausflüge in weite Fernen, sprach der unermüdliche Gesundheitsapostel auf fünf anspruchsvolleren Reisen nochmal in 15 verschiedenen Städten. Trotz einer Unpäßlichkeit trat er am 9. März die erste dieser Reisen an, denn es wurde ihm, wie er einmal sagte, bei Leibbeschwerden immer gleich besser, wenn er auf die Eisenbahn kam, weil die Bewegung und das Rütteln der Wagen wohltuend auf seinen Körper wirkte.“
Überall wurde er „wie ein Landesfürst empfangen und stürmisch gefeiert.“ Wie schon in München, wo er 1890 die ersten großen Vorträge gehalten hat, war es auch in Berlin notwendig geworden, den größtmöglichen Saal zu buchen. Über die „Concordia-Säle“ heißt es auf einer der hier eingestellten Lithografien, es wären die „anerkannt größten Säle Berlins“. Am 9. März 1896 sprach Kneipp um 20 Uhr vor „mindestens 3000 Menschen“. Bereits drei Jahre zuvor – am 12. und 13. April 1893 – hatte er, von Prag kommend, Berlin besucht und in zwei Vorträgen je 3000 Menschen erreicht.
In den „Kneipp-Blättern“ sind die näheren Umstände seines Vortrags 1896 – in „unverfälschtem schwäbischen Dialekt – näher beschrieben:
Prälat Kneipps Vortrag in den Concordia-Festsälen rief am Montag abends eine wahre Völkerwanderung zur Andreasstraße hervor. Alle Pferdebahnwagen, die nach jener Richtung führten, waren um die Zeit des Beginns des Vortrages überfüllt. Ein zahlreiches Aufgebot von Schutzleuten war erforderlich, um die Ordnung bei den herandrängenden Massen aufrecht zu erhalten; viele Hunderte, die ohne Eintrittskarten gekommen und solche noch lösen zu können glaubten, mussten umkehren. Der große Saal und die Galerien waren überfüllt.
Die Sehenswürdigkeiten ließ Kneipp weitestgehend links liegen, „Zu den Kranken, zu den Kranken!“, war laut Stückle „sein ewiger Wahlspruch“, auf seinen weiteren Stationen Hamburg, Münster und Aachen hielt er deshalb so oft es ging „Sprechstunde“.
In Hamburg konnte sich Kneipp einer Hafenrundfahrt mit Besuch eines Dampfers nicht entziehen: Selbst auf der „Palatia“ hielt er „auf dringendes Ansuchen des Kapitäns einen für ihren Seemannsberuf geeigneten Vortrag“. Als Dank „bekundeten die begeisterten Leute am Schlusse mit einem dreifach donnernden Seemannshoch auf den gütigen Menschenfreund“. Auch die Börse und ein neu erbautes Krankenhaus standen auf dem Reiseprogramm, in Aachen besichtigte Kneipp den Dom. In Münster wird man enttäuscht gewesen sein, dass Kneipp statt der beim Empfangsessen angebotenen Spezialität, westfälischen Schinken mit Sauerkraut, lediglich „eine Tasse Gerstensuppe, in welche er sich ein Brötchen einbrockte“ aß.
Schon in der Anfangszeit seiner Reisetätigkeit war oft die Besichtigung oder Eröffnung von Kneipp‘schen Anstalten Anlass für eine Vortragsfahrt. In Hamburg bezog er in der Kneipp'schen Heilanstalt „Hermannsbad“ am Eimsbütteler Parke des Herrn H. Jwowski Quartier – Jwowski war stellvertretender Vorsitzender des Kneippvereins Hamburg – und besuchte auch die „Kneipp'sche Heilanstalt des Herrn Dr. med. H. Kuhlmann“; in Aachen die „Kneipp-Anstalt“ des Herrn Dr. Adolph.
Das Eingangsfoto (Quelle: Kneippmuseum, digital restauriert von Michael Scharpf) zeigt Sebastian Kneipp in einer Kutsche vor dem Hermannsbad in Hamburg, das erst kurz vorher eröffnet worden sein musste, nachdem Alfred Baumgarten es in seinem Werk „Kneipp-Führer. Die Anstalten in Wort und Bild“ von 1894 nicht erwähnt. Schon kurze Zeit später muss das Haus deutlich erweitert worden sein, unmittelbar nach der Jahrhundertwende wird es – ganz konventionell – als „Hotel“ bezeichnet.
Auch die Kureinrichtung in Aachen erwähnt Baumgarten nicht, dafür gibt es einen Eintrag für Münster (s.u.).
In der Kutsche gegenüber sitzend sieht man Alois Stückle, bei den beiden anderen Herren könnte es sich um „H. Jwowksi“ sowie den ersten Vorsitzenden des Kneippvereins Hamburg, „H. Ludwig“, handeln.
In Hamburg war aufgrund der sehr kurzfristigen Zusage kein Vortrag in einem der Riesensäle möglich, in Münster sprach Kneipp im Lortzing-Theater – wo sich „die Zuschauer sich Kopf an Kopf drängten“, und wo der Vortrag stattfand – zwei Stunden über „Kindererziehung, die Abhärtung, die richtige Kost und die Wasseranwendungen“. In Münster stieg der Wasserdoktor „in der Wohnung des Vorsitzenden des hiesigen Kneipp-Vereins, Herrn Rentner Heinen, ab“. Mehr als 1500 Personen zählte die Versammlung, „der auch zahlreiche Kneipp-Freunde aus Belgien und Holland anwohnten“, in der Glashalle des zoologischen Gartens. „Es war eine wahre Völkerwanderung nach dem zoologischen Garten zu“, hieß es in den Kneipp-Blättern.
Überall begegnetem Kneipp ehemalige Kurgäste, die Dankbarkeit über zurückliegende Heilungen sowie die Vortragsangebote und allein schon für die Mühen von Kneipps Reisen war groß. Zum Besuch auf der Palatia schieb Wenelin Waibel: „Ihren Dank bekundeten die begeisterten Leute am Schlusse mit einem dreifach donnernden Seemannshoch auf den gütigen Menschenfreund.“ Im Nachgang des Hamburg-Besuchs erhielt er „ein Riesengemälde in Farbdruck, das auf einem Metalltäfelchen die folgende Inschrift trägt“:
Sr. Hochwürden Herrn Prälat Sebastian Kneipp zur Erinnerung seines Besuches an Bord der Palatia im Hafen von Hamburg am 11. März 1896. In dankbarer Verehrung gewidmet von Heinrich Wencke und Frau.
Es hängt heute im Kassenraum des Kneippmuseums in Bad Wörishofen.
Zur Ankunft in Münster heißt es: „Um möglichst alles Aufsehen zu vermeiden, war der Zeitpunkt der Ankunft streng geheim gehalten worden, trotzdem aber hatten sich am 11. März um 7 Uhr abends am Bahnhof Neugierige genug eingefunden.“ Und zur Reaktion des Publikums in Aachen: „Bei seinem Erscheinen wurde Kneipp lebhaft begrüßt; manche, die ihn in Wörishofen aufgesucht hatten, umringten ihn und drückten ihm die Hand. Trotz der weiten Reise, die Kneipp im Laufe dieser Woche gemacht hat, sah er recht wohl aus. Rauschender Applaus folgte den interessanten Ausführungen Kneipps, die sich im allgemeinen im Rahmen seiner frühern Vorträge hielten.“
Am Rande sei für 1896 noch ein ganz kleiner Ausflug Kneipps erwähnt: Am 15.08.1896 fuhr er nach Mindelau und hielt dort die Festpredigt anlässlich des 25-jährigen Priesterjubiläums von Alois Stückle (*18.06.1845, Mindelheim, †14.08.1935, Apeltrach). Erwähnenswert ist auch, dass bei den Beerdigungsfeierlichkeiten unter den 27 vertretenen Kneippvereinen auch Vertreter aus Berlin Hamburg waren.
Kneipps Vortrag in Aachen wurde in gedruckter Form veröffentlicht: Einfachheit, Mäßigkeit u. Abhärtung, Gottes- und Naturgebot. Nach d. Rede Kneipp's, geh. zu Aachen im „allgem. Kneippverein“ am 12. März 1896, J. Schweitzer, Aachen, 1896, 12 S.
Es wäre schön, wenn jemand die Schrift zur Verfügung stellen könnte!
Hier zunächst eine Übersicht über das Reiseprogramm, anschließend der Bericht aus den Kneipp-Blätter 1896 (S. 103 - 107)
09. - 10.03.1896 Berlin (Vortrag um 20 Uhr „in den Concordia-Festsälen in der Andreasstraße, vor mindestens 3000 Personen“)
10. - 11.03.1896 Hamburg (um 13 Uhr in Hamburg eingetroffen, „das neue Krankenhaus“ besichtigt, Vortrag im „Hermannsbad“ um 15 Uhr, anschl. Besichtigung der Kneipp'schen Heilanstalt Dr. Kuhlmann, dann Sprechstunde im Hermannsbad, am Abend „Kommers“ im Wintergarten des Konzerthauses Ludwig – mit Ansprache Alois Stückle – um 22.30 Uhr traf Kneipp ein und hielt eine „längere Rede im Wintergarten“, „Scheidestunde“ war erst nach Mitternacht. Am 11.3. um 6 Uhr Morgenmesse, dann Sprechstunde, um 10 Uhr Hafenrundfahrt mit Besuch des Passagierschiffs „Palatia“, kurzer Besuch der Börse, 14.53 Uhr Abfahrt nach Münster.)
11. - 12.03.1896 Münster (Ankunft 19 Uhr, Essen im Hotel „Westfälischer Hof“, zweistündiger Vortrag um 20.15 Uhr im Lortzing-Theater; am 12.3., anschl. „noch eine kleine Sitzung bei einem Glase Bier“ – verm. am Nachmittag – Fahrt nach Aachen)
12. - 13.03.1896 Aachen (12.3. Vortrag um 20.30 Uhr vor einer „1500 Personen zählenden Versammlung in der Glashalle des zoologischen Gartens“, der auch „zahlreiche Kneipp-Freunde aus Belgien und Holland anwohnten“. Am 13.3. gab Kneipp am Vormittag einigen „Kranken, deren Leiden in den letzten Tagen durch den Arzt der hiesigen Kneipp-Anstalt, Herrn Dr. Adolph, festgestellt worden ist, Verhaltungsmaßregeln“. Besuch des Aachener Münster, am Nachmittag Abfahrt über Köln, Eintreffen in Wörishofen am 14.3.1896, mittags.)
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Prälat Kneipp auf Reisen.
Nicht dem eigenen Trieb, sondern dem Bitten und Drängen von auswärts nachgebend machte sich unser hochwürdiger Meister am 8. März [korrekt: 9. März] auf den Weg, um in Berlin, Hamburg, Münster und Aachen Vorträge zu halten, worüber wir im folgenden berichten. Wir bedauern lebhaft, daß die Vorstandschaften der Kneipp-Vereine in obigen Städten, Hamburg ausgenommen, in beinahe zwei Wochen nicht soviel Zeit erübrigen konnten, um je einen kurzen Bericht über Prälat Kneipps Aufenthalt und Vortrag alldort zu verfassen. Wir haben mit dem Schluß der Redaktion ausnahmsweise bis zum 22. März gewartet, aber vergebens. Was wir veröffentlichen, ist verschiedenen Zeitungen entnommen. Wenn der Kneipp-Verein in Hamburg einen Bericht schon am vierten Tage nach dem dort gehaltenen Vortrage verfassen und einsenden konnte, so hätte dies sicherlich auch von andern Vereinen geschehen können. Oder glauben die
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betreffenden Vorstände, daß Herr Prälat Kneipp nur ihretwegen die weite und beschwerliche Reise unternommen hat, damit sich einige Männlein und Weiblein in seiner Nähe zeigen und dadurch bei ihren Mitmenschen als besonders Bevorzugte gelten wollen? Mitnichten! Herr Prälat geht aus, um seine Lehren allen zugänglich zu machen, die solche hören wollen. Aber es gibt tausende und tausende, die sich für seine Methode interessieren, aber keine Gelegenheit haben, ihn zu hören. Es wäre nun Sache der Vereinsvorstände, für ausführliche Berichte Sorge zu tragen, damit solche veröffentlichet und in die weite Welt hinausgeschickt werden können. Dies würde besser ziehen als alle Lobeserhebungen, zumal da unsere Zeitschrift in drei Sprachen erscheint und sozusagen auf der ganzen Welt gelesen wird. Mit der Abreise des Herrn Prälaten sollte in der betreffenden Stadt die Thätigkeit des Vereins erst recht beginnen, damit der angefangene Faden weiter gesponnen werden kann. Wenn ein Bericht mit mehrwöchentlicher Verspätung eintrifft, so hat dessen Inhalt schon längst die Zugkraft verloren; das Eisen muß man schmieden, solange es warm ist.
Berlin. Prälat Kneipps Vortrag in den Concordia-Festsälen rief am Montag abends eine wahre Völkerwanderung zur Andreasstraße hervor. Alle Pferdebahnwagen, die nach jener Richtung führten, waren um die Zeit des Beginns des Vortrages überfüllt. Ein zahlreiches Aufgebot von Schutzleuten war erforderlich, um die Ordnung bei den herandrängenden Massen aufrecht zu erhalten; viele Hunderte, die ohne Eintrittskarten gekommen und solche noch lösen zu können glaubten, mußten umkehren. Der große Saal und die Galerien waren überfüllt. Es müssen mindestens gegen 3000 Personen anwesend gewesen sein. Als um 8 Uhr Prälat Kneipp den Saal betrat, ertönte ein allseitiges lebhaftes Händeklatschen zur Begrüßung des berühmten greisen Wasserdoktors. Manche in den vordern Reihen Sitzende erkannte Prälat Kneipp als Wörishofener Patienten wieder. Auf dem Podium angelangt, überschaute Kneipp die imposante Versammlung und gab seinem Erstaunen über den zahlreichen Besuch durch eine Handbewegung und Kopfschütteln Ausdruck. Den Vortrag begann der Herr Prälat in Anknüpfung an seine Anwesenheit in Berlin vor drei Jahren [am 12. und 13.04.1893]. Damals bereits über 70 Jahre alt, habe er nicht geglaubt, noch einmal hierher zu kommen. Der Zweck seines Hierseins sei, die Anwesenden anzufeuern, im Interesse der Gesundheit und der Erhaltung des Lebens, dessen Durchschnittsdauer stetig im Sinken begriffen sei: keine gute Note für das 19. Jahrhundert, die Heilkraft des Wassers nach seiner durch viele tausende Beispiele bewährten Methode zu erproben.
In seiner schlichten, einfachen Ausdrucksweise, im unverfälschten schwäbischen Dialekt und mit manchen urwüchsigen gesunden und humorvollen Ausfällen führte Redner dann im einzelnen aus, wie für jedes Menschenalter der Gebrauch des kalten Wassers der Gesundheit dienlich sei. Am eingehendsten behandelte Redner bei der großen Sterblichkeit der Kinder die gesunde Erziehung dieser: Einfache Lebensweise und Kleidung, Abhärtung durch kalte Wasserbäder von nur wenigen Sekunden Dauer. Vor allem wendet sich Kneipp gegen das „Brühen“ in heißen Bädern, wodurch der Mensch geschwächt werde; bei 10.500 Badegästen im vorigen Jahre in Wörishofen habe er auch nicht ein einziges warmes Bad verordnet. Die leidige Nervosität schon bei den Schulkindern und die Bleichsucht der Jugend, dieser Vorbote der Schwindsucht, werden am besten durch Kaltwasserkuren bekämpft. Inständig bittet Redner die Anwesenden, mehr als bisher für ihre Gesundheit zu thun. Jeder wolle gesund sein und lange leben, aber nichts für die Abhärtung seines Körpers thun. Dann wendet sich Redner gegen das Bier und den Kaffee, deren übermäßiger Genuß die Gesundheit ruiniere. Das Wasser sei des Schöpfers erste Apotheke, die Heilkräuter, die zweite. Besonders hebt Redner die Heilkraft der Heublumen hervor. Über 20 schwere Blutvergiftungen habe er bereits durch Heusamenbäder kuriert.
Mit einem derben Rüffel an das „Frauenvolk“ wegen des Schnürens, dem Wunsche, daß doch ein Lehrstuhl für die Wasserheilmethode errichtet werden möchte, damit die Ärzte dieselbe ausgiebiger kennen lernen und besonders der armen notleidenden kranken Menschheit zu nutze machen könnten, verband Redner die Bitte, noch recht viele möchten sich dem hier bestehenden Verein zur Pflege der Wasserheilmethode anschließen. Derselbe habe schon viel Gutes gestiftet. Auch seien viele Berliner in Wörishofen bei ihm gewesen. Die Berliner seien recht dankbare Patienten. Nachdem dann Redner noch unter Ausdrücken der Entrüstung seitens der Anwesenden der Angriffe gedacht, die sich jetzt sogar gegen die Ehre und den guten Namen des Priesters richteten, schloß er mit einem herzlichen Lebewohl und auf Wiedersehen hier oder in der Ewigkeit.
Durch stürmisches, langandauerndes Beifallklatschen ehrten die Anwesenden den verehrten, über die ganze kultivierte Welt rühmlichst bekannten Prälaten Kneipp. Der Vorsitzende des hiesigen Kneipp-Vereins, Herr Juwelier Groß, dankte dann dem Herrn Prälaten noch namens des Vereins und der anwesenden Verehrer desselben
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für das schwere Opfer, das er durch seine Reise hierher gebracht, und bat ihn, als geringen Ausdruck ihrer Verehrung durch die Hand eines kleinen Mädchens, das die Heilkraft des Wassers auch bereits an sich erfahren, ein bescheidenes Andenken anzunehmen: Es war ein prächtiger silbervergoldeter Kranz. Zum Schluß forderte Redner zu einem donnernden Hoch auf Prälat Kneipp auf, das ein vieltausendfältiges Echo fand.
Hamburg. Voller Bangen und Hoffen sah der Kneipp-Verein Hamburg dem 10. März 1896 entgegen. Bereits im vergangenen Jahre erwarteten wir wiederholt vergeblich den Besuch des Herrn Prälaten. Dann waren zum 25. Februar d. Jrs. alle erforderlichen Vorbereitungen getroffen, aber leider wieder umsonst, denn die Nachricht traf ein: Prälat Kneipp kommt am 10. März. Einige Tage später war auch dieser zweifelhaft. Erst die Depesche aus Berlin brachte Gewißheit. Infolge dieser Umstände trug unser Fest, worauf sich der Verein im voraus so gefreut hatte und welches, Gott sei Dank, auch mit Glanz verlaufen ist, leider den Stempel der Hast. Prälat Kneipp in Hamburg, der Perle des Nordens, der alten Hansestadt! Fürwahr ein hochwichtiges Ereignis! — Vielfach wurde die Frage aufgeworfen, wie wird man sich hier dem hohen Herrn gegenüber stellen. Darum sei hier bereits erwähnt, daß das Publikum, welches das Glück hatte, den Herrn zu hören, begeistert war und die gesamte Presse hat sich sowohl über die Person, wie auch über das Wirken des Herrn Prälaten lobend geäußert.
Am Bahnhofe wurde der Herr Prälat und sein Reisemarschall, Herr Pfarrer Stückle, vom Comité und mehreren zu unsern höchsten Kreisen gehörenden Herrschaften empfangen. Hamburg hatte sein Sonntagskleid angelegt, es war herrliches Wetter. Da ging es an unserer schönen Alster entlang, unserm neuen Krankenhause zu. Der Herr Prälat hatte den Wunsch geäußert, dasselbe zu sehen, weil ihm mitgeteilt war, daß es im Barakensystem ausgeführt sei. Nach kurzer Besichtigung ging es nach unserm Ziele, der herrlich gelegenen und für diesen Tag festlich geschmückten Kneipp'schen Heilanstalt „Hermannsbad“ am Eimsbütteler Parke, Besitzer Herr H. Jwowski, dem Absteigequartier des Herrn Prälaten. Hierher hatte der Vorstand die richtige Begrüßung verlegt. 14 weißgekleidete Mädchen führten den Herrn, den Weg mit Blumen streuend, ins Haus. Dort hatten sich auch noch einige Herren von der hiesigen Geistlichkeit eingefunden. Die Tochter eines Vorstandsmitgliedes begrüßte den Herrn Prälaten in der Wandelhalle mit einem von ihrem Vater verfaßten Gedichte, worauf der Herr herzlich dankte.
Der erste Vorsitzende des Vereins, Herr H. Ludwig, hielt darauf eine Ansprache, in welcher er die hohe Bedeutung des Tages für den Kneipp-Verein Hamburg hervorhob und den Wunsch aussprach, den hohen, rüstigen Herrn noch recht oft in Hamburg begrüßen zu dürfen. Hieran schloß sich ein kurzes Mittagessen, woran der Vorstand und einige geladene Herren teilnahmen. Dieses mußte mit Hast eingenommen werden, denn um 1 Uhr war der Herr eingetroffen und bereits um 3 Uhr sollte der Vortrag beginnen. Aber zu unserm größten Bedauern konnten wir für den Abend keinen passenden Saal bekommen und leider Gottes mußten wir mitten in der Geschäftszeit den Vortrag stattfinden lassen. Deswegen schlug unser Herz hoch vor Freude, daß trotz dieses ungünstigen Umstandes der Saal sehr gut gefüllt war. Mit einer halben Stunde Verspätung traf der Herr Prälat ein und wurde mit stürmischem Jubel empfangen. Nach einigen einleitenden Worten des zweiten Vorsitzenden, Herrn H. Jwowski, begann der Herr Prälat seinen Vortrag. Dieser war von köstlichem Humor gewürzt, kam vom Herzen und ging zu Herzen. In seinen Ausführungen wußte der Herr Prälat den Wert seiner Methode so trefflich klar zu legen, daß wohl viele, welche bisher noch nicht mit derselben einverstanden waren, eine bessere Meinung von derselben erhielten. Ein kleiner Beweis für das Gesagte mag wohl der sein, daß bereits verschiedene Herren, zum Teil aus den höchsten Kreisen, sich zum Beitritt gemeldet haben. Besonders frappierte die Mitteilung des hohen Herrn, daß ihm aus Hamburgs schrecklichster Zeit [die Cholera-Epidemie von 1892] ein Brief von einem Herrn zugegangen sei, worin ihn dieser Herr benachrichtigte, daß er sein Mädchen, welches an der Cholera erkrankt war, nach dem Buche Meine Wasserkur behandelt und gerettet habe. Auf die Frage, ob der Betreffende vielleicht zugegen sei, meldete sich dieser und bestätigte das Gesagte. Mit einem herzlichen „Gott befohlen“ schloß der Herr Prälat seinen Vortrag.
Nach Besichtigung der Kneipp'schen Heilanstalt des Herrn Dr. med. H. Kuhlmann ging er sofort in die Sprechstunde im Hermannsbad. Hier zeigte es sich so recht, wie schade es war, daß der Herr Prälat so wenig Zeit für Hamburg hatte, denn der Andrang war so stark, daß die Sprechstunde am andern Morgen fortgesetzt werden mußte. Um unsern Mitgliedern und deren Damen Gelegenheit zu geben, mit dem Herrn Prälaten und dem ersten Vorsitzenden des Zentral-Kneipp-Vereins, Herrn Pfarrer Stückle, in nähere Berührung zu treten, hatte der Vorstand einen Kommers veranstaltet, dessen Leitung der erste Beisitzer, Herr F. Beran, über-
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nommen hatte und mit großem Geschicke zu Ende geführt hat. Herr Pfarrer Stückle beehrte die Anwesenden mit einer Anrede, welche von denselben mit großem Beifalle aufgenommen wurde. Die Begeisterung erreichte aber ihren Höhepunkt, als um halb 11 Uhr der Herr Prälat erschien. Nach verschiedenen von einigen Herren ausgebrachten Toasten bestieg der Herr die Bühne. In längerer Rede wies er auf die Bedeutung der Kneipp-Vereine hin, forderte zum treuen Festhalten und rüstigen Weiterarbeiten auf und schloß mit dem Wunsche, recht oft und bald gute Nachrichten aus Hamburg zu bekommen. Alsdann wurde ihm vom Vorstande eine Mappe, enthaltend Hamburger Ansichten, zum Andenken überreicht; dieselbe nahm der Herr Prälat mit Dank entgegen und betonte, daß es ihm ein besonderes Vergnügen sein werde, von Zeit zu Zeit an Hand dieser Blätter der hier verlebten Stunden zu gedenken. Um 12 Uhr bedauerte sowohl der Herr Prälat wie auch die Versammlung, daß die Scheidestunde schon geschlagen hatte. Der Kommers fand im Wintergarten des Konzerthauses „Ludwig“ statt, dessen Wände und Decken mit Tropfstein ausgelegt sind. Während der Anwesenheit des Herrn Prälaten wurde der Wasserfall und die elektrische Grottenbeleuchtung in Betrieb gesetzt, welches einen sehr guten Eindruck auf den hohen Herrn machte.
Am nächsten Morgen um 6 Uhr las bereits der Herr Prälat die heilige Messe; sodann ging es — nach vollendeter Sprechstunde — um 10 Uhr an die Hafenfahrt. Diese wird dem Herrn Prälaten und uns in steter angenehmer Erinnerung bleiben. Der Herr Prälat, welcher derartige Anlagen noch nie gesehen hatte, zeigte ein überaus großes Interesse für sämtliche Einrichtungen und Gegenstände. Ein hiesiger großer Schiffsrheder [Schilffsreeder] und ein Kapitän hatten die Führung übernommen. Diesen Herren machte es eine besondere Freude, als der Herr Prälat bat, ihm alles gründlich zu zeigen und zu erklären. Nachdem Hafen und Quaianlagen besichtigt waren, ging es zu dem im vollen Flaggenschmucke liegenden Dampfer der Hamburg-Amerikanischen-Paketfahrt-Aktien-Gesellschaft, nämlich der „Palatia“, dessen Offiziere uns in Galauniform empfingen. Ein Inspektor dieser Gesellschaft übernahm die Leitung und recht gründlich wurde diese Besichtigung vorgenommen.
An diese schloß sich eine von der Paketfahrt zu Ehren des Herrn Prälaten gestiftete Frühstückstafel. Nach verschiedenen gehaltenen Toasten ergriff der Herr Prälat das Wort und da zeigte es sich, mit welch regem Interesse und tiefem Verständnisse der hohe Herr den Einzelheiten gefolgt war. Wir bedauern von ganzem Herzen, daß kein Stenograph zugegen war, der die tiefempfundenen und bedeutenden Worte zu Papier bringen konnte. Der Herr Prälat sprach von der Bedeutung des Wassers, von der Schiffahrt, dem dieselbe leitenden Kaufmann und schließlich von dem hohen Senate, unter dessen Leitung es möglich geworden sei, daß die Schiffahrt zu solch hoher Entwicklung hat gelangen können. Mancher Hamburger würde mit großer Freude diese Worte lesen.
Dann wurde noch ein kurzer Besuch der Börse abgestattet und in Eile ging es nach dem Bahnhofe, wo die Abreise nach Münster um 2 Uhr 53 Minuten erfolgte. Jeder der anwesenden Herren war voll Freude über die herrlich verlebten Stunden und gleich wurde der Wunsch laut: Dahin wollen wir streben, daß der hohe Herr uns noch einmal mit seinem Besuche beehren und wenn möglich, mehr Zeit mitbringen möge. Das walte Gott!
Münster. Endlich hatte auch unsere Stadt die Ehre und das Vergnügen, den weltberühmten Mann in ihren Mauern zu beherbergen, nachdem ein Besuch schon vor Jahren in Aussicht gestellt und eine vor einigen Wochen mit aller Bestimmtheit angekündigte Reise in letzter Stunde wegen Unwohlseins des Prälaten noch hatte verschoben werden müssen. Um möglichst alles Aufsehen zu vermeiden, war der Zeitpunkt der Ankunft streng geheim gehalten worden, trotzdem aber hatten sich am 11. März um 7 Uhr abends am Bahnhof Neugierige genug eingefunden. Die Herren Reichskonsul Schencking und Dr. Lackmann waren den beiden Gästen bis Osnabrück entgegengefahren und geleiteten sie hier sofort nach dem Hotel „Westfälischer Hof“, wo sich ein gutes Dutzend Freunde Kneipps und seiner Kur, meist von ihm behandelte Patienten, zu einem Begrüßungsmahl eingefunden hatten. Als Losung für Münster war ausgegeben worden: „Schonung des Prälaten“, der in Berlin große Strapazen hatte durchmachen müssen und in Hamburg bis nachts 1 Uhr in der Versammlung gewesen, morgens 6 Uhr schon wieder seine heilige Messe gelesen und dann allerlei Sprechstunden gehalten, bis die Reise nach Münster anging. Wie die Schonung hier ausfällt, das wird allerdings kaum ein anderes Bild geben, wie von den verflossenen Tagen. Von dem Empfangsessen bekam Pfarrer Kneipp nicht viel zu schmecken. Kaum hatte er eine Tasse Gerstensuppe, in welche er sich ein Brötchen einbrockte, und dann noch ein einziges zwei Finger großes Stückchen Fleisch zu sich genommen, so wurde ihm schon ein Wink gegeben, und er verschwand, um einige Dutzend Patienten, die sich eingefunden, abzufertigen. Wir waren gespannt gewesen, wie er den im folgenden Gange kommenden westfälischen
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Schinken mit Sauerkraut beurteilen würde, aber er kümmerte sich gar nicht darum. Ein Viertel nach 8 Uhr ging's dann im Wagen nach dem Lortzing-Theater, wo die Zuschauer sich Kopf an Kopf drängten, und wo der zweistündige Vortrag stattfand. Der Redner behandelte die Kindererziehung, die Abhärtung, die richtige Kost und die Wasseranwendungen. Bei den letztern betonte er ganz besonders, daß nicht das viele Wasser, sondern die richtige Anwendung desselben den günstigen Erfolg herbeiführt. Schon während der Redner sprach, erntete er öfters bei seinen kernigen Vergleichen lebhaften Beifall, der sich zum Schluß langandauernd in verstärktem Maße wiederholte. Hierauf ergriff noch Herr Dr. Lackmann das Wort und feierte in einigen Worten den Redner, indem er einen kurzen Vergleich zog zwischen Kneipp, welcher zu Ende des 19. Jahrhunderts, und Prießnitz, welcher zu Anfang desselben das Wasser predigte. Letzterer häufte Schätze auf Schätze, lag im Unfrieden mit aller Welt und war selbst ein verdrießlicher Mann; Kneipp dagegen predigt die Mäßigkeit und Zufriedenheit, und die reichen Schätze, welche ihm seine Verehrer freiwillig zuführen, hat er alle zum Wohle der leidenden Menschheit angewendet. Über eine Million wohl hat er für sein Kinderasyl gegeben, zu dessen Gunsten er auch den Ertrag der gegenwärtigen Reise bestimmt hat.
Begeistert stimmten die Zuhörer, welche zum Teil weit hergekommen waren, und unter welchen wir zahlreiche Herren und Damen aus den ersten Ständen, die Uniform des Offiziers, wie den Talar des Priesters und des Heidenmissionärs vertreten sahen, in das Hoch auf Prälat Kneipp ein, mit welchem die Rede des Herrn Dr. Lackmann schloß. Nach diesem offiziellen Teil des Abends fand noch eine kleine Sitzung bei einem Glase Bier statt, deren Mittelpunkt Prälat Kneipp war, und wobei sich noch manche heitere Scene abspielte, wenn die bisher so stillen Kneippianer Münsters sich gegenseitig ihr Herz entdeckten.
Aachen, 13. März. Gestern Abend langte Herr Prälat Kneipp, von Münster (Westfalen) kommend, hier an und stieg in der Wohnung des Vorsitzenden des hiesigen Kneipp-Vereins, Herrn Rentner Heinen, ab. Um halb 9 Uhr erschien der greise Prälat in der mehr als 1500 Personen zählenden Versammlung in der Glashalle des zoologischen Gartens. Es war eine wahre Völkerwanderung nach dem zoologischen Garten zu. Bei seinem Erscheinen wurde Kneipp lebhaft begrüßt; manche, die ihn in Wörishofen aufgesucht hatten, umringten ihn und drückten ihm die Hand. Trotz der weiten Reise, die Kneipp im Laufe dieser Woche gemacht hat, sah er recht wohl aus. Rauschender Applaus folgte den interessanten Ausführungen Kneipps, die sich im allgemeinen im Rahmen seiner frühern Vorträge hielten, worauf Herr Dr. Hündgen dem Prälaten im Namen des Kneipp-Vereins für seine Mahnungen dankte. Nach einem Schlußwort des Herrn Rektors Schiffers von der Marienkirche war die Versammlung, der auch zahlreiche Kneipp-Freunde aus Belgien und Holland anwohnten, beendet. Im Laufe des morgigen Vormittags wird Kneipp einer Anzahl Kranken, deren Leiden in den letzten Tagen durch den Arzt der hiesigen Kneipp-Anstalt, Herrn Dr. Adolph, festgestellt worden ist, Verhaltungsmaßregeln geben, dann besucht er das Münster und fährt morgen nachmittags über Köln nach Wörishofen zurück, wo er am Samstag mittags einzutreffen gedenkt.
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Alfred Baumgarten, 1894, S. 99f.:
Münster in Westf.
Kneippsche Heilanstalt.
Die Anstalt ist im Hherbst 1893 von Dr. med. W. Lackmann in Wolbeck errichtet. Dieselbe liegt an der Friedrichstraße in Verbindung mit dem Hotel Pauli in nächster Nähe des Bahnhofs, gegenüber dem Hotel Wieseler und dem neuen Hotel Kaiserhof. Sie ist neben der eigentlichen Kuranstalt zu Wolbeck (vergl. Dort) gegründet worden aus einem ausgesprochenen Bedürfnis für in Münster ansässige Kranke und diejenigen von auswärts, welche die Annehmlichkeiten einer größeren Stadt und ihre Beziehungen mit derselben nicht entbehren mögen.
Sprechstunden in der Badeanstalt vom 1. April bis 1. Oktober an jedem Vormittag von 10 bis 12 Uhr, im Winter dreimal in der Woche.
Der Bademeister ist seit 9 Jahren im Kneippschen System thätig, auch in der Massage durchaus tüchtig. Die Bademeisterin ist in der Kneippschen Anstalt in Wörishofen ausgebildet.
Unterkommen ist in Münster in Hotels und Privathäusern allen Ansprüchen entsprechend stets zu finden.
Die Kosten für ärztliche Behandlung, Bäder etc. betragen 1 - 2 Mark täglich. Unbemittelten volle Berücksichtigung.
Wolbeck („eine Stadt mit 1300 Einwohnern, liegt südöstlich von Münster und ist in 2 Stunden zu Fuß zu erreichen“) beschreibt Baumgarten auf den Seiten 141f. Die Kneippsche Heilanstalt von Dr. med. Lackmann wurde 1893 gegründet.
Abschriften und Zusammenstellung: Helmut Scharpf, 10/2020 - 01/2021