08.04.1958 – Trauung im „Hochzeitsparadies Ottobeuren“

Titel

08.04.1958 – Trauung im „Hochzeitsparadies Ottobeuren“

Beschreibung

Ein wunderbares Foto, das Ingrid und Martin Fischer auf dem Marktplatz Ottobeuren zeigt. Unmittelbar nach der standesamtlichen Trauung in Bad Wörishofen fuhren sie zur kirchlichen Trauung nach Ottobeuren; Zelebrant war Pater Maurus Zech. Der 8. April 1958 war ein Dienstag, ein aus heutiger Sicht eher ungewöhnlicher Tag. Damals war der Andrang jedoch derart groß, dass von den ersten Januartagen bis Ende Dezember in der Basilika geheiratet wurde. Teils wurden die Brautpaare – ohne vorheriges Wissen – zusammengefasst, auch an ganz normalen Werktagen fanden Trauungen statt. Die Hochzeiter kamen von weit her; nicht von Ungefähr sprach man im Zusammenhang mit Ottobeuren vom „Hochzeitsparadies“ – wie es ein Wagen beim Faschingsumzug in den 1950er Jahren thematisierte – oder gar von der „Hochzeitsfabrik“. In der Basilika Ottobeuren haben sich 1956 447 Paare trauen lassen – eine Rekordzahl, im Jahr 1958 waren es 403. (Zum Vergleich: In 2024 waren es lediglich neun Paare, im Sommerhalbjahr.)

Das Brautpaar kam in einem amerikanischen Nash, die kleine Gesellschaft fuhr mit einem VW-Bus von „Autoreisen Schindele“ (Bad Wörishofen) nach Ottobeuren. Das Bonner Kennzeichen des Nash mag verwundern, war aber kein Zufall. Des Rätsels Lösung: Die Braut – Ingrid – kam aus dem Rheinland, sie wurde in Bonn geboren. Konditormeister Martin Fischer (*18.07.1927 in Bad Wörishofen, †16.12.1995 in Mindelheim) mauserte sich in Bad Wörishofen zur bekannten Persönlichkeit, saß viele Jahre für die CSU im Stadrat, Ingrid Fischer (geb. Obrecht, *23.10.1935 in Bonn, †23.01.2024 in Mindelheim) war Fachverkäuferin und arbeitete vermutlich im „Café Fischer“. Die standesamtliche Eheschließung erfolgte am 08.04.1958 in Bad Wörishofen.

Ingrid Fischer trug ein weißes Brautkleid, eine Modeerscheinung, die sich in den Wirtschaftswunderjahren immer mehr durchsetzte. Das Foto war weder beschriftet noch datiert, konnte aber über den Eintrag im Trauungsbuch der Pfarrei auf den Tag genau bestimmt werden. Es hat sich angeboten, die Zahl der kirchlichen Trauungen in der Basilika gleich für mehrere Jahre unter die Lupe zu nehmen:

1936   38 1937   44 1938 150 1939 133
1940 120 1941 115 1942   86 1943 128 1944   80 1945   80 1946 343 1947 238 1948 328 1949 346
1950 340 1951 370 1952 385 1953 421 1954 408 1955 440 1956 447 1957 382 1958 403 1959 387
1960 419 1961 361 1962 305 1963 280 1964 368 1965 334 1966 305 1967 284 1968 231 1969 212
1970 190 1971 175 1972 141 1973 124 1974 128 1975 103 1976   91 1977   93 1978   81 1979   79
1980   71 1981   65 1982   44 1983    44 1984   41 1985   38 1986   46 1987   37 1988   42 1989   42
1990   45 1991   40 1992   34 1993    23 1994   29 1995   20 1996   17 1997   18 1998   23 1999   32
2000   20 2001   12 2002   16 2003      8 2004   19 2005   18 2006   20 2007   23 2008   13 2009   14
2010   15 2011   18 2012   23 2013      9 2014   11 2015   19 2016   13 2017   15 2018   13 2019   13
2020     4 2021   16 2022   14 2023    12 2024     9 2025   10 (bis 4.10.2025)

Das Einzugsgebiet war früher sehr groß, die Hochzeiter kamen auch aus weiter entfernten Orten. Eine detaillierte Analyse der Trauungsbücher bzw. Trauungsregister wäre lohnend. Spannend z.B. das Jahr 1945, in dem an einem Tag viele Paare mit slawischen Namen gleichzeitig geheiratet haben. In den Zahlen sind freilich keine Ottobeurer enthalten, die selbst an anderen Orten geheiratet haben, auch keine Protestanten bzw. weitere Konfessionen. Eine Anfrage nach der Zahl der standesamtlichen Trauungen wird noch gestellt werden, um sie der Zahl der kirchlichen Trauungen gegenüberzustellen.

Quellen der katholischen Pfarreri St. Theodor und Alexander Ottobeuren:
Trauungs-Register (1936 - 45)
Trauungsregister (1946 - 48)
Trauungsregister (1948 - 50 inkl.)
Trauungs-Register (1951 - 1953)
Trauungsbuch 1954 - 1. September 1959
Trauungsbuch 1.9.1959 - 31.3.1964
Trauungsbuch 1.4.1964 - 31.5.1970
Trauungsbuch 1.6.1970 - 31.5.1971
Trauungs-Register 1.6.1971 - 4.12.1982
Trauungs-Register 1.1.1983 - 31.12.1998
Ehebuch 1999 -

In der Memminger Zeitung vom 02.01.1957 hieß es auf S. 4 („Allgäuer Heimat und Bayern-Chronik“) im Bericht zur Jahresabschlusspredigt (Überschrift: „Kardinal Wendel kritisiert Sittenverfall“):
„Der Kardinal wandte sich gegen ein zunehmendes Absinken des religiösen Lebens in der Oeffentlichkeit und eine drohende Auflösung des sittlichen Ordnungsgefühls. Von den etwa 8000 in den Jahren 1954/1955 von Katholiken in München  eingegangenen Ehen seien nur 55 Prozent kirchlich geschlossen worden und die Zahl der konfessionell gemischten Ehen steige von Jahr zu Jahr.“

Wie unterscheiden sich die Begriffe Hochzeit und Trauung?
Die Begriffe „Hochzeit“ und „Trauung“ werden im Alltag zwar oft synonym gebraucht, bezeichnen aber eigentlich verschiedene Aspekte desselben Ereignisses.
1. Die Trauung
Die Trauung ist der eigentliche Akt des Eheversprechens, also der Moment, in dem das Paar sich gegenseitig das Jawort gibt – vor einer zuständigen Instanz.
• Formen:
◦ Standesamtliche Trauung: die rechtlich verbindliche Eheschließung nach staatlichem Recht.
◦ Kirchliche Trauung: der religiöse Ritus, bei dem die Ehe gesegnet oder vor Gott geschlossen wird.
◦ (Es gibt auch freie Trauungen, die weder staatlich noch kirchlich, sondern symbolisch-feierlich sind.)
• Wortherkunft:
von trauen im Sinne von jemandem Vertrauen schenken, sich anvertrauen.
→ ursprünglich also: „sich einander anvertrauen“.
Kurz:
Die Trauung ist der feierliche oder rechtliche Akt der Eheschließung.

2. Die Hochzeit
„Hochzeit“ bezeichnet ursprünglich den Festtag (oder die Festzeit) der Eheschließung.
Heute meint man damit meist die gesamte Feier rund um die Eheschließung – inklusive Trauung, Empfang, Festessen, Tanz usw.
• Wortherkunft:
mittelhochdeutsch hochgezît = „hoher (also wichtiger, festlicher) Tag“.
→ bezeichnete ursprünglich jeden hohen Festtag, nicht nur die Eheschließung. Erst später wurde der Begriff auf das Heiratsfest spezialisiert.
Kurz:
Die Hochzeit ist das Fest; die Trauung ist der rechtliche oder religiöse Akt.
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Die Trennung zwischen kirchlicher und staatlicher (standesamtlicher) Trauung ist ein Schlüsselereignis in der Rechts- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Vor 1875 war in Bayern / Deutscher Bund die kirchliche Trauung die staatlich anerkannte Form einer gültigen Eheschließung. 1876 wurde im Deutschen Reich die standesamtliche Trauung eingeführt, die kirchliche war nur noch religiös-symbolisch motiviert. (Personenstandsgesetzes von 1875, § 67–70 zur Eheschließung)

Hier ist eine präzise Zusammenfassung mit Schwerpunkt auf Deutschland allgemein und dem Königreich Bayern im Besonderen:

1. Hintergrund: Einheit von Kirche und Ehe im Alten Recht
Bis ins 19. Jahrhundert war die Eheschließung in Deutschland (bzw. den Einzelstaaten des Deutschen Bundes) im Wesentlichen eine kirchliche Angelegenheit.
• In katholischen Gebieten galt die Ehe als Sakrament, das nur durch eine kirchliche Trauung gültig war.
• In evangelischen Gebieten wurde sie zwar nicht als Sakrament, aber weiterhin als kirchlicher Vertrag vor Gott und Gemeinde verstanden.
• Der Staat erkannte diese kirchlich geschlossenen Ehen als rechtswirksam an.
Das heißt:
Bis in die 1860er Jahre hinein war die kirchliche Trauung zugleich die staatlich gültige Eheschließung.

2. Einführung der staatlichen (zivilen) Ehe
Norddeutscher Bund (ab 1871: Deutsches Reich)
Die entscheidende Wende kam mit der Reichsgesetzgebung unter Bismarck während des sogenannten Kulturkampfs:
• Gesetz über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschließung
→ vom 6. Februar 1875, in Kraft 1. Januar 1876
(oft kurz: „Personenstandsgesetz von 1875“)
Dieses Gesetz führte ein:
• das Standesamt (als staatliche Behörde),
• die Zivilehe (die einzige rechtlich gültige Eheschließung),
• und machte die kirchliche Trauung rein religiös-symbolisch (ohne Rechtswirkung).
Damit galt:
Nur die standesamtliche Trauung begründet eine rechtsgültige Ehe.
Eine kirchliche Trauung durfte erst nach der standesamtlichen erfolgen.

3. Situation im Königreich Bayern
Bayern war bis 1871 ein eigenständiges Königreich mit eigenen Gesetzen.
Hier verlief die Entwicklung leicht versetzt und mit gewissen Vorbehalten:
• Bayern war ein überwiegend katholisches Land und stand der preußischen Politik Bismarcks (insbesondere dem Kulturkampf) skeptisch gegenüber.
• Trotzdem musste Bayern als Teil des Deutschen Reichs (ab 1. Januar 1871) das Reichsrecht übernehmen, soweit es in seine Zuständigkeit fiel.
Daher:
• Auch in Bayern wurde die zivile Eheschließung 1875/76 eingeführt, also gleichzeitig mit dem Reichsgesetz.
• Vorher (bis 1875) war dort die kirchliche Trauung die rechtsverbindliche Form.
→ Der Wendepunkt war also das Reichspersonenstandsgesetz von 1875, in Kraft 1. Januar 1876 — auch im Königreich Bayern.

4. Kulturelle und kirchliche Reaktionen
• Die katholische Kirche lehnte die „Zivilehe“ zunächst ab und sprach von einer „Ehe ohne Segen Gottes“.
• Viele Katholiken ließen sich weiterhin kirchlich trauen, auch wenn die standesamtliche Trauung rechtlich vorgeschrieben war (teilweise mit Konflikten).
• In evangelischen Regionen war die Akzeptanz meist höher, da man die Ehe schon zuvor als „weltlich Ding“ (nach Luther) verstand.
Erst im 20. Jahrhundert (nach dem Ende des Kulturkampfs) entspannte sich das Verhältnis.

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Abschließend ein paar Worte zum Thema Braut-Mode:
Eine erste Trendsetterin war Queen Victoria, die 1840 in einem weißen Kleid heiratete — das machte Weiß in gehobenen Modekreisen populär. Für die Allgemeienheit blieben weiße Kleider aber teuer, auch im Erhalt, in ihrer nur einmalige Nutzung und blieben so gesehen eher ein Prestigesymbol.
In vielen Regionen trug die Mehrheit der Bräute deshalb einfach ihre beste Alltags- oder Festgarderobe; Farben wie dunkelblau, grau – und in manchen Gegenden auch schwarz – oder regionale Trachten waren üblich. Weiß blieb vor allem in wohlhabenderen Schichten verbreitet.
Im Wirtschaftswunderland der späten 1950er Jahren wuchs der Wohlstand (für viele Familien), Textilproduktion und Konfektion verbesserten sich — weiße, durch Spitze und Tüll verzierte Kleider wurden erschwinglicher. Die Hochzeitswirtschaft (Fotografen, Brautmodengeschäfte, Hochzeitskleider-Verleih) professionalisierte sich.

Das kam der Einfluss der Medien: Hollywood-Filme, Schlagertexte („Ganz in Weiß“ von Schlagersänger Roy Black, 1966 in Deutschland erfolgreichster Titel des Jahres) Promihochzeiten und Modezeitschriften zeigten idealisierte, weiße Hochzeitskleider — ein starkes Vorbild, das den Wunsch nach „klassischer“ Brauterscheinung verstärkte. Eine besondere Ikone: Grace Kellys hatte mit ihrer medial stark begleiteten Hochzeit 1956 großen Einfluss auf Brautmode.

Kirchliche / Symbolische Bedeutungen:
Weiß wurde (und wird) oft mit Reinheit, Unschuld und Neubeginn assoziiert — Bedeutungen, die gut zum Ritualcharakter der kirchlichen Trauung passen. In konservativeren kirchlichen Kreisen wurde die Braut traditionell als „Braut Christi“-Symbol gedeutet, was die Popularität weißer Gewänder begünstigte.
Die 1950er-Silhouetten (engen Taillen, volle Röcke, viele Stofflagen, Spitze, Schleier) eigneten sich besonders gut für weiße Stoffe — das sah „feierlich“ aus und passte zur Erwartung an die kirchliche Zeremonie und Hochzeitsfotos.

In Summe lässt sich damit erklären, warum sich nach dem Zweiten Weltkrieg weiße Brautkleider bei kirchlichen Trauungen stark verbreiteten.

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Scan des Hochzeitsfotos: Michael Scharpf, Nachbearbeitung, Recherche, Zusammenstellung: Helmut Scharpf, 11/2025

Urheber

Verwandtschaft Martin Fischer

Quelle

Michael Scharpf

Verleger

Helmut Scharpf

Datum

1958-04-08

Rechte

gemeinfrei