17.05.1891 – Pater Friedrich Mayer veröffentlicht eine frühe Biografie Sebastian Kneipps
Titel
17.05.1891 – Pater Friedrich Mayer veröffentlicht eine frühe Biografie Sebastian Kneipps
Beschreibung
Warum sollen Sie, liebe Besucher*innen des virtuellen Museums, nachfolgende Biografie Sebastian Kneipps lesen? Drei Zitate einer am Ende des Buches – von Pater Friedrich Mayer aus Linz – abgedruckten Presseschau österreichischer Zeitschriften geben die Begründung und sprechen für sich:
Das Wiener „Volksblatt für Stadt und Land“ (22. Jahrg. Nr. 89 vom 26. Juli 1891) äußert sich wie folgt: Dieses die Kneippliteratur in erfreulicher Weise vervollständigende Buch ist höchst lesenswert und zwar auch für solche, die die Kneippbücher bereits durchstudiert haben; denn Pfarrer Kneipp ergeht sich in seinen Vorträgen über verschiedene Krankheitserscheinungen und deren Heilung mit außerordentlicher Gründlichkeit.
„Linzer Bolksblatt“ in Nr. 230 vom 8. Oktober 1891: „Der katholische Pressverein in Linz nahm die Broschüre in seinen Verlag und ließ dieselbe vor ungefähr drei Monaten in einem ansprechenden Gewande zu einem staunenswert billigen Preise erscheinen. Der Erfolg blieb nicht aus. Allüberall in der Provinz und außerhalb derselben fand die Schrift die liebevollste Aufnahme. Ein Kurgast, der längere Zeit in Wörishofen weilte, versichert uns, dass diese Schilderungen ganz aus den Tatsachen geschöpft seien und zum Genauesten gehören, was bis jetzt über Wörishofen und Kneipp geschrieben worden ist.
Die treffliche „Neue Warte am Inn“ widmet der Broschüre ein eigenes Feuilleton. „Ein Verehrer Kneipps“, so nennt sich der Herr Kriticus, geht das ganze Büchlein durch. Über die Biographie schreibt er: Wir haben hier ein wahrheitsgetreues Bild des greisen Priesterarztes, wie es erwiesenermaßen noch in keiner anderen Schrift ähnlich gründlich und anziehend dargestellt wurde. Die Sprache ist lebendig gehoben, oft voll Humor, die Darstellung genau bis ins Einzelnste. War ja doch der Verfasser vermöge seines nahen Verhältnisses zu Pfarrer Kneipp wie kein zweiter berufen und befähigt, Kneipp nach allen Seiten hin, wie er leibt und lebt, zu schildern. Der Verfasser spricht gerade hierüber in seinem kräftigen Vorworte: „Getreulich hat der Verfasser gestrebt, mit Vermeidung jeglicher Dichtung, Wahrheit und Leben zu zeichnen. Wie Kneipp ist, so soll er den Lesern erscheinen, treu und wahr, auch etwaige Mängel sollen nicht verschwiegen werben.“ Diesen seinen Worten ist der Verfasser, wie jeder Leser selbst erfahren wird, vollkommen gerecht geworden. Alle werden dem Verfasser Dank wissen für dieses so lobenswerte, anziehende Bild, das er vom Pfarrer Kneipp mit so kundiger Hand entworfen. Nachdem der Herr Kriticus sich über die Vorträge verbreitet hat, bemerkt er: „Besonders ist noch zu betonen, dass der Verfasser sich bemühte, die stenographisch aufgezeichneten Vorträge so genau als möglich wiederzugeben und die originelle Schreibweise Kneipps durch keine Zutat zu verunstalten.“
Literaturzitat:
[Mayer, Pater Friedrich, Katholischer Pressverein Linz (Hrsg.)]: Zweiunddreißig Vorträge des Hochv. Herrn Pfarrers Sebastian Kneipp über Krankheiten und Heilkräuter nebst einer ausführlichen Biographie. Seiner Hochwürden, dem allverehrten Pfarrer Sebastian Kneipp, dem nimmermüden Berather der Gesunden und Kranken, zum 70. Geburtstage in tiefster Verehrung gewidmet, Linz (St. Florian), Mai 1891 (1. Aufl.), Wien, Jänner / Januar 1893 (3. Auflage), 244 S., 1. Auflage 3000, 30 Kreuzer (österreichischer Währung), 50 Pfennig (deutscher Reichswährung)
Inhaltlich ist das Werk in drei Teile gegliedert:
Biographie – Vorträge über Krankheiten – Vorträge über Heilkräuter
Pater Friedrich Mayer aus Linz verfasste die Biografie anlässlich des 70. Geburtstags von Sebastian Kneipp (17.05.1891), er gab gleichzeitig Kneipps öffentliche Vorträge vom Sommer 1890 wieder. Äußerst reizvoll ist die Beschreibung des Alltags des Sprechstunden in Wörishofen, wie die Kurgäste Kneipp ständig auflauerten, um ihn mit ihren Krankheitsgeschichten zu behelligen. Die – hier vorliegende – dritte Auflage vom Januar 1893 ist um Berichte von Kneipps Vorträgen in Graz und Wien ergänzt (die Wienreise bezeichnete Kneipp später einmal als „Glanzpunkt seines Lebens“).
Als „Bildaufhänger“ wurde eine Urkunde für Kneipp anlässlich seines 69. Geburtstags verwendet (Quelle: Kneippmuseum Bad Wörishofen).
Eingestellt ist hier außerdem ein kleines Gemälde von A. Sanderj. Über den Maler ist nichts bekannt oder auffindbar. Das Werk wurde von Herrn Faust kurz nach dem Krieg in Österreich angekauft und im März 2021 von Barbara Faust der Stadt Bad Wörishofen überlassen.
Sie können die Schrift (Sammlung Helmut Scharpf) im Original lesen (Download als pdf, ca. 93 MB, textdurchsuchbar) oder abschnittweise hier im Textfenster als Abschrift.
Und nun „viel Spaß beim Lesen“!
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(…)
2.
Nach Wörishofen.
„Du Schwachbein, Dünnblut, Brillenfreund,
Verlass den dumpfen Ofen
Und stähle dich bei Meister Kneipp
In seinem Wörishofen!“
Al. Binder.
Es war ein schöner, heller Sommertag, man schrieb den den 1. August 1890, als ich in Betrachtung über Wörishofen versunken mit dem Dampfrosse auf der Strecke „München - Lindau - Memmingen“ der weltbekannten Eisenbahnstation Türkheim zueilte. Ich war schon begierig, den Mann zu sehen, der innerhalb vier Jahren ein Buch, betitelt: „Meine Wasserkur“ in mehr denn 170.000 Exemplaren unter alle Völker deutscher Zunge hinaussandte als Rathgeber in gesunden und kranken Tagen; der in seinem weiteren Buche: „So sollt ihr leben!“, das seit Beginn des Jahres 1889 bereits in der achten Auflage erschienen war, seine trefflichen Rathschläge zu einer vernünftigen und gesunden Lebensweise in alle deutschen Gaue hinaustönen ließ. In München brachten die Züge bereits eine Verstärkung der Kranken. Personen leidenden Aussehens,
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mit Koffern arg bepackt, bestiegen den Zug, der die Passagiere auf der Strecke „München - Lindau“ beförderte.
Wer in ihnen Kranke vermuthete, die bei Kneipp Linderung ihrer Leiden suchten, irrte sich nicht; denn in Türkheim, dem Ziele der Eisenbahnfahrt, sah er sie später die Waggons verlassen. In Buchloe, wo die Bahn nach Memmingen abzweigt, war abermals ein starker Zufluss von Fremden bemerkbar, unter denen sich wieder mehrere „Kneipp suchende“ Kranke befanden, die der Zug von Augsburg her gebracht hatte. Eine alte Frau hinkte, auf den Arm ihrer Tochter gestützt, dem Waggon zu. Dort sah man einen alten Mann, das Gesicht todtenblass, äußerst abgemagert und mit einem tüchtigen Pelz bekleidet, sich mühsam nach dem Coups schleppen.
Dort trägt man eine alte, gelähmte Bauersfrau hin zum Waggon. Was wird wohl jenes schwindsüchtige Mädchen in der Begleitung seiner Mutter anders wollen als Hilfe finden bei Pfarrer Kneipp! Da ich im Coupé mit einigen zusammenkam, die der gleiche Zweck, nämlich Herstellung der Gesundheit, nach Wörishofen führte, drehte sich das Gespräch selbstverständlich um Pfarrer Kneipp. „Erst vor einigen Tagen ist der und der geheilt worden: sie haben es mir mit ihrem eigenen Munde erzählt; das gab mir neuen Muth, so dass ich mich zur Fahrt entschloss“, theilten mir einige mit. –
Fast zwei Jahre sind vergangen, seitdem ich Wörishofen und seinen würdigen Pfarrherrn nicht mehr gesehen. Die Sehnsucht, den Mann wiederzusehen, der mir für die Schreiberdienste, die ich ihm geleistet, in seiner Herzensgüte so recht aus ganzem Herzen zugethan war, das Verlangen, das nette Schwabendorf in seinem Fortschritte und Aufblühen zu schauen, reifte in mir den Entschluss zu seiner neuen Wörishofener Reise.
Gedacht, gethan. Der Kalender zeigte gerade den 13. September 1892, als ich mir durch Lösung eines Fahrbiletts ein Anrecht auf einen Sitzplatz der königl. bayr. Bahn erwarb, die mich in ungefähr acht Stunden von Simbach nach Türkheim beförderte. Je mehr wir uns Türkheim näherten, zeigte die Zunahme kränklicher Passagiere, dass wir die rechte Strecke nicht verfehlt. Ein herzliches „Grüß Gott“ war der Willkommgruß, den ich von Türkheim aus Wörishofens greisem Pfarrherrn und seinen Einwohnern entgegensandte.
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3.
Wörishofen.
„Kommt, seht die leidenden Gestalten,
Die zur Mutter kehren wieder,
Die Stirn' in sorgenvollen Falten,
Die Wange hohl und krank die Glieder.“
„Station Türkheim“ unterbrach plötzlich der Ruf des Schaffners (Conducteurs), und unser Gespräch hatte damit ein jähes Ende gefunden. Alle drängten aus den Waggons. Wer gesunde Beine hatte und sich schnell bewegen konnte, suchte am Schalter der Stationscassa rasch ein Billet für den Postwagen zu erhaschen, um gegen 50 Pfennige mit dem nicht allzu bequemen Postwagen nach Wörishofen gerädert zu werden. Die anderen Patienten, die infolge ihrer Krankheit ein verlangsamtes Tempo einschlagen mussten, stiegen in die bereitstehenden Privatstellwagen oder sonstigen zwei- und einspännigen Privatfuhrwerke; denn ein Patient geht selten von Türkheim nach Wörishofen, weil er fürchtet, keine Wohnung mehr zu bekommen, wenn er später als die anderen ankommt, es sei denn, er habe sich durch einen Bekannten früher die Wohnung bestellen lassen. Nun gieng's in Gesellschaft von sieben anderen dem einfachsten und billigsten unter allen Curorten der Welt zu. Die Fahrt führte uns durch grüne Matten.
Ein kleiner Wald zur Seite der Straße bot eine angenehme Abwechslung. Eine geraume Strecke vor der Einfahrt ins Dorf erblickten wir den Zwickel- (Keil)-Thurm der Pfarrkirche Wörishofen. Endlich war das ersehnte Schwabendorf erreicht, von dem früher niemand, der nicht etwa in der Nähe wohnte, jemals eine Ahnung gehabt, dass ein Dorf dieses Namens auch einen Flecken deutscher Erde bedecke, das aber heutzutage durch seinen Weltruf nicht allein in Europa, sondern weit über unsere continentalen Grenzen hinaus bekannt ist. Warum Wörishofen ein Weltcurort genannt werden kann, wird später ersichtlich werden.
Am Anfange des Dorfes hieß es : Absteigen! Das Posthaus war erreicht. Halb zutode (?) geschüttelt, entstiegen wir dem Postwagen, suchten unsere vom unbeweglichen Sitzen steif gewordenen Glieder zusammen, probierten das Gehen und wanderten an der Straße des Dorfes entlang, die rechts und
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links von weiß oder grün gefärbten, netten Schwabenhäuschen umsäumt ist, am Pfarrhof und der Pfarrkirche vorbei dem Kloster der ehrw. Dominicanerinnen zu, wo ich von einem befreundeten Herrn, der mir gütigst die Wohnung im voraus bestellte, dieselbe erfahren sollte.
Da es bereits Abend war, war es mir nicht mehr möglich, den Mann zu sprechen, auf dessen Anblick ich schon lange gespannt gewartet hatte. Doch des andern Tages sollte mir gleich in aller Frühe das Glück zutheil werden, dem Herrn Pfarrer Kneipp vorgestellt zu werden. Ein Freund hatte mir das bald nach meiner Ankunft zugesagt. Wohlwissend und aus vieler Reden belehrt, dass man sich bei einer Consultation des Herrn Pfarrers der gedrängtesten Kürze befleißen müsse, um ihm ja keinen Augenblick der kostbaren Zeit zu rauben, so fasste ich mich denn so kurz, als es nur möglich war. Nachdem er mich einen Augenblick scharf ins Auge gefasst hatte, ward mir die Verordnung aufgeschrieben, die für drei Tage auf die obligaten Güsse, auf Wasser- und Barfußgehen lautete. Zufrieden über die schnelle Erledigung wollte ich mir dann auch in Begleitung meines Freundes die beiden Badehäuser ansehen.
An der Klostermauer entlang führte uns der Weg dorthin, vorerst zu dem zur Linken von Feldern begrenzten ersten 1889 erbauten steinernen, im Winter heizbaren Badehaus, in dem von 9 - 10 und von 3 - 4 Uhr die Damen ihre Anwendung unter der Leitung einer Nichte des Herrn Pfarrers [Theresia Mayer] nehmen können. Dasselbe ist an der Klostermauer angebaut und nichts anderes als eine von Ziegeln aufgeführte Hütte, die drei Cabinen und zwei Badewannen nebst drei Wasservorrichtungen enthält, von denen zwei zu Blitzgüssen verwendet werden können. In einer Entfernung von dreißig Schritten befindet sich das zweite Badehaus, im Jahre 188 8 errichtet, eine aus Brettern aufgeführte Hütte, einer großen Schaubude ähnlich, mit einem gedeckten Vorplatze, der an der Wandseite eine Bank hat, auf der diejenigen Curgäste warten, die augenblicklich wegen zu großen Andranges zu den Güssen und sonstigen Wasseranwendungen nicht zugelassen werden können. Dieselben werden hier von zwei „Badewascheln“ (Badedienern) der Männerlaienwelt gegeben. Die Entlohnung für die Badediener ist
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eine äußerst geringe; für die Benützung des Badehauses selbst durfte lange Zeit nichts bezahlt werden, jetzt wird dafür täglich ein ganz unbedeutender Betrag eingefordert.
Da inzwischen die Zeit der Wasseranwendung für mich gekommen war, nahm ich gleich den ersten Punkt meiner Verordnung vor, und ich fühlte einen kalten Wasserstrahl über meinen Rücken laufen. Nach dem Spaziergange, der der Erwärmung halber nach jeder Wasseranwendung gemacht werden muss, kehrte ich ins Kloster zurück, wo ich zu meiner Freude und Ueberraschung Herrn Pfarrer Kneipp näher kennen lernen und dadurch sechs Wochen lang an seiner Seite den Ordinationen beiwohnen und manches treffliche Wort aus seinem Munde vernehmen sollte. Wen sollte es daher wundern, dass ich bei meiner zweiten Wörishofener Reise, nachdem ich mich in Kneipps Curhaus einlogiert, ungesäumt meine Schritte nach dem Pfarrhofe lenkte, um noch am Abende den Mann zu begrüßen, um dessentwillen der Fremde nach Wörishofen zieht? —
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4.
Kneipps Wirken
in den ersten Stunden des Tages.
„Mit Gott fang an!“ (Sprichwort)
Viel ist über die Person des hochw. Herrn Pfarrers Kneipp schon geschrieben worden, viel das Wahren, aber auch viel des Falschen. Da ich durch sechs Wochen Tag für Tag den größten Theil des Tages in seiner Nähe weilte und dadurch hinreichend Gelegenheit hatte, diesen trefflichen Mann kennen zu lernen, will ich es nach meinen schwachen Kräften versuchen, von der rastlosen Thätigkeit des schlichten Dorfpfarrers ein Bild zu entwerfen. Am besten zeigt sich uns seine riesige Arbeitskraft, wenn wir ihn bei seinem Tagewerke verfolgen. Früh morgens vor 5 Uhr, wenn noch fast alle Curgäste in den Federn liegen, erhebt sich Kneipp, um dem priesterlichen Gebete, dem Breviergebete, zu obliegen und so den Tag mit Gott zu beginnen. Gegen halb 6 Uhr, auch früher, sieht man ihn den Pfarrhof verlassen und durch den Friedhof der
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Klosterkirche zuschreiten, um in derselben das heilige Messopfer darzubringen. Wer würde wol [wohl] glauben, dass der gütige Mann schon auf diesem Wege zur Kirche von dem einen oder andern der Curgäste umlauert wird! Ein Winkel des Friedhofes oder das Eck eines Hauses dient als Lauerplätzchen. Ja nicht genug, dem Gütigen schon am frühen Morgen den Weg abzupassen, – bis ins Heiligthum, bis in die geheiligten Räume der Sacristei verfolgt ihn der Patienten Ungestüm; sie weichen nicht von der Stelle, bis er ihre Leidensaufzählung angehört und ihnen eine Verordnung aufgeschrieben hat.
Nach der heiligen Messe nimmt er das Frühstück im Kloster ein, seit Erbauung des Priester-Curhauses im Refectorium desselben, wo in einem größeren Zimmer, dem sogenannten Speisesaale der Geistlichen, bereits seine geistlichen Amtsbrüder seiner warten. Während er seinen Malzkaffee trinkt, dem er manchmal etwas Wasser beimischt, erzählt er dies oder jenes oder ordiniert gleich die anwesenden Geistlichen, von denen einige meistens neu angekommen sind, die andern aber bereits eine zeitlang sich der Wassercur unterzogen und nun um neue Verordnungen bitten, da die letzthin verordneten bereits Vormittag zu Ende gehen. Nicht selten kommt auch da und dort aus der Tasche ein Briefchen zum Vorschein, in dem ein Pfarrer für sein Pfarrkind den Wasserdoctor um Rath ersucht. Da bittet ein junger Kaplan für seinen ergrauten Pfarrer, dort ein Pfarrer für seinen aus Ueberanstrengung körperlich gebrochenen Kaplan.
Obgleich Kneipp derartige Briefe nicht gerade sehr angenehm sind, so erledigt er sie doch gewöhnlich lächelnd scherzend mit der Frage, ob sie nicht noch für ein halbes Dutzend zu fragen hätten. Drängt die Zeit zu sehr, so kann eine derartige Bitte um mündliche Beantwortung eines schriftlichen Ersuchens auch abschlägig beschieden werden. Vom Frühstück will sich Kneipp in den Pfarrhof begeben. Doch siehe da! Wiederum ein Hindernis! An der Klosterpforte wartet ein bresthafter Mann, der sich nach seiner Aussage bei den Ordinationen nicht vorzudrängen wusste, und bittet herzlich, ihn anzuhören. In der Regel hört Kneipp solche Patienten, die ihn wie Wegelagerer anfallen, auch an, doch entschlüpft ihm manchmal, besonders bei außerordentlicher Ueberbürdung, ein Wort, das auf „Gewalt-
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thätigkeit“ u. dgl. lautet. Doch wenn er auch manchmal „knurrt“, wie er sich auszudrücken pflegt, so ist es doch nicht böse gemeint. Oft bereut er das „Knurren“ schon, ehe er damit fertig ist. „Im Friedhofe“, sagt er dann gewöhnlich, „warten gewiss wieder zwei bis drei“. Richtig! Der Pfarrer hat's errathen. An der Pfarrhofthüre wird der Rummel erst gar arg. Obwohl die Ordination laut eines an der Thüre angehefteten Zettels erst um ½ 8 Uhr beginnt, haben sich bereits um ½ 7 Uhr der Leute genug eingefunden, und wenngleich ihnen entgegengehalten wird, dass erst um ½ 8 Uhr die Ordination beginnt, sagen sie, sie wollen ruhig warten, um nur dann als die ersten bei der Ordination vorgenommen zu werden. Auch in das Haus selbst hat sich der eine oder andere Patient einzudrängen gewusst, der nun umso ungestümer den Herrn Pfarrer anbettelt, da er weiß, dass der andere Schwarm im Augenblicke nicht zu ihm kommen kann. – So gieng es bis zur Fertigstellung des von Pfarrer Kneipp auf eigene Kosten erbauten Priester-Curhauses im Jahre 1891. Nur ausnahmsweise werden jetzt im Pfarrhofe vor der allgemeinen Ordination diejenigen ordiniert, die den rastlos thätigen Pfarrer unter vier Augen nothwendig sprechen müssen (?) oder schon am frühen Vormittag abreisen. –
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5.
Beim Kalenderschreiben.
„Das Wasser macht die Menschen reich
Und macht sie auch gesund zugleich!“
Obwohl der Herr Pfarrer gerade am Kalender (Sebastian Kneipp-Kalender) arbeitete und die Zeit sich förmlich abstehlen musste, um denselben einem Herrn (eine Zeitlang dem Schreiber dieses) in die Feder zu dictieren, – obwohl ein vom Schreiber des Kalenders an der Thüre des Arbeitszimmers angebrachter Zettel die Patienten belehrte, dass wegen des Kalenderschreibens jetzt niemand vor 8 Uhr zur Ordination vorgelassen wird, hörte man nicht auf, den Pfarrer mit Bitten zu belästigen. Es half alles nichts; die Leute wollten um jeden Preis vor. Andererseits aber regte sich doch wieder Mitleid mit den armen
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Kranken, das Pfarrer und Secretär abhielt, dieselben mit barschen Worten von der Thüre wegzuweisen. Listig wusste man dann immer einen Augenblick zu erhaschen, wo man Kneipp allein sprechen konnte. Um aber doch dem Herrn Pfarrer einige Zeit zum Kalenderschreiben zu verschaffen, hatte der Secretär, welchem er den Kalender dictierte, die Thüre von innen abgesperrt. Kaum waren fünf Minuten vergangen, einige Zeilen zu Papier gebracht, da klopfte es. „Herein“, ertönte es aus dem Munde des gütigen Pfarrherrn. Wider seinen Willen öffnet der Schreiber; denn die Arbeit ist wieder auf mehrere Minuten, ja oft auf Viertelstündchen oder noch länger gestört. Kaum ist der Patient fertig, so drängt ein anderer nach, und so kam es oft vor, dass in der Zeit, die zum Schreiben hätte verwendet werden sollen, nicht zehn Zeilen zu Papier gebracht wurden. Einmal wurden es gar nur drei; es musste auch gehen; „der guten Dinge sind ja drei“, meinte Kneipp.
– Daher ist es auch leicht erklärlich, dass der erste Kneipp-Kalender für das Jahr 1891 so spät in die Welt hinaustrat. Während im Monate August bereits Tausende von Kalendern auf den Markt geworfen waren, konnte der Sebastian Kneipp-Kalender erst im October die Presse verlassen. Niemand anderer hatte Schuld als die Curgäste, die dem Herrn Pfarrer Kneipp nicht die nothwendige Zeit ließen, um diese Arbeit verrichten zu können. Da der Kalender mehrere (zehn) treffliche Aufsätze über Barfußgehen, Pflege der Haare, Augen Mund und Zähne, über das Trinken beim Essen, über kalte und warme Bäder, über Kleidung und Nahrung u. dgl-, sowie gegen siebzig lehrreiche Krankengeschichten enthält, empfiehlt sich derselbe allen als treffliche Beigabe zu Kneipps bereits erschienenen Büchern.
Interessant ist es zu erfahren, wie Kneipp seinen Kalender schreibt: Er geht im Zimmer aus und ab und dictiert dabei die einzelnen Aufsätze für den Kalender. Werden Krankheitsgeschichten zu Papier gebracht, so weiß er jedesmal genau den Stand und Wohnort des Patienten anzugeben. Genau erinnert er sich der Zeit, zu welcher er geheilt wurde und welche Anwendungen ihm geholfen haben. Die schriftlichen Mittheilungen der Geheilten selbst oder die von ihnen eigenhändig niedergeschriebenen und mit ihrem Namenszuge versehenen Krankheitsberichte
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sind die Quellen, denen die Krankengeschichten entnommen werden. Die Namen werden jedoch nicht angeführt, weil es viele genieren würde, wenn die halbe Welt erführe, woran sie gelitten. Aus diesem Grunde allein sieht Pfarrer Kneipp davon ab, die Namen der Geheilten zu nennen.
Man hat deswegen schon viele Steine nach ihm geworfen und ihm den Vorwurf gemacht, er könne leicht Krankengeschichten zusammenschreiben, weil er keine Namen angebe. Diese Krankengeschichten könnten geradesogut erdichtet als wahr sein. Wer – wie Schreiber dieses – Gelegenheit hatte zu beobachten, wie solche Krankenberichte zustandekommen, dem schwindet wohl jeder Zweifel, wenn er überhaupt je einen solchen gegen einen so ehrenhaften Charakter, wie Pfarrer Kneipp ist, hatte. Kann es wohl eine bessere Quelle für die Krankheitsberichte geben, als es die von den Kranken selbst niedergeschriebenen und mit eigenhändigem Namenszuge unterfertigten sind? Gegen Verleumder solcher Sorte ist es wohl das Beste, man achtet ihres Bellens nicht und lässt sie ruhig weiterschwätzen. Der Herr Pfarrer Kneipp hat es nicht nöthig, Krankengeschichten zu erfinden; aus den ihm von glücklich Geheilten zugesandten, zu Stößen aufgerichteten Krankheitsberichten könnte er Bücher füllen.
Wie sonst so will man auch hier nicht allein für sich, sondern auch für Angehörige oder Freunde sich Rath erholen? Dass eine solche fragende Person oft soviel Zeit in Anspruch nimmt als mehrere andere Personen, liegt auf der Hand. Doch wie gütig und theilnahmsvoll Kneipp gegen die Hilfesuchenden ist, möge nur folgender Fall zeigen: Während er gerade eifrig den Kalender dictiert, hört er plötzlich ein Kind schreien. E r öffnet das Fenster und sieht vor der Thüre des Pfarrhofes eine Frau mit einem Kinde stehen. Alsogleich ließ er die Frau zu sich kommen und gab ihr für das arme Würmlein guten Rath. Noch kurze Zeit und die allgemeine Ordination beginnt. Schnell soll noch ein Theil des Kalendermanuscriptes fertiggestellt werden. Doch die Unterbrechungen wollen kein Ende nehmen. Es erscheint ein holländisches Ehepaar. Nachdem ihr Wunsch nach Wasseranwendungen erfüllt ist, bitten sie den Herrn Pfarrer um seinen Segen. Der gibt ihnen gerne, worum sie gebeten; kniend empfangen sie ihn.
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Vor Beginn der allgemeinen Ordination kommt manchmal auch der Secretär, der die Briefe besorgt, dem Herrn Pfarrer specielle Fälle vorgelegt, von den eingelaufenen Briefen Mittheilung macht und dann nach Kneipps Rath die Korrespondenz führt. Unter den einlangenden Briefen sind nicht wenige Bettelbriefe, die aus allen deutschen Gauen an ihn gelangen. Da bittet den „Wunderdoctor“ ein armer Mann aus Berlin um Unterstützung, dort ersucht eine kranke Person um unentgeltliche Unterkunft. Ein hochw. Amtsbruder wünscht ein Scherflein zum Kirchenbau. Wo Kneipp helfen kann, hilft er, und dass er seinen wolthätigen Sinn durch namhafte Summen bethätigt, hat Schreiber dieses selbst einigemale gesehen. So legte er einem Pfarrer, der nur einen Beitrag zum Kirchenbau bat, eine Hundertmark-Note hin. Ein anderesmal borgte er einem Pfarrkinde, das sich gerade in misslichen Vermögensverhältnissen befand, soviel, als er entbehren konnte. –
Gegenwärtig dictiert Herr Pfarrer früh von 6 - 7 Uhr einem Theologen über die Güsse; zugleich gibt er Erklärungen und Erläuterungen zu seinem Buche: „Meine Wassercur“. Hernach begibt er sich ins Curhaus, wo er gewöhnlich um ½ 8 Uhr einlangt, um die Ordination zu beginnen.
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6.
Sein Wohnzimmer.
Die für die Ordination festgesetzte Zeit naht nun heran. Bevor wir den Herrn Pfarrer auf seinem Zimmer verlassen, blicken wir uns in demselben ein wenig um. Das Wohnzimmer Kneipps, das die Form eines länglichen Vierecks hat, ist ein Eckzimmer mit vier Fenstern, von denen zwei auf den Friedhof, die beiden anderen auf die Straße gehen, welche durch den Ort führt. Ein Tisch, ein Pult, ein Betschemel, ein Sofa und mehrere Sessel bildeten bis vor kurzem die ganze Einrichtung. Ein Crucifix zierte das Pult, einige alte Bilder die weißgetünchten Wände. Nur das Nöthigste war im Zimmer, Schmuckgegenstände oder sonstige Zier suchte man in dieser einfachen Wohnung vergebens, man wollte denn etwa die verschiedenen Photographien, die auf dem Pulte lagen und ihm
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von glücklich Geheilten überreicht wurden, zu solchen Ziergegenständen rechnen. Das Sofa war voll belegt mit Stößen von Briefen, die von geheilten Patienten an ihn gelangt sind und in den rührendsten Ausdrücken des Dankes auf ihren Retter den tausendfachen Lohn des Himmels herabflehen. Auch das ist jetzt anders geworden. Manche schöne Gabe dankbarer Patienten schmückt derzeit das Gemach. Die rechte Seite der Wand zwischen Sofa und Ofen füllt ein mächtiger Bücherschrank, der die Heroen theologischer Wissenschaft in schönen Einbänden aufweist, nicht selten Erinnerungsgaben von solchen, die dem Wörishofner Wasserapostel ein zweites glückliches Leben verdanken. Doch auch manches herrliche Buch nicht geistlichen Inhalts blickt freundlich im Prachteinbande auf den Besucher des Zimmers nieder. Auch medicinische Bücher kannst du finden, ein Zeichen dafür, dass Kneipp neuen Erscheinungen auf medicinischem Gebiete nicht fremd und theilnahmslos in vornehmer Verachtung gegenübersteht. Gewiss nicht uninteressant dürfte für viele Leser die Mittheilung sein, dass Kneipp gerade zur Zeit meines Besuches die Vorschriften des k. k. österreichischen Ministeriums zur Verhütung der Cholera auf seinem Stehpulte liegen hatte.
Links vom Eingang kündet seit dem 8. Mai 1892 das von einem Münchner Maler prächtig ausgeführte Ehrenbürger-Diplom der Gemeinde Wörishofen dem Eintretenden, dass am 1. Mai des Jahres 1892 Wörishofens versammelter Rath der Gemeinde „den langjährigen Seelsorger“ einstimmig zu seinem Ehrenbürger ernannt habe.
Auf der linken Seite der Wand findet sich derzeit zwischen den beiden Fenstern ein Schreibpult, an welchem der Pfarrer für diejenigen receptiert, die ihn schon am Morgen um Rath und Hilfe in Separatconsultationen angehen. Eine recht hübsche Zierde füllt die linke vordere Zimmerecke, ein aus Tannenzapfen künstlich zusammengefügtes Blumenkörbchen mit einer Blumenvase. An der der Thür gegenüberliegenden Seite ist ein Stehpult aufgestellt, an welchem Kneipp seine Berufsgeschäfte erledigt. Eine Muttergottesstatue thront über demselben.
Die anstoßende Zimmerecke nimmt ein nettes Ziertischchen ein, auf welchem allerlei kleine Gegenstände platz finden. Neben der Thür, die in das kleine Schlafzimmer führt, haben Tisch und Sofa ihre Aufstellung gefunden. Ersteren
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schmückten Blumenvasen, über letzterem sind Photographien und Bilder als Schmuck angebracht. –
Die Zeit von 6 bis ½ 8 Uhr wissen meist Leute vornehmen Standes zu benützen, um ihre Anliegen, manchmal auch etwas breitgetreten, dem nimmermüden Krankenberather vorschwätzen zu können. Oft würde wohl eine lakonische Aufzählung der Leiden gerade soviel nützen als ¼ stündiges Gesalbader mit zehnmaliger Wiederholung der kleinsten Umstände. Dass hierin die Vertreterinnen des schönen Geschlechtes das meiste leisten, braucht wohl nicht erwähnt zu werden!
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7.
Die Ordination.
„Mög' denn sein Wort All jeder Zeit
Der Welt zum Segen werden
Und Einfachheit in Kost und Kleid
Anis neu' erblüh'n auf Erden!
Mög' jeder von des Wassers Kraft
Sich selbst doch überzeugen
Und, wenn auch ihm es Hilf' geschafft.
Den stolzen Kopf dann beugen!“
Nun begibt sich Kneipp zur Ordination. Schon harrt zahlreich versammeltes Volk des edlen Priesterarztes. Erwartungsvoll blicken die sich drängenden und stoßenden Patienten nach der Stiege, wo der Hochw. Herr Pfarrer herunterkommen muss. Endlich erscheint der Ersehnte!
Er ist ein Mann mittlerer Größe von starkem Körperbau. Ein schwarzes Sammtkäppchen sitzt aus dem greisen Kopfe, der noch starken Haarwuchs zeigt. Das volle Gesicht weist derbe, durchgeistigte Züge; die Stirn ist breit und hoch; große, buschige Augenbrauen überschatten das Auge und verrathen die unermüdliche Arbeitskraft und Energie ihres Besitzers; sie verleihen dem Auge einen durchdringenden, forschenden Blick, der ihm in einem Augenblicke am Kranken den Herd der Krankheit entdeckt und ohne viel Fragen den Sitz des Uebels finden lässt. Ein weiter, faltiger Talar umschließt den starken Körper des Priestergreises. Halbschuhe, die seit kurzem ledernen Sandalen platzgemacht haben, und schwarze Strümpfe vollenden die canonische Priesterkleidung, in der er sich überall zeigt.
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Der Herr Pfarrer begibt sich in das geräumige Ordinationszimmer. An der Wand der Thüre gegenüber ist ein großes Sofa, auf dem der Herr Pfarrer platznimmt. Vor ihm ist ein langer grüner Tisch, an dem die zuhörenden Aerzte sitzen, die sich die Kenntnis seines Wasserheilverfahrens aneignen wollen. Auf dem Tische liegen Kneipps Bücher: „Meine Wassercur“ und „So sollt ihr leben!“, desgleichen Zettel und Büchel zum Notieren der verordneten Wasseranwendungen.
Zur rechten Seite des Herrn Pfarrers sitzt der jeweilige Secretär ( uä latus), welche Stelle meistens ein zum Curgebrauche in Wörishofen weilender Geistlicher versieht, während der vom Herrn Pfarrer beigestellte Badearzt dem Herrn Pfarrer gegenüber platzgenommmen hat.
Die Thüre des Zimmers wird nun geöffnet. Ungestüm drängen die Leute bei derselben hinein, so dass es oft nöthig ist, dass mehrere Aerzte die Thür zuhalten, um die ungestümen Eindringlinge zurückdrängen zu können, damit nicht auf einmal der ganze Schwarm das Zimmer füllt. Man muss sich wundern, dass nicht manchmal eine Person an der Thürstockkante halb oder ganz zerdrückt wird. Im August 1891 hat man diesem ungestümen Drängen dadurch Einhalt gethan, dass man Nummern ausgab und nur die mit der ausgerufenen Nummer versehenen Patienten in die Stube ließ. Mit der Vollendung des Kneipp'schen Curhauses trat auch hier eine merkliche Veränderung ein. Ein linkseitiges größeres Zimmer dieses neuerbauten Hauses wurde nämlich als Ordinationszimmer bestimmt und dementsprechend eingerichtet. Um die Ordinationen zu regeln und dem Herrn Pfarrer Kneipp doch einige freie Minuten des Tages hindurch zu verschaffen, hat der Kneippverein die Bestimmung getroffen, dass die Patienten nur gegen Vorweisung eines mit einer Nummer versehenen Büchleins zu den Ordinationen zugelassen werden.
Wer nach Wörishofen kommt, um dort die Cur zu gebrauchen, muss nämlich zuerst in das Kneipp-Bureau gehen, das sich im Hause Nr. 100 gegenüber der Klosterkirche befindet. Dort hat er sein Nationale (Name, Stand, Aufenthalts- oder Heimatsort) anzugeben. Dieses wird auf einem Zettel vermerkt und in ein kleines Büchlein, das Verordnungs- oder
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Vorlassungsbüchlein zu den Sprechstunden, eingeklebt, in welchem zur Belehrung der Curgäste die Abkürzungen der Namen der Güsse, Waschungen, Bäder und Wickel verzeichnet sind. Das Büchlein enthält ferner eine freie Seite für die Krankengeschichte und 16 Seiten für die jeweiligen Ordinationen. Am Ende findet sich ein lostrennbares Blatt für die „Verordnungen für zuhause“, da das Büchlein, welches die Unterweisungen in deutscher und französischer Sprache gibt, am Ende der Saison abgegeben werden muss. Jedes Büchlein ist zudem mit der laufenden Nummer versehen, nach welcher bis in die letzte Zeit die Curgäste zu den Ordinationen zugelassen wurden. Es wurde nämlich für jeden Tag eine bestimmte Anzahl von Nummern und zwar soviele auf einer bei der Eingangsthür in den Sprechsaal angebrachten schwarzen Tafel vermerkt, als man Personen in der vormittägigen oder nachmittägigen Sprechstunde vorzunehmen gedachte. Damit nun kein Unberufener in das Sprechzimmer dringe, hält an der Thüre des Ordinationszimmers ein vom Kneipp-Verein aufgestellter Diener gleich dem Kerberos Wache. Jeder Curgast erhält von demselben an der Eingangsthür eine Nummer und muss ruhig warten, bis die Reihe an ihn kommt. Ist er aber gerade nicht anwesend, wenn er vorgerufen wird, so muss er sich bis zum Schlusse der Ordinationsstunde gedulden. Damit aber auch jeder die Amtsperson des Kneipp-Vereines erkenne, trägt diese Aufsichtsbehörde auf ihrer Kappe die Buchstaben K. v. W. (Kneipp-Verein von Wörishofen), eine Aufschrift, die ein Spassvogel in „König von Wörishofen“ umdeutete.
In letzterer Zeit ist man davon abgegangen, die Curgäste nur nach den laufenden Nummern vorzulassen, weil ja Pfarrer Kneipp bekanntlich nicht allen Patienten die Verordnungen für eine und dieselbe Anzahl von Tagen, sondern je nach der Art der Krankheit auf längere oder kürzere Zeit ertheilt. Aus diesem Grunde wird jetzt ohne Rücksicht auf eine höhere oder niedrigere Nummer immer gleich mehreren Personen Einlass in den Sprechsaal gewährt. Neuankommende haben den Vorzug; für sie, aber auch nur für sie wird auch an Sonn- und Feiertagen nachmittags ordiniert. Mitglieder des Kneipp-Vereines haben vor allen übrigen Zutritt. Die Ordination beginnt gewöhnlich ½ 8 Uhr, manchmal um 8 Uhr und
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dauert bis 11 Uhr, bei größerem Andränge auch bis ½ 12 oder 12 Uhr. Kneipp schließt ja nicht wie Professoren ihre Vorträge mit dem Schlage der Uhr seine Ordination.
Die Ordination hat begonnen und geht nun über drei Stunden lang fort. Nichts als endloses Aufzählen von Krankheiten, eintöniges Dictact von Ober-, Schenkel-, Knie-, Rücken-, Blitzgüssen, Halbbädern, Wassertreten und Barfußgehen. Nach dem Empfange des Ordinationszettels sprechen die Hilfesuchenden von nichts anderem als den verordneten Güssen u. dgl.
„Von Ober-, Knie- und Schenkelguss spricht jeder in der Runde;
Die Worte: Halbbad, Rückenguss hört man aus jedem Munde".
Die Leute, die an den Tisch herantreten, bringen ihre Leiden vor. Kneipp stellt meistens einige Fragen an die Patienten über Beschäftigung, Stand, Alter, Leiden, Appetit, Stuhlgang u .dgl., die zur Kenntnis der Krankheit von Wichtigkeit sind. Namen, Religion u. dgl. sind Sachen, nach denen Kneipp niemals fragt. Unter den Patienten sind nicht alle neu. Viele haben bereits Anwendungen erhalten und kommen nach sechstägigem, auch mehr- oder wenigertägigem Gebrauche derselben wieder, um sich neue verordnen zu lassen. Früher wurden die Anwendungen immer nur auf drei Tage gegeben. Auch heute geschieht dies noch bei solchen Krankheiten, bei denen es Kneipp für nothwendig erachtet, dass er die Aussage der Patienten über den Fortgang ihrer Krankheiten innerhalb kurzer Zeit hört. –
Wegen des ungeheuren Zudranges von Hilfesuchenden mussten die Anwendungen gleich für mehrere Tage (sechs) oder Wochen gegeben werden. Nach Besserung wird selten gefragt, wenn nicht die Patienten eigens erwähnen, „es gehe ihnen besser oder schlechter“. Will jemand etwas haben, so muss er selbst darum ansuchen; denn nach den Bedürfnissen zu fragen, erlaubt weder die Zeit noch der ungeheure Zudrang
der Hilfesuchenden.
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8.
Ernst und Scherz.
Bei diesen Ordinationen nimmt Kneipp oft Anlass, über dieses und jenes zu sprechen. Oft und oft donnert er gegen den Genuss des Kaffees als eines kindermordenden Getränkes. „Fort mit dem elenden Bohnenkaffee, der bloß zehrt und die Nerven zerrüttet!“ Dass seine stete Mahnung gegen dieses eingebürgerte Lieblingsgetränk, von dem Al. Binder die launigen Worte singt:
„Der Kaffee macht die Menschen krank,
Nichts ist so schlimm als dieser Trank
Und – was dabei geklatscht wird.“
Ihm ist der Kaffee die Ursache vieler krankhafter Zustände. Die heutige Nervosität schreibt er vielfach auf Rechnung des vielen Kaffeegenusses. Kaffee trinkende Mütter macht er verantwortlich für den elenden Zustand ihrer armen Kinder. „Ein Häferl voll Kaffee“, sagt er dann wiederholt, „haben die Weiber in der Hand, ein zweites steht auf dem Herd und wird gewärmt, ein drittes ist bereits auf der Anrichte in Bereitschaft“. Fast jedesmal kennt es Kneipp den Leuten im Gesichte an, ob sie Kaffee trinken oder nicht. Und mögen sich die Damen noch sosehr entschuldigen, dass sie schon vierzehn Tage oder drei Wochen lang keinen oder doch nur sehr lichten Kaffee getrunken haben, seinem scharfen Auge entgeht es nicht, seine scharfe Erkenntnisgabe sagt es ihm trotz der gegentheiligen Behauptung.
Noch mehr als die Kaffee trinkenden Personen sind Damen, die ihren Körper so stark geschnürt haben, dass man jeden Augenblick befürchten muss, sie brechen inmitten entzwei, der Gegenstand seines Spottes. Wie bei manchen Insecten, scheinen auch bei solchen Damen Ober- und Unterleib nur durch einen recht dünnen Stiel verbunden zu sein. Das Schnüren ist Kneipp eine thörichte, ja grausame Unsitte, weil es den Körper tyrannisiert und ihn oft zugrunde richtet. Hunderte von Frühgeburten, zahlreiche Gebrechen des Unterleibes sind die Folgen dieser unseligen Thorheit. Allen Modemädchen ruft er ins Ohr, sie sollten doch ihren Körper nicht
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so tyrannisieren, sie müssten einst vor Gott Rechenschaft darüber abgeben, wie sie mit ihrem Körper umgegangen. Nicht minder ernst legt er den Müttern ans Herz, solchen Unfug bei den Kindern nicht zu dulden; denn ihnen seien die Kinder als Kleinodien des Himmels anvertraut, über die sie einst Rechenschaft geben müssten. Zahlreich fließen oft die Thränen der Damen unter solchen Worten des sittenstrengen Pfarrers.
Unermüdlich kämpft Kneipp in den Ordinationsstunden gegen die herrschenden, verkehrten Ansichten in Kleidung und Nahrung und all die Thorheiten, die Luxus, Mode, Genusssucht und ein unsinniger Sport fort und fort erzeugen. „Zurück zur alten, gottgewollten Lebensweise, zurück zum Praktischen Christenthum!“ Das ist Kneipps ständiger Ruf – Gesunden und Kranken gegenüber. Die Leute sollen nach seiner Meinung zu den Alten in die Lehre gehen und ihre erprobte Lebensweise prüfen und nachahmen. Dieser Abfall von der einstigen natürlichen Lebensweise ist es nicht zum geringsten, dass unser Jahrhundert so elend, blut- und geldarm geworden ist. Es wird wegen seiner Verweichlichung mit Recht „das Zeitalter der Blutarmut und Bleichsucht“ genannt, ein Zeitalter, in welchem der Mensch einen großen Theil seines Lebens in Eisen-, Stahl- und Seebädern oder in nervenstärkenden Curorten zubringt.
In der Bekleidungsfrage nimmt er sich warm und eifrig der einst so hoch geschätzten, jetzt aber vielfach beiseitegesetzten groben „Hausleinwand“ an. Kneipp ist gegen „die directe, unmittelbar den Leib berührende Wollbekleidung“ und für die Bekleidung mit dem trockenen, festen, kernhaften, unverkünstelten Linnen oder Reisten. Letzteres ist ihm die liebste „Haut auf der Haut“, welche diese nie verweichlicht, vielmehr ihr stets die besten Frottierdienste thut. „Den Frottierdienst versieht bei mir den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch das grobe Linnenhemd, das ich hiermit allen empfehle“, sagt Kneipp selbst in seinem Buche „Meine Wassercur“ (20. Ausl., S. 10 und S. 62). Lebhaft bedauert es Kneipp, dass statt des heimischen, erprobten Linnenzeuges nur mehr moderne Artikel für die Wäsche gewählt werden, die zwar schönklingende Namen aus fremden Ländern sich ausgeborgt, aber nicht die Güte des Linnen haben, wie die Chiffons, Schirtings, Oxfords, Mollinos,
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Brillantines, Crettons und Piques. Wem die Linnenwäsche zu grob ist, empfiehlt er die Tricot-Linnenwäsche.
Auch in der Nahrung wünscht er möglichste Einfachheit. Dem sogenannten „Kraftbrote“, das nach dem Recepte der ehrw. Dominicanerinnen aus zwei Theilen Weizenmehl, einem Theil Roggenmehl und einem Theil Weizenkleie mit ein wenig Hefe und Salz zu einem Teig angemacht und gebacken wird, rühmt er große Stücke nach.
Den Bohnenkaffee will er durch Kaffee aus gemalzter Gerste (Kneipp-Kaffee) ersetzt wissen. Mit besonderer Anerkennung spricht er von der sogenannten „Kraftsuppe“, die aus einer Mischung von Fleischsuppe oder Milch mit geriebenem Kraftbrot besteht und nach Kneipp einen erstaunlichen Nährwert hat.
Als geschworner Feind jeglicher Verweichlichung ruft er die Menschheit unaufhörlich zu Übungen vernünftiger, gesundheitsfestigender Abhärtung.
Das Barfußgehen ist ihm nun eines der allerliebsten Abhärtungsmittel, sozusagen die conditio sine qua non der Kneipp'schen Cur.
Liebhabern schöngeistiger Literatur dürfte es willkommen sein, aus Dichtermund (Rückert in: „Weisheit des Brahmanen“) das Lob des Barfußgehens zu vernehmen:
„O sieh, der Morgen hat mit thauigem Geschmeide
Belegt die Gottes Flur; komm und den Fuß entkleide!
Wer in dem Maienthau frühmorgens wandeln mag,
Fühlt sich von unten auf gestärkt den ganzen Tag.“
Das Barfußlaufen wurde bereits, wie Kaiser Marc Aurel (Antonius Philosophus) in seinen Selbstgesprächen (5, 8) berichtet, von Asklepios (lat. Aesculap), den die Medicin heute noch als ihren Schutzgott verehrt, als Heilmittel anempfohlen.
Der berühmte Philosoph und Naturforscher Emanuel Kant sieht in der Abhärtung der Füße ein Mittel, „der Erschlaffung der Blutgefäße in so weit vom Herzen entlegenen Theilen“ (wie die Füße sind) zu entgehen.
Ist er so zeitweilig scharf und geißelt er mit unerbittlicher Strenge die Modethorheiten der heutigen Zeit, so ist er doch gleich wieder voll Leutseligkeit und Güte, namentlich wenn arme Dienstboten und Witwen ihn um Rath bitten. Besonders Witwen gegenüber zeigt sich sein edles Herz.
Als
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einmal eine Witwe aus nicht armen Stande fragte, was sie schuldig sei, fragte er: „Was sind Sie?“ „Eine Witwe“, war die Antwort. „Da zahlen Sie nichts“, entgegnete der Pfarrer; „denn die Witwen haben im Himmel einen gütigen Vater und auf Erden die Wolthätigkeit und Barmherzigkeit der Menschen“, setzte Kneipp liebevoll tröstend hinzu.
Übrigens bringt der edle Menschenfreund allen Leuten Wolwollen entgegen. Die vielgeplagten Mitglieder des Lehrstandes, seien es Gymnasial- oder Volksschullehrer, und die Beamten, die tagsüber oft bei dumpfer Luft in nicht selten eher keller- als wohnungsähnlichen Räumen bei ungenügender Beleuchtung den ganzen Tag zubringen müssen, sind Gegenstand seiner besonderen Sorgfalt. Oft und oft hört man ihn sagen: „Gerade Lehrer und Beamte müssen sich die Wolthat des Wassers recht zugute kommen lassen und in wöchentlich zweimaligen Halbbädern Erfrischung und Erquickung suchen.“
Kommen dagegen Leute niederen Standes, die ihre Kinder nach städtischer Manier prächtig zusammenputzen, kurze Kleider tragen lassen, unnöthigen Schmuck auf Hüte und Hauben geben, so dürfen sich dieselben wohl auf einen derben Verweis des strengen Sittenpredigers, der der althergebrachten, von den Vätern ererbten Kleidung sooft das Wort redet, gefasst machen. Besonders die neumodisch geformten Damenhüte und ihr oft unsinniger, lächerlicher Putz sind es, denen er scharf zusetzt. Erregen einfache Feld- und Wiesenblumen, zur Zierde am Hute angebracht, sein Wolgefallen, so nimmt seine Rede einen recht strafenden Ton an, wenn die Frauen, die in ihrer übertriebenen Körperpflege und Ausstattung oft wandelnden Parfümerien und eleganten Modemagazins gleichen, ihre Hüte zur Schaustellung von kleinen Vögeln und anderen Sachen benützen. Wenn er an Frauenspersonen recht aufgeputzte Hüte bemerkt, sagt er nicht selten: „Ja Weible, nach Deinem Hute zu schließen“, oder „weil Du ein so schönes Hütle aufhast, kannst schon a Mark zahl'n, sonst hätt's nix kost.“ „Mädle“, sagt er ein anderesmal zu einem Bauernmädchen, das zahlen will, „wie viel Gäul hat dein Vater?“ „Zwei“, sagte das Mädchen. „Na, dann zahlst nix. Aber wenn a Bauratochter so schön anzog'n is wie Du, sollt ma eigentli do' was begehrn.“
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Dass es in den Ordinationsstunden auch an heiteren Zwischenfällen nicht mangelt, ist wohl selbstverständlich. So erschien eines Tages mit vielen anderen Patienten ein kugelrunder Bräumeister, der sich durch die Reihen der Kranken mühsam Bahn brach. Als Kneipp des Mannes mit des Schmeerbauchs runder Wölbung ansichtig wurde, bemerkte er mit köstlichem Humor: „Ja, ja, saufa wänt alle, aba sterba will koina! Doch dem werden wir die Hypothek (so nennt Kneipp die dicken Bäuche) bald herabgerissen haben“ und verordnete Ober- und Unteraufschläger.
„Wen Plagt ein Dämon Bauch genannt,
Der nehm', ihn zu verscheuchen,
Ein grobes Linnentuch zur Hand
Und lass sich Wickel reichen!“
Obwohl der Herr Pfarrer den Kranken sich ganz opfert, ist doch die Entlohnung äußerst gering. Vorausgeschickt muss werden, dass nur derjenige zahlt, der darnach fragt. Wer überhaupt nicht fragt oder zu fragen vergisst (?!), wird dazu nicht aufgefordert. Fragt aber einer nach seiner Schuldigkeit, so ist die gewöhnliche Antwort Kneipps: „Wenn's arm sän, zahln's nichts, wenn's aber nöt arm sän, dann zahln's für d'Woch'n a Mark.“ Ist eine Person durch längere Zeit, z.B. monatelang in Wörishofen und nimmt den Rath des Herrn Pfarrers in Anspruch, so zahlt sie für die Woche nicht einmal eine Mark. Das Höchste, was er für eine Person, die lange Zeit in Wörishofen war, verlangt, ist gewöhnlich 6 bis 8 Mark.
Hilfsgeistliche, Cooperatoren, Kapläne, Ordensgeistliche, Unterlehrer, kleine Beamte, Dienstboten u. dgl., kurz alles, was nicht selbständig ist, zahlt nichts. Manchmal fällt es auf, wenn er Personen, die zwar nicht selbständig sind, aber doch eine anständige Besoldung haben, nichts zahlen lässt, mit der Begründung, sie seien auch nichts anderes als Knechte, wie er sich neulich einem Bank-Buchhalter gegenüber ausdrückte.
Kommt ein Student, so heilt er ihn nicht nur umsonst, sondern gibt ihm auch ein Viaticum (Reisegeld) mit den Worten:
„Studenten zahl'n nix, bei denen muss man froh sein, wenn's oan nöt no anpumpa; da hast, (dabei drückt er dem Studenten mehrere Mark in die Hand) hat mich auch als Student g'freut, wenn i a Viaticum kriagt hab.“
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9.
Eine nationale Musterkarte.
Wie sich hier auf dem engen Raume der Pfarrhofstube alle Stände drängen, so treffen sich hier auch alle Nationen. Die deutsche Sprache selbst kann man hier in allen Dialecten sprechen hören, vom weichen Sächsischen angefangen bis zu den harten Gurgeltönen der Schweizersöhne. Langsam oder rasch wie ein Räderwerk hört man die Leute sprechen, wie es eben die Zunge eines jeden zu leisten vermag. An Zungenfertigkeit überragte auch hier das Frauenvolk infolge des geübten, den Tag hindurch selten stehenden Redewerkes – die ernste Männerwelt. Es ist bei ihnen ebenso, wie bei einer Uhr. Hat man die Uhr aufgezogen und das Räderwerk in Gang gebracht, dann geht es eilfertig in einem fort, bis die Worte des Herrn Pfarrers: „Still Weible!“ den hervorsprudelnden Redefluss hemmen.
Die zahlreichen Nationen, die kommen und gehen, zeigen, dass das unscheinbare Dorf Wörishofen zu einem Weltcurort vorgerückt ist.
Da kommt eine Gräf in aus Corfu. Sie spricht zwar deutsch, aber fortwährend mit englischen Brocken vermischt. Der schwäbische Dialect, den Kneipp spricht, ist ihr natürlich vielfach unverständlich und wird ihr entweder von Kneipp selbst oder seiner Umgebung ins Schriftdeutsche umgesetzt. Obwohl sie die berühmtesten Ärzte zurathe gezogen, blieb alle ärztliche Hilfe ohne Erfolg. Die Wassercur soll nun das Übel heilen.
Ein Ehepaar aus Ostindien, das nach eigener Aussage bereits in jenem fernen Lande von Kneipp und seiner Cur vernommen, will den Aufenthalt in Deutschland benützen, um Kneipps Heilmethode kennen zu lernen. Ein Apotheker aus Amerika, der doch schon seines Standes wegen Kneipps und der Wassercur Feind sein sollte, sucht beim Wasser seine Heilung.
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Eine italienische Dame, die äußerst schnell italienisch spricht und deren Gatte den Dolmetsch zwischen ihr und dem Pfarrer macht, gefällt Kneipp besonders wegen der Lebhaftigkeit ihrer Gebärden und Reden. Kneipp kann sich an der schönen Sprache nicht satt hören. Er zeigt überhaupt für die verschiedenen Sprachen reges Interesse, wenn er auch keiner der modernen Sprachen außer der deutschen, seiner Muttersprache, fähig ist. Hie und da erkundigt er sich um dies und jenes, das auf die Sprachenverwandtschaft oder dergleichen Bezug hat.
Österreich mit seinen vielen Nationalitäten stellt einen großen Theil der Patienten. Deutsche, Ungarn, Czechen, Slovenen, Walachen, Kroaten, sie alle wollen vom Wasserdoctor curiert werden.
Auch Franzosen aus Elsass-Lothringen sind stets in schwerer Menge da. Ja Frankreich liefert eine so bedeutende Anzahl von Curgästen, dass man auf den Wegen und in den Gasthäusern öfters nur französisch sprechen hört.
Der großen Menge Franzosen und Engländer hat auch ein kleines Restaurant, das dem Priesterhause gegenüber erbaut ist und wegen der Schnelligkeit, mit der es erbaut wurde, von bösen Zungen den Namen das „nervöse Haus“ erhielt, Rechnung getragen, indem es auf dem einen Seitentheile die Inschrift trägt: „on parle francais“, auf der anderen überlädt „English spoken“ den Sohn Albions ein, bei bayerischem Gebräu den Tönen heimatlicher Sprache zu lauschen.
Auch der Rheinländer sind nicht wenige. Die Bayern sind jetzt schon mehr vertreten als früher. Es bewahrheitete sich eben auch bei Kneipp das Sprichwort: „der Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterlande“ oder wie der Bauer sagt: „Der Pfennig gilt nichts, wo er geschlagen ist.“ Dafür stellen die Nachbarländer ein umso größeres Contingent.
Unter den Deutschen sind ihm unstreitig am liebsten die Wiener. Wenn Patienten aus Wien bei ihm Hilfe suchen, sagt er fast jedesmal: „Die Wiener hab' ich gern, mit denen hab' ich Glück.“ Den Wienern versprach er daher auch, er werde, wenn möglich im Winter einmal nach Wien kommen und dort Vorträge halten. Am 30. April 1892 hat er sein Versprechen eingelöst. Dass er bei der großen Anzahl Wiener, die bei ihm bereits Hilfe gesucht und gefunden und den Pfarrer
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Kneipp schätzen gelernt haben, stets der besten Aufnahme sicher ist, dafür bürgt ihm die dankbare Gesinnung derselben.
Die Wiener selbst haben sich bereits dankbar gezeigt, indem sie einen Naturheilverein nach dem Muster des Münchener Naturheilvereines ins Leben gerufen haben, dem bereits die meisten Anhänger und Verehrer Kneipps beigetreten sind, um die Wasserheilmethode, überhaupt die Naturheilmethode, die Pfarrer Kneipp vertritt, recht zu verbreiten und populär zu machen. Ohne einer Übertreibung beschuldigt zu werden, darf man sagen, dass es wohl kaum ein bedeutenderes Land oder Volk gibt, das nicht schon den einen oder anderen Angehörigen zu Kneipp nach Wörishofen entsendet hätte.
Unter den Kranken, die ihre letzte Zuflucht zu Kneipp genommen haben, sind nicht wenige, die sich an demselben Tage, an welchem sie sich Pfarrer Kneipp zur Untersuchung stellen, einer Operation hätten unterziehen sollen.
Da kommt ein Mann mit seiner Frau und sagt: Heute hätte die Frau in München operiert werden sollen, sie wollte aber nicht und verlangte hierher. Andere Kranke wiederum bringen drei, vier, ja noch mehr Recepte mit, die ihnen von hervorragenden Männern der medicinischen Wissenschaft verschrieben worden waren.
Besondere Freude hat Kneipp an den Kindern, die das Wasser nicht scheuen. Zu einem Mädchen, das bei Verordnung des Obergusses in die Hände klatschte und seiner Freude darüber in den Worten „das ist gescheidt“ Ausdruck gab, sagte der Pfarrer: „Mädle, du freust mich, weil du das Wasser so gern hast“, nahm des Kindes Hand in seine Linke und schlug mit seiner Rechten mehrmals auf die flache Hand des Mädchens zum Zeichen seines Wolgefallens.
Wird Kneipp gefragt, was man essen soll, so verordnet er einfache, kräftige Hausmannskost und sagt dazu: „Essen Sie nicht wenig, aber gut.“ „Was darf ich trinken?“, fragt ein anderer Patient. „Machen Sie es wie ich“, sagt Kneipp. „Der Wein ist mir zu theuer, das Bier ist mir zu schlecht und das Wasser zu nass.“
Pfarrer Kneipp empfiehlt überhaupt als Regel im Trinken: „Trinke nur, wenn dich dürstet und auch dann nicht viel!“ Das Trinken während des Essens verwirft er ganz und behauptet, dass „Nassfütterer“ nie eine feste
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Gesundheit bekommen. Das Wasser ist das natürliche Gottvatergetränk. Wer vernünftig isst, wird nie viel über Durst klagen. Des Wasserfreundes Rath hat Al. Binder in seiner „Wasserdichtung“ in die Verse umgesetzt:
„Trinke nicht zum Zeitvertreib,
Trinke nicht hinein ins Essen,
Trinke nicht als wie besessen,
Trinke nicht Getränk der Prasser,
Trinke, wenn dich dürstet, Wasser!“
Um 11 oder 11¼ Uhr endet das fast endlose Dictat der Güsse. Ganz abgespannt verlässt man das Ordinationszimmer. Das bloße Anhören allein hat ungemein ermüdet. Der Herr Pfarrer nimmt jetzt noch die Gießungen an hohen Aristokraten oder sonst hervorragenden Curgästen vor. Auch der jüdische Geldkönig Rothschild hat in der historischen Pfarrhofwaschküche aus Kneipps Hand den kalten Wasserstrahl empfangen. Diese Waschküche hat zwei Kabinette, eines zum Aus- und Ankleiden, das zweite aber enthält eine mit Wasser gefüllte Wanne und eine Bottich, welche das über die zu begießenden Personen geschüttete Wasser aufnimmt. Dem Eingang gegenüber ziert die Wand eine große Tafel, die mit rothen Buchstaben folgende Inschrift trägt:
„Leb' wol du liebe kleine,
Traute Waschküche;
Hab' Dank für all' die Wohlthat,
Die wir in dir genossen!“
Mit diesen Worten haben dankbare Curgäste von der einfachen, trauten Küche Abschied genommen, und jeder wiederholt die Worte gern, der in derselben die Wohlthat genossen, vom Pfarrer Kneipp begossen worden zu sein. In derselben werden jetzt nur mehr ausnahmsweise Güsse ertheilt; sie ist zu einem historischen Gegenstände ersten Ranges für Wörishofen und die Kneipp-Anhänger geworden.
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10.
Bei und nach Tisch.
„Die Kost sei einfach, aber reichlich:
Kraflsuppe wirkt ganz unvergleichlich;
Hingegen thät' der Alkohol
Dem lieben Körper gar nicht wohl.
Vom Weine könnt' man kecklich sagen.
E r sei ein Feuerlein im Magen,
Und gar Kaffee und Bier und Schnaps
Brächt meistens an den Rand des Grab's.“
Al. Binder.
Endlich ist auch für den geplagten Pfarrer die Zeit gekommen, sein Vormittagwerk zu beenden. Da der Herr Pfarrer im Kloster der ehrw. Dominicanerinnen speist – bis zur Erbauung seines Curhauses speiste er gemeinsam mit den Geistlichen, – begibt er sich dorthin, wenngleich er um eine Viertel- oft auch um eine halbe Stunde zu spät kommt. Dem Herrn Pfarrer wird auch auf dem Gange zum Mittagstisch noch aufgelauert. Friedhof und Klosterpforte bergen manchen Lauerer, der bei der Erscheinung des Pfarrer schnell auf ihn zuspringt und ihm noch seine Bitte auf- und eine Antwort abnöthigt.
Selten geht Kneipp gleich zu Tisch. Meistens stattet er vorher noch seiner im Kloster befindlichen Apotheke einen Besuch ab, um das oder jenes Mittel herzurichten, das er vormittags über einem oder mehreren Patienten versprochen hat. Ermüdet kommt er endlich ins Speisezimmer und nimmt seine Mahlzeit ein, die in einfacher, kräftiger Kost besteht. Trunk nimmt er keinen; denn es ist bei ihm Grundsatz, nichts von dem zu thun, was er anderen gebieterisch abräth.
Hat er sein einfaches Mahl eingenommen, so beginnt die Ordination von neuem im Kreise seiner geistlichen Amtsbrüder. Immer ist er dabei guter Laune und voll trefflicher, witziger Einfälle. Wie überall, so zeigt sich auch hier seine Originalität. Sehr oft erzählt er auch von seiner Jugend oder sonstigen Erlebnissen.
Ist das Wetter günstig, so wird das Gartenhäuschen des Klosters als Ordinationsraum benützt. Freilich ist dasselbe viel zu klein, um alle die eifrigen Zuhörer fassen zu können. Aber man weiß sich zu helfen. Man umstellt das Gartenhaus und sucht durch die zitterigen Wände hindurch sich kein Wort aus Kneipps Munde entgehen zu lassen. Die kräftige, volle
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Stimme des Pfarrers ermöglicht auch denen, die nicht in unmittelbarer Nähe stehen, die Worte Kneipps zu verstehen. Hie und da kommt jetzt eine Cigarre zum Vorschein, die dem Pfarrer angeboten wird. Nicht selten wird das Angebot dankbar angenommen, aber meist nur, um den Spender nicht zu beleidigen. Mehrmals erlischt die Cigarre; würde sie von den ihn umstehenden Curgästen nicht wieder angezündet, so würde sie wohl kaum mehr tagsüber ihrem Zwecke, in Rauch aufgehen, zugeführt werden.
Bei regnerischem, stürmischen Wetter wird die Ordination aber gleich im Refectorium vorgenommen. Sind die Wünsche der geistlichen Bittsteller befriedig, so geht es an die Laienordination. Vor dem kleinen Ordinationszimmer des Klosters – nachmittags wird nämlich die Ordination nur im Kloster vorgenommen – wartet bereits eine große Menge Hilfesuchender auf ihn. Das anstrengende Geschäft des Vormittags beginnt von neuem. Durch zwei und eine halbe Stunde, bei größerem Andränge auch durch drei Stunden, sitzt Kneipp in einem kleinen Zimmer inmitten der Ärzte in einer Atmosphäre, die fast täglich eines reinigenden Gewitters und größerer Zufuhr erfrischenden Ozons bedürfte.
Um 3 Uhr herum nimmt er seine Jause, bestehend in einer Tasse Malzkaffee, und ladet hiezu die ihn umgebenden Ärzte ein, die auch hier manches treffliche Wort, das er an diesen oder jenen lehrreichen Fall knüpft, aus seinem Munde vernehmen und als gelehrige Schüler sich zunutze zu machen suchen. Manchmal wird die Ordination hernach fortgesetzt. Sonst verwendet Kneipp die nächste Zeit dazu, um seine Krankenbesuche zu machen. Einer der Ärzte begleitet ihn hiebei gewöhnlich.
Welch große Freude ein Patient empfindet, den Kneipp in eigener Person besucht, ist leicht erklärlich, wenn man bedenkt, wie sehr seine Zeit in Anspruch genommen ist. Jede Minute ist ihm ja kostbar. All das hat mit Erbauung des Priester-Curhauses ein Ende gefunden. Pfarrer Kneipp speist jetzt allein im Kloster; nur hohe, geistliche Würdenträger und hochverdiente katholische Priester, wie der berühmte Missionär Ohrwalder, der 10 Jahre lang in der Gefangenschaft des
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Mahdi sich befand, speisen mit ihm. Gegen halb 2 Uhr kehrt er vom Kloster in das Curhaus zurück, um die Sprechstunde von neuem zu beginnen, die meist bis halb 5 Uhr dauert.
11.
Keim Vortrage.*)
„Der Allerhöchste ist's, der die Heilmittel
aus der Erde hervorbringt.“ (Hl. Schrift.)
Um halb 5 Uhr hält er gewöhnlich den von sämtlichen Curgästen sehnlichst erwarteten Vortrag, was bis zum Herbste des Jahres 1890 stets unter freiem Himmel geschah. Die seit Oktober 1890 fertiggestellte Wandelbahn, die durch freiwillige Beiträge von den Bewohnern von Wörishofen und den dort weilenden Curgästen auf Veranlassung des Prinzen Solms-Braunsfeld und des hochw. Herrn Domcapitulars zu St. Stephan in Wien, Graf zur Lippe und des Herrn Franz Grafen Bentzel-Sternau zu dem Zwecke geschaffen wurde, um den Curgästen auch bei schlechter Witterung Gelegenheit zu geben, der nach jeder wie immer lautenden Wasseranwendung von Kneipp vorgeschriebenen Bewegung nachkommen zu können, ermöglicht es den Patienten, sich bei Eintritt ungünstiger Witterung unter das schützende Dach des „Marienganges“ zu flüchten und dort den Worten des Vortragenden zu lauschen, die man bisher bei ungünstiger Witterung hatte entbehren müssen.
Die Wandelbahn ist ein langer, hölzerner, gedeckter Gang von 80 Meter Länge und 4½ Meter Breite, der sich an das untere Badehaus anschließt. In der Mitte ist der Gang zu einem hallenartigen Raum erweitert; in diesem hält Kneipp seine Vorträge. Über der Kanzel, von der Kneipp aus spricht, ist an der Wand eine herrliche Muttergottesstatue angebracht, eine Spende der Fürstin Marie Solms-Braunsfeld. Ob der schönen Marienstatue ward die Wandelbahn „Mariengang“ genannt.
Kneipp hatte bisher von einer rohgezimmerten Kanzel aus, die an der Wand eines Hauses errichtet war, seine
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*) Siehe rückwärts den Aufsatz: „Kneipp und seine Vorträge“.
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Worte an die zahlreich versammelte Zuhörerschaft gerichtet. Zwischen dem Hause, an dem die Kanzel errichtet war, und der zweiten Badeanstalt, waren Reihen von Bänken aufgeschlagen, die lange vor Beginn des Vortrages besetzt waren, um sich für die Zeit des Vortrages ein bequemes Plätzlein zu sichern. Wenn das Wetter halbwegs darnach war, dass die Zuhörer im Freien bleiben konnten und Pfarrer Kneipp nicht durch dringende Geschäfte abgehalten war, fand der Vortrag selbst an Sonn- und Feiertagen statt.
Kneipp spricht dabei immer aus dem Stegreif. Auf dem Wege zum Vortragsplatze weiß er oft selber noch nicht, worüber er sprechen soll. Ein Kraut, das verachtet am Wege sieht, bietet ihm gar oft den Gegenstand für seine halbstündige Rede. Doch sieh da! Es soll wieder anders kommen!
Kaum hat der Pfarrer das Kräutlein gepflückt, so tritt ein Herr an ihn heran mit dem Ersuchen, über den „Katarrh“ zu sprechen. „ Das können wir schon thun“, sagt willfährig der Krankenfreund und lässt das Kräutlein für heute gehen und nimmt zum Gegenstand des Vortrages die Katarrhe.
Sobald das bereits geraume Zeit harrende Publicum Kneipp erblickt hat, bricht ein Beifallssturm los, und das Händeklatschen will kein Ende nehmen, während er seinen Weg durch die versammelte Schar nimmt, die ihm ehrerbietig platzmacht. Kneipp besteigt die Kanzel. Was immer geschäftige Damenhände aus Wiese und Flur und Feld und Wald an lieblichen Blumen zusammenzutragen vermochten, findet sich an derselben als Schmuck. Kneipp hat auch an diesem ganz natürlichen Schmucke seine helle Freude, ist er ja selbst ein echter Sohn der Natur. Alles Unnatürliche ist ihm deswegen fremd und verhasst.
Nun beginnt er den Vortrag, nachdem er sich die Zier seiner Bühne noch einmal besehen. Gespannt lauschen die Zuhörer den überzeugenden, gut gemeinten Worten des Redners. Es sind kernige, zu Herzen dringende Worte, die er an die Versammelten spricht. Nichts hört man da von den „Errungenschaften der modernen Wissenschaft“, nichts von der Kraft der „Göttin Natur“, nichts von der „segenspendenden Allmutter Erde“. Demüthig und bescheiden weist er immer und immer wieder auf denjenigen, von dem jede gute Gabe kommt,
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und manche Thräne entperlt dem menschenfreundlichen Priesterauge aus Dank darüber, dass der Schöpfer so manch unscheinbares Heilkräutlein zu Trost und Linderung des vielgeplagten Menschen erschaffen.
Hat Kneipp seinen Vortrag beendet, so ertönt abermals lautes Beifallsklatschen aus den Reihen der Menge, die eine volle halbe Stunde auf jedes Wort gar emsig gelauscht.
Herr Pfarrer Kneipp gierig früher immer nach dem Vortrage in das erste Badehaus, um dort in eigener Person den Curgästen die Blitzgüsse zu ertheilen. Jetzt werden sie nach dem Vortrage selten mehr verabreicht. Doch kommt es öfters vor, dass Kneipp, um sich ein wenig zu erholen, die Sprechstunde unterbricht und dem einen oder anderen Herrn einen Blitzguss gibt. Das dauerte meist bis 6½, oft auch 6¼ Uhr, obwohl das Abendessen, das er früher wiederum gemeinsam mit den Geistlichen im Kloster einnahm, bereits auf 6¼ Uhr angesetzt war.
Hat er sein Nachtmahl, das er jetzt allein im Kloster einnimmt, genommen, so ist sein Tagewerk noch nicht zu Ende. Bereits haben sich wieder einige an der Klosterpforte eingefunden, um den Pfarrer einige Augenblicke allein für sich in Anspruch nehmen zu können. Im Pfarrhof wiederholt sich dieses Schauspiel von neuem. Freilich kommen um die Abendzeit manche zu ihm, die von ihm selbst dorthin bestellt sind.
Manchmal bespricht er auch abends interessante Fragen, um deren Erklärung der eine oder andere gebeten, so dass er vielleicht erst abends gegen 9 Uhr von der Drangsal der Patienten befreit ist, jedoch in der sicheren Voraussicht, dass am nächsten Tage die gleiche Mühe und Plage seiner warte.
Nach dem Abendessen pflegt er nunmehr fast täglich das Kinderasyl zu besichtigen oder sich mit den kranken Kindern, die er ja so „gern“ hat, zu unterhalten. Manchmal widmet er auch den Priestern im Curhause ein Viertel- oder Halbstündchen zu gemüthlicher Unterhaltung.
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12.
Die Verbreitung der Knripp'schen Cur.
„Nur her die Waffen, her die Wassercur,
Und weg mit allem, allem Giftgenuss.
Drum her mit einer wohlgefüllten Wanne
Und her mit Ober-, Knie- und Rückenguss!“
Von dem erfreulichen Aufschwunge, den die Kneipp'sche Wassercur in der kurzen Zeit ihres Bestandes genommen, zeugen die bereits errichteten, zahlreichen Wasserheilanstalten nach dem System von Pfarrer Kneipp. Eine alphabetische Zusammenstellung derselben, die freilich keinen Anspruch auf erschöpfende Aufzählung aller bis jetzt bestehenden „Kneippanstalten“ macht, möge dem Leser die weite Verbreitung der Kneipp'schen Cur vor Augen führen. Solche Wasserheilanstalten*) gibt es in:
A.
Affoltern in der Schweiz „Zur Arche“; L.A.: Prot. Pfarrer Dr. Egli.
Agram in Kroatien; L.A.: Dr. I. Lobmayr.
Aistersheim, Ob.-Öst.; L.A.: Otto Ebenhecht, pr. Arzt.
Alt-Heide in der Grafschaft Glatz; L.A.: Dr. Monse.
Andelsbuch im Bregenzerwald; L.A.: Dr. König.
Auenhof-Stosir „Das Paradies am Wörthersee“ in Velden, Kärnten; L.: J. Schür.
B.
Baden in Baden; L.A.: Dr. Hirschfeld.
Bergzabern in der Pfalz; L.A.: Dr. Rieber.
Berlin „Naturheilanstalt“, Sebastianstraße.
Berlin „Naturheilbad Reform“, Dachauerstraße.
Betzdorf an der Sieg „Germaniabad“; L.A.: Dr. Euteneuer.
Beyharting bei Rosenheim in Bayern; L.A.: Dr. Vordermayer.
Biberach am Rieß, Württemberg; L.A.: Dr. Schlichte.
Bischofszell „Thurbad“, Thurgau in der Schweiz; L.A.: Wintcrhalter, pr. Arzt.
Voll im badischen Schwarzwalde.
Bonn am Rhein „Hohenzollernbad“; L.A.: Dr. Wilkes.
_____________
*) L.A. – Leitender Arzt; pr. Arzt – praktischer Arzt; L. – Leiter.
S. 37
Bonn „Kaiser Friedrich-Bad“; L.A.: Dr. H. Meyer.
Bottmingen, Schloss bei Basel, Schweiz.
Braunfels an der Lahn; L.: Schunk.
Brixen, Tirol; L.A.: Dr. Otto von Guggenberg.
Bronn bei Kestenholz, Elsaß; L.A.: Dr. Kleinschrod.
Brunnenthal bei München.
C.
Cannstadt, Stuttgart; L.A.: Dr. Bilfinger.
Chemnitz „Von Zimmermann'sche Naturheilanstalt“; L.A.: Dr. Disqué.
Cleve am Niederrhein; L.A.: Dr. Bergmann.
Coburg, Naturheilanstalt.
Crefeld „Victoriabad“; L.A.: Dr. Schmitz.
D.
Dansville, Liv. Co. New York, N. Am.; L.: Pfarrer Räuber.
Deggendorf „Naturheilanstalt Wittelsbach“; L.A.: Dr. Lust.
Detroit, Michigan, N.-Amerika; L.: Hydropath Jos. Kuehnel.
Donaueschingen; L.A.: Dr. Gutmann.
Donauthal, Sigmaringen; L.A.: Dr. Siebenrock.
Düsseldorf; L.A.: Dr. Val. Schulz.
Dußnang in der Schweiz.
E.
Elberfeld; L.A.: Dr. Götte.
Elspe, Lennethal, R. B. Arnsberg: L.A.: Dr. Parnemann.
F.
Frankfurt am Main; L.A.: Dr. Miggemann.
Freiburg im Breisgau; L.A.: Dr. von Langsdorfs.
Freiburg im Breisgau; L.A.: Dr. Edinger.
G.
Gallspach, Ob.-Öst.; L.A.: Dr. Zadny, pr. Arzt.
Geyer im Erzgebirge.
Grätsch bei Meran „Kneipp-Curanstalt“; L.A.: Dr. Ladurner.
Graz, Steiermark; L.A.: Dr. Großbauer.
Gries bei Bozen, Tirol.
Groze bei Metz.
Grünsthal in Coburg.
S. 38
H.
Hals bei Passau „Bavaria-Bad“; L.A.: Dr. H a r t l .
Heiligenbronn in Württemberg.
Hohenwies-Tölz, Ober-Bayern; L.A.: Dr. W. List.
Hornegg, Schloss bei Gundelsheim am Neckar; L.A.: Dr. Katz.
I.
Ilmenau in Thüringen; L.A.: Dr. Hassenstein.
Immenstadt „Friedrichsbad“ im bayr. Hochgebirge; L.A.: Dr. Uhereck.
Imnau in Hohenzollern; L.A.: Dr. Wern.
Jordansbad [Jordanbad] bei Biberach in Württemberg; L.A.: Dr. Stützte.
Kassel „Curbadeanstalt“.
Kaufbeuren im Allgäu.
Kempten im Allgäu.
K.
Kochelsee am Kochel im bayr. Hochgebirge; L.A.: Dr. J. Benecke.
Krummbad bei Krummbach, Schwaben; L.A.: Dr. Kremer.
Küßnacht am Vierwaldstättersee; L.A.: Dr. Aufdermauer.
Kylburg, Eisel; L.A.: Dr. Neu.
Köln; L.A.: Dr. H. Meyer.
L.
Lippspringe bei Paderborn; L.A.: Dr. Dierkes.
Lessy in Lothringen.
M.
Mariabrunn bei Dachau; L.A.: Dr. Thiermann.
Mariabrunn bei Röhrmoos; L.A.: Liszt, pr. Arzt.
Memmingen in Schwaben.
Meran „Erste Kneipp'sche Heilanstalt; L.A.: Dr. K. Maenner.
Meran „Thalysia“; L.A.: Dr. Ladurner.
Mergentheim „Karlsbad“ in Württemberg; L.A.: Dr. Herschel.
Mergentheim „Sanatorium“; L.A.: Dr. Stühle.
Mindelheim „Mayenbad“; L.: [Adolf] Boneberger.
Mondsee, Oberösterreich; L.A.: Dr. Födinger.
Montabaur in Nassau; L.A.: Dr. Düttmann.
München „Centralbad“; L.A.: Dr. Möser.
S. 39
München „Neuwörishofen“, Volksbad.
München „Stadt Sedan“; L.A.: Dr. Möser.
N.
Neuhaus, Schloss bei Geinberg, Oberösterreich.
Neustadt-Waiblingen bei Stuttgart.
Niederthalheim, Oberösterreich; L.A.: Dr. Knöpl, pr. Arzt.
Niederwalluf im Rheingau; L.A.: Dr. Soh.
Nürnberg „Ottobad“.
O.
Obereula bei Deutschenbora.
Oybin in Sachsen; L.A.: Dr. Moschkan.
P.
Paderborn; L.A.: Dr. Dierkes.
Pfersee in Augsburg.
Pflochsbach bei Lohr am Main „St. Josephshort“.
Pfloßdorf am Main bei Lohr; L.A.: Dr. Löser.
Planegg in Bayern; L.A.: Dr. E. Kugler.
Pletlbad zu Wartenberg, Oberbayern; L.A.: Dr. A. Selmair.
Pulgarn an der Donau.
Prag.
Pullach im Isarthal; L.A.: Dr. Möser.
R.
Rebstein, Burg im Kanton St. Gallen; L.A.: Dr. Blatter.
Riesenhof bei Linz, Oberösterreich; L.A.: Dr. Winternitz.
Rimnau in Südböhmen; L.A.: Dr. Weser.
Riva am Gardasee; L.A.: Dr. Ch. von Hartungen.
Röhndorf a.d.R. „Marienbad“; L.A.: Dr. Steinhausen.
Rosenheim „Kaiserbad“; L.A.: Dr. Bernhuber.
S.
Säckingen a. Rhein; L.A.: Knoderer, Pr. Arzt.
Schachen bei Lindau.
Schärding in Oberösterreich; L.A.: Otto Ebenhecht, Pr. Arzt.
Schönthal bei Neustadt a.d. Hardt; L.A.: Dr. Hafen.
Schongau bei München „Johannisbad“; L.A.: Dr. Walser.
Schongau im bayr. Oberland „Johannisbad“; L.A.: Dr. Herzberg.
Schwanenstadt, Oberösterreich; L.A.: Fr. Puchner, Pr. Arzt.
S. 40
Seligenstadt a.M., Hessen; L.A.: Dr. Kleeblatt.
Sommerstein in Thüringen; L.: Ferd. Liskow.
Stans bei Schwaz, Tirol.
Stein in Krain, Österreich.
St. Pölten, Niederösterreich; L.A.: Dr. Senefelder.
Straßburg; L.A.: J. Kaiser.
Stühlingen, Baden; L.A.: Berberich, pr. Arzt.
Sulz am Peissenberge, bayr. Hochland.; L.A.: Dr. Thiermann.
Stuttgart „Naturheilanstalt“; L.A.: Dr. Bilfinger.
T.
Telfs in Nordtirol; L.A.: Dr. Waldhart.
Thannhausen a.d. Mindel; L.: Josef Bosch.
Tölz in Oberbayern; L.A.: Dr. List.
Traunstein, Oberbayern; L.A.: Dr. Wolf.
Trier; L.A.: Dr. Neu.
U.
Ueberlingen am Bodensee; L.A.: Dr. Kupferschmied.
V.
Veitshöchheim bei Würzburg; L.A.: Dr. Löser.
W.
Walchwyl am Zugersee; L.A.: Dr. Hediger.
Waldürn im bad. Odenwald; L.A.: Dr. Eckert.
Walkenstein in Niederösterreich; L.A.: Dr. Wetchy
Wallerstein, Bayern, „Bad Josephinum“; L.A.: Dr. Bahr.
Wasserburg am Inn „St.Achatz“, städtische Curanstalt; L.A.: Dr. Walser.
Weinheim an der Bergstraße, Baden; L.A.: Dr. Karillon.
Westheim bei Augsburg.
Wien, Singerstraße 7; L.A.: Dr. Lud. König.
Wien „Erste Wienerheilanstalt Brünnlbad“; L.A.: Dr. Schmid.
Wiesbaden; L.A.: Dr. Loh.
Windhaag, Oberösterreich; L.A.: Sigm. Lehr, pr. Arzt.
Wörishofen; L.: Ludwig Geromiller; L: Fidel Kreuzer.
Würzburg „Kneipp-Vereinsbad“; L.A.: Dr. Strauch.
Würzburg; L.A.: Dr. Frühling.
S. 41
Z.
Ziegenhals in Schlesien „Franzensbad“; L.A.: Dr. S a p p e l t .
Ziegenhals in Schlesien „Wilhelmsbad“; L.: Kirchner.
Aber damit ist die Liste der Kneipp'schen Wasserheilanstalten keineswegs erschöpft. Noch immer tauchen neue Kaltwasserheilanstalten auf. Nicht selten wenden sich größere Orte an Pfarrer Kneipp mit der Bitte, er möge ihnen einen kneippisch geschulten Arzt senden. Leider ist Kneipp noch nicht in der Lage, diesem Ansuchen immer entsprechen zu können.
Oberösterreich kann sich unter allen Kronländern Österreichs rühmen, dem Kneipp'schen Heilverfahren eine größere Verbreitung verschafft zu haben, sind ja während eines halben Jahres auf oberösterreichischem Boden nicht weniger als ein halbes Dutzend „Kneippanstalten“ erstanden.
Am 15. September des Jahres 1890 hatte Herr Otto Ebenhecht, prakt. Arzt in Aistersheim bei Haag am Hausruck, eine solche Anstalt errichtet. Im Jahre 1891 übertrug derselbe seine Anstalt nach der Stadt Schärding im Innkreis. Ihm folgten mit der Eröffnung Kneipp'scher Wasserheilanstalten:
Dr. Knöpl zu Niederthalheim, prakt. Arzt Sigmund Lehr zu Windhaag, prakt. Arzt Fr. Zadny zu Gallspach (Bezirk Wels), Prakt. Arzt Fr. Puchner zu Schwanenstadt, Dr. Winter auf Schloss Neuhaus bei Geinberg. Auch die Kneipp'sche Wasserheilanstalt am Riesenhof bei Linz, ihrem Alter nach die erste Wasserheilanstalt Oberösterreichs, die unter der Leitung des Herrn Dr. Winternitz steht, inseriert als „von Kneipp bestens empfohlen.“
In Pulgarn a.d.D. können gleichfalls nach Kneipp'scher Manier Bäder und sonstige Wasseranwendungen genommen werden. Der Aufschwung der nach Kneipp'schem System eingerichteten Wasserheilanstalten übt freilich auf die anderen Bäder einen nachtheiligen Einfluss aus. Man sucht daher für die im Niedergange begriffenen Bäder entweder Ärzte, die die Wassercur von Pfarrer Kneipp selbst erlernt haben, oder trägt Herrn Pfarrer Kneipp die bedrohten Bäder zum Kaufe an. So ward anfangs September 1890 Herrn Pfarrer Kneipp das Sanatorium des bekannten Dr. Schweninger, des Leibarztes Bismarcks, zum Kaufe angeboten. Aber auf solche Anerbieten geht Kneipp nie ein.
_____________
S. 42
13.
Wörishofen – kein Luxusbad.
„Fern von der Neuzeit eisernen Spur,
Von der Habsucht rastlosem Jagen
Liegt ein Ort, wo die heimatliche Natur
Ihr Lager aufgeschlagen.“
Wie Kneipp nur aus reiner Liebe zur leidenden Menschheit die ungeheure Last auf sich genommen, so will er auch seine Wirksamkeit in Wörishofen nicht dazu benützen lassen, die daselbst weilenden Curgäste auszubeuten. Er will ganz und gar ein Rathgeber und Helfer der Armen sein. Seine herzliche Liebe zu den Armen, seine Opferfreudigkeit und Uneigennützigkeit bewegen ihn dazu. Er ist den Armen und dem gewöhnlichen Volke so zugethan, weil er selbst aus demselben hervorgegangen ist.
Oft und oft hört man ihn sagen: „Mein Vater war ein armer Mann und ich selbst ein armer Weber. Den Bettelsack habe ich zwar nie getragen, aber ich bin hart daran geboren“. Er nennt sich daher mit Vorliebe „ein Kind aus dem Volke“. Zu ihm soll daher auch jeder, und sei er auch der Ärmste, kommen können. Das arme, schwer arbeitende Volk, das sich kaum das zum Lebensunterhalt Nöthige durch schwere Händearbeit erwirbt, ist nicht imstande, einen Specialarzt oder sonst einen berühmten Arzt der Hauptstadt um Rath anzugehen.
Für einmaligen ärztlichen Rath fünf oder zehn Gulden, zehn oder zwanzig Mark zu zahlen, übersteigt die Leistungsfähigkeit des Geldbeutels eines armen Mannes und zwar umso mehr, da derselbe ohnehin meist an Schwindsucht leidet und der arme Mann, besonders wenn er eine Familie zu versorgen hat, zehnmal seine wenigen Kreuzer in der Hand herumdreht, ehe er sie ausgibt, und sich den Kopf zerbricht, welcher von den nothwendigsten Auslagen die wenig blutig verdienten Kreuzer geopfert werden sollen. Solchen, deren Wiege neben gefüllten Geldsäcken gestanden, ist es freilich infolge ihrer günstigen Vermögensverhältnisse erlaubt, zur Heilung ihrer Krankheiten Bäder aufzusuchen, in denen sich die vornehme Welt, Kranke und krank sein Wollende aus den oberen Zehntausend ein „Stelldichein“ geben und bei lustigen Curmusiken, schattigen Promenaden, kurzweiligen Theatern
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und seichter Lektüre einige Monate todtschlagen, die sie sonst irgendwo auf dem Lande „in der Sommerfrische“ zugebracht hätten.
Diese hohen Anforderungen, die moderne Bäder und Specialisten an den Geldbeutel des armen Mannes stellen, sind für den gemeinen Mann eine unübersteigbare Mauer. Doch in Wörishofen hat er seinen theilnehmenden Freund gefunden, der selbst aus Erfahrung weiß, was es heißt, arm und krank zu sein. Dorthin geht er; er frägt um Rath, bekommt denselben und zahlt nichts dafür. Ein herzliches „Vergelts Gott“ ist dem schlichten Pfarrer übergenügender Lohn.
Jede wie immer geartete Ausbeutung der Curgäste ist ihm verhasst. Mit Entrüstung wies er daher eines Nachmittags die Zumuthung eines deutschen Arztes, die Leute sich dadurch vom Halse zu schaffen, dass er für jede Consultation zehn oder zwanzig Mark begehren solle, als eines Christen unwürdig zurück. Juden, die aus dem Unglücke ihrer christlichen Mitbürger Capital schlagen, mag derartiges anstehen, nie und nimmer aber Christen, meinte der edle Krankenfreund.
Alles, was irgendwie den Aufenthalt in Wörishofen vertheilen könnte, verschmäht er. Ansuchen, die man an ihn zum Baue von Hotels oder großen Wohnungshäusern noch vor einigen Jahren gestellt hatte, wurden aus diesem Grunde abschlägig beschicken; denn eine Erhöhung der Wohnungs- und Speisepreise bringt derartiges immer mit sich.
Für das Nothwendigste hat Kneipp ohnehin aus eigenen Mitteln gesorgt. So hat er die beiden Badehäuser erbauen lassen. Auch hat er zur Erbauung der Wandelbahn viel beigetragen. Diese setzt bekanntlich die Curgäste in die angenehme Lage, selbst bei schlechter Witterung die nach jeder Wasseranwendung nöthige Bewegung machen zu können; denn im ersten Stockwerke der Häuser (ein zweites haben sie in der Regel ohnehin nicht) einen Spaziergang zu machen, ist, wie böse Zungen meinen, vielfach nicht rathsam; denn, wandelt ein halbwegs corpulenter Badegast gemächlich in seinem im ersten Stocke gelegenen Zimmer auf und ab, so laufen bei der sothanen Bauart der Schwabenhäuschen die zur ebenen Erde Wohnenden Gefahr, den Lustwandler samt der Zimmerdecke
S. 44
auf den Kopf zu bekommen und als Gast in ihrem eigenen beherbergen zu müssen!?
Dagegen sind in Wörishofen keine Raubpreise für Wohnungen in Geltung. Sieht man sich nach denselben um, so muss man gestehen, dass dieselben nicht zu hoch gegriffen sind. Siebzig bis achtzig Pfennige pro Tag für ein Zimmer, das man mit einem anderen theilt, oder eine Mark für ein separates, scheint zwar anfangs für das Schwabendörfchen ein verhältnismäßig hoher Preis, aber bei dem ungeheuren Andrange von Curgästen ist er immerhin leidlich; denn würden die Wörishofner nocheinmal soviel begehren, so blieben ihre Wohnungen gewiss auch nicht leer stehen. Es fänden sich noch immer Leute genug, die lieber diese erhöhten Preise zahlten, um in Wörishofen ein Quartier zu erhalten, als wegen der daselbst herrschenden Wohnungsnoth in den umliegenden Orten, wie Türkheim, Schöneschach, Kirchdorf, Gammenried, Ober- und Unter-Rammingen, Dorschhausen, Stockheim, Mindelheim zu wohnen und von dort wöchentlich einmal nach Wörishofen zur Ordination zu pilgern und wegen der Entfernung des Wohnortes vielfach der Vorträge des Herrn Pfarrers verlustig zu gehen.
Der Mangel an Wohnungen war eben für den ungefähr tausend Einwohner zählenden Curort noch bis vor kurzem ein von den Curgästen bitter empfundenes Übel. In sämtlichen Häusern des Dorfes hatten früher nur bei sechshundert Fremde Platz. Schon oft ließen sich daher Stimmen zur Behebung dieses Übels vernehmen. Doch einer energischen Abhilfe stand bisher die Unsicherheit der Zukunft entgegen. „Wie lange wird der Herr Pfarrer noch leben? Was wird dann aus Wörishofen werden?“
Gerade diese unsichere Zukunft war es, was die Bewohner Wörishofens lange Zeit abhielt, große Wohnhäuser zu erbauen, großartige Parkanlagen zu schaffen. Am guten Willen der Wörishofner fehlte es nicht. Den Wünschen der Curgäste suchten sie stets nach bestem Können nachzukommen. Mit jedem, auch dem geringsten Plätzchen nehmen die Kurgäste, selbst die vornehmeren Standes, vorlieb. Gar mancher hohe Herr, der zuhause eine ganze Flucht von Prachtgemächern seine Wohnung nennt, begnügt sich da mit dem
S. 45
bescheidenen Dachstübchen eines Schwabenhäuschens. Sie wissen eben, dass man nicht nach Wörishofen gehen dürfe, um die Bequemlichkeit und den Comfort eines modernen Luxusbades zu genießen. Die Kranken, die dorthin kommen, sind ohnehin meist so elend, dass sie auf alle modernen, der Vergnügungssucht der vornehmen Classen Rechnung tragenden Genüsse gerne verzichten, um wieder zu ihrer Gesundheit zu gelangen.
14.
Der Welt Lohn.
„Der Maulwurf hört in seinem Loch
Ein Lerchenlied erklingen
Und spricht: Wie sinnlos ist es doch
Zu fliegen und zu singen.“
Wörishofen ist in mancher Beziehung ein Armenbad. Auch Ärmeren ist es möglich, dort doch eine Woche oder wenigstens einige Tage zu verweilen. Kneipp selbst gibt Geldbeträge zur Unterstützung armer Curgäste. So verabreichte er einem armen Mädchen, das wegen Geldmangel in die Heimat hätte abreisen müssen, 25 Mark, damit es die Cur noch weiter fortsetzen konnte. Einem armen, aus dem Spital entlassenen Manne zahlte er die Wohnung für acht Tage.
Was er nebenbei unter vier Augen an die Armen verschenkt, das weiß natürlich nur der Vater der Armen, der über den Sternen thront.
Aber trotz aller Wolthätigkeit, trotz seiner fast übermenschlichen Arbeitskraft werden vielfach thörichte und alberne Lügen über ihn von boshaften Neidern in die Welt hinausgestreut. Kneipp, heißt es, wolle zwar andere die Regeln einer vernünftigen Lebensweise lehren, selbst aber kehre er sich nicht im mindesten daran. „Nichts als pure Lüge und Verleumdung“ muss man entgegnen. „Mit Kneipp heißt es nicht viel“ ruft ein zweiter; „andere will er kein Bi er trinken lassen, und selbst trinkt er täglich drei Maß.“ Als sich mir gegenüber jemand allen Ernstes so äußerte, musste ich herzlich lachen; denn Kneipp und drei Maß Bier täglich, wie reimt sich das zusammen? Pfarrer Kneipp trinkt nämlich äußerst wenig und dann fast nur Wasser. Bier hat er oft schon
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während eines ganzen Jahres keine „Halbe“ getrunken. Anderseits ist er aber kein so strenger Puritaner, dass er nicht hin und wieder seinen Patienten ein Krüglein Bier oder ein Gläschen Wein vergönnen würde. Und doch thut er das, was er anderen erlaubt, vielfach selbst nicht. Dadurch zeigt er sich wieder im günstigsten Lichte. „Strenge gegen sich selbst, nachsichtig und mild gegen die anderen“, das lobe ich mir, wird jeder charakterfeste Mann sagen.
Doch nicht genug, dass man die abgeschmacktesten Witze und Worte über diesen Menschenfreund in die Welt hinausverbreitete; man verspottete ihn auch im Bilde. Carricaturen und Postkarten, die seine Person zu verhöhnen suchten, wurden selbst in Wörishofen feilgehalten. Allein, der Takt der Curgäste machte diesem Treiben ein jähes Ende. Man beschloss, niemandem etwas abzukaufen, der auch nur einen Gegenstand mit dem leisesten Spott auf Pfarrer Kneipp in Wort und Bild anzubieten wage. Den Herrn Pfarrer schmerzte das gewinnsüchtige, feindselige Vorgehen tief. Diese Kränkungen sowie der Umstand, dass sein Name oft in der eigennützigsten Weise missbraucht wurde, brachten ihn zum Entschlüsse, seinen Zuhörern am 1. September 1891 mitzutheilen, dass er seine Vorträge obiger Gründe wegen einstellen werde. Das war ein harter Schlag für die Curgäste. Doch diese wollten sich auf keinen Fall derselben berauben lassen. Da am nächsten Morgen verlautete, dem Herrn Pfarrer seien durch Verbreitung von Karten und Pamphlets neue Beleidigungen zugefügt worden, so erließen rasch mehrere Personen einen Aufruf an alle Curgäste, sich nachmittags 4 Uhr zu einer Besprechung in der Wandelbahn einzufinden. Man einigte sich dortselbst dahin, dem Herrn Pfarrer durch eine Deputation eine Dankadresse und ein Bittgesuch um Fortsetzung der Vorträge überreichen zu lassen. Zudem sollte Kneipp sofort mündlich um Wiederaufnahme seiner Vorträge ersucht werden. Und sogleich brach die Versammlung auf, und der imposante Zug bewegte sich nach dem Pfarrhofe, um dem Pfarrer zu huldigen und ihn alsogleich umzustimmen. Da man ihn im Pfarrhause nicht traf, zog man zum Kloster. Die Deputation verfügte sich ins Kloster; Kneipp jedoch erklärte, so betrübt zu sein, dass er sie nicht empfangen könne. Noch am selben
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Abende ward dann die Dank- und Bittadresse abgefasst; am nächsten Tage wurden in der Wandelbahn und in den Badeanstalten von Geromiller und Kreuzer Subscriptionsbogen aufgelegt. Den 7. September nachmittags ward die Adresse dem Herrn Pfarrer überreicht. Sie zählte 834 Unterschriften.
Kneipp ward in ihr gebeten, wie bisher belehrende Worte an die Curgäste zu sprechen; „denn seine Worte sind“, wie die Adresse besagt, ,vielen eine Belehrung, den meisten ein Trost, allen aber eine Labsal“, solch innigen Bitten konnte Kneipps mildes Herz nicht widerstehen. Der gute Herr versprach die Fortsetzung seiner Vorträge – die Curgäste hatten ihr Ziel errreicht.
Und wenn man hie und da noch über Kneipp und seine Cur sich lustig macht, gedenkt wohl mancher der Verse, die einer gegen die Kneippverächter schrieb:
„Es schmähen die Leute wohl manchesmal,
Was sie mit Nichten verstehen;
Ich jauchze und singe, mir ist es egal
Und lasse die M a ul w ü r f e gehen.“
An dieser Stelle sei auch eines Ereignisses gedacht, das in den Sommermonaten des Jahres 1891 so großes Aufsehen in den Blättern machte und zu zahlreichen Anfeindungen und Verleumdungen Kneipps Anlass gab: es ist der Prozess Schneider. Der Fall, um den es sich handelt, war folgender: Ein gewisser Kaufmann Schneider aus München, welcher sich in Wörishofen Kuneipp'schen Güssen unterzogen hatte, wurde kurz nachher von epileptischen Anfällen heimgesucht, zur Behandlung auf die Universitätsklinik in München und hernach in das dortige Irrenhaus gebracht. Die Frau des Kaufmannes Schneider verlangte nun von Pfarrer Kneipp eine Entschädigung. Da derselbe eine solche zu zahlen sich weigerte, machte sie eine Klage auf fahrlässige Körperverletzung anhängig. Viele Feinde jubelten, dass nun Kneipps und der Wassercur Ende kommen werde. Doch der Jubel war verfrüht; denn nach der Ansicht des berühmten Psychiaters und Leiters des ersten irren ärztlichen Institutes in Bayern, des Herrn Professors Dr. Grashey, der den Kranken etwa drei Monate lang behandelt hatte, war Kaufmann Schneider bereits, bevor er nach Wörishosen kam, paralytisch (d. h.
S. 48
in einem durch Gehirnschlag verursachten Lähmungszustand befindlich) gewesen und wäre es seiner Ansicht nach geradezu frivol, zu behaupten, dass die Krankheit, die thatsächlich schon vor 2 Jahren ihren Anfang genommen, erst durch die Cur in Wörishofen verursacht worden sei. Schneiders Krankheit war eben im Vorjahre schon so weit fortgeschritten, dass ihn auch die durchaus zweckentsprechende Behandlung Kneipps nicht mehr zu retten vermochte. Auf Grund der abgegebenen sachverständigen Gutachten wurde Pfarrer Kneipp von der Anklage fahrlässiger Körperverletzung am 11. August 1891 von der Strafkammer des königlichen Landgerichtes Memmingen freigesprochen. Die Kosten des Prozess-Verfahrens trug die bayrische Staatskasse.
Wie man gegen Kneipp vorgegangen ist, um die Patienten von ihm abzuhalten, sind folgende zwei Fälle charakteristisch. Plötzlich hieß es in einem Blatte, Pfarrer Kneipp sei todt; es wäre mithin umsonst, noch fernerhin nach Wörishofen zu reisen. Die Lüge hielt sich jedoch nicht lange. Pfarrer Kneipp lebte und lebt noch, obwohl man ihn schon mehrmals sterben ließ. Damals fühlte sich einer seiner Verehrer veranlasst, an ihn zu schreiben:
„Schon einmal warst du todt gesagt;
Mög' sich der Spruch bewähren:
Ein solcher lebt noch viele Jahr'
Recht fröhlich und in Ehren.“
Ein anderesmal wieder rief man verleumderisch unter das Volk hinaus, niemand werde mehr zu Pfarrer Kneipp zugelassen, weil ihm der Bischof von Augsburg verboten habe, sich weiterhin mit der Heilung von Personen abzugeben. Auch das war eine böswillig ersonnene Finte, um die Leute von Kneipp und Wörishofen abzubringen.
___________________
15.
Wörishofens Aufschwung.
Klein und bescheiden waren die Anfänge, aus denen das unscheinbare Wörishofen zu einem Welteurorte erwuchs. Das Jahr 1886 hatte Kneipps Namen der Welt bekannt gemacht.
S. 49
Am Ende dieses Jahres war es ja, dass der schlichte Dorfpfarrer sein aufsehenerregendes Buch: „Meine Wassercur“ zur Belehrung für Gesunde und Kranke in alle Länder deutscher Zunge hinaussandte. Im nächsten Jahre 1887 fand sich zum erstenmale eine kleine Anzahl von Priestern und Laien zum Wassercurgebrauche in Wörishofen ein; Pfarrhof, Kloster und etliche Privathäuser gewährten den Hilfesuchenden Unterkunft; die Waschküche des Pfarrhofes war der Ort, an welchem den Curgästen die ersten Güsse und sonstige Wasseranwendungen verabreicht wurden.
Im folgenden Jahre mehrte sich die Zahl der Curgäste zusehends, weshalb Kneipp ein hölzernes Badehaus errichten ließ. Kein Wunder! Denn Kneipps Buch hatte reißenden Absatz gefunden; nicht weniger als fünf Auflagen waren seit den zwei Jahren des Erscheinens des Buches in rascher Aufeinanderfolge erstanden; 30.000 Exemplare waren bereits nach allen Gegenden Deutschlands und Oesterreichs hinausgewandert und predigten dort die Lehre des neu auftauchenden Wasserapostels. Gierig griff die leidende Menschheit nach dem Buche, das Heilung und Rettung versprach. Und als die Kunde von den glücklichen Heilungen, die in Wörishofen geschehen waren, immer mehr unter die Leute drang, als man an vielen von den Aerzten bereits Aufgegebenen die geradezu wunderbaren Erfolge der Wasiercur wahrnahm, da säumten viele Leidende nicht länger, das vermisste Gut unschätzbarer Gesundheit in Wörishofen wiederzufinden. Während im Jahre 1888 die Zahl der Curgäste noch zwischen 200 und 400 schwankte, war sie im folgenden Jahre 1889 bereits auf das Vierfache gestiegen: Wörishofen zählte bereits 1000 - 1200 Curgäste.
Dem großen Andränge von Patienten genügten nun selbst Pfarrhofwaschküche und Badehaus nicht mehr; Kneipp schritt daher gleich im Frühlinge des Jahres 1890 zum Baue eines steinernen Badehauses, das den Curgästen die Annehmlichkeit bot, die Wasseranwendungen im Winter in einem geheizten Raume vornehmen zu können.
Doch schon in kurzer Zeit erwiesen sich sämtliche Baderäumlichkeiten als unzulänglich. Mit Freuden begrüßte man daher die Errichtung der beiden Privatbadeanstalten der Herren Ludwig Geromiller und Fidel Kreuzer.
S. 50
Einen weiteren, bedeutenden Schritt für Wörishofens Aufblühen bedeutet der Ende Oktober 1889 gegründete „Verschönerungsverein“. Hat derselbe auch während seines Bestandes keine großartigen Leistungen aufzuweisen, so haben doch die Curgäste gerade seinem Wirken es zu verdanken, dass der Aufenthalt in Wörishofen bequemer und erträglicher gemacht wurde.
Kaum war ein Jahr vergangen, als eine neue, wolthätig wirkende Einrichtung, der „Kneipp-Verein“' ins Leben trat.
Derselbe wurde nämlich am 14. Dezember 1890 auf Veranlassung des Herrn Ludwig Auer, Directors des Cassianeums zu Donauwörth, gegründet und stand anfangs unter Leitung des Herrn Directors Auer, des Badearztes Herrn Dr . Kleinschrod [(*1860, †1934)] und des Herrn Zapf. Bei der ersten Generalversammlung am 15. September 1891 ging die Vorstandschaft an Herrn Pfarrer Stückle von Mindelau als Vorstand und an die Herren Ludwig Geromiller und Fidel Kreuzer über. Pfarrer Kneipp selbst ward zum „lebenslänglichen Ehrenpräsidenten“ des Kneipp-Vereines ernannt. Der Verein zeigte bereits in der Wiege große Lebenskraft; denn schon ein Monat nach seiner Gründung erschien die erste Nummer des Vereinsorganes, betitelt: „Kneipp-Blätter, Zeitschrift für arzneilose Heilmethode und naturgemäße Lebensweise, zugleich offizielles Organ des Kneipp-Vereines in Wörishofen“.
Der stillbescheidenen, rastlosen Thätigkeit dieses Vereines verdanken die Curgäste viele zweckdienliche Einrichtungen und die Abstellung mancher peinlicher Unzukömmlichkeiten. Zur Bequemlichkeit des Curpublicums ward ein eigenes Kneipp-Bureau im Hause Nr. 33 in der Nähe des Gasthauses „zum Rössle“, eingerichtet, das später in das Haus Nr. 100, dem Kloster gegenüber, übertragen wurde. Diesem Vereine hat man es zu danken, dass endlich einmal eine geregelte Curordnung zustande kam, die die Interessen des Herrn Pfarrers, der Curgäste und der Gemeinde wahren sollte. Der Zutritt der Kranken zu den Ordinationen sollte geregelt, geordnet und beschränkt und die Jagd auf den Herrn Pfarrer „auf Tritt und Schritt, auf allen Wegen und Stegen“ sollte abgestellt werden. Das hoffte man durch pünktliche Anmeldung der Curgäste, durch Vertheilung von Nummern, die zum Eintritt
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in das Ordinationszimmer berechtigten, zu erzielen. Die Curgäste wollte man durch Herstellung guter Wege, Beistellung von Fahrgelegenheiten, Schaffung günstiger Wohnungs-Verhältnisse und geregelter Preise, Verabreichung gesunder, billiger Speisen und Getränke zufriedenstellen. Alle mit ekelhaften oder ansteckenden Krankheiten behafteten Curgäste sollten sorgfältig abgesondert und unter genaue Beobachtung gestellt werden. Jedem Curgäste sollte endlich Gelegenheit geboten werden, seinen Krankheitszustand ungeniert dem Herrn Pfarrer mittheilen zu können. Eine geregelte Curtaxe sollte eingeführt werden. In moralischer Hinsicht sollte das Schamgefühl möglichst geschont und darüber strenge gewacht werden. Diesem Bestreben entsprang das Verbot, im Dorfbache herumzuwaten; desgleichen sollten Herren und Damen nicht gemeinsam im Grase barfuß laufen. Für die Gemeinde aber sollte auch die geringste Gefahr der Ansteckung vermieden werden.
Der Kneipp-Verein zählt gegenwärtig über 1800 Mitglieder. Kneipp-Vereine ähnlicher Art haben sich weiters gebildet in Augsburg, Barmen, Berlin, Crefeld, Henndorf, Innsbruck, München, Neisse, Nürnberg, Prag, Säckingen, Wien, Würzburg und anderen Orten.
Im Juli 1891 wurde das von Kneipp erbaute Priester-Curhaus eröffnet, das 80 Priestern Unterkunft zu bieten imstande ist. Der 26. November desselben Jahres brachte die Eröffnung der zweiten, mit einer heizbaren Wandelhalle versehenen, schönen und geräumigen Geromiller'schen Badeanstalt.
Wörishofen zählt gegenwärtig über 200 bewohnte Gebäude und kann über 2000 Betten zur Verfügung stellen. Das Schwabendorf hat acht Gasthäuser, darunter vier einheimische; zwei gewöhnlichere: „zum Rössle“ und zur Sonne“ und zwei vornehmere: die beiden Haggemiller'schen Restaurationen „zum Adler“ und „zum deutschen Kaiser“; und vier neuere: das „Curhotel Urban“, 1891 eröffnet, mit großen städtischen Speisesälen, schönen Fremdenzimmern und dementsprechenden Preisen; das Restaurant „zur Stadt München“; Lage, Einrichtung und Preise machen demselben alle Ehre; das Speisehaus des Herrn Trautwein, das gewöhnliche Speisehaus der Laien, und ein Restaurant vornehmlich für Franzosen und Engländer mit „on parle français“ und „English spoken“.
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Der Mai des Jahres 1892 sah wiederum eine schöne, neue Badeanstalt erstehen, die zweite des Herrn Fidel Kreuzer, die mit Wohnungsräumlichkeiten reichlich versehen ist und einen schönen Glassalon besitzt. Die Frau des Besitzers hörte ich von Pfarrer Kneipp oft als sehr brave Frau rühmen, die für die Kranken in Wörishofen mehr gesorgt hat als sonst jemand. Wenn Eltern ein krankes Kind brachten, wies sie Kneipp fast jedesmal an diese Frau. Wörishofen besitzt gegenwärtig 12 Häuser, in denen Güsse ertheilt werden und zwar zwei bei Geromiller, zwei bei Kreuzer, zwei bei der Wandelbahn „Mariengang“, je eine Badehütte bei der oberen und unteren Mühle; ferners werden Güsse ertheilt im Priestercurhaus, bei Urban, in der Villa Schmied und in der Pfarrhofwaschküche. Um ganz Wörishofen genügend mit Wasser zu versorgen, wird eine passende Wasserleitung gebaut, deren Kosten auf 47.000 Mark veranschlagt sind, aber die angesetzte Summe weit überschreiten dürften. Was die Preise der Güsse anbelangt, sind nunmehr folgende in Geltung. Für gewöhnliche Güsse zahlt man 15 Pfennige, für Blitz- und Vollgüsse sowie Halbbäder 25 Pfennige. Das Wochenabonnement beträgt 2 Mark, mit einer Ankleidecabine 3 Mark.
Auskunft über die Quartiere ertheilen gegenwärtig die vier Quartiermacher: Gastl, Klaus, Vegerle und Vogt. Mit dem großen Fremdenandrange hat sich natürlich auch eine Erhöhung der Wohnpreise geltend gemacht. Im Jahre 1892 waren folgende Preise in Geltung: Für ein separates Zimmer zahlte man 1 - 3 Mark, je nach der Lage und Einrichtung desselben. Doch erhielt man auch, besonders vor Beginn oder nach Schluss der Hochsaison, Zimmer für eine Person zum Preise von weniger als einer Mark. Für Zimmer zu mehreren Betten bezahlte man Preise von 50 Pf. bis 1 M. 50 Pf. Im Curhotel gibt es alleinstehende Zimmer zu 3 M.; solche für mehrere Personen zu 3 bis 7 M. Von der großartigen Frequenz, deren sich Wörishofen erfreut, kann man sich einen Begriff machen, wenn man erfährt, dass vom 1. Mä rz 1891 bis 30. November 1892 nicht weniger als 23.330 Curgäste Wörishofen besuchten. Vom 1. Jänner 1892 bis 31. December 1892 wurden 12.108 OrdiNationsbüchlein
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ausgegeben; die Zahl der Curgäste übersteigt aber weit diese Zahl, weil nicht selten ganze Familien nur ein einziges Ordinationsbüchlein für mehrere Familienglieder haben; außerdem ist jene große Zahl von Hilfesuchenden nicht eingerechnet, die nach erhaltenem Rath Wörishofen sofort wieder verließen. Die Zahl hätte sich noch erheblich gesteigert, wenn nicht das Choleragespenst viele Curgäste Ende August und anfangs September von Wörishofen weggejagt und andere abgehalten hätte, eine Cur dortselbst zu beginnen.
Interessant gewiss für jeden Kenner Wörishofens ist es, die rege Baulust des schwäbischen Dorfes in der neuesten Zeit aus Daten zu erfahren. Nach Angabe des um Wörishofen schriftstellerisch verdienten Lehrers H. Dillmann wurden in Wörishofen vom Jahr 1887 - 1890 inclusive 86 Baupläne eingereicht und genehmigt. Im Jahre 1891 wurden 45 Baupläne genehmigt und vom 1. Jänner 1892 bis 1. Nov. 1892 71 eingereicht. Allein trotz der vielen Bauten müssen noch immer viele Curgäste in den Wörishofen benachbarten Orten Türkheim , Stockheim und Kirchdorf und in den zu Wörishofen gehörigen Weilern Gammenried und Schöneschach ihre Wohnung nehmen. So ist Wörishofen unter und durch seinen Pfarrer emporgeblüht und wird, solange dieser Stern über Wörishofen leuchtet, noch weiterblühen und gedeihen. Ob auch in alle Zukunft? Darauf zu antworten, ist schwer. Der Verfasser findet die Antwort in den Worten ausgedrückt, die ein Kenner des schwäbischen Curortes also niederschrieb: „Ob Wörishofen einst, wenn Kneipp als müder Greis seinen Leib in der kühlen Wörishofner Erde zur Ruhe hat gebettet, noch bleiben wird, was es heute ist, ist eine Frage. Ein Ort, der von sovielen Fremden besucht wird, wird nicht leicht der Vergessenheit anheim fallen. Gräfenberg, wo einst Prießnitz wirkte, ist uns ein Beispiel hiefür; denn heute nach 40 Jahrn seit dem Hingange Prießnitzens zählt Gräfenberg noch alljährlich über 2000 Curgäste. Wohl dem Orte Wörishofen, wenn ein sympathischer Arzt es versteht, das Erbe Kneipps anzutreten; an solchen hat es leider, wie die Erfahrung lehrte, bisher noch immer gefehlt.“ Bis jetzt gilt: „Kneipp ist die Sonne, um die sich alles dreht Solange, – bis sie untergeht!“
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16.
Kneipps neueste Schöpfungen.
Wer Wörishofen besucht, dem fallen zwei stattliche Gebäude vor allen andern auf, die mit dem Namen Kneipp unzertrennlich verbunden sind. Es sind die beiden größten sprechenden Zeugen seines Wolthuns, seiner barmherzigen Nächstenliebe. Curhaus und Kinderasyl sind ihre Namen
1 . Das Curhaus.
„Von den Aerzten ist der Schöpfer,
Von den Helfern G ott der erste?“
Es war ein langegehegter Plan Kneipps, seinen leidenden geistlichen Amtsbrüdern ein eigenes, bequemes Haus zu errichten, indem sie unter liebwerten Amtsgenossen ungestört der Wassercur obliegen könnten. Im Herbste 1891 begann der ersehnte Wunsch zur That zu werden; es ward der Grundstein für das Priestercurhaus gelegt. Eifrig arbeitete man an dem Baue; denn bis zum Sommer nächsten Jahres sollte das Gebäude vollendet dastehen und seine geistlichen Inwohner aufnehmen können. Mit regem Interesse verfolgten Kneipp und die Priester das allmählige Erstehen dieses Hauses. Im Juli 1891 stand der einfache, aber geschmackvolle Bau, der bereits am 21. März durch den Segen der Kirche für seine künftige Bestimmung eingeweiht worden war, vor den Augen der Curgäste fertig da. Das Curhaus, dieses Denkmal inniger Antheilnahme an den Leiden kranker Berufsgenossen, zeigt sich dem Beschauer als dreistöckiger Bau von acht Fenstern Front, zu dem man auf einigen Steinstufen hinansteigt. Das vorspringende Mittelstück wird zum Theil von der Hauskapelle eingenommen. Kränklichen Geistlichen, die das Haus nicht verlassen können, ist dadurch Gelegenheit geboten, im Curhause selbst die heilige Messe zu celebrieren. Während bisher die Geistlichen ihre Anwendungen im steinernen Badehause vornahmen, ist auch für dieselben im Curhause dadurch genügend Rechnung getragen, dass zur ebenen Erde geräumige Badelocalitäten errichtet wurden. Zur Freude aller Curgäste war auch ein links vom Eingänge gelegenes größeres Zimmer als Ordinationszimmer bestimmt und eingerichtet worden.
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Am 7. Juli 1891 1 Uhr nachmittags fand die erste Sprechstunde in demselben statt. – Wenn der Verfasser im nachfolgenden kurz die Wohnungsverhältnisse des Curhauses behandelt, glaubt er nur dem Interesse der geistlichen Curgäste zu begegnen, für die ja das Curhaus ausschließlich errichtet ist. Das Priestercurhans hat im ganzen bei 58 Zimmer, darunter ungefähr 14 mit je einem, 10 mit je 2, 10 mit je 3, einige mit je 4 und 1 mit 5 Betten, so dass bei 80 Geistliche in demselben wohnen können. Im Nothfalle kann auch der Corridor im dritten Stockwerke mit 6 - 8 Betten belegt werden. Der geräumige Speisesaal fasst 100 - 120 Personen. Im Curhause speisen nämlich nicht bloß diejenigen Geistlichen, welche dort ihre Unterkunft gefunden haben, sondern überhaupt alle Priester und Theologen, wofern sie im Speisesaale platzfinden. Für das tägliche Essen, aus Frühstück, Mittagmahl, Jause und Abendessen bestehend, werden 2 Mark gezahlt. Außerdem steht es jedem frei, vormittags von 9 - 10 Uhr nach genommenen Wasseranwendungen Kneipp-Kaffee oder Krastsuppe zu sich zu nehmen. Ein separates Zimmer wird pro Tag zu einer Mark, Zimmer mit mehreren Betten für je einen Herrn zu 50 Pfennig berechnet. Gegen Ende Juni zogen die ersten geistlichen Curgäste in das neue Badehaus ein; nach und nach konnte eine größere A nzahl aufgenommen werden, so dass bereits anfangs Juli 50 Geistliche dortselbst Unterkunft fanden. Am 10. Juli versammelten sich die geistlichen Curgäste, gegen 100 an der Zahl, zum ersten mal im großen, schönen Speisesaale zum gemeinsamen Mitlagstische. Diese Gelegenheit ward ausersehen, um dem Vater Kneipp innigst für die Wohlthat zu danken, die er durch Erbauung des Curhauses dem geistlichen Stande erwiesen. Der Herr Pfarrer wurde bei seinem Eintritte in den Saal von allen freudigst begrüßt. Nach beendetem Mahle hielt derselbe eine herzliche Ansprache, wie man sieeben von Kneipp gewohnt ist. Innige Freude erglänzte im Antlitze des greisen Priesterarztes, als er im Kreise seiner Berufsgenossen davon sprach, wie nun einer seiner sehnlichsten Wünsche erfüllt sei. Daran schloss er den aufrichtig innigen Wunsch, Gott möge den lieben Amtsbrüdern das im Hause Gebotene sowie die Wassercur segnen, damit alle
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neugestärkt oder ganz geheilt in ihrem erhabenen Berufe zur Ehre Gottes und zum Heile der Seelen wirken können. Allgemeiner Beifall folgte diesen liebevollen Worten. Der hochw. Herr Andreas Krotky, Domherr des Graner Capitels, dankte hierauf im Namen der Versammelten dem geliebten Pfarrer für sein unermüdetes, uneigennütziges Wirken, Gott möge solches Bemühen segnen und selbst einst der Lohn hiefür sein. Sieben Schwestern O.S.F. aus dem Mutterhause Mallersdorf bei Landshut besorgen das Hauswesen im Curhaus.
Der Bau dieses Curhauses wurde durch eine Prägung verewigt. Pfarrer Kneipp erhielt nämlich zu seinem 71. Geburtstage eine goldene Denkmünze, die auf der einen Seite (Avers) das Bildnis Kneipps, auf der andern (Revers) das Curhaus zeigt.
2. Das Kinderasyl.
„Unserm greisen Vater führen
Arme Mütter zu manch Kind:
Dieses lahm, voll von Geschwüren,
Jenes – ach! – seit langem blind!
Herzzerreißend klingt der Mutter Flehen:
Vater! Hilflos lass uns doch nicht untergehen!“
Pfarre r Kneipp ist bekanntlich ein großer Kinderfreund; an munteren, aufgeweckten Knaben und Mädchen hat er große Freude; der Kinder hat er sich schon unzähligem ale den Eltern gegenüber angenommen, und nicht selten entfährt dem Munde des greisen Kinderfreundes ein hartes Wort, wenn er gewahrt, dass die Eltern schuld sind, dass die armen, hilflosen Geschöpfe verkrüppelt oder schon in so früher Jugend von den Leiden einer Krankheit heimgesucht werden. Das Elend der vielen kranken, armen Kinder, die man zu ihm brachte, ging ihm tief zu Herzen. In echt väterlicher Weise wollte er sie alle aufnehmen, ihnen allen nach besten Kräften zur Erlangung der Gesundheit verhelfen. Doch wo sollte er sie unterbringen? Der Gedanke der Erbauung eines großen Kinderasyls beschäftigte ihn schon seit einigen Jahren . Den ersten Anfang dazu machte er damit, dass er in der von Herrn L. Geromiller neuerbauten Badeanstalt die oberen Räumlichkeiten mietete und sie zur Unterbringung kranker Kinder verwendete. Die Aufsicht und Obsorge über dieselben übernahmen gleichfalls fünf Franziskanerinnen aus Mallersdorf. Und welche
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Kinder befinden sich denn in diesem Asyle? Fragen wir Kneipp, er selbst gibt uns hierüber Aufschluss. „Seit 3 - 4 Wochen“, schreibt er in Nr. 3 der Kneipp-Blätter vom 11. Februar 1892, „sind circa 30 - 40 Kinder zu mir gekommen, von denen zwei stockblind, zwei halbblind sind, einige haben lahme Füße, so dass sie weder stehen noch gehen können, andere gehen an der Krücke, kurzgesagt: nur solche, die als unheilbar erklärt wurden, weil sie nirgends Hilfe fanden. Dazu kommt, dass die meisten sehr arm sind und ich dieselben größtenteils erhalten soll, und solche armselige Kinder gibt es recht viele. Diese armen Kinder halte ich für Geschenke Gottes, welche auch unsterbliche Seelen haben und nicht schuld sind, dass sie so arm und unglücklich sind, auch sie suchen Hilfe und können Hilfe finden durch die Werke der Barmherzigkeit.“
Unter diesen armen Geschöpfen weilen und sich unterhalten zu können, bereitet Kneipp eine der edelsten Freuden. Nach der Sprechstunde gilt sein Besuch gewöhnlich den kleinen Kranken, um sich nach den Fortschritten der Cur zu erkundigen und sich mit den Kleinen zu unterhalten. Diese sind darob voll Liebe und Anhänglichkeit an ihren väterlichen Gönner und suchen ihn auf jede Weise zu erfreuen.
Gleich zum Namenstage (20. Jänner) überraschten sie ihn mit einer einfachen, sinnigen Feier. Als Kneipp wie gewöhnlich die Kleinen besuchte, rauschten ihm die Töne einer herrlichen Musik entgegen. Die kleinen Patienten im Festtagskleide sangen aus frischer Kinderbrust das Kneipp-Marschlied, das ein zwölfjähriger Tirolerknabe auf der Zither begleitete. Hierauf sprach ein Knabe, der auf Krücken einherging, die Anfangsstrophen eines Gedichtes, das nun von den Knaben und Mädchen abwechselnd vorgetragen wurde. Nachdem noch einige sinnige Gedichte von den Kindern waren aufgesagt worden, überreichte der hochw. Herr Pfarrer Stückle von Mindelau als Vorstand des Kneipp-Vereines „als Festgabe des Kneipp-Vereines zum Kinderasyl“ 1000 Mark. Eine Festlichkeit ähnlicher Art sah das provisorische Kinderasyl am 17. Mai 1892, dem Geburtstage des hochw. Herrn Pfarrers. Warum aber Kneipp den armen, kranken Kindern so zugethan ist, sagte er gelegentlich einer am Abend gehaltenen Ansprache mit den Worten: „Die kranken Kinder
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sind auch unsere Brüder und Schwestern.“ Da der Andrang von kranken Kindern von Tag zu Tag sich steigerte und die ausgenommenen Räumlichkeiten schon im Vorhinein sich als zu klein erwiesen, entschloss sich Kneipp zum Baue eines großen Kinderasyls. Er wollte dasselbe theilweise mit Hilfe frommer Liebesgaben seiner Anhänger erbauen. Doch flössen die Gaben spärlicher, als man erwartete.
Am 9. Mai 1892 wurde der Grundstein zum Gebäude gelegt. Am 11. Juni fand zum Besten des Baues eine musikalische Wolthätigkeits-Vorstellung statt, die unter Leitung des Herrn Offenbach-Barmen und Mitwirkung mehrer sangeskundiger englischer Damen aus London, Hintham und Brüssel und eines Concertmeisters aus London dem Baue 400 Mark eintrug. Auch der Ertrag des vom hochw. Herrn Secretär Joh. Gruber verfassten Büchleins: „100 Krankengeschichten“ ist dem Kinderasyl zugesprochen. Gleicherweise soll auch ein Theil des Erträgnisses dieses Büchleins dem Kinderasyle zugewendet werden.
Im September 1892 zählte das provisorische Kinderasyl 30 kranke Knaben und 30 kranke Mädchen. Da jedoch der P latz nur für die Hälfte reichte, musste die andere Hälfte die Nacht über in Privathäusern untergebracht werden. Seit November 1892 erhebt sich auf der Westseite von Wörishofen auf einer kleinen Anhöhe ein großes, stattliches Gebäude, das an Umfang das Curhaus weit übertrifft. Das einfache, aber sehr ansprechende Gebäude, das bestimmt ist, 100 Knaben und 100 Mädchen aufzunehmen, ist von einem ehemaligen Curgaste, dem Herrn Architekten Jrwing aus Staßfurth in Sachsen (Reg. Bez. Magdeburg) erbaut, der mit großer Umsicht und Rührigkeit den ganzen Bau leitete.
D er dreistöckige Bau besteht aus einem vorspringenden und höheren Mittelbau, zwei vorspringenden Seitenflügeln und zwei Verbindungsbauten zwischen Mittelbau und Seiten flügeln. Die vordere Hauptfront hat im Ganzen 55, jede Seitenfront 16 Fenster. Den Mittelrau m nehmen ein: im Parterre das Portier- und Empfangszimm er, im ersten und zweiten Stock je drei Zimmer zu je zwei Fenstern, im dritten Stock ein größeres Zimmer mit zwei größeren, ein kleineres mit einem kleineren Fenster und daran reihen sich an den
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Seiten und nach rückwärts je vier Mansardenzimmer an, so dass der dritte Stock eilf [elf] ganz kleine Zimmer enthält. Der erste und zweite Stock wird rückwärts vom Stiegenhause [Treppenhaus]eingenommen. In den beiden anstoßenden Verbindungsbauten sind in jedem im Parterre und ersten Stock je ein Speisesaal zu vier Fenstern. Darüber sind im zweiten Stock nach vorne je drei Zimmer mit je einem Fenster und nach rückwärts je zwei Mansardenzimmer auf jeder Seite; der zweite Stock hat daher zehn Mansardenzimmer. Die Seitenflügel werden im Parterre und ersten Stock von je zwei Schlafsälen, die durch vier Wärterzimmer getrennt find, im dritten Stocke aber von je einem großen Saale mit drei Fenstern eingenommen. Das Kellergeschoss enthält Speisekammer, Küche, Eierkeller, Holzkammern, Waschküche, Bügelzimmer, Gemüsekammern, Kohlenkammern und rückwärts auch die Kesselkammer und die Maschinenräume. Zudem befinden sich rückwärts fünf Bade- und fünf Ankleidezimmer. Vor dem mit gelben Verblendsteinen mit rother Einfassung gezierten Gebäude, das unter dem Giebel des Hauptbaues mit einer Uhr und den Statuen der Muttergottes, des heiligen Josef und Sebastian geschmückt ist, wird eine kleine Grotte, zu deren beiden Seiten aber Esplanaden errichtet.
Das ganze Gebäude enthält daher 47 Wohnräume: vier Speisesäle, acht Schlafsäle, dazwischen vier Wärterzimmer, sechs Zimmer des ersten und zweiten Stockes im Mittelbau, zwei Zimmer unter dem Giebel der Flügelbauten, zehn Mansardenzimmer im zweiten und eilf im dritten Stocke; dazu kommen dreizehn Kellerräume, das Kesselhaus und fünf Badecabinen mit ebensovielen Ankleidezimmern.
Kneipp unterstellte das Haus der tüchtigen Leitung der ehrw. barmherzigen Brüder. Sie will er seine Cur lehren und so befähigen, das von ihm begründete Haus auch nach seinem Tode in seinem Geiste weiterzuführen. An den ehrwürdigen Herrn Prior derselben sind auch etwaige Anfragen betreffs Aufnahme kranker Kinder zu richten. Bald nach der Eröffnung fanden 150 jugendliche Kranke darin Aufnahme. Mit der Erbauung des Kinderasyls, das Kneipp unter den Schutz des hl. Sebastians, des Beschirmers gegen die Seuchen des Leibes und der Seele stellte, und darob „Sebastianeum“
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nannte, hat er sich das schönste Denkmal seines selbstlosen Samariterthums gesetzt. Da jedoch der gewaltige Bau sammt Einrichtung auf 100.000 Mark oder noch höher zu stehen kommen dürfte, sind milde Gaben noch jederzeit höchst willkommen. Mögen vor allem die Mütter, die es ja am meisten wissen und erfahren, was es es heißt, ein liebes, theures Kind von schwerer Krankheit heimgesucht zu sehen, ein Scherflein dem Kinderasyl in Wörishofen zuwenden*), der Mahnung eingedenk, die ein Curgast an die Mütter gerichtet:
„Drum, um aller Noth zu lindern,
Wird erbauet ein Asyl. –
Mutter! Mutter! hilf den Kindern!
Hilf zu diesem edlen Ziel!
Nein! die Gabe wirst du nicht versagen,
Die himmelwärts der Kinder Engel tragen!“
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17.
Kneipp auf Reisen.
In München.
Kaum hatte sich Kneipps Ruf in alle Weltgegenden verbreitet, als auch schon von den verschiedensten Seiten Einladungen eintrafen, er möge hier und dort einen Vortrag halten. Die Haupt- und Residenzstadt seines Vaterlandes darf die Ehre für sich in Anspruch nehmen, die erste öffentliche, außerhalb Wörishofens gehaltene Rede des Wasserapostels über die Wassercur gehört zu haben.
Am 1. April des Jahres 1890 hielt nämlich Kneipp in den Münchener „Central-Sälen“ vor einer 3000-köpfigen Zuhörermenge, die meist den „besseren“ Classen angehörte, und einer großen Anzahl von Ärzten einen 2½ stündigen Vortrag über seine Heilmethode. Prinzen und Prinzessinnen des bayrischen Hauses hatten Entschuldigungen gesandt, dass sie verhindert waren, beim Vortrage zu erscheinen. Am 30. April desselben Jahres erfreute Kneipp die Münchener
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*) Die Gaben sende man direct an hochw. Herrn Pfarrer Kneipp in Wörishofen. (Anm. des Verfassers.)
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mit einem zweiten Vortrage in dem „Münchener Kindl-Bräu-Saale“ . Nach den Schätzungen der Münchener Tagespresse hatten 5000 Menschen an dem Vortrage theilgenommen.
In Trier.
Am 30. September 1891 verließ Kneipp abermals Wörishofen und zwar diesmal auf mehrere Tage. Sein religiöser Sinn zog ihn nach Trier, um dort den heiligen ungenähten Rock Christi, der seit 40 Jahren wieder der Verehrung der Gläubigen ausgesetzt war, zu sehen und zu verehren. Am 7. Oktober, dem letzten Ausstellungstage, celebrierte Kneipp um halb 7 Uhr früh im Dome zu Trier die heilige Messe, der Ihre kais. Hoheit die Frau Erzherzogin Maria Theresia von Österreich mit ihren Töchtern, den Erzherzoginnen Margaretha, Annunciata und Elisabeth und die Gemahlin des Herzogs Paul von Meklenburg beiwohnten. Der Herzog selbst hatte sich die Ehre auserbeten, bei der heiligen Messe dem Pfarrer Kneipp Ministrantendienste leisten zu dürfen. Auf der Hin- und Rückreise ward Kneipp überall auf den Eisenbahnen und Bahnhöfen erkannt, um ringt und um Rath und Hilfe angegangen. Geheilte drängten sich allenthalben an ihn heran, um ihm nochmals wiederholt für die zutheil gewordene Rettung zu danken. Am 7. Oktober traf Kneipp wieder in Wörishofen ein.
In Innsbruck.
Doch bereits nach acht Tagen verließ Kneipp wieder sein Pfarrdorf. Diesmal galt die Reise dem Nachbarlande Österreich, der Landeshauptstadt des kaisertreuen Tirol; – Kneipp fuhr nach Innsbruck. Der Wasserapostel hatte den Bitten des Innsbrucker Naturheilvereines Folge geleistet und hielt am 16. Oktober im großen „Andreas Hofer-Saale“ des Hotels „zum goldenen Stern“ einen herrlichen Vortrag in zwei Abtheilungen über die Entstehung seiner Wassercur, über die Verweichlichung und Versinnlichung der heutigen Generation und wie man leben müsse, um gesund zu bleiben. Rauschender Beifall lohnte den Redner für seinen fast zweistündigen Vortrag. Unter dem allgemeinen Jubel der Zuhörer ward dem edlen Menschenfreunde ein großer Edelweißstrauss überreicht.
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In Graz.
Hatte Kneipp schon im Oktober vorigen Jahres den Boden Österreichs als Lehrer der Naturheilkunde betreten, so sollte seine Frühlingsreise des Jahres 1892 seine getreuen Anhänger in der freundlichen Murstadt und der Kaiserstadt überraschen. Am 24. April trat Pfarre r Kneipp in Begleitung des Vorstandes des Kneipp-Vereines, des hochw. Herrn Pfarrers Stückle von Mindelau und des Ausschussmitgliedes Herrn Örtel die Reise nach Österreich an. Die Fahrt ging über Salzburg, wo Kneipp auf Einladung des Abtes im altberühmten Benediktinerstifte St. Peter übernachtete. In Linz war Kneipp Gast des dortigen Bischofes. Auf dem Bahnhöfe in Linz wartete seiner auch eine angenehme Überraschung. Ein Kneippianer hatte nämlich dem P farre r Kneipp für die Strecke Linz - Graz einen Salonwagen zur Verfügung gestellt. Am 26. April 8 Uhr morgens traf Kneipp in Graz ein und nahm als Gast des Prälaten Karlon im Domherrnhofe Absteigequartier. Um 8 Uhr abends hielt er den vom „Vereine für volksverständliche Gesundheitspflege“ erbetenen Vortrag in der „Industriehalle“, dem größten Locale, das Graz für Versammlungen zu bieten vermag. Dichtgedrängt standen bei 3000 Personen aller Stände und lauschten mit gespanntester Aufmerksamkeit den Ausführungen des Wasserapostels. Lob des Wassers und der Kräuter, Abhärtung von Jugend auf, Verdammung des Kaffees, Thees, der geistigen Getränke und der Schnürleiber bildeten das reichhaltige Thema des fesselnden Vortrages.
In Wien.
Am 27. April endlich traf Kneipp in Wien ein. Mit Jubel und Freude ward der greise Pfarre r begrüßt; er hatte ja endlich sein schon im Herbste 1890 gegebenes Versprechen eingelöst und war dem Rufe seiner Wiener Anhänger gefolgt. Das Palais des ihm befreundeten Grafen Sailern nahm ihn gastlich auf. Hier in Wien feierte Kneipp einen seiner größten Triumphe. Um nicht einseitiger, parteiischer Berichterstattung beschuldigt zu werden, sieht der Verfasser von der eigenen Schilderung der glänzenden Wienerversammlung ab und lässt dafür ein Blatt sprechen, dem noch niemandden
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Vorwurf gemacht, ein Freund der Pfarrer, besonders des Pfarrers Kneipp zu sein. Die „Neue Freie Presse“ berichtet in der Nummer vom 28. April 1892: „Im Musikvereinssaale drängte sich eine tausendköpfige Menge; die Tribüne, die Gallerie, der Saal waren dicht besetzt und kein Plätzchen leer. Der „Naturheilverein“, der heute seine Gründung vollzog, hatte Pfarrer Kneipp nach Wien geladen, „um das Kindlein aus der Taufe zu heben“, und dieser war erst nach langem Kampfe, wie er gestand, dem Rufe gefolgt. P farrer Kneipp zählt heute 72 Jahre, ohne irgend ein Merkmal des Greisenhaften an sich zu haben. Eine hohe, kräftige Gestalt, in einfacher, schwarzer Soutane und schlichten Bauernschuhen steht vor uns; den mächtigen, ausdrucksvollen Kopf deckt dichtes, weißes Haar, und buschige, dunkle Augenbrauen, beschatten ein feuriges, sprechendes Auge.
Als er so vor die Menge heraustrat, empfangen mit lebhaften Beifallsrufen, umdrängt von einer Schar ehemaliger Patienten und begeisterter Anhänger und seinen Blick über die Menge schweifen ließ, schlug er verwundert die Hände zusammen. Das Publicum war in der That interessant und in solcher Zusammensetzung in Wien wohl noch nie gesehen worden Aristokraten und schlichte Gewerbsleute, hohe Officiere und Klosterbrüder, Professoren und Kaufleute, Künstler und Doctoren, namentlich aber zahllose Geistliche und eine außerordentlich starke Anzahl von Frauen aus allen Ständen füllten die weiten, prunkvollen Räume. Der schlichte Pfarrer von Wörishofen mag wohl niemals in seinem Leben vor solchem P ublicum gesprochen haben wie heute. Als er vortrat, drängten sich zahlreiche Personen hin, um seine Hand zu fassen und zu drücken; wir sahen einen alten Herrn, der nicht anstand, die gebotene Hand begeistert zu küssen; Frauen und Mädchen drängten sich heran, jedes wollte wieder erkannt sein, jedes an seinen Aufenthalt in Wörishofen erinnern, und es bedurfte geraumer Zeit, bis der Redner zum Worte kommen konnte. Pfarrer Kneipp spricht mit kräftiger, klangvoller Stimme, langsam und mit tiefer Überzeugung. Der gemüthvolle, schwäbische Dialekt, der ihn manchmal plötzlich überfällt und durch einige Minuten nicht loslässt, kommt ihm ungemein zustatten. Sein Vortrag ist schlicht, wie er selbst, voll Naivetät [Naivität] und einem Humor, der das Publikum
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häufig zur lebhaften Heiterkeit hinreißt. Mit lustigem Lachen erzählt er, wie er einmal wegen Curpfuscherei vor Gericht stand und ihn der Richter bei dieser Gelegenheit eines Rheumatismus wegen zurathe zog, oder wie ihn die Apotheker geklagt, dass er ihr Gewerbe schädige, weil er alles mit Wasser heile. Was er heute sprach, wird jeder Arzt gerne unterschreiben, wenn es auch bei weiterem Eingehen ins Detail nicht an Meinungsverschiedenheiten fehlen dürfte.
Pfarrer Kneipp ging von der Bemerkung aus, dass das Durchschnittsalter des Menschen vor einigen Decennien noch mit 32 Jahren, heute dagegen nurmehr mit 28 Jahren berechnet werde. Die Ursache dieses Rückganges schreibt er dem naturwidrigen Leben von heute zu, namentlich der schon mit der Geburt des Kindes beginnenden Verweichlichung, der schlechten Nahrung, – in seinem Sinne werden nur die allerärmsten Kinder naturgemäß genährt – dem Genuss von geistigen Getränken von Kaffee und Thee. Das Wasser sei es, aus dem ein neues, kräftiges Geschlecht wiedergeboren werden müsse. Das Kind soll schon vom zweiten Tage nach der Geburt an täglich ins kalte Wasser getaucht werden. Warme Bäder sind ganz zu vermeiden. Die Nahrung besteht aus Brot, das alle Theile des Kornes enthalte, und Speisen aus solchem Mehl, Kartoffeln und nur einmal des Tages Fleisch.
Ähnlich sollen auch Erwachsene leben, dann gelänge es ihnen, mit 72 Jahren es noch mit dem jüngsten aufzunehmen, wie er es imstande sei. Die kalten Bäder sollen nur 1 - 2 Secunden dauern („wie die des Frosches, der untertaucht und gleich wieder das Land sucht“); je kälter das Wasser, desto besser. Die Haut soll nicht abgetrocknet werden, weil die Reaction und Wärmeentwicklung durch dieses Unterlassen kräftiger gemacht werde. Gegen Nervosität sei das Beste das „Barfußgehen“ in der Stadt – weil man schon so kindisch sei und sich schäme – im Hause; auf dem Lande im nassen Grase, verbunden mit entsprechenden Bädern.
Auch den Kräutern (etwa 40 an der Zahl) misst Pfarrer Kneipp viele heilende Kräfte zu, während die moderne Apotheke nur Gifte kenne, die oft mehr verderben als gutmachen. Mit einer komischen Leidenschaftlichkeit eifert Pfarrer Kneipp gegen das Mieder – die „Modenarren-Zwangsjacke“, wie er sie nennt. Diesem Marterwerkzeuge
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schreibt Kneipp schreibt Kneipp die vielen Unterleibserkrankungeu der Frauen zu. Die drastische Ausdrucksweise, mit welcher der Redner gegen das Mieder und seine Vertheidigerinnen loszog, erregte oft stürmische Heiterkeit. Der Eindruck der Rede war unstreitig auch bei denen ein tiefer, die hingegangen waren, um sich über den neuen Apostel lustig zu machen. Der alte Pfarrer sprach mit so tiefer Überzeugung, mit solcher Wärme, in so väterlichem Tone, dass er alles für sich gewann. Er wusste so heitere Anekdoten und Erlebnisse einzuflechten, dass er auch unterhielt; vor allem aber drängte sich jedem seiner Zuhörer die Überzeugung auf, dass er es mit einem Manne von vollständiger Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit zu thun habe, der, wie er zum Schlusse bemerkte, sich nur danach sehne, sich in Ruhe für eine selige letzte Stunde vorzubereiten. Die Ovationen, welche dem Redner gebracht wurden, waren geradezu stürmische, und auch an Kränzen und Blumen fehlte es nicht. Wir haben hier nur den Eindruck geschildert, den Pfarrer Kneipp und seine Rede auf alle übte, welche anwesend w aren, und müssen den Ärzten überlassen, im Punkte der Wissenschaft mit ihm zu Gerichte zu gehen. Eines ist sicher, an begeisterten Anhängern wird es ihm in Wien nicht fehlen. In Begleitung des Pfarrers Kneipp bemerkte man die Vorstandsmitglieder des Central-Kneipp-Vereines, Pfarrer Stückle und Herrn Oertel. Unter den Anwesenden befanden sich: Gräfin Bardi, der persische Gesandte Neriman Khan mit Familie, Graf Sailern , Canonicus Graf zur Lippe, Baron Schwarz-Sendborn, der Attache der japanischen Gesandtschaft, Prälat Stöger, Reichsrathsabgeordneter Neuber und andere.“
Herr Habenicht, Vorstand des Wiener Kneipp-Vereines überreichte unter erneuertem Beifall dem Vortragenden einen Lorbeerkranz mit der Widmung: „Die Wiener A nhänger ihrem verehrten Vater Kneipp“ Nach 10 Uhr abends fand zu Ehren des Pfarrers Kneipp im Hotel „zur goldenen Ente“ ein Bankett statt, an dem eine größere Zahl seiner Freunde theilnahm . Am Schlusse desselben überreichte auch Canonicus Graf Arnold zur Lippe einen Lorbeerkranz als Widmung seiner Wiener Anhänger. Am 28. April trat Kneipp seine Heimreise an. Als er um 4 Uhr früh das gräfliche Palais Sailern verließ, ward er
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bereits von mehreren Patienten um Rath angegangen. Einige Verehrer gaben ihm das Geleite bis St. P ölten. Das war Kneipps Wienreise, „der Glanzpunkt seines Lebens“, wie er selbst sich ausdrückte.
Außer diesen Reisen nach Österreich machte Kneipp noch eine Schweizerreise. Am 31. Mai 1892 hielt er zu Augsburg im Plass'schen Garten einen von 3000 Menschen (es wurden allein 2800 Karten ausgegeben) besuchten Vortrag. Ein riesiger Lorbeerkranz war sein Lohn. Am 24. Juli treffen wir Kneipp abermals in Österreich, bei Sr. kais. Hoheit dem Herrn Erzherzog Josef auf dessen Besitzung Alcsuth in Ungarn, wohin der kaiserliche Prinz den Wörishofener Pfarrer telegraphisch berufen hatte. Der 28. November desselben Jahres sah Kneipp zum zweitenmale in Innsbruck, der 16. Jänner 1893 bei seinen Anhängern in Barmen.
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Vornehme Kurgäste.
Wenn man die Berühmtheit von Curorten vielfach nach den Persönlichkeiten beurtheilt, die dort zusammenströmen, dann darf Wörishofen mit Recht verlangen, den bedeutendsten zugezählt zu werden. Wenn Wörishofen auch jetzt noch in gewissem Sinne ein Armenbad ist, so fehlt es doch nie an vornehmen, hervorragenden Curgästen. Personen vom höchsten Range geistlichen und weltlichen Standes haben Wörishofen besucht, ja wiederholt besucht und dadurch ihrem Interesse für Kneipp und seine Wassercur Ausdruck gegeben. Um durch Aufführung aller bedeutenderen Curgäste nicht zu ermüden, sei eine kleine Ährenlese hiehergesetzt.
1. Aus dem geistlichen Stande:
Ein päpstlicher Nuntius; Cardinal Patriarch Dominik Agostino von Venedig; Cardinal Fürsterzbischof Dr. Graf Schönborn von Prag; Erzbischof Dr. Samassa von Erlau in Ungarn; Fürstbischof Dr. Napotnik von Lavant; Bischof Dr. Franz Maria Doppelbauer von Linz ; Bischof Dr. Josef Posilovich von Zengg; Bischof Dr. Fritzen von Straßburg; Bischof Sogaro von Sudan;
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Das Wiener „Volksblatt für Stadt und Land“ (22. Jahrg. Nr. 89 vom 26. Juli 1891) äußert sich wie folgt: Dieses die Kneippliteratur in erfreulicher Weise vervollständigende Buch ist höchst lesenswert und zwar auch für solche, die die Kneippbücher bereits durchstudiert haben; denn Pfarrer Kneipp ergeht sich in seinen Vorträgen über verschiedene Krankheitserscheinungen und deren Heilung mit außerordentlicher Gründlichkeit.
„Linzer Bolksblatt“ in Nr. 230 vom 8. Oktober 1891: „Der katholische Pressverein in Linz nahm die Broschüre in seinen Verlag und ließ dieselbe vor ungefähr drei Monaten in einem ansprechenden Gewande zu einem staunenswert billigen Preise erscheinen. Der Erfolg blieb nicht aus. Allüberall in der Provinz und außerhalb derselben fand die Schrift die liebevollste Aufnahme. Ein Kurgast, der längere Zeit in Wörishofen weilte, versichert uns, dass diese Schilderungen ganz aus den Tatsachen geschöpft seien und zum Genauesten gehören, was bis jetzt über Wörishofen und Kneipp geschrieben worden ist.
Die treffliche „Neue Warte am Inn“ widmet der Broschüre ein eigenes Feuilleton. „Ein Verehrer Kneipps“, so nennt sich der Herr Kriticus, geht das ganze Büchlein durch. Über die Biographie schreibt er: Wir haben hier ein wahrheitsgetreues Bild des greisen Priesterarztes, wie es erwiesenermaßen noch in keiner anderen Schrift ähnlich gründlich und anziehend dargestellt wurde. Die Sprache ist lebendig gehoben, oft voll Humor, die Darstellung genau bis ins Einzelnste. War ja doch der Verfasser vermöge seines nahen Verhältnisses zu Pfarrer Kneipp wie kein zweiter berufen und befähigt, Kneipp nach allen Seiten hin, wie er leibt und lebt, zu schildern. Der Verfasser spricht gerade hierüber in seinem kräftigen Vorworte: „Getreulich hat der Verfasser gestrebt, mit Vermeidung jeglicher Dichtung, Wahrheit und Leben zu zeichnen. Wie Kneipp ist, so soll er den Lesern erscheinen, treu und wahr, auch etwaige Mängel sollen nicht verschwiegen werben.“ Diesen seinen Worten ist der Verfasser, wie jeder Leser selbst erfahren wird, vollkommen gerecht geworden. Alle werden dem Verfasser Dank wissen für dieses so lobenswerte, anziehende Bild, das er vom Pfarrer Kneipp mit so kundiger Hand entworfen. Nachdem der Herr Kriticus sich über die Vorträge verbreitet hat, bemerkt er: „Besonders ist noch zu betonen, dass der Verfasser sich bemühte, die stenographisch aufgezeichneten Vorträge so genau als möglich wiederzugeben und die originelle Schreibweise Kneipps durch keine Zutat zu verunstalten.“
Literaturzitat:
[Mayer, Pater Friedrich, Katholischer Pressverein Linz (Hrsg.)]: Zweiunddreißig Vorträge des Hochv. Herrn Pfarrers Sebastian Kneipp über Krankheiten und Heilkräuter nebst einer ausführlichen Biographie. Seiner Hochwürden, dem allverehrten Pfarrer Sebastian Kneipp, dem nimmermüden Berather der Gesunden und Kranken, zum 70. Geburtstage in tiefster Verehrung gewidmet, Linz (St. Florian), Mai 1891 (1. Aufl.), Wien, Jänner / Januar 1893 (3. Auflage), 244 S., 1. Auflage 3000, 30 Kreuzer (österreichischer Währung), 50 Pfennig (deutscher Reichswährung)
Inhaltlich ist das Werk in drei Teile gegliedert:
Biographie – Vorträge über Krankheiten – Vorträge über Heilkräuter
Pater Friedrich Mayer aus Linz verfasste die Biografie anlässlich des 70. Geburtstags von Sebastian Kneipp (17.05.1891), er gab gleichzeitig Kneipps öffentliche Vorträge vom Sommer 1890 wieder. Äußerst reizvoll ist die Beschreibung des Alltags des Sprechstunden in Wörishofen, wie die Kurgäste Kneipp ständig auflauerten, um ihn mit ihren Krankheitsgeschichten zu behelligen. Die – hier vorliegende – dritte Auflage vom Januar 1893 ist um Berichte von Kneipps Vorträgen in Graz und Wien ergänzt (die Wienreise bezeichnete Kneipp später einmal als „Glanzpunkt seines Lebens“).
Als „Bildaufhänger“ wurde eine Urkunde für Kneipp anlässlich seines 69. Geburtstags verwendet (Quelle: Kneippmuseum Bad Wörishofen).
Eingestellt ist hier außerdem ein kleines Gemälde von A. Sanderj. Über den Maler ist nichts bekannt oder auffindbar. Das Werk wurde von Herrn Faust kurz nach dem Krieg in Österreich angekauft und im März 2021 von Barbara Faust der Stadt Bad Wörishofen überlassen.
Sie können die Schrift (Sammlung Helmut Scharpf) im Original lesen (Download als pdf, ca. 93 MB, textdurchsuchbar) oder abschnittweise hier im Textfenster als Abschrift.
Und nun „viel Spaß beim Lesen“!
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(…)
2.
Nach Wörishofen.
„Du Schwachbein, Dünnblut, Brillenfreund,
Verlass den dumpfen Ofen
Und stähle dich bei Meister Kneipp
In seinem Wörishofen!“
Al. Binder.
Es war ein schöner, heller Sommertag, man schrieb den den 1. August 1890, als ich in Betrachtung über Wörishofen versunken mit dem Dampfrosse auf der Strecke „München - Lindau - Memmingen“ der weltbekannten Eisenbahnstation Türkheim zueilte. Ich war schon begierig, den Mann zu sehen, der innerhalb vier Jahren ein Buch, betitelt: „Meine Wasserkur“ in mehr denn 170.000 Exemplaren unter alle Völker deutscher Zunge hinaussandte als Rathgeber in gesunden und kranken Tagen; der in seinem weiteren Buche: „So sollt ihr leben!“, das seit Beginn des Jahres 1889 bereits in der achten Auflage erschienen war, seine trefflichen Rathschläge zu einer vernünftigen und gesunden Lebensweise in alle deutschen Gaue hinaustönen ließ. In München brachten die Züge bereits eine Verstärkung der Kranken. Personen leidenden Aussehens,
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mit Koffern arg bepackt, bestiegen den Zug, der die Passagiere auf der Strecke „München - Lindau“ beförderte.
Wer in ihnen Kranke vermuthete, die bei Kneipp Linderung ihrer Leiden suchten, irrte sich nicht; denn in Türkheim, dem Ziele der Eisenbahnfahrt, sah er sie später die Waggons verlassen. In Buchloe, wo die Bahn nach Memmingen abzweigt, war abermals ein starker Zufluss von Fremden bemerkbar, unter denen sich wieder mehrere „Kneipp suchende“ Kranke befanden, die der Zug von Augsburg her gebracht hatte. Eine alte Frau hinkte, auf den Arm ihrer Tochter gestützt, dem Waggon zu. Dort sah man einen alten Mann, das Gesicht todtenblass, äußerst abgemagert und mit einem tüchtigen Pelz bekleidet, sich mühsam nach dem Coups schleppen.
Dort trägt man eine alte, gelähmte Bauersfrau hin zum Waggon. Was wird wohl jenes schwindsüchtige Mädchen in der Begleitung seiner Mutter anders wollen als Hilfe finden bei Pfarrer Kneipp! Da ich im Coupé mit einigen zusammenkam, die der gleiche Zweck, nämlich Herstellung der Gesundheit, nach Wörishofen führte, drehte sich das Gespräch selbstverständlich um Pfarrer Kneipp. „Erst vor einigen Tagen ist der und der geheilt worden: sie haben es mir mit ihrem eigenen Munde erzählt; das gab mir neuen Muth, so dass ich mich zur Fahrt entschloss“, theilten mir einige mit. –
Fast zwei Jahre sind vergangen, seitdem ich Wörishofen und seinen würdigen Pfarrherrn nicht mehr gesehen. Die Sehnsucht, den Mann wiederzusehen, der mir für die Schreiberdienste, die ich ihm geleistet, in seiner Herzensgüte so recht aus ganzem Herzen zugethan war, das Verlangen, das nette Schwabendorf in seinem Fortschritte und Aufblühen zu schauen, reifte in mir den Entschluss zu seiner neuen Wörishofener Reise.
Gedacht, gethan. Der Kalender zeigte gerade den 13. September 1892, als ich mir durch Lösung eines Fahrbiletts ein Anrecht auf einen Sitzplatz der königl. bayr. Bahn erwarb, die mich in ungefähr acht Stunden von Simbach nach Türkheim beförderte. Je mehr wir uns Türkheim näherten, zeigte die Zunahme kränklicher Passagiere, dass wir die rechte Strecke nicht verfehlt. Ein herzliches „Grüß Gott“ war der Willkommgruß, den ich von Türkheim aus Wörishofens greisem Pfarrherrn und seinen Einwohnern entgegensandte.
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3.
Wörishofen.
„Kommt, seht die leidenden Gestalten,
Die zur Mutter kehren wieder,
Die Stirn' in sorgenvollen Falten,
Die Wange hohl und krank die Glieder.“
„Station Türkheim“ unterbrach plötzlich der Ruf des Schaffners (Conducteurs), und unser Gespräch hatte damit ein jähes Ende gefunden. Alle drängten aus den Waggons. Wer gesunde Beine hatte und sich schnell bewegen konnte, suchte am Schalter der Stationscassa rasch ein Billet für den Postwagen zu erhaschen, um gegen 50 Pfennige mit dem nicht allzu bequemen Postwagen nach Wörishofen gerädert zu werden. Die anderen Patienten, die infolge ihrer Krankheit ein verlangsamtes Tempo einschlagen mussten, stiegen in die bereitstehenden Privatstellwagen oder sonstigen zwei- und einspännigen Privatfuhrwerke; denn ein Patient geht selten von Türkheim nach Wörishofen, weil er fürchtet, keine Wohnung mehr zu bekommen, wenn er später als die anderen ankommt, es sei denn, er habe sich durch einen Bekannten früher die Wohnung bestellen lassen. Nun gieng's in Gesellschaft von sieben anderen dem einfachsten und billigsten unter allen Curorten der Welt zu. Die Fahrt führte uns durch grüne Matten.
Ein kleiner Wald zur Seite der Straße bot eine angenehme Abwechslung. Eine geraume Strecke vor der Einfahrt ins Dorf erblickten wir den Zwickel- (Keil)-Thurm der Pfarrkirche Wörishofen. Endlich war das ersehnte Schwabendorf erreicht, von dem früher niemand, der nicht etwa in der Nähe wohnte, jemals eine Ahnung gehabt, dass ein Dorf dieses Namens auch einen Flecken deutscher Erde bedecke, das aber heutzutage durch seinen Weltruf nicht allein in Europa, sondern weit über unsere continentalen Grenzen hinaus bekannt ist. Warum Wörishofen ein Weltcurort genannt werden kann, wird später ersichtlich werden.
Am Anfange des Dorfes hieß es : Absteigen! Das Posthaus war erreicht. Halb zutode (?) geschüttelt, entstiegen wir dem Postwagen, suchten unsere vom unbeweglichen Sitzen steif gewordenen Glieder zusammen, probierten das Gehen und wanderten an der Straße des Dorfes entlang, die rechts und
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links von weiß oder grün gefärbten, netten Schwabenhäuschen umsäumt ist, am Pfarrhof und der Pfarrkirche vorbei dem Kloster der ehrw. Dominicanerinnen zu, wo ich von einem befreundeten Herrn, der mir gütigst die Wohnung im voraus bestellte, dieselbe erfahren sollte.
Da es bereits Abend war, war es mir nicht mehr möglich, den Mann zu sprechen, auf dessen Anblick ich schon lange gespannt gewartet hatte. Doch des andern Tages sollte mir gleich in aller Frühe das Glück zutheil werden, dem Herrn Pfarrer Kneipp vorgestellt zu werden. Ein Freund hatte mir das bald nach meiner Ankunft zugesagt. Wohlwissend und aus vieler Reden belehrt, dass man sich bei einer Consultation des Herrn Pfarrers der gedrängtesten Kürze befleißen müsse, um ihm ja keinen Augenblick der kostbaren Zeit zu rauben, so fasste ich mich denn so kurz, als es nur möglich war. Nachdem er mich einen Augenblick scharf ins Auge gefasst hatte, ward mir die Verordnung aufgeschrieben, die für drei Tage auf die obligaten Güsse, auf Wasser- und Barfußgehen lautete. Zufrieden über die schnelle Erledigung wollte ich mir dann auch in Begleitung meines Freundes die beiden Badehäuser ansehen.
An der Klostermauer entlang führte uns der Weg dorthin, vorerst zu dem zur Linken von Feldern begrenzten ersten 1889 erbauten steinernen, im Winter heizbaren Badehaus, in dem von 9 - 10 und von 3 - 4 Uhr die Damen ihre Anwendung unter der Leitung einer Nichte des Herrn Pfarrers [Theresia Mayer] nehmen können. Dasselbe ist an der Klostermauer angebaut und nichts anderes als eine von Ziegeln aufgeführte Hütte, die drei Cabinen und zwei Badewannen nebst drei Wasservorrichtungen enthält, von denen zwei zu Blitzgüssen verwendet werden können. In einer Entfernung von dreißig Schritten befindet sich das zweite Badehaus, im Jahre 188 8 errichtet, eine aus Brettern aufgeführte Hütte, einer großen Schaubude ähnlich, mit einem gedeckten Vorplatze, der an der Wandseite eine Bank hat, auf der diejenigen Curgäste warten, die augenblicklich wegen zu großen Andranges zu den Güssen und sonstigen Wasseranwendungen nicht zugelassen werden können. Dieselben werden hier von zwei „Badewascheln“ (Badedienern) der Männerlaienwelt gegeben. Die Entlohnung für die Badediener ist
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eine äußerst geringe; für die Benützung des Badehauses selbst durfte lange Zeit nichts bezahlt werden, jetzt wird dafür täglich ein ganz unbedeutender Betrag eingefordert.
Da inzwischen die Zeit der Wasseranwendung für mich gekommen war, nahm ich gleich den ersten Punkt meiner Verordnung vor, und ich fühlte einen kalten Wasserstrahl über meinen Rücken laufen. Nach dem Spaziergange, der der Erwärmung halber nach jeder Wasseranwendung gemacht werden muss, kehrte ich ins Kloster zurück, wo ich zu meiner Freude und Ueberraschung Herrn Pfarrer Kneipp näher kennen lernen und dadurch sechs Wochen lang an seiner Seite den Ordinationen beiwohnen und manches treffliche Wort aus seinem Munde vernehmen sollte. Wen sollte es daher wundern, dass ich bei meiner zweiten Wörishofener Reise, nachdem ich mich in Kneipps Curhaus einlogiert, ungesäumt meine Schritte nach dem Pfarrhofe lenkte, um noch am Abende den Mann zu begrüßen, um dessentwillen der Fremde nach Wörishofen zieht? —
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4.
Kneipps Wirken
in den ersten Stunden des Tages.
„Mit Gott fang an!“ (Sprichwort)
Viel ist über die Person des hochw. Herrn Pfarrers Kneipp schon geschrieben worden, viel das Wahren, aber auch viel des Falschen. Da ich durch sechs Wochen Tag für Tag den größten Theil des Tages in seiner Nähe weilte und dadurch hinreichend Gelegenheit hatte, diesen trefflichen Mann kennen zu lernen, will ich es nach meinen schwachen Kräften versuchen, von der rastlosen Thätigkeit des schlichten Dorfpfarrers ein Bild zu entwerfen. Am besten zeigt sich uns seine riesige Arbeitskraft, wenn wir ihn bei seinem Tagewerke verfolgen. Früh morgens vor 5 Uhr, wenn noch fast alle Curgäste in den Federn liegen, erhebt sich Kneipp, um dem priesterlichen Gebete, dem Breviergebete, zu obliegen und so den Tag mit Gott zu beginnen. Gegen halb 6 Uhr, auch früher, sieht man ihn den Pfarrhof verlassen und durch den Friedhof der
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Klosterkirche zuschreiten, um in derselben das heilige Messopfer darzubringen. Wer würde wol [wohl] glauben, dass der gütige Mann schon auf diesem Wege zur Kirche von dem einen oder andern der Curgäste umlauert wird! Ein Winkel des Friedhofes oder das Eck eines Hauses dient als Lauerplätzchen. Ja nicht genug, dem Gütigen schon am frühen Morgen den Weg abzupassen, – bis ins Heiligthum, bis in die geheiligten Räume der Sacristei verfolgt ihn der Patienten Ungestüm; sie weichen nicht von der Stelle, bis er ihre Leidensaufzählung angehört und ihnen eine Verordnung aufgeschrieben hat.
Nach der heiligen Messe nimmt er das Frühstück im Kloster ein, seit Erbauung des Priester-Curhauses im Refectorium desselben, wo in einem größeren Zimmer, dem sogenannten Speisesaale der Geistlichen, bereits seine geistlichen Amtsbrüder seiner warten. Während er seinen Malzkaffee trinkt, dem er manchmal etwas Wasser beimischt, erzählt er dies oder jenes oder ordiniert gleich die anwesenden Geistlichen, von denen einige meistens neu angekommen sind, die andern aber bereits eine zeitlang sich der Wassercur unterzogen und nun um neue Verordnungen bitten, da die letzthin verordneten bereits Vormittag zu Ende gehen. Nicht selten kommt auch da und dort aus der Tasche ein Briefchen zum Vorschein, in dem ein Pfarrer für sein Pfarrkind den Wasserdoctor um Rath ersucht. Da bittet ein junger Kaplan für seinen ergrauten Pfarrer, dort ein Pfarrer für seinen aus Ueberanstrengung körperlich gebrochenen Kaplan.
Obgleich Kneipp derartige Briefe nicht gerade sehr angenehm sind, so erledigt er sie doch gewöhnlich lächelnd scherzend mit der Frage, ob sie nicht noch für ein halbes Dutzend zu fragen hätten. Drängt die Zeit zu sehr, so kann eine derartige Bitte um mündliche Beantwortung eines schriftlichen Ersuchens auch abschlägig beschieden werden. Vom Frühstück will sich Kneipp in den Pfarrhof begeben. Doch siehe da! Wiederum ein Hindernis! An der Klosterpforte wartet ein bresthafter Mann, der sich nach seiner Aussage bei den Ordinationen nicht vorzudrängen wusste, und bittet herzlich, ihn anzuhören. In der Regel hört Kneipp solche Patienten, die ihn wie Wegelagerer anfallen, auch an, doch entschlüpft ihm manchmal, besonders bei außerordentlicher Ueberbürdung, ein Wort, das auf „Gewalt-
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thätigkeit“ u. dgl. lautet. Doch wenn er auch manchmal „knurrt“, wie er sich auszudrücken pflegt, so ist es doch nicht böse gemeint. Oft bereut er das „Knurren“ schon, ehe er damit fertig ist. „Im Friedhofe“, sagt er dann gewöhnlich, „warten gewiss wieder zwei bis drei“. Richtig! Der Pfarrer hat's errathen. An der Pfarrhofthüre wird der Rummel erst gar arg. Obwohl die Ordination laut eines an der Thüre angehefteten Zettels erst um ½ 8 Uhr beginnt, haben sich bereits um ½ 7 Uhr der Leute genug eingefunden, und wenngleich ihnen entgegengehalten wird, dass erst um ½ 8 Uhr die Ordination beginnt, sagen sie, sie wollen ruhig warten, um nur dann als die ersten bei der Ordination vorgenommen zu werden. Auch in das Haus selbst hat sich der eine oder andere Patient einzudrängen gewusst, der nun umso ungestümer den Herrn Pfarrer anbettelt, da er weiß, dass der andere Schwarm im Augenblicke nicht zu ihm kommen kann. – So gieng es bis zur Fertigstellung des von Pfarrer Kneipp auf eigene Kosten erbauten Priester-Curhauses im Jahre 1891. Nur ausnahmsweise werden jetzt im Pfarrhofe vor der allgemeinen Ordination diejenigen ordiniert, die den rastlos thätigen Pfarrer unter vier Augen nothwendig sprechen müssen (?) oder schon am frühen Vormittag abreisen. –
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5.
Beim Kalenderschreiben.
„Das Wasser macht die Menschen reich
Und macht sie auch gesund zugleich!“
Obwohl der Herr Pfarrer gerade am Kalender (Sebastian Kneipp-Kalender) arbeitete und die Zeit sich förmlich abstehlen musste, um denselben einem Herrn (eine Zeitlang dem Schreiber dieses) in die Feder zu dictieren, – obwohl ein vom Schreiber des Kalenders an der Thüre des Arbeitszimmers angebrachter Zettel die Patienten belehrte, dass wegen des Kalenderschreibens jetzt niemand vor 8 Uhr zur Ordination vorgelassen wird, hörte man nicht auf, den Pfarrer mit Bitten zu belästigen. Es half alles nichts; die Leute wollten um jeden Preis vor. Andererseits aber regte sich doch wieder Mitleid mit den armen
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Kranken, das Pfarrer und Secretär abhielt, dieselben mit barschen Worten von der Thüre wegzuweisen. Listig wusste man dann immer einen Augenblick zu erhaschen, wo man Kneipp allein sprechen konnte. Um aber doch dem Herrn Pfarrer einige Zeit zum Kalenderschreiben zu verschaffen, hatte der Secretär, welchem er den Kalender dictierte, die Thüre von innen abgesperrt. Kaum waren fünf Minuten vergangen, einige Zeilen zu Papier gebracht, da klopfte es. „Herein“, ertönte es aus dem Munde des gütigen Pfarrherrn. Wider seinen Willen öffnet der Schreiber; denn die Arbeit ist wieder auf mehrere Minuten, ja oft auf Viertelstündchen oder noch länger gestört. Kaum ist der Patient fertig, so drängt ein anderer nach, und so kam es oft vor, dass in der Zeit, die zum Schreiben hätte verwendet werden sollen, nicht zehn Zeilen zu Papier gebracht wurden. Einmal wurden es gar nur drei; es musste auch gehen; „der guten Dinge sind ja drei“, meinte Kneipp.
– Daher ist es auch leicht erklärlich, dass der erste Kneipp-Kalender für das Jahr 1891 so spät in die Welt hinaustrat. Während im Monate August bereits Tausende von Kalendern auf den Markt geworfen waren, konnte der Sebastian Kneipp-Kalender erst im October die Presse verlassen. Niemand anderer hatte Schuld als die Curgäste, die dem Herrn Pfarrer Kneipp nicht die nothwendige Zeit ließen, um diese Arbeit verrichten zu können. Da der Kalender mehrere (zehn) treffliche Aufsätze über Barfußgehen, Pflege der Haare, Augen Mund und Zähne, über das Trinken beim Essen, über kalte und warme Bäder, über Kleidung und Nahrung u. dgl-, sowie gegen siebzig lehrreiche Krankengeschichten enthält, empfiehlt sich derselbe allen als treffliche Beigabe zu Kneipps bereits erschienenen Büchern.
Interessant ist es zu erfahren, wie Kneipp seinen Kalender schreibt: Er geht im Zimmer aus und ab und dictiert dabei die einzelnen Aufsätze für den Kalender. Werden Krankheitsgeschichten zu Papier gebracht, so weiß er jedesmal genau den Stand und Wohnort des Patienten anzugeben. Genau erinnert er sich der Zeit, zu welcher er geheilt wurde und welche Anwendungen ihm geholfen haben. Die schriftlichen Mittheilungen der Geheilten selbst oder die von ihnen eigenhändig niedergeschriebenen und mit ihrem Namenszuge versehenen Krankheitsberichte
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sind die Quellen, denen die Krankengeschichten entnommen werden. Die Namen werden jedoch nicht angeführt, weil es viele genieren würde, wenn die halbe Welt erführe, woran sie gelitten. Aus diesem Grunde allein sieht Pfarrer Kneipp davon ab, die Namen der Geheilten zu nennen.
Man hat deswegen schon viele Steine nach ihm geworfen und ihm den Vorwurf gemacht, er könne leicht Krankengeschichten zusammenschreiben, weil er keine Namen angebe. Diese Krankengeschichten könnten geradesogut erdichtet als wahr sein. Wer – wie Schreiber dieses – Gelegenheit hatte zu beobachten, wie solche Krankenberichte zustandekommen, dem schwindet wohl jeder Zweifel, wenn er überhaupt je einen solchen gegen einen so ehrenhaften Charakter, wie Pfarrer Kneipp ist, hatte. Kann es wohl eine bessere Quelle für die Krankheitsberichte geben, als es die von den Kranken selbst niedergeschriebenen und mit eigenhändigem Namenszuge unterfertigten sind? Gegen Verleumder solcher Sorte ist es wohl das Beste, man achtet ihres Bellens nicht und lässt sie ruhig weiterschwätzen. Der Herr Pfarrer Kneipp hat es nicht nöthig, Krankengeschichten zu erfinden; aus den ihm von glücklich Geheilten zugesandten, zu Stößen aufgerichteten Krankheitsberichten könnte er Bücher füllen.
Wie sonst so will man auch hier nicht allein für sich, sondern auch für Angehörige oder Freunde sich Rath erholen? Dass eine solche fragende Person oft soviel Zeit in Anspruch nimmt als mehrere andere Personen, liegt auf der Hand. Doch wie gütig und theilnahmsvoll Kneipp gegen die Hilfesuchenden ist, möge nur folgender Fall zeigen: Während er gerade eifrig den Kalender dictiert, hört er plötzlich ein Kind schreien. E r öffnet das Fenster und sieht vor der Thüre des Pfarrhofes eine Frau mit einem Kinde stehen. Alsogleich ließ er die Frau zu sich kommen und gab ihr für das arme Würmlein guten Rath. Noch kurze Zeit und die allgemeine Ordination beginnt. Schnell soll noch ein Theil des Kalendermanuscriptes fertiggestellt werden. Doch die Unterbrechungen wollen kein Ende nehmen. Es erscheint ein holländisches Ehepaar. Nachdem ihr Wunsch nach Wasseranwendungen erfüllt ist, bitten sie den Herrn Pfarrer um seinen Segen. Der gibt ihnen gerne, worum sie gebeten; kniend empfangen sie ihn.
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Vor Beginn der allgemeinen Ordination kommt manchmal auch der Secretär, der die Briefe besorgt, dem Herrn Pfarrer specielle Fälle vorgelegt, von den eingelaufenen Briefen Mittheilung macht und dann nach Kneipps Rath die Korrespondenz führt. Unter den einlangenden Briefen sind nicht wenige Bettelbriefe, die aus allen deutschen Gauen an ihn gelangen. Da bittet den „Wunderdoctor“ ein armer Mann aus Berlin um Unterstützung, dort ersucht eine kranke Person um unentgeltliche Unterkunft. Ein hochw. Amtsbruder wünscht ein Scherflein zum Kirchenbau. Wo Kneipp helfen kann, hilft er, und dass er seinen wolthätigen Sinn durch namhafte Summen bethätigt, hat Schreiber dieses selbst einigemale gesehen. So legte er einem Pfarrer, der nur einen Beitrag zum Kirchenbau bat, eine Hundertmark-Note hin. Ein anderesmal borgte er einem Pfarrkinde, das sich gerade in misslichen Vermögensverhältnissen befand, soviel, als er entbehren konnte. –
Gegenwärtig dictiert Herr Pfarrer früh von 6 - 7 Uhr einem Theologen über die Güsse; zugleich gibt er Erklärungen und Erläuterungen zu seinem Buche: „Meine Wassercur“. Hernach begibt er sich ins Curhaus, wo er gewöhnlich um ½ 8 Uhr einlangt, um die Ordination zu beginnen.
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6.
Sein Wohnzimmer.
Die für die Ordination festgesetzte Zeit naht nun heran. Bevor wir den Herrn Pfarrer auf seinem Zimmer verlassen, blicken wir uns in demselben ein wenig um. Das Wohnzimmer Kneipps, das die Form eines länglichen Vierecks hat, ist ein Eckzimmer mit vier Fenstern, von denen zwei auf den Friedhof, die beiden anderen auf die Straße gehen, welche durch den Ort führt. Ein Tisch, ein Pult, ein Betschemel, ein Sofa und mehrere Sessel bildeten bis vor kurzem die ganze Einrichtung. Ein Crucifix zierte das Pult, einige alte Bilder die weißgetünchten Wände. Nur das Nöthigste war im Zimmer, Schmuckgegenstände oder sonstige Zier suchte man in dieser einfachen Wohnung vergebens, man wollte denn etwa die verschiedenen Photographien, die auf dem Pulte lagen und ihm
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von glücklich Geheilten überreicht wurden, zu solchen Ziergegenständen rechnen. Das Sofa war voll belegt mit Stößen von Briefen, die von geheilten Patienten an ihn gelangt sind und in den rührendsten Ausdrücken des Dankes auf ihren Retter den tausendfachen Lohn des Himmels herabflehen. Auch das ist jetzt anders geworden. Manche schöne Gabe dankbarer Patienten schmückt derzeit das Gemach. Die rechte Seite der Wand zwischen Sofa und Ofen füllt ein mächtiger Bücherschrank, der die Heroen theologischer Wissenschaft in schönen Einbänden aufweist, nicht selten Erinnerungsgaben von solchen, die dem Wörishofner Wasserapostel ein zweites glückliches Leben verdanken. Doch auch manches herrliche Buch nicht geistlichen Inhalts blickt freundlich im Prachteinbande auf den Besucher des Zimmers nieder. Auch medicinische Bücher kannst du finden, ein Zeichen dafür, dass Kneipp neuen Erscheinungen auf medicinischem Gebiete nicht fremd und theilnahmslos in vornehmer Verachtung gegenübersteht. Gewiss nicht uninteressant dürfte für viele Leser die Mittheilung sein, dass Kneipp gerade zur Zeit meines Besuches die Vorschriften des k. k. österreichischen Ministeriums zur Verhütung der Cholera auf seinem Stehpulte liegen hatte.
Links vom Eingang kündet seit dem 8. Mai 1892 das von einem Münchner Maler prächtig ausgeführte Ehrenbürger-Diplom der Gemeinde Wörishofen dem Eintretenden, dass am 1. Mai des Jahres 1892 Wörishofens versammelter Rath der Gemeinde „den langjährigen Seelsorger“ einstimmig zu seinem Ehrenbürger ernannt habe.
Auf der linken Seite der Wand findet sich derzeit zwischen den beiden Fenstern ein Schreibpult, an welchem der Pfarrer für diejenigen receptiert, die ihn schon am Morgen um Rath und Hilfe in Separatconsultationen angehen. Eine recht hübsche Zierde füllt die linke vordere Zimmerecke, ein aus Tannenzapfen künstlich zusammengefügtes Blumenkörbchen mit einer Blumenvase. An der der Thür gegenüberliegenden Seite ist ein Stehpult aufgestellt, an welchem Kneipp seine Berufsgeschäfte erledigt. Eine Muttergottesstatue thront über demselben.
Die anstoßende Zimmerecke nimmt ein nettes Ziertischchen ein, auf welchem allerlei kleine Gegenstände platz finden. Neben der Thür, die in das kleine Schlafzimmer führt, haben Tisch und Sofa ihre Aufstellung gefunden. Ersteren
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schmückten Blumenvasen, über letzterem sind Photographien und Bilder als Schmuck angebracht. –
Die Zeit von 6 bis ½ 8 Uhr wissen meist Leute vornehmen Standes zu benützen, um ihre Anliegen, manchmal auch etwas breitgetreten, dem nimmermüden Krankenberather vorschwätzen zu können. Oft würde wohl eine lakonische Aufzählung der Leiden gerade soviel nützen als ¼ stündiges Gesalbader mit zehnmaliger Wiederholung der kleinsten Umstände. Dass hierin die Vertreterinnen des schönen Geschlechtes das meiste leisten, braucht wohl nicht erwähnt zu werden!
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7.
Die Ordination.
„Mög' denn sein Wort All jeder Zeit
Der Welt zum Segen werden
Und Einfachheit in Kost und Kleid
Anis neu' erblüh'n auf Erden!
Mög' jeder von des Wassers Kraft
Sich selbst doch überzeugen
Und, wenn auch ihm es Hilf' geschafft.
Den stolzen Kopf dann beugen!“
Nun begibt sich Kneipp zur Ordination. Schon harrt zahlreich versammeltes Volk des edlen Priesterarztes. Erwartungsvoll blicken die sich drängenden und stoßenden Patienten nach der Stiege, wo der Hochw. Herr Pfarrer herunterkommen muss. Endlich erscheint der Ersehnte!
Er ist ein Mann mittlerer Größe von starkem Körperbau. Ein schwarzes Sammtkäppchen sitzt aus dem greisen Kopfe, der noch starken Haarwuchs zeigt. Das volle Gesicht weist derbe, durchgeistigte Züge; die Stirn ist breit und hoch; große, buschige Augenbrauen überschatten das Auge und verrathen die unermüdliche Arbeitskraft und Energie ihres Besitzers; sie verleihen dem Auge einen durchdringenden, forschenden Blick, der ihm in einem Augenblicke am Kranken den Herd der Krankheit entdeckt und ohne viel Fragen den Sitz des Uebels finden lässt. Ein weiter, faltiger Talar umschließt den starken Körper des Priestergreises. Halbschuhe, die seit kurzem ledernen Sandalen platzgemacht haben, und schwarze Strümpfe vollenden die canonische Priesterkleidung, in der er sich überall zeigt.
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Der Herr Pfarrer begibt sich in das geräumige Ordinationszimmer. An der Wand der Thüre gegenüber ist ein großes Sofa, auf dem der Herr Pfarrer platznimmt. Vor ihm ist ein langer grüner Tisch, an dem die zuhörenden Aerzte sitzen, die sich die Kenntnis seines Wasserheilverfahrens aneignen wollen. Auf dem Tische liegen Kneipps Bücher: „Meine Wassercur“ und „So sollt ihr leben!“, desgleichen Zettel und Büchel zum Notieren der verordneten Wasseranwendungen.
Zur rechten Seite des Herrn Pfarrers sitzt der jeweilige Secretär ( uä latus), welche Stelle meistens ein zum Curgebrauche in Wörishofen weilender Geistlicher versieht, während der vom Herrn Pfarrer beigestellte Badearzt dem Herrn Pfarrer gegenüber platzgenommmen hat.
Die Thüre des Zimmers wird nun geöffnet. Ungestüm drängen die Leute bei derselben hinein, so dass es oft nöthig ist, dass mehrere Aerzte die Thür zuhalten, um die ungestümen Eindringlinge zurückdrängen zu können, damit nicht auf einmal der ganze Schwarm das Zimmer füllt. Man muss sich wundern, dass nicht manchmal eine Person an der Thürstockkante halb oder ganz zerdrückt wird. Im August 1891 hat man diesem ungestümen Drängen dadurch Einhalt gethan, dass man Nummern ausgab und nur die mit der ausgerufenen Nummer versehenen Patienten in die Stube ließ. Mit der Vollendung des Kneipp'schen Curhauses trat auch hier eine merkliche Veränderung ein. Ein linkseitiges größeres Zimmer dieses neuerbauten Hauses wurde nämlich als Ordinationszimmer bestimmt und dementsprechend eingerichtet. Um die Ordinationen zu regeln und dem Herrn Pfarrer Kneipp doch einige freie Minuten des Tages hindurch zu verschaffen, hat der Kneippverein die Bestimmung getroffen, dass die Patienten nur gegen Vorweisung eines mit einer Nummer versehenen Büchleins zu den Ordinationen zugelassen werden.
Wer nach Wörishofen kommt, um dort die Cur zu gebrauchen, muss nämlich zuerst in das Kneipp-Bureau gehen, das sich im Hause Nr. 100 gegenüber der Klosterkirche befindet. Dort hat er sein Nationale (Name, Stand, Aufenthalts- oder Heimatsort) anzugeben. Dieses wird auf einem Zettel vermerkt und in ein kleines Büchlein, das Verordnungs- oder
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Vorlassungsbüchlein zu den Sprechstunden, eingeklebt, in welchem zur Belehrung der Curgäste die Abkürzungen der Namen der Güsse, Waschungen, Bäder und Wickel verzeichnet sind. Das Büchlein enthält ferner eine freie Seite für die Krankengeschichte und 16 Seiten für die jeweiligen Ordinationen. Am Ende findet sich ein lostrennbares Blatt für die „Verordnungen für zuhause“, da das Büchlein, welches die Unterweisungen in deutscher und französischer Sprache gibt, am Ende der Saison abgegeben werden muss. Jedes Büchlein ist zudem mit der laufenden Nummer versehen, nach welcher bis in die letzte Zeit die Curgäste zu den Ordinationen zugelassen wurden. Es wurde nämlich für jeden Tag eine bestimmte Anzahl von Nummern und zwar soviele auf einer bei der Eingangsthür in den Sprechsaal angebrachten schwarzen Tafel vermerkt, als man Personen in der vormittägigen oder nachmittägigen Sprechstunde vorzunehmen gedachte. Damit nun kein Unberufener in das Sprechzimmer dringe, hält an der Thüre des Ordinationszimmers ein vom Kneipp-Verein aufgestellter Diener gleich dem Kerberos Wache. Jeder Curgast erhält von demselben an der Eingangsthür eine Nummer und muss ruhig warten, bis die Reihe an ihn kommt. Ist er aber gerade nicht anwesend, wenn er vorgerufen wird, so muss er sich bis zum Schlusse der Ordinationsstunde gedulden. Damit aber auch jeder die Amtsperson des Kneipp-Vereines erkenne, trägt diese Aufsichtsbehörde auf ihrer Kappe die Buchstaben K. v. W. (Kneipp-Verein von Wörishofen), eine Aufschrift, die ein Spassvogel in „König von Wörishofen“ umdeutete.
In letzterer Zeit ist man davon abgegangen, die Curgäste nur nach den laufenden Nummern vorzulassen, weil ja Pfarrer Kneipp bekanntlich nicht allen Patienten die Verordnungen für eine und dieselbe Anzahl von Tagen, sondern je nach der Art der Krankheit auf längere oder kürzere Zeit ertheilt. Aus diesem Grunde wird jetzt ohne Rücksicht auf eine höhere oder niedrigere Nummer immer gleich mehreren Personen Einlass in den Sprechsaal gewährt. Neuankommende haben den Vorzug; für sie, aber auch nur für sie wird auch an Sonn- und Feiertagen nachmittags ordiniert. Mitglieder des Kneipp-Vereines haben vor allen übrigen Zutritt. Die Ordination beginnt gewöhnlich ½ 8 Uhr, manchmal um 8 Uhr und
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dauert bis 11 Uhr, bei größerem Andränge auch bis ½ 12 oder 12 Uhr. Kneipp schließt ja nicht wie Professoren ihre Vorträge mit dem Schlage der Uhr seine Ordination.
Die Ordination hat begonnen und geht nun über drei Stunden lang fort. Nichts als endloses Aufzählen von Krankheiten, eintöniges Dictact von Ober-, Schenkel-, Knie-, Rücken-, Blitzgüssen, Halbbädern, Wassertreten und Barfußgehen. Nach dem Empfange des Ordinationszettels sprechen die Hilfesuchenden von nichts anderem als den verordneten Güssen u. dgl.
„Von Ober-, Knie- und Schenkelguss spricht jeder in der Runde;
Die Worte: Halbbad, Rückenguss hört man aus jedem Munde".
Die Leute, die an den Tisch herantreten, bringen ihre Leiden vor. Kneipp stellt meistens einige Fragen an die Patienten über Beschäftigung, Stand, Alter, Leiden, Appetit, Stuhlgang u .dgl., die zur Kenntnis der Krankheit von Wichtigkeit sind. Namen, Religion u. dgl. sind Sachen, nach denen Kneipp niemals fragt. Unter den Patienten sind nicht alle neu. Viele haben bereits Anwendungen erhalten und kommen nach sechstägigem, auch mehr- oder wenigertägigem Gebrauche derselben wieder, um sich neue verordnen zu lassen. Früher wurden die Anwendungen immer nur auf drei Tage gegeben. Auch heute geschieht dies noch bei solchen Krankheiten, bei denen es Kneipp für nothwendig erachtet, dass er die Aussage der Patienten über den Fortgang ihrer Krankheiten innerhalb kurzer Zeit hört. –
Wegen des ungeheuren Zudranges von Hilfesuchenden mussten die Anwendungen gleich für mehrere Tage (sechs) oder Wochen gegeben werden. Nach Besserung wird selten gefragt, wenn nicht die Patienten eigens erwähnen, „es gehe ihnen besser oder schlechter“. Will jemand etwas haben, so muss er selbst darum ansuchen; denn nach den Bedürfnissen zu fragen, erlaubt weder die Zeit noch der ungeheure Zudrang
der Hilfesuchenden.
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8.
Ernst und Scherz.
Bei diesen Ordinationen nimmt Kneipp oft Anlass, über dieses und jenes zu sprechen. Oft und oft donnert er gegen den Genuss des Kaffees als eines kindermordenden Getränkes. „Fort mit dem elenden Bohnenkaffee, der bloß zehrt und die Nerven zerrüttet!“ Dass seine stete Mahnung gegen dieses eingebürgerte Lieblingsgetränk, von dem Al. Binder die launigen Worte singt:
„Der Kaffee macht die Menschen krank,
Nichts ist so schlimm als dieser Trank
Und – was dabei geklatscht wird.“
Ihm ist der Kaffee die Ursache vieler krankhafter Zustände. Die heutige Nervosität schreibt er vielfach auf Rechnung des vielen Kaffeegenusses. Kaffee trinkende Mütter macht er verantwortlich für den elenden Zustand ihrer armen Kinder. „Ein Häferl voll Kaffee“, sagt er dann wiederholt, „haben die Weiber in der Hand, ein zweites steht auf dem Herd und wird gewärmt, ein drittes ist bereits auf der Anrichte in Bereitschaft“. Fast jedesmal kennt es Kneipp den Leuten im Gesichte an, ob sie Kaffee trinken oder nicht. Und mögen sich die Damen noch sosehr entschuldigen, dass sie schon vierzehn Tage oder drei Wochen lang keinen oder doch nur sehr lichten Kaffee getrunken haben, seinem scharfen Auge entgeht es nicht, seine scharfe Erkenntnisgabe sagt es ihm trotz der gegentheiligen Behauptung.
Noch mehr als die Kaffee trinkenden Personen sind Damen, die ihren Körper so stark geschnürt haben, dass man jeden Augenblick befürchten muss, sie brechen inmitten entzwei, der Gegenstand seines Spottes. Wie bei manchen Insecten, scheinen auch bei solchen Damen Ober- und Unterleib nur durch einen recht dünnen Stiel verbunden zu sein. Das Schnüren ist Kneipp eine thörichte, ja grausame Unsitte, weil es den Körper tyrannisiert und ihn oft zugrunde richtet. Hunderte von Frühgeburten, zahlreiche Gebrechen des Unterleibes sind die Folgen dieser unseligen Thorheit. Allen Modemädchen ruft er ins Ohr, sie sollten doch ihren Körper nicht
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so tyrannisieren, sie müssten einst vor Gott Rechenschaft darüber abgeben, wie sie mit ihrem Körper umgegangen. Nicht minder ernst legt er den Müttern ans Herz, solchen Unfug bei den Kindern nicht zu dulden; denn ihnen seien die Kinder als Kleinodien des Himmels anvertraut, über die sie einst Rechenschaft geben müssten. Zahlreich fließen oft die Thränen der Damen unter solchen Worten des sittenstrengen Pfarrers.
Unermüdlich kämpft Kneipp in den Ordinationsstunden gegen die herrschenden, verkehrten Ansichten in Kleidung und Nahrung und all die Thorheiten, die Luxus, Mode, Genusssucht und ein unsinniger Sport fort und fort erzeugen. „Zurück zur alten, gottgewollten Lebensweise, zurück zum Praktischen Christenthum!“ Das ist Kneipps ständiger Ruf – Gesunden und Kranken gegenüber. Die Leute sollen nach seiner Meinung zu den Alten in die Lehre gehen und ihre erprobte Lebensweise prüfen und nachahmen. Dieser Abfall von der einstigen natürlichen Lebensweise ist es nicht zum geringsten, dass unser Jahrhundert so elend, blut- und geldarm geworden ist. Es wird wegen seiner Verweichlichung mit Recht „das Zeitalter der Blutarmut und Bleichsucht“ genannt, ein Zeitalter, in welchem der Mensch einen großen Theil seines Lebens in Eisen-, Stahl- und Seebädern oder in nervenstärkenden Curorten zubringt.
In der Bekleidungsfrage nimmt er sich warm und eifrig der einst so hoch geschätzten, jetzt aber vielfach beiseitegesetzten groben „Hausleinwand“ an. Kneipp ist gegen „die directe, unmittelbar den Leib berührende Wollbekleidung“ und für die Bekleidung mit dem trockenen, festen, kernhaften, unverkünstelten Linnen oder Reisten. Letzteres ist ihm die liebste „Haut auf der Haut“, welche diese nie verweichlicht, vielmehr ihr stets die besten Frottierdienste thut. „Den Frottierdienst versieht bei mir den ganzen Tag und die ganze Nacht hindurch das grobe Linnenhemd, das ich hiermit allen empfehle“, sagt Kneipp selbst in seinem Buche „Meine Wassercur“ (20. Ausl., S. 10 und S. 62). Lebhaft bedauert es Kneipp, dass statt des heimischen, erprobten Linnenzeuges nur mehr moderne Artikel für die Wäsche gewählt werden, die zwar schönklingende Namen aus fremden Ländern sich ausgeborgt, aber nicht die Güte des Linnen haben, wie die Chiffons, Schirtings, Oxfords, Mollinos,
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Brillantines, Crettons und Piques. Wem die Linnenwäsche zu grob ist, empfiehlt er die Tricot-Linnenwäsche.
Auch in der Nahrung wünscht er möglichste Einfachheit. Dem sogenannten „Kraftbrote“, das nach dem Recepte der ehrw. Dominicanerinnen aus zwei Theilen Weizenmehl, einem Theil Roggenmehl und einem Theil Weizenkleie mit ein wenig Hefe und Salz zu einem Teig angemacht und gebacken wird, rühmt er große Stücke nach.
Den Bohnenkaffee will er durch Kaffee aus gemalzter Gerste (Kneipp-Kaffee) ersetzt wissen. Mit besonderer Anerkennung spricht er von der sogenannten „Kraftsuppe“, die aus einer Mischung von Fleischsuppe oder Milch mit geriebenem Kraftbrot besteht und nach Kneipp einen erstaunlichen Nährwert hat.
Als geschworner Feind jeglicher Verweichlichung ruft er die Menschheit unaufhörlich zu Übungen vernünftiger, gesundheitsfestigender Abhärtung.
Das Barfußgehen ist ihm nun eines der allerliebsten Abhärtungsmittel, sozusagen die conditio sine qua non der Kneipp'schen Cur.
Liebhabern schöngeistiger Literatur dürfte es willkommen sein, aus Dichtermund (Rückert in: „Weisheit des Brahmanen“) das Lob des Barfußgehens zu vernehmen:
„O sieh, der Morgen hat mit thauigem Geschmeide
Belegt die Gottes Flur; komm und den Fuß entkleide!
Wer in dem Maienthau frühmorgens wandeln mag,
Fühlt sich von unten auf gestärkt den ganzen Tag.“
Das Barfußlaufen wurde bereits, wie Kaiser Marc Aurel (Antonius Philosophus) in seinen Selbstgesprächen (5, 8) berichtet, von Asklepios (lat. Aesculap), den die Medicin heute noch als ihren Schutzgott verehrt, als Heilmittel anempfohlen.
Der berühmte Philosoph und Naturforscher Emanuel Kant sieht in der Abhärtung der Füße ein Mittel, „der Erschlaffung der Blutgefäße in so weit vom Herzen entlegenen Theilen“ (wie die Füße sind) zu entgehen.
Ist er so zeitweilig scharf und geißelt er mit unerbittlicher Strenge die Modethorheiten der heutigen Zeit, so ist er doch gleich wieder voll Leutseligkeit und Güte, namentlich wenn arme Dienstboten und Witwen ihn um Rath bitten. Besonders Witwen gegenüber zeigt sich sein edles Herz.
Als
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einmal eine Witwe aus nicht armen Stande fragte, was sie schuldig sei, fragte er: „Was sind Sie?“ „Eine Witwe“, war die Antwort. „Da zahlen Sie nichts“, entgegnete der Pfarrer; „denn die Witwen haben im Himmel einen gütigen Vater und auf Erden die Wolthätigkeit und Barmherzigkeit der Menschen“, setzte Kneipp liebevoll tröstend hinzu.
Übrigens bringt der edle Menschenfreund allen Leuten Wolwollen entgegen. Die vielgeplagten Mitglieder des Lehrstandes, seien es Gymnasial- oder Volksschullehrer, und die Beamten, die tagsüber oft bei dumpfer Luft in nicht selten eher keller- als wohnungsähnlichen Räumen bei ungenügender Beleuchtung den ganzen Tag zubringen müssen, sind Gegenstand seiner besonderen Sorgfalt. Oft und oft hört man ihn sagen: „Gerade Lehrer und Beamte müssen sich die Wolthat des Wassers recht zugute kommen lassen und in wöchentlich zweimaligen Halbbädern Erfrischung und Erquickung suchen.“
Kommen dagegen Leute niederen Standes, die ihre Kinder nach städtischer Manier prächtig zusammenputzen, kurze Kleider tragen lassen, unnöthigen Schmuck auf Hüte und Hauben geben, so dürfen sich dieselben wohl auf einen derben Verweis des strengen Sittenpredigers, der der althergebrachten, von den Vätern ererbten Kleidung sooft das Wort redet, gefasst machen. Besonders die neumodisch geformten Damenhüte und ihr oft unsinniger, lächerlicher Putz sind es, denen er scharf zusetzt. Erregen einfache Feld- und Wiesenblumen, zur Zierde am Hute angebracht, sein Wolgefallen, so nimmt seine Rede einen recht strafenden Ton an, wenn die Frauen, die in ihrer übertriebenen Körperpflege und Ausstattung oft wandelnden Parfümerien und eleganten Modemagazins gleichen, ihre Hüte zur Schaustellung von kleinen Vögeln und anderen Sachen benützen. Wenn er an Frauenspersonen recht aufgeputzte Hüte bemerkt, sagt er nicht selten: „Ja Weible, nach Deinem Hute zu schließen“, oder „weil Du ein so schönes Hütle aufhast, kannst schon a Mark zahl'n, sonst hätt's nix kost.“ „Mädle“, sagt er ein anderesmal zu einem Bauernmädchen, das zahlen will, „wie viel Gäul hat dein Vater?“ „Zwei“, sagte das Mädchen. „Na, dann zahlst nix. Aber wenn a Bauratochter so schön anzog'n is wie Du, sollt ma eigentli do' was begehrn.“
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Dass es in den Ordinationsstunden auch an heiteren Zwischenfällen nicht mangelt, ist wohl selbstverständlich. So erschien eines Tages mit vielen anderen Patienten ein kugelrunder Bräumeister, der sich durch die Reihen der Kranken mühsam Bahn brach. Als Kneipp des Mannes mit des Schmeerbauchs runder Wölbung ansichtig wurde, bemerkte er mit köstlichem Humor: „Ja, ja, saufa wänt alle, aba sterba will koina! Doch dem werden wir die Hypothek (so nennt Kneipp die dicken Bäuche) bald herabgerissen haben“ und verordnete Ober- und Unteraufschläger.
„Wen Plagt ein Dämon Bauch genannt,
Der nehm', ihn zu verscheuchen,
Ein grobes Linnentuch zur Hand
Und lass sich Wickel reichen!“
Obwohl der Herr Pfarrer den Kranken sich ganz opfert, ist doch die Entlohnung äußerst gering. Vorausgeschickt muss werden, dass nur derjenige zahlt, der darnach fragt. Wer überhaupt nicht fragt oder zu fragen vergisst (?!), wird dazu nicht aufgefordert. Fragt aber einer nach seiner Schuldigkeit, so ist die gewöhnliche Antwort Kneipps: „Wenn's arm sän, zahln's nichts, wenn's aber nöt arm sän, dann zahln's für d'Woch'n a Mark.“ Ist eine Person durch längere Zeit, z.B. monatelang in Wörishofen und nimmt den Rath des Herrn Pfarrers in Anspruch, so zahlt sie für die Woche nicht einmal eine Mark. Das Höchste, was er für eine Person, die lange Zeit in Wörishofen war, verlangt, ist gewöhnlich 6 bis 8 Mark.
Hilfsgeistliche, Cooperatoren, Kapläne, Ordensgeistliche, Unterlehrer, kleine Beamte, Dienstboten u. dgl., kurz alles, was nicht selbständig ist, zahlt nichts. Manchmal fällt es auf, wenn er Personen, die zwar nicht selbständig sind, aber doch eine anständige Besoldung haben, nichts zahlen lässt, mit der Begründung, sie seien auch nichts anderes als Knechte, wie er sich neulich einem Bank-Buchhalter gegenüber ausdrückte.
Kommt ein Student, so heilt er ihn nicht nur umsonst, sondern gibt ihm auch ein Viaticum (Reisegeld) mit den Worten:
„Studenten zahl'n nix, bei denen muss man froh sein, wenn's oan nöt no anpumpa; da hast, (dabei drückt er dem Studenten mehrere Mark in die Hand) hat mich auch als Student g'freut, wenn i a Viaticum kriagt hab.“
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9.
Eine nationale Musterkarte.
Wie sich hier auf dem engen Raume der Pfarrhofstube alle Stände drängen, so treffen sich hier auch alle Nationen. Die deutsche Sprache selbst kann man hier in allen Dialecten sprechen hören, vom weichen Sächsischen angefangen bis zu den harten Gurgeltönen der Schweizersöhne. Langsam oder rasch wie ein Räderwerk hört man die Leute sprechen, wie es eben die Zunge eines jeden zu leisten vermag. An Zungenfertigkeit überragte auch hier das Frauenvolk infolge des geübten, den Tag hindurch selten stehenden Redewerkes – die ernste Männerwelt. Es ist bei ihnen ebenso, wie bei einer Uhr. Hat man die Uhr aufgezogen und das Räderwerk in Gang gebracht, dann geht es eilfertig in einem fort, bis die Worte des Herrn Pfarrers: „Still Weible!“ den hervorsprudelnden Redefluss hemmen.
Die zahlreichen Nationen, die kommen und gehen, zeigen, dass das unscheinbare Dorf Wörishofen zu einem Weltcurort vorgerückt ist.
Da kommt eine Gräf in aus Corfu. Sie spricht zwar deutsch, aber fortwährend mit englischen Brocken vermischt. Der schwäbische Dialect, den Kneipp spricht, ist ihr natürlich vielfach unverständlich und wird ihr entweder von Kneipp selbst oder seiner Umgebung ins Schriftdeutsche umgesetzt. Obwohl sie die berühmtesten Ärzte zurathe gezogen, blieb alle ärztliche Hilfe ohne Erfolg. Die Wassercur soll nun das Übel heilen.
Ein Ehepaar aus Ostindien, das nach eigener Aussage bereits in jenem fernen Lande von Kneipp und seiner Cur vernommen, will den Aufenthalt in Deutschland benützen, um Kneipps Heilmethode kennen zu lernen. Ein Apotheker aus Amerika, der doch schon seines Standes wegen Kneipps und der Wassercur Feind sein sollte, sucht beim Wasser seine Heilung.
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Eine italienische Dame, die äußerst schnell italienisch spricht und deren Gatte den Dolmetsch zwischen ihr und dem Pfarrer macht, gefällt Kneipp besonders wegen der Lebhaftigkeit ihrer Gebärden und Reden. Kneipp kann sich an der schönen Sprache nicht satt hören. Er zeigt überhaupt für die verschiedenen Sprachen reges Interesse, wenn er auch keiner der modernen Sprachen außer der deutschen, seiner Muttersprache, fähig ist. Hie und da erkundigt er sich um dies und jenes, das auf die Sprachenverwandtschaft oder dergleichen Bezug hat.
Österreich mit seinen vielen Nationalitäten stellt einen großen Theil der Patienten. Deutsche, Ungarn, Czechen, Slovenen, Walachen, Kroaten, sie alle wollen vom Wasserdoctor curiert werden.
Auch Franzosen aus Elsass-Lothringen sind stets in schwerer Menge da. Ja Frankreich liefert eine so bedeutende Anzahl von Curgästen, dass man auf den Wegen und in den Gasthäusern öfters nur französisch sprechen hört.
Der großen Menge Franzosen und Engländer hat auch ein kleines Restaurant, das dem Priesterhause gegenüber erbaut ist und wegen der Schnelligkeit, mit der es erbaut wurde, von bösen Zungen den Namen das „nervöse Haus“ erhielt, Rechnung getragen, indem es auf dem einen Seitentheile die Inschrift trägt: „on parle francais“, auf der anderen überlädt „English spoken“ den Sohn Albions ein, bei bayerischem Gebräu den Tönen heimatlicher Sprache zu lauschen.
Auch der Rheinländer sind nicht wenige. Die Bayern sind jetzt schon mehr vertreten als früher. Es bewahrheitete sich eben auch bei Kneipp das Sprichwort: „der Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterlande“ oder wie der Bauer sagt: „Der Pfennig gilt nichts, wo er geschlagen ist.“ Dafür stellen die Nachbarländer ein umso größeres Contingent.
Unter den Deutschen sind ihm unstreitig am liebsten die Wiener. Wenn Patienten aus Wien bei ihm Hilfe suchen, sagt er fast jedesmal: „Die Wiener hab' ich gern, mit denen hab' ich Glück.“ Den Wienern versprach er daher auch, er werde, wenn möglich im Winter einmal nach Wien kommen und dort Vorträge halten. Am 30. April 1892 hat er sein Versprechen eingelöst. Dass er bei der großen Anzahl Wiener, die bei ihm bereits Hilfe gesucht und gefunden und den Pfarrer
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Kneipp schätzen gelernt haben, stets der besten Aufnahme sicher ist, dafür bürgt ihm die dankbare Gesinnung derselben.
Die Wiener selbst haben sich bereits dankbar gezeigt, indem sie einen Naturheilverein nach dem Muster des Münchener Naturheilvereines ins Leben gerufen haben, dem bereits die meisten Anhänger und Verehrer Kneipps beigetreten sind, um die Wasserheilmethode, überhaupt die Naturheilmethode, die Pfarrer Kneipp vertritt, recht zu verbreiten und populär zu machen. Ohne einer Übertreibung beschuldigt zu werden, darf man sagen, dass es wohl kaum ein bedeutenderes Land oder Volk gibt, das nicht schon den einen oder anderen Angehörigen zu Kneipp nach Wörishofen entsendet hätte.
Unter den Kranken, die ihre letzte Zuflucht zu Kneipp genommen haben, sind nicht wenige, die sich an demselben Tage, an welchem sie sich Pfarrer Kneipp zur Untersuchung stellen, einer Operation hätten unterziehen sollen.
Da kommt ein Mann mit seiner Frau und sagt: Heute hätte die Frau in München operiert werden sollen, sie wollte aber nicht und verlangte hierher. Andere Kranke wiederum bringen drei, vier, ja noch mehr Recepte mit, die ihnen von hervorragenden Männern der medicinischen Wissenschaft verschrieben worden waren.
Besondere Freude hat Kneipp an den Kindern, die das Wasser nicht scheuen. Zu einem Mädchen, das bei Verordnung des Obergusses in die Hände klatschte und seiner Freude darüber in den Worten „das ist gescheidt“ Ausdruck gab, sagte der Pfarrer: „Mädle, du freust mich, weil du das Wasser so gern hast“, nahm des Kindes Hand in seine Linke und schlug mit seiner Rechten mehrmals auf die flache Hand des Mädchens zum Zeichen seines Wolgefallens.
Wird Kneipp gefragt, was man essen soll, so verordnet er einfache, kräftige Hausmannskost und sagt dazu: „Essen Sie nicht wenig, aber gut.“ „Was darf ich trinken?“, fragt ein anderer Patient. „Machen Sie es wie ich“, sagt Kneipp. „Der Wein ist mir zu theuer, das Bier ist mir zu schlecht und das Wasser zu nass.“
Pfarrer Kneipp empfiehlt überhaupt als Regel im Trinken: „Trinke nur, wenn dich dürstet und auch dann nicht viel!“ Das Trinken während des Essens verwirft er ganz und behauptet, dass „Nassfütterer“ nie eine feste
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Gesundheit bekommen. Das Wasser ist das natürliche Gottvatergetränk. Wer vernünftig isst, wird nie viel über Durst klagen. Des Wasserfreundes Rath hat Al. Binder in seiner „Wasserdichtung“ in die Verse umgesetzt:
„Trinke nicht zum Zeitvertreib,
Trinke nicht hinein ins Essen,
Trinke nicht als wie besessen,
Trinke nicht Getränk der Prasser,
Trinke, wenn dich dürstet, Wasser!“
Um 11 oder 11¼ Uhr endet das fast endlose Dictat der Güsse. Ganz abgespannt verlässt man das Ordinationszimmer. Das bloße Anhören allein hat ungemein ermüdet. Der Herr Pfarrer nimmt jetzt noch die Gießungen an hohen Aristokraten oder sonst hervorragenden Curgästen vor. Auch der jüdische Geldkönig Rothschild hat in der historischen Pfarrhofwaschküche aus Kneipps Hand den kalten Wasserstrahl empfangen. Diese Waschküche hat zwei Kabinette, eines zum Aus- und Ankleiden, das zweite aber enthält eine mit Wasser gefüllte Wanne und eine Bottich, welche das über die zu begießenden Personen geschüttete Wasser aufnimmt. Dem Eingang gegenüber ziert die Wand eine große Tafel, die mit rothen Buchstaben folgende Inschrift trägt:
„Leb' wol du liebe kleine,
Traute Waschküche;
Hab' Dank für all' die Wohlthat,
Die wir in dir genossen!“
Mit diesen Worten haben dankbare Curgäste von der einfachen, trauten Küche Abschied genommen, und jeder wiederholt die Worte gern, der in derselben die Wohlthat genossen, vom Pfarrer Kneipp begossen worden zu sein. In derselben werden jetzt nur mehr ausnahmsweise Güsse ertheilt; sie ist zu einem historischen Gegenstände ersten Ranges für Wörishofen und die Kneipp-Anhänger geworden.
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10.
Bei und nach Tisch.
„Die Kost sei einfach, aber reichlich:
Kraflsuppe wirkt ganz unvergleichlich;
Hingegen thät' der Alkohol
Dem lieben Körper gar nicht wohl.
Vom Weine könnt' man kecklich sagen.
E r sei ein Feuerlein im Magen,
Und gar Kaffee und Bier und Schnaps
Brächt meistens an den Rand des Grab's.“
Al. Binder.
Endlich ist auch für den geplagten Pfarrer die Zeit gekommen, sein Vormittagwerk zu beenden. Da der Herr Pfarrer im Kloster der ehrw. Dominicanerinnen speist – bis zur Erbauung seines Curhauses speiste er gemeinsam mit den Geistlichen, – begibt er sich dorthin, wenngleich er um eine Viertel- oft auch um eine halbe Stunde zu spät kommt. Dem Herrn Pfarrer wird auch auf dem Gange zum Mittagstisch noch aufgelauert. Friedhof und Klosterpforte bergen manchen Lauerer, der bei der Erscheinung des Pfarrer schnell auf ihn zuspringt und ihm noch seine Bitte auf- und eine Antwort abnöthigt.
Selten geht Kneipp gleich zu Tisch. Meistens stattet er vorher noch seiner im Kloster befindlichen Apotheke einen Besuch ab, um das oder jenes Mittel herzurichten, das er vormittags über einem oder mehreren Patienten versprochen hat. Ermüdet kommt er endlich ins Speisezimmer und nimmt seine Mahlzeit ein, die in einfacher, kräftiger Kost besteht. Trunk nimmt er keinen; denn es ist bei ihm Grundsatz, nichts von dem zu thun, was er anderen gebieterisch abräth.
Hat er sein einfaches Mahl eingenommen, so beginnt die Ordination von neuem im Kreise seiner geistlichen Amtsbrüder. Immer ist er dabei guter Laune und voll trefflicher, witziger Einfälle. Wie überall, so zeigt sich auch hier seine Originalität. Sehr oft erzählt er auch von seiner Jugend oder sonstigen Erlebnissen.
Ist das Wetter günstig, so wird das Gartenhäuschen des Klosters als Ordinationsraum benützt. Freilich ist dasselbe viel zu klein, um alle die eifrigen Zuhörer fassen zu können. Aber man weiß sich zu helfen. Man umstellt das Gartenhaus und sucht durch die zitterigen Wände hindurch sich kein Wort aus Kneipps Munde entgehen zu lassen. Die kräftige, volle
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Stimme des Pfarrers ermöglicht auch denen, die nicht in unmittelbarer Nähe stehen, die Worte Kneipps zu verstehen. Hie und da kommt jetzt eine Cigarre zum Vorschein, die dem Pfarrer angeboten wird. Nicht selten wird das Angebot dankbar angenommen, aber meist nur, um den Spender nicht zu beleidigen. Mehrmals erlischt die Cigarre; würde sie von den ihn umstehenden Curgästen nicht wieder angezündet, so würde sie wohl kaum mehr tagsüber ihrem Zwecke, in Rauch aufgehen, zugeführt werden.
Bei regnerischem, stürmischen Wetter wird die Ordination aber gleich im Refectorium vorgenommen. Sind die Wünsche der geistlichen Bittsteller befriedig, so geht es an die Laienordination. Vor dem kleinen Ordinationszimmer des Klosters – nachmittags wird nämlich die Ordination nur im Kloster vorgenommen – wartet bereits eine große Menge Hilfesuchender auf ihn. Das anstrengende Geschäft des Vormittags beginnt von neuem. Durch zwei und eine halbe Stunde, bei größerem Andränge auch durch drei Stunden, sitzt Kneipp in einem kleinen Zimmer inmitten der Ärzte in einer Atmosphäre, die fast täglich eines reinigenden Gewitters und größerer Zufuhr erfrischenden Ozons bedürfte.
Um 3 Uhr herum nimmt er seine Jause, bestehend in einer Tasse Malzkaffee, und ladet hiezu die ihn umgebenden Ärzte ein, die auch hier manches treffliche Wort, das er an diesen oder jenen lehrreichen Fall knüpft, aus seinem Munde vernehmen und als gelehrige Schüler sich zunutze zu machen suchen. Manchmal wird die Ordination hernach fortgesetzt. Sonst verwendet Kneipp die nächste Zeit dazu, um seine Krankenbesuche zu machen. Einer der Ärzte begleitet ihn hiebei gewöhnlich.
Welch große Freude ein Patient empfindet, den Kneipp in eigener Person besucht, ist leicht erklärlich, wenn man bedenkt, wie sehr seine Zeit in Anspruch genommen ist. Jede Minute ist ihm ja kostbar. All das hat mit Erbauung des Priester-Curhauses ein Ende gefunden. Pfarrer Kneipp speist jetzt allein im Kloster; nur hohe, geistliche Würdenträger und hochverdiente katholische Priester, wie der berühmte Missionär Ohrwalder, der 10 Jahre lang in der Gefangenschaft des
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Mahdi sich befand, speisen mit ihm. Gegen halb 2 Uhr kehrt er vom Kloster in das Curhaus zurück, um die Sprechstunde von neuem zu beginnen, die meist bis halb 5 Uhr dauert.
11.
Keim Vortrage.*)
„Der Allerhöchste ist's, der die Heilmittel
aus der Erde hervorbringt.“ (Hl. Schrift.)
Um halb 5 Uhr hält er gewöhnlich den von sämtlichen Curgästen sehnlichst erwarteten Vortrag, was bis zum Herbste des Jahres 1890 stets unter freiem Himmel geschah. Die seit Oktober 1890 fertiggestellte Wandelbahn, die durch freiwillige Beiträge von den Bewohnern von Wörishofen und den dort weilenden Curgästen auf Veranlassung des Prinzen Solms-Braunsfeld und des hochw. Herrn Domcapitulars zu St. Stephan in Wien, Graf zur Lippe und des Herrn Franz Grafen Bentzel-Sternau zu dem Zwecke geschaffen wurde, um den Curgästen auch bei schlechter Witterung Gelegenheit zu geben, der nach jeder wie immer lautenden Wasseranwendung von Kneipp vorgeschriebenen Bewegung nachkommen zu können, ermöglicht es den Patienten, sich bei Eintritt ungünstiger Witterung unter das schützende Dach des „Marienganges“ zu flüchten und dort den Worten des Vortragenden zu lauschen, die man bisher bei ungünstiger Witterung hatte entbehren müssen.
Die Wandelbahn ist ein langer, hölzerner, gedeckter Gang von 80 Meter Länge und 4½ Meter Breite, der sich an das untere Badehaus anschließt. In der Mitte ist der Gang zu einem hallenartigen Raum erweitert; in diesem hält Kneipp seine Vorträge. Über der Kanzel, von der Kneipp aus spricht, ist an der Wand eine herrliche Muttergottesstatue angebracht, eine Spende der Fürstin Marie Solms-Braunsfeld. Ob der schönen Marienstatue ward die Wandelbahn „Mariengang“ genannt.
Kneipp hatte bisher von einer rohgezimmerten Kanzel aus, die an der Wand eines Hauses errichtet war, seine
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*) Siehe rückwärts den Aufsatz: „Kneipp und seine Vorträge“.
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Worte an die zahlreich versammelte Zuhörerschaft gerichtet. Zwischen dem Hause, an dem die Kanzel errichtet war, und der zweiten Badeanstalt, waren Reihen von Bänken aufgeschlagen, die lange vor Beginn des Vortrages besetzt waren, um sich für die Zeit des Vortrages ein bequemes Plätzlein zu sichern. Wenn das Wetter halbwegs darnach war, dass die Zuhörer im Freien bleiben konnten und Pfarrer Kneipp nicht durch dringende Geschäfte abgehalten war, fand der Vortrag selbst an Sonn- und Feiertagen statt.
Kneipp spricht dabei immer aus dem Stegreif. Auf dem Wege zum Vortragsplatze weiß er oft selber noch nicht, worüber er sprechen soll. Ein Kraut, das verachtet am Wege sieht, bietet ihm gar oft den Gegenstand für seine halbstündige Rede. Doch sieh da! Es soll wieder anders kommen!
Kaum hat der Pfarrer das Kräutlein gepflückt, so tritt ein Herr an ihn heran mit dem Ersuchen, über den „Katarrh“ zu sprechen. „ Das können wir schon thun“, sagt willfährig der Krankenfreund und lässt das Kräutlein für heute gehen und nimmt zum Gegenstand des Vortrages die Katarrhe.
Sobald das bereits geraume Zeit harrende Publicum Kneipp erblickt hat, bricht ein Beifallssturm los, und das Händeklatschen will kein Ende nehmen, während er seinen Weg durch die versammelte Schar nimmt, die ihm ehrerbietig platzmacht. Kneipp besteigt die Kanzel. Was immer geschäftige Damenhände aus Wiese und Flur und Feld und Wald an lieblichen Blumen zusammenzutragen vermochten, findet sich an derselben als Schmuck. Kneipp hat auch an diesem ganz natürlichen Schmucke seine helle Freude, ist er ja selbst ein echter Sohn der Natur. Alles Unnatürliche ist ihm deswegen fremd und verhasst.
Nun beginnt er den Vortrag, nachdem er sich die Zier seiner Bühne noch einmal besehen. Gespannt lauschen die Zuhörer den überzeugenden, gut gemeinten Worten des Redners. Es sind kernige, zu Herzen dringende Worte, die er an die Versammelten spricht. Nichts hört man da von den „Errungenschaften der modernen Wissenschaft“, nichts von der Kraft der „Göttin Natur“, nichts von der „segenspendenden Allmutter Erde“. Demüthig und bescheiden weist er immer und immer wieder auf denjenigen, von dem jede gute Gabe kommt,
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und manche Thräne entperlt dem menschenfreundlichen Priesterauge aus Dank darüber, dass der Schöpfer so manch unscheinbares Heilkräutlein zu Trost und Linderung des vielgeplagten Menschen erschaffen.
Hat Kneipp seinen Vortrag beendet, so ertönt abermals lautes Beifallsklatschen aus den Reihen der Menge, die eine volle halbe Stunde auf jedes Wort gar emsig gelauscht.
Herr Pfarrer Kneipp gierig früher immer nach dem Vortrage in das erste Badehaus, um dort in eigener Person den Curgästen die Blitzgüsse zu ertheilen. Jetzt werden sie nach dem Vortrage selten mehr verabreicht. Doch kommt es öfters vor, dass Kneipp, um sich ein wenig zu erholen, die Sprechstunde unterbricht und dem einen oder anderen Herrn einen Blitzguss gibt. Das dauerte meist bis 6½, oft auch 6¼ Uhr, obwohl das Abendessen, das er früher wiederum gemeinsam mit den Geistlichen im Kloster einnahm, bereits auf 6¼ Uhr angesetzt war.
Hat er sein Nachtmahl, das er jetzt allein im Kloster einnimmt, genommen, so ist sein Tagewerk noch nicht zu Ende. Bereits haben sich wieder einige an der Klosterpforte eingefunden, um den Pfarrer einige Augenblicke allein für sich in Anspruch nehmen zu können. Im Pfarrhof wiederholt sich dieses Schauspiel von neuem. Freilich kommen um die Abendzeit manche zu ihm, die von ihm selbst dorthin bestellt sind.
Manchmal bespricht er auch abends interessante Fragen, um deren Erklärung der eine oder andere gebeten, so dass er vielleicht erst abends gegen 9 Uhr von der Drangsal der Patienten befreit ist, jedoch in der sicheren Voraussicht, dass am nächsten Tage die gleiche Mühe und Plage seiner warte.
Nach dem Abendessen pflegt er nunmehr fast täglich das Kinderasyl zu besichtigen oder sich mit den kranken Kindern, die er ja so „gern“ hat, zu unterhalten. Manchmal widmet er auch den Priestern im Curhause ein Viertel- oder Halbstündchen zu gemüthlicher Unterhaltung.
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12.
Die Verbreitung der Knripp'schen Cur.
„Nur her die Waffen, her die Wassercur,
Und weg mit allem, allem Giftgenuss.
Drum her mit einer wohlgefüllten Wanne
Und her mit Ober-, Knie- und Rückenguss!“
Von dem erfreulichen Aufschwunge, den die Kneipp'sche Wassercur in der kurzen Zeit ihres Bestandes genommen, zeugen die bereits errichteten, zahlreichen Wasserheilanstalten nach dem System von Pfarrer Kneipp. Eine alphabetische Zusammenstellung derselben, die freilich keinen Anspruch auf erschöpfende Aufzählung aller bis jetzt bestehenden „Kneippanstalten“ macht, möge dem Leser die weite Verbreitung der Kneipp'schen Cur vor Augen führen. Solche Wasserheilanstalten*) gibt es in:
A.
Affoltern in der Schweiz „Zur Arche“; L.A.: Prot. Pfarrer Dr. Egli.
Agram in Kroatien; L.A.: Dr. I. Lobmayr.
Aistersheim, Ob.-Öst.; L.A.: Otto Ebenhecht, pr. Arzt.
Alt-Heide in der Grafschaft Glatz; L.A.: Dr. Monse.
Andelsbuch im Bregenzerwald; L.A.: Dr. König.
Auenhof-Stosir „Das Paradies am Wörthersee“ in Velden, Kärnten; L.: J. Schür.
B.
Baden in Baden; L.A.: Dr. Hirschfeld.
Bergzabern in der Pfalz; L.A.: Dr. Rieber.
Berlin „Naturheilanstalt“, Sebastianstraße.
Berlin „Naturheilbad Reform“, Dachauerstraße.
Betzdorf an der Sieg „Germaniabad“; L.A.: Dr. Euteneuer.
Beyharting bei Rosenheim in Bayern; L.A.: Dr. Vordermayer.
Biberach am Rieß, Württemberg; L.A.: Dr. Schlichte.
Bischofszell „Thurbad“, Thurgau in der Schweiz; L.A.: Wintcrhalter, pr. Arzt.
Voll im badischen Schwarzwalde.
Bonn am Rhein „Hohenzollernbad“; L.A.: Dr. Wilkes.
_____________
*) L.A. – Leitender Arzt; pr. Arzt – praktischer Arzt; L. – Leiter.
S. 37
Bonn „Kaiser Friedrich-Bad“; L.A.: Dr. H. Meyer.
Bottmingen, Schloss bei Basel, Schweiz.
Braunfels an der Lahn; L.: Schunk.
Brixen, Tirol; L.A.: Dr. Otto von Guggenberg.
Bronn bei Kestenholz, Elsaß; L.A.: Dr. Kleinschrod.
Brunnenthal bei München.
C.
Cannstadt, Stuttgart; L.A.: Dr. Bilfinger.
Chemnitz „Von Zimmermann'sche Naturheilanstalt“; L.A.: Dr. Disqué.
Cleve am Niederrhein; L.A.: Dr. Bergmann.
Coburg, Naturheilanstalt.
Crefeld „Victoriabad“; L.A.: Dr. Schmitz.
D.
Dansville, Liv. Co. New York, N. Am.; L.: Pfarrer Räuber.
Deggendorf „Naturheilanstalt Wittelsbach“; L.A.: Dr. Lust.
Detroit, Michigan, N.-Amerika; L.: Hydropath Jos. Kuehnel.
Donaueschingen; L.A.: Dr. Gutmann.
Donauthal, Sigmaringen; L.A.: Dr. Siebenrock.
Düsseldorf; L.A.: Dr. Val. Schulz.
Dußnang in der Schweiz.
E.
Elberfeld; L.A.: Dr. Götte.
Elspe, Lennethal, R. B. Arnsberg: L.A.: Dr. Parnemann.
F.
Frankfurt am Main; L.A.: Dr. Miggemann.
Freiburg im Breisgau; L.A.: Dr. von Langsdorfs.
Freiburg im Breisgau; L.A.: Dr. Edinger.
G.
Gallspach, Ob.-Öst.; L.A.: Dr. Zadny, pr. Arzt.
Geyer im Erzgebirge.
Grätsch bei Meran „Kneipp-Curanstalt“; L.A.: Dr. Ladurner.
Graz, Steiermark; L.A.: Dr. Großbauer.
Gries bei Bozen, Tirol.
Groze bei Metz.
Grünsthal in Coburg.
S. 38
H.
Hals bei Passau „Bavaria-Bad“; L.A.: Dr. H a r t l .
Heiligenbronn in Württemberg.
Hohenwies-Tölz, Ober-Bayern; L.A.: Dr. W. List.
Hornegg, Schloss bei Gundelsheim am Neckar; L.A.: Dr. Katz.
I.
Ilmenau in Thüringen; L.A.: Dr. Hassenstein.
Immenstadt „Friedrichsbad“ im bayr. Hochgebirge; L.A.: Dr. Uhereck.
Imnau in Hohenzollern; L.A.: Dr. Wern.
Jordansbad [Jordanbad] bei Biberach in Württemberg; L.A.: Dr. Stützte.
Kassel „Curbadeanstalt“.
Kaufbeuren im Allgäu.
Kempten im Allgäu.
K.
Kochelsee am Kochel im bayr. Hochgebirge; L.A.: Dr. J. Benecke.
Krummbad bei Krummbach, Schwaben; L.A.: Dr. Kremer.
Küßnacht am Vierwaldstättersee; L.A.: Dr. Aufdermauer.
Kylburg, Eisel; L.A.: Dr. Neu.
Köln; L.A.: Dr. H. Meyer.
L.
Lippspringe bei Paderborn; L.A.: Dr. Dierkes.
Lessy in Lothringen.
M.
Mariabrunn bei Dachau; L.A.: Dr. Thiermann.
Mariabrunn bei Röhrmoos; L.A.: Liszt, pr. Arzt.
Memmingen in Schwaben.
Meran „Erste Kneipp'sche Heilanstalt; L.A.: Dr. K. Maenner.
Meran „Thalysia“; L.A.: Dr. Ladurner.
Mergentheim „Karlsbad“ in Württemberg; L.A.: Dr. Herschel.
Mergentheim „Sanatorium“; L.A.: Dr. Stühle.
Mindelheim „Mayenbad“; L.: [Adolf] Boneberger.
Mondsee, Oberösterreich; L.A.: Dr. Födinger.
Montabaur in Nassau; L.A.: Dr. Düttmann.
München „Centralbad“; L.A.: Dr. Möser.
S. 39
München „Neuwörishofen“, Volksbad.
München „Stadt Sedan“; L.A.: Dr. Möser.
N.
Neuhaus, Schloss bei Geinberg, Oberösterreich.
Neustadt-Waiblingen bei Stuttgart.
Niederthalheim, Oberösterreich; L.A.: Dr. Knöpl, pr. Arzt.
Niederwalluf im Rheingau; L.A.: Dr. Soh.
Nürnberg „Ottobad“.
O.
Obereula bei Deutschenbora.
Oybin in Sachsen; L.A.: Dr. Moschkan.
P.
Paderborn; L.A.: Dr. Dierkes.
Pfersee in Augsburg.
Pflochsbach bei Lohr am Main „St. Josephshort“.
Pfloßdorf am Main bei Lohr; L.A.: Dr. Löser.
Planegg in Bayern; L.A.: Dr. E. Kugler.
Pletlbad zu Wartenberg, Oberbayern; L.A.: Dr. A. Selmair.
Pulgarn an der Donau.
Prag.
Pullach im Isarthal; L.A.: Dr. Möser.
R.
Rebstein, Burg im Kanton St. Gallen; L.A.: Dr. Blatter.
Riesenhof bei Linz, Oberösterreich; L.A.: Dr. Winternitz.
Rimnau in Südböhmen; L.A.: Dr. Weser.
Riva am Gardasee; L.A.: Dr. Ch. von Hartungen.
Röhndorf a.d.R. „Marienbad“; L.A.: Dr. Steinhausen.
Rosenheim „Kaiserbad“; L.A.: Dr. Bernhuber.
S.
Säckingen a. Rhein; L.A.: Knoderer, Pr. Arzt.
Schachen bei Lindau.
Schärding in Oberösterreich; L.A.: Otto Ebenhecht, Pr. Arzt.
Schönthal bei Neustadt a.d. Hardt; L.A.: Dr. Hafen.
Schongau bei München „Johannisbad“; L.A.: Dr. Walser.
Schongau im bayr. Oberland „Johannisbad“; L.A.: Dr. Herzberg.
Schwanenstadt, Oberösterreich; L.A.: Fr. Puchner, Pr. Arzt.
S. 40
Seligenstadt a.M., Hessen; L.A.: Dr. Kleeblatt.
Sommerstein in Thüringen; L.: Ferd. Liskow.
Stans bei Schwaz, Tirol.
Stein in Krain, Österreich.
St. Pölten, Niederösterreich; L.A.: Dr. Senefelder.
Straßburg; L.A.: J. Kaiser.
Stühlingen, Baden; L.A.: Berberich, pr. Arzt.
Sulz am Peissenberge, bayr. Hochland.; L.A.: Dr. Thiermann.
Stuttgart „Naturheilanstalt“; L.A.: Dr. Bilfinger.
T.
Telfs in Nordtirol; L.A.: Dr. Waldhart.
Thannhausen a.d. Mindel; L.: Josef Bosch.
Tölz in Oberbayern; L.A.: Dr. List.
Traunstein, Oberbayern; L.A.: Dr. Wolf.
Trier; L.A.: Dr. Neu.
U.
Ueberlingen am Bodensee; L.A.: Dr. Kupferschmied.
V.
Veitshöchheim bei Würzburg; L.A.: Dr. Löser.
W.
Walchwyl am Zugersee; L.A.: Dr. Hediger.
Waldürn im bad. Odenwald; L.A.: Dr. Eckert.
Walkenstein in Niederösterreich; L.A.: Dr. Wetchy
Wallerstein, Bayern, „Bad Josephinum“; L.A.: Dr. Bahr.
Wasserburg am Inn „St.Achatz“, städtische Curanstalt; L.A.: Dr. Walser.
Weinheim an der Bergstraße, Baden; L.A.: Dr. Karillon.
Westheim bei Augsburg.
Wien, Singerstraße 7; L.A.: Dr. Lud. König.
Wien „Erste Wienerheilanstalt Brünnlbad“; L.A.: Dr. Schmid.
Wiesbaden; L.A.: Dr. Loh.
Windhaag, Oberösterreich; L.A.: Sigm. Lehr, pr. Arzt.
Wörishofen; L.: Ludwig Geromiller; L: Fidel Kreuzer.
Würzburg „Kneipp-Vereinsbad“; L.A.: Dr. Strauch.
Würzburg; L.A.: Dr. Frühling.
S. 41
Z.
Ziegenhals in Schlesien „Franzensbad“; L.A.: Dr. S a p p e l t .
Ziegenhals in Schlesien „Wilhelmsbad“; L.: Kirchner.
Aber damit ist die Liste der Kneipp'schen Wasserheilanstalten keineswegs erschöpft. Noch immer tauchen neue Kaltwasserheilanstalten auf. Nicht selten wenden sich größere Orte an Pfarrer Kneipp mit der Bitte, er möge ihnen einen kneippisch geschulten Arzt senden. Leider ist Kneipp noch nicht in der Lage, diesem Ansuchen immer entsprechen zu können.
Oberösterreich kann sich unter allen Kronländern Österreichs rühmen, dem Kneipp'schen Heilverfahren eine größere Verbreitung verschafft zu haben, sind ja während eines halben Jahres auf oberösterreichischem Boden nicht weniger als ein halbes Dutzend „Kneippanstalten“ erstanden.
Am 15. September des Jahres 1890 hatte Herr Otto Ebenhecht, prakt. Arzt in Aistersheim bei Haag am Hausruck, eine solche Anstalt errichtet. Im Jahre 1891 übertrug derselbe seine Anstalt nach der Stadt Schärding im Innkreis. Ihm folgten mit der Eröffnung Kneipp'scher Wasserheilanstalten:
Dr. Knöpl zu Niederthalheim, prakt. Arzt Sigmund Lehr zu Windhaag, prakt. Arzt Fr. Zadny zu Gallspach (Bezirk Wels), Prakt. Arzt Fr. Puchner zu Schwanenstadt, Dr. Winter auf Schloss Neuhaus bei Geinberg. Auch die Kneipp'sche Wasserheilanstalt am Riesenhof bei Linz, ihrem Alter nach die erste Wasserheilanstalt Oberösterreichs, die unter der Leitung des Herrn Dr. Winternitz steht, inseriert als „von Kneipp bestens empfohlen.“
In Pulgarn a.d.D. können gleichfalls nach Kneipp'scher Manier Bäder und sonstige Wasseranwendungen genommen werden. Der Aufschwung der nach Kneipp'schem System eingerichteten Wasserheilanstalten übt freilich auf die anderen Bäder einen nachtheiligen Einfluss aus. Man sucht daher für die im Niedergange begriffenen Bäder entweder Ärzte, die die Wassercur von Pfarrer Kneipp selbst erlernt haben, oder trägt Herrn Pfarrer Kneipp die bedrohten Bäder zum Kaufe an. So ward anfangs September 1890 Herrn Pfarrer Kneipp das Sanatorium des bekannten Dr. Schweninger, des Leibarztes Bismarcks, zum Kaufe angeboten. Aber auf solche Anerbieten geht Kneipp nie ein.
_____________
S. 42
13.
Wörishofen – kein Luxusbad.
„Fern von der Neuzeit eisernen Spur,
Von der Habsucht rastlosem Jagen
Liegt ein Ort, wo die heimatliche Natur
Ihr Lager aufgeschlagen.“
Wie Kneipp nur aus reiner Liebe zur leidenden Menschheit die ungeheure Last auf sich genommen, so will er auch seine Wirksamkeit in Wörishofen nicht dazu benützen lassen, die daselbst weilenden Curgäste auszubeuten. Er will ganz und gar ein Rathgeber und Helfer der Armen sein. Seine herzliche Liebe zu den Armen, seine Opferfreudigkeit und Uneigennützigkeit bewegen ihn dazu. Er ist den Armen und dem gewöhnlichen Volke so zugethan, weil er selbst aus demselben hervorgegangen ist.
Oft und oft hört man ihn sagen: „Mein Vater war ein armer Mann und ich selbst ein armer Weber. Den Bettelsack habe ich zwar nie getragen, aber ich bin hart daran geboren“. Er nennt sich daher mit Vorliebe „ein Kind aus dem Volke“. Zu ihm soll daher auch jeder, und sei er auch der Ärmste, kommen können. Das arme, schwer arbeitende Volk, das sich kaum das zum Lebensunterhalt Nöthige durch schwere Händearbeit erwirbt, ist nicht imstande, einen Specialarzt oder sonst einen berühmten Arzt der Hauptstadt um Rath anzugehen.
Für einmaligen ärztlichen Rath fünf oder zehn Gulden, zehn oder zwanzig Mark zu zahlen, übersteigt die Leistungsfähigkeit des Geldbeutels eines armen Mannes und zwar umso mehr, da derselbe ohnehin meist an Schwindsucht leidet und der arme Mann, besonders wenn er eine Familie zu versorgen hat, zehnmal seine wenigen Kreuzer in der Hand herumdreht, ehe er sie ausgibt, und sich den Kopf zerbricht, welcher von den nothwendigsten Auslagen die wenig blutig verdienten Kreuzer geopfert werden sollen. Solchen, deren Wiege neben gefüllten Geldsäcken gestanden, ist es freilich infolge ihrer günstigen Vermögensverhältnisse erlaubt, zur Heilung ihrer Krankheiten Bäder aufzusuchen, in denen sich die vornehme Welt, Kranke und krank sein Wollende aus den oberen Zehntausend ein „Stelldichein“ geben und bei lustigen Curmusiken, schattigen Promenaden, kurzweiligen Theatern
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und seichter Lektüre einige Monate todtschlagen, die sie sonst irgendwo auf dem Lande „in der Sommerfrische“ zugebracht hätten.
Diese hohen Anforderungen, die moderne Bäder und Specialisten an den Geldbeutel des armen Mannes stellen, sind für den gemeinen Mann eine unübersteigbare Mauer. Doch in Wörishofen hat er seinen theilnehmenden Freund gefunden, der selbst aus Erfahrung weiß, was es heißt, arm und krank zu sein. Dorthin geht er; er frägt um Rath, bekommt denselben und zahlt nichts dafür. Ein herzliches „Vergelts Gott“ ist dem schlichten Pfarrer übergenügender Lohn.
Jede wie immer geartete Ausbeutung der Curgäste ist ihm verhasst. Mit Entrüstung wies er daher eines Nachmittags die Zumuthung eines deutschen Arztes, die Leute sich dadurch vom Halse zu schaffen, dass er für jede Consultation zehn oder zwanzig Mark begehren solle, als eines Christen unwürdig zurück. Juden, die aus dem Unglücke ihrer christlichen Mitbürger Capital schlagen, mag derartiges anstehen, nie und nimmer aber Christen, meinte der edle Krankenfreund.
Alles, was irgendwie den Aufenthalt in Wörishofen vertheilen könnte, verschmäht er. Ansuchen, die man an ihn zum Baue von Hotels oder großen Wohnungshäusern noch vor einigen Jahren gestellt hatte, wurden aus diesem Grunde abschlägig beschicken; denn eine Erhöhung der Wohnungs- und Speisepreise bringt derartiges immer mit sich.
Für das Nothwendigste hat Kneipp ohnehin aus eigenen Mitteln gesorgt. So hat er die beiden Badehäuser erbauen lassen. Auch hat er zur Erbauung der Wandelbahn viel beigetragen. Diese setzt bekanntlich die Curgäste in die angenehme Lage, selbst bei schlechter Witterung die nach jeder Wasseranwendung nöthige Bewegung machen zu können; denn im ersten Stockwerke der Häuser (ein zweites haben sie in der Regel ohnehin nicht) einen Spaziergang zu machen, ist, wie böse Zungen meinen, vielfach nicht rathsam; denn, wandelt ein halbwegs corpulenter Badegast gemächlich in seinem im ersten Stocke gelegenen Zimmer auf und ab, so laufen bei der sothanen Bauart der Schwabenhäuschen die zur ebenen Erde Wohnenden Gefahr, den Lustwandler samt der Zimmerdecke
S. 44
auf den Kopf zu bekommen und als Gast in ihrem eigenen beherbergen zu müssen!?
Dagegen sind in Wörishofen keine Raubpreise für Wohnungen in Geltung. Sieht man sich nach denselben um, so muss man gestehen, dass dieselben nicht zu hoch gegriffen sind. Siebzig bis achtzig Pfennige pro Tag für ein Zimmer, das man mit einem anderen theilt, oder eine Mark für ein separates, scheint zwar anfangs für das Schwabendörfchen ein verhältnismäßig hoher Preis, aber bei dem ungeheuren Andrange von Curgästen ist er immerhin leidlich; denn würden die Wörishofner nocheinmal soviel begehren, so blieben ihre Wohnungen gewiss auch nicht leer stehen. Es fänden sich noch immer Leute genug, die lieber diese erhöhten Preise zahlten, um in Wörishofen ein Quartier zu erhalten, als wegen der daselbst herrschenden Wohnungsnoth in den umliegenden Orten, wie Türkheim, Schöneschach, Kirchdorf, Gammenried, Ober- und Unter-Rammingen, Dorschhausen, Stockheim, Mindelheim zu wohnen und von dort wöchentlich einmal nach Wörishofen zur Ordination zu pilgern und wegen der Entfernung des Wohnortes vielfach der Vorträge des Herrn Pfarrers verlustig zu gehen.
Der Mangel an Wohnungen war eben für den ungefähr tausend Einwohner zählenden Curort noch bis vor kurzem ein von den Curgästen bitter empfundenes Übel. In sämtlichen Häusern des Dorfes hatten früher nur bei sechshundert Fremde Platz. Schon oft ließen sich daher Stimmen zur Behebung dieses Übels vernehmen. Doch einer energischen Abhilfe stand bisher die Unsicherheit der Zukunft entgegen. „Wie lange wird der Herr Pfarrer noch leben? Was wird dann aus Wörishofen werden?“
Gerade diese unsichere Zukunft war es, was die Bewohner Wörishofens lange Zeit abhielt, große Wohnhäuser zu erbauen, großartige Parkanlagen zu schaffen. Am guten Willen der Wörishofner fehlte es nicht. Den Wünschen der Curgäste suchten sie stets nach bestem Können nachzukommen. Mit jedem, auch dem geringsten Plätzchen nehmen die Kurgäste, selbst die vornehmeren Standes, vorlieb. Gar mancher hohe Herr, der zuhause eine ganze Flucht von Prachtgemächern seine Wohnung nennt, begnügt sich da mit dem
S. 45
bescheidenen Dachstübchen eines Schwabenhäuschens. Sie wissen eben, dass man nicht nach Wörishofen gehen dürfe, um die Bequemlichkeit und den Comfort eines modernen Luxusbades zu genießen. Die Kranken, die dorthin kommen, sind ohnehin meist so elend, dass sie auf alle modernen, der Vergnügungssucht der vornehmen Classen Rechnung tragenden Genüsse gerne verzichten, um wieder zu ihrer Gesundheit zu gelangen.
14.
Der Welt Lohn.
„Der Maulwurf hört in seinem Loch
Ein Lerchenlied erklingen
Und spricht: Wie sinnlos ist es doch
Zu fliegen und zu singen.“
Wörishofen ist in mancher Beziehung ein Armenbad. Auch Ärmeren ist es möglich, dort doch eine Woche oder wenigstens einige Tage zu verweilen. Kneipp selbst gibt Geldbeträge zur Unterstützung armer Curgäste. So verabreichte er einem armen Mädchen, das wegen Geldmangel in die Heimat hätte abreisen müssen, 25 Mark, damit es die Cur noch weiter fortsetzen konnte. Einem armen, aus dem Spital entlassenen Manne zahlte er die Wohnung für acht Tage.
Was er nebenbei unter vier Augen an die Armen verschenkt, das weiß natürlich nur der Vater der Armen, der über den Sternen thront.
Aber trotz aller Wolthätigkeit, trotz seiner fast übermenschlichen Arbeitskraft werden vielfach thörichte und alberne Lügen über ihn von boshaften Neidern in die Welt hinausgestreut. Kneipp, heißt es, wolle zwar andere die Regeln einer vernünftigen Lebensweise lehren, selbst aber kehre er sich nicht im mindesten daran. „Nichts als pure Lüge und Verleumdung“ muss man entgegnen. „Mit Kneipp heißt es nicht viel“ ruft ein zweiter; „andere will er kein Bi er trinken lassen, und selbst trinkt er täglich drei Maß.“ Als sich mir gegenüber jemand allen Ernstes so äußerte, musste ich herzlich lachen; denn Kneipp und drei Maß Bier täglich, wie reimt sich das zusammen? Pfarrer Kneipp trinkt nämlich äußerst wenig und dann fast nur Wasser. Bier hat er oft schon
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während eines ganzen Jahres keine „Halbe“ getrunken. Anderseits ist er aber kein so strenger Puritaner, dass er nicht hin und wieder seinen Patienten ein Krüglein Bier oder ein Gläschen Wein vergönnen würde. Und doch thut er das, was er anderen erlaubt, vielfach selbst nicht. Dadurch zeigt er sich wieder im günstigsten Lichte. „Strenge gegen sich selbst, nachsichtig und mild gegen die anderen“, das lobe ich mir, wird jeder charakterfeste Mann sagen.
Doch nicht genug, dass man die abgeschmacktesten Witze und Worte über diesen Menschenfreund in die Welt hinausverbreitete; man verspottete ihn auch im Bilde. Carricaturen und Postkarten, die seine Person zu verhöhnen suchten, wurden selbst in Wörishofen feilgehalten. Allein, der Takt der Curgäste machte diesem Treiben ein jähes Ende. Man beschloss, niemandem etwas abzukaufen, der auch nur einen Gegenstand mit dem leisesten Spott auf Pfarrer Kneipp in Wort und Bild anzubieten wage. Den Herrn Pfarrer schmerzte das gewinnsüchtige, feindselige Vorgehen tief. Diese Kränkungen sowie der Umstand, dass sein Name oft in der eigennützigsten Weise missbraucht wurde, brachten ihn zum Entschlüsse, seinen Zuhörern am 1. September 1891 mitzutheilen, dass er seine Vorträge obiger Gründe wegen einstellen werde. Das war ein harter Schlag für die Curgäste. Doch diese wollten sich auf keinen Fall derselben berauben lassen. Da am nächsten Morgen verlautete, dem Herrn Pfarrer seien durch Verbreitung von Karten und Pamphlets neue Beleidigungen zugefügt worden, so erließen rasch mehrere Personen einen Aufruf an alle Curgäste, sich nachmittags 4 Uhr zu einer Besprechung in der Wandelbahn einzufinden. Man einigte sich dortselbst dahin, dem Herrn Pfarrer durch eine Deputation eine Dankadresse und ein Bittgesuch um Fortsetzung der Vorträge überreichen zu lassen. Zudem sollte Kneipp sofort mündlich um Wiederaufnahme seiner Vorträge ersucht werden. Und sogleich brach die Versammlung auf, und der imposante Zug bewegte sich nach dem Pfarrhofe, um dem Pfarrer zu huldigen und ihn alsogleich umzustimmen. Da man ihn im Pfarrhause nicht traf, zog man zum Kloster. Die Deputation verfügte sich ins Kloster; Kneipp jedoch erklärte, so betrübt zu sein, dass er sie nicht empfangen könne. Noch am selben
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Abende ward dann die Dank- und Bittadresse abgefasst; am nächsten Tage wurden in der Wandelbahn und in den Badeanstalten von Geromiller und Kreuzer Subscriptionsbogen aufgelegt. Den 7. September nachmittags ward die Adresse dem Herrn Pfarrer überreicht. Sie zählte 834 Unterschriften.
Kneipp ward in ihr gebeten, wie bisher belehrende Worte an die Curgäste zu sprechen; „denn seine Worte sind“, wie die Adresse besagt, ,vielen eine Belehrung, den meisten ein Trost, allen aber eine Labsal“, solch innigen Bitten konnte Kneipps mildes Herz nicht widerstehen. Der gute Herr versprach die Fortsetzung seiner Vorträge – die Curgäste hatten ihr Ziel errreicht.
Und wenn man hie und da noch über Kneipp und seine Cur sich lustig macht, gedenkt wohl mancher der Verse, die einer gegen die Kneippverächter schrieb:
„Es schmähen die Leute wohl manchesmal,
Was sie mit Nichten verstehen;
Ich jauchze und singe, mir ist es egal
Und lasse die M a ul w ü r f e gehen.“
An dieser Stelle sei auch eines Ereignisses gedacht, das in den Sommermonaten des Jahres 1891 so großes Aufsehen in den Blättern machte und zu zahlreichen Anfeindungen und Verleumdungen Kneipps Anlass gab: es ist der Prozess Schneider. Der Fall, um den es sich handelt, war folgender: Ein gewisser Kaufmann Schneider aus München, welcher sich in Wörishofen Kuneipp'schen Güssen unterzogen hatte, wurde kurz nachher von epileptischen Anfällen heimgesucht, zur Behandlung auf die Universitätsklinik in München und hernach in das dortige Irrenhaus gebracht. Die Frau des Kaufmannes Schneider verlangte nun von Pfarrer Kneipp eine Entschädigung. Da derselbe eine solche zu zahlen sich weigerte, machte sie eine Klage auf fahrlässige Körperverletzung anhängig. Viele Feinde jubelten, dass nun Kneipps und der Wassercur Ende kommen werde. Doch der Jubel war verfrüht; denn nach der Ansicht des berühmten Psychiaters und Leiters des ersten irren ärztlichen Institutes in Bayern, des Herrn Professors Dr. Grashey, der den Kranken etwa drei Monate lang behandelt hatte, war Kaufmann Schneider bereits, bevor er nach Wörishosen kam, paralytisch (d. h.
S. 48
in einem durch Gehirnschlag verursachten Lähmungszustand befindlich) gewesen und wäre es seiner Ansicht nach geradezu frivol, zu behaupten, dass die Krankheit, die thatsächlich schon vor 2 Jahren ihren Anfang genommen, erst durch die Cur in Wörishofen verursacht worden sei. Schneiders Krankheit war eben im Vorjahre schon so weit fortgeschritten, dass ihn auch die durchaus zweckentsprechende Behandlung Kneipps nicht mehr zu retten vermochte. Auf Grund der abgegebenen sachverständigen Gutachten wurde Pfarrer Kneipp von der Anklage fahrlässiger Körperverletzung am 11. August 1891 von der Strafkammer des königlichen Landgerichtes Memmingen freigesprochen. Die Kosten des Prozess-Verfahrens trug die bayrische Staatskasse.
Wie man gegen Kneipp vorgegangen ist, um die Patienten von ihm abzuhalten, sind folgende zwei Fälle charakteristisch. Plötzlich hieß es in einem Blatte, Pfarrer Kneipp sei todt; es wäre mithin umsonst, noch fernerhin nach Wörishofen zu reisen. Die Lüge hielt sich jedoch nicht lange. Pfarrer Kneipp lebte und lebt noch, obwohl man ihn schon mehrmals sterben ließ. Damals fühlte sich einer seiner Verehrer veranlasst, an ihn zu schreiben:
„Schon einmal warst du todt gesagt;
Mög' sich der Spruch bewähren:
Ein solcher lebt noch viele Jahr'
Recht fröhlich und in Ehren.“
Ein anderesmal wieder rief man verleumderisch unter das Volk hinaus, niemand werde mehr zu Pfarrer Kneipp zugelassen, weil ihm der Bischof von Augsburg verboten habe, sich weiterhin mit der Heilung von Personen abzugeben. Auch das war eine böswillig ersonnene Finte, um die Leute von Kneipp und Wörishofen abzubringen.
___________________
15.
Wörishofens Aufschwung.
Klein und bescheiden waren die Anfänge, aus denen das unscheinbare Wörishofen zu einem Welteurorte erwuchs. Das Jahr 1886 hatte Kneipps Namen der Welt bekannt gemacht.
S. 49
Am Ende dieses Jahres war es ja, dass der schlichte Dorfpfarrer sein aufsehenerregendes Buch: „Meine Wassercur“ zur Belehrung für Gesunde und Kranke in alle Länder deutscher Zunge hinaussandte. Im nächsten Jahre 1887 fand sich zum erstenmale eine kleine Anzahl von Priestern und Laien zum Wassercurgebrauche in Wörishofen ein; Pfarrhof, Kloster und etliche Privathäuser gewährten den Hilfesuchenden Unterkunft; die Waschküche des Pfarrhofes war der Ort, an welchem den Curgästen die ersten Güsse und sonstige Wasseranwendungen verabreicht wurden.
Im folgenden Jahre mehrte sich die Zahl der Curgäste zusehends, weshalb Kneipp ein hölzernes Badehaus errichten ließ. Kein Wunder! Denn Kneipps Buch hatte reißenden Absatz gefunden; nicht weniger als fünf Auflagen waren seit den zwei Jahren des Erscheinens des Buches in rascher Aufeinanderfolge erstanden; 30.000 Exemplare waren bereits nach allen Gegenden Deutschlands und Oesterreichs hinausgewandert und predigten dort die Lehre des neu auftauchenden Wasserapostels. Gierig griff die leidende Menschheit nach dem Buche, das Heilung und Rettung versprach. Und als die Kunde von den glücklichen Heilungen, die in Wörishofen geschehen waren, immer mehr unter die Leute drang, als man an vielen von den Aerzten bereits Aufgegebenen die geradezu wunderbaren Erfolge der Wasiercur wahrnahm, da säumten viele Leidende nicht länger, das vermisste Gut unschätzbarer Gesundheit in Wörishofen wiederzufinden. Während im Jahre 1888 die Zahl der Curgäste noch zwischen 200 und 400 schwankte, war sie im folgenden Jahre 1889 bereits auf das Vierfache gestiegen: Wörishofen zählte bereits 1000 - 1200 Curgäste.
Dem großen Andränge von Patienten genügten nun selbst Pfarrhofwaschküche und Badehaus nicht mehr; Kneipp schritt daher gleich im Frühlinge des Jahres 1890 zum Baue eines steinernen Badehauses, das den Curgästen die Annehmlichkeit bot, die Wasseranwendungen im Winter in einem geheizten Raume vornehmen zu können.
Doch schon in kurzer Zeit erwiesen sich sämtliche Baderäumlichkeiten als unzulänglich. Mit Freuden begrüßte man daher die Errichtung der beiden Privatbadeanstalten der Herren Ludwig Geromiller und Fidel Kreuzer.
S. 50
Einen weiteren, bedeutenden Schritt für Wörishofens Aufblühen bedeutet der Ende Oktober 1889 gegründete „Verschönerungsverein“. Hat derselbe auch während seines Bestandes keine großartigen Leistungen aufzuweisen, so haben doch die Curgäste gerade seinem Wirken es zu verdanken, dass der Aufenthalt in Wörishofen bequemer und erträglicher gemacht wurde.
Kaum war ein Jahr vergangen, als eine neue, wolthätig wirkende Einrichtung, der „Kneipp-Verein“' ins Leben trat.
Derselbe wurde nämlich am 14. Dezember 1890 auf Veranlassung des Herrn Ludwig Auer, Directors des Cassianeums zu Donauwörth, gegründet und stand anfangs unter Leitung des Herrn Directors Auer, des Badearztes Herrn Dr . Kleinschrod [(*1860, †1934)] und des Herrn Zapf. Bei der ersten Generalversammlung am 15. September 1891 ging die Vorstandschaft an Herrn Pfarrer Stückle von Mindelau als Vorstand und an die Herren Ludwig Geromiller und Fidel Kreuzer über. Pfarrer Kneipp selbst ward zum „lebenslänglichen Ehrenpräsidenten“ des Kneipp-Vereines ernannt. Der Verein zeigte bereits in der Wiege große Lebenskraft; denn schon ein Monat nach seiner Gründung erschien die erste Nummer des Vereinsorganes, betitelt: „Kneipp-Blätter, Zeitschrift für arzneilose Heilmethode und naturgemäße Lebensweise, zugleich offizielles Organ des Kneipp-Vereines in Wörishofen“.
Der stillbescheidenen, rastlosen Thätigkeit dieses Vereines verdanken die Curgäste viele zweckdienliche Einrichtungen und die Abstellung mancher peinlicher Unzukömmlichkeiten. Zur Bequemlichkeit des Curpublicums ward ein eigenes Kneipp-Bureau im Hause Nr. 33 in der Nähe des Gasthauses „zum Rössle“, eingerichtet, das später in das Haus Nr. 100, dem Kloster gegenüber, übertragen wurde. Diesem Vereine hat man es zu danken, dass endlich einmal eine geregelte Curordnung zustande kam, die die Interessen des Herrn Pfarrers, der Curgäste und der Gemeinde wahren sollte. Der Zutritt der Kranken zu den Ordinationen sollte geregelt, geordnet und beschränkt und die Jagd auf den Herrn Pfarrer „auf Tritt und Schritt, auf allen Wegen und Stegen“ sollte abgestellt werden. Das hoffte man durch pünktliche Anmeldung der Curgäste, durch Vertheilung von Nummern, die zum Eintritt
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in das Ordinationszimmer berechtigten, zu erzielen. Die Curgäste wollte man durch Herstellung guter Wege, Beistellung von Fahrgelegenheiten, Schaffung günstiger Wohnungs-Verhältnisse und geregelter Preise, Verabreichung gesunder, billiger Speisen und Getränke zufriedenstellen. Alle mit ekelhaften oder ansteckenden Krankheiten behafteten Curgäste sollten sorgfältig abgesondert und unter genaue Beobachtung gestellt werden. Jedem Curgäste sollte endlich Gelegenheit geboten werden, seinen Krankheitszustand ungeniert dem Herrn Pfarrer mittheilen zu können. Eine geregelte Curtaxe sollte eingeführt werden. In moralischer Hinsicht sollte das Schamgefühl möglichst geschont und darüber strenge gewacht werden. Diesem Bestreben entsprang das Verbot, im Dorfbache herumzuwaten; desgleichen sollten Herren und Damen nicht gemeinsam im Grase barfuß laufen. Für die Gemeinde aber sollte auch die geringste Gefahr der Ansteckung vermieden werden.
Der Kneipp-Verein zählt gegenwärtig über 1800 Mitglieder. Kneipp-Vereine ähnlicher Art haben sich weiters gebildet in Augsburg, Barmen, Berlin, Crefeld, Henndorf, Innsbruck, München, Neisse, Nürnberg, Prag, Säckingen, Wien, Würzburg und anderen Orten.
Im Juli 1891 wurde das von Kneipp erbaute Priester-Curhaus eröffnet, das 80 Priestern Unterkunft zu bieten imstande ist. Der 26. November desselben Jahres brachte die Eröffnung der zweiten, mit einer heizbaren Wandelhalle versehenen, schönen und geräumigen Geromiller'schen Badeanstalt.
Wörishofen zählt gegenwärtig über 200 bewohnte Gebäude und kann über 2000 Betten zur Verfügung stellen. Das Schwabendorf hat acht Gasthäuser, darunter vier einheimische; zwei gewöhnlichere: „zum Rössle“ und zur Sonne“ und zwei vornehmere: die beiden Haggemiller'schen Restaurationen „zum Adler“ und „zum deutschen Kaiser“; und vier neuere: das „Curhotel Urban“, 1891 eröffnet, mit großen städtischen Speisesälen, schönen Fremdenzimmern und dementsprechenden Preisen; das Restaurant „zur Stadt München“; Lage, Einrichtung und Preise machen demselben alle Ehre; das Speisehaus des Herrn Trautwein, das gewöhnliche Speisehaus der Laien, und ein Restaurant vornehmlich für Franzosen und Engländer mit „on parle français“ und „English spoken“.
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Der Mai des Jahres 1892 sah wiederum eine schöne, neue Badeanstalt erstehen, die zweite des Herrn Fidel Kreuzer, die mit Wohnungsräumlichkeiten reichlich versehen ist und einen schönen Glassalon besitzt. Die Frau des Besitzers hörte ich von Pfarrer Kneipp oft als sehr brave Frau rühmen, die für die Kranken in Wörishofen mehr gesorgt hat als sonst jemand. Wenn Eltern ein krankes Kind brachten, wies sie Kneipp fast jedesmal an diese Frau. Wörishofen besitzt gegenwärtig 12 Häuser, in denen Güsse ertheilt werden und zwar zwei bei Geromiller, zwei bei Kreuzer, zwei bei der Wandelbahn „Mariengang“, je eine Badehütte bei der oberen und unteren Mühle; ferners werden Güsse ertheilt im Priestercurhaus, bei Urban, in der Villa Schmied und in der Pfarrhofwaschküche. Um ganz Wörishofen genügend mit Wasser zu versorgen, wird eine passende Wasserleitung gebaut, deren Kosten auf 47.000 Mark veranschlagt sind, aber die angesetzte Summe weit überschreiten dürften. Was die Preise der Güsse anbelangt, sind nunmehr folgende in Geltung. Für gewöhnliche Güsse zahlt man 15 Pfennige, für Blitz- und Vollgüsse sowie Halbbäder 25 Pfennige. Das Wochenabonnement beträgt 2 Mark, mit einer Ankleidecabine 3 Mark.
Auskunft über die Quartiere ertheilen gegenwärtig die vier Quartiermacher: Gastl, Klaus, Vegerle und Vogt. Mit dem großen Fremdenandrange hat sich natürlich auch eine Erhöhung der Wohnpreise geltend gemacht. Im Jahre 1892 waren folgende Preise in Geltung: Für ein separates Zimmer zahlte man 1 - 3 Mark, je nach der Lage und Einrichtung desselben. Doch erhielt man auch, besonders vor Beginn oder nach Schluss der Hochsaison, Zimmer für eine Person zum Preise von weniger als einer Mark. Für Zimmer zu mehreren Betten bezahlte man Preise von 50 Pf. bis 1 M. 50 Pf. Im Curhotel gibt es alleinstehende Zimmer zu 3 M.; solche für mehrere Personen zu 3 bis 7 M. Von der großartigen Frequenz, deren sich Wörishofen erfreut, kann man sich einen Begriff machen, wenn man erfährt, dass vom 1. Mä rz 1891 bis 30. November 1892 nicht weniger als 23.330 Curgäste Wörishofen besuchten. Vom 1. Jänner 1892 bis 31. December 1892 wurden 12.108 OrdiNationsbüchlein
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ausgegeben; die Zahl der Curgäste übersteigt aber weit diese Zahl, weil nicht selten ganze Familien nur ein einziges Ordinationsbüchlein für mehrere Familienglieder haben; außerdem ist jene große Zahl von Hilfesuchenden nicht eingerechnet, die nach erhaltenem Rath Wörishofen sofort wieder verließen. Die Zahl hätte sich noch erheblich gesteigert, wenn nicht das Choleragespenst viele Curgäste Ende August und anfangs September von Wörishofen weggejagt und andere abgehalten hätte, eine Cur dortselbst zu beginnen.
Interessant gewiss für jeden Kenner Wörishofens ist es, die rege Baulust des schwäbischen Dorfes in der neuesten Zeit aus Daten zu erfahren. Nach Angabe des um Wörishofen schriftstellerisch verdienten Lehrers H. Dillmann wurden in Wörishofen vom Jahr 1887 - 1890 inclusive 86 Baupläne eingereicht und genehmigt. Im Jahre 1891 wurden 45 Baupläne genehmigt und vom 1. Jänner 1892 bis 1. Nov. 1892 71 eingereicht. Allein trotz der vielen Bauten müssen noch immer viele Curgäste in den Wörishofen benachbarten Orten Türkheim , Stockheim und Kirchdorf und in den zu Wörishofen gehörigen Weilern Gammenried und Schöneschach ihre Wohnung nehmen. So ist Wörishofen unter und durch seinen Pfarrer emporgeblüht und wird, solange dieser Stern über Wörishofen leuchtet, noch weiterblühen und gedeihen. Ob auch in alle Zukunft? Darauf zu antworten, ist schwer. Der Verfasser findet die Antwort in den Worten ausgedrückt, die ein Kenner des schwäbischen Curortes also niederschrieb: „Ob Wörishofen einst, wenn Kneipp als müder Greis seinen Leib in der kühlen Wörishofner Erde zur Ruhe hat gebettet, noch bleiben wird, was es heute ist, ist eine Frage. Ein Ort, der von sovielen Fremden besucht wird, wird nicht leicht der Vergessenheit anheim fallen. Gräfenberg, wo einst Prießnitz wirkte, ist uns ein Beispiel hiefür; denn heute nach 40 Jahrn seit dem Hingange Prießnitzens zählt Gräfenberg noch alljährlich über 2000 Curgäste. Wohl dem Orte Wörishofen, wenn ein sympathischer Arzt es versteht, das Erbe Kneipps anzutreten; an solchen hat es leider, wie die Erfahrung lehrte, bisher noch immer gefehlt.“ Bis jetzt gilt: „Kneipp ist die Sonne, um die sich alles dreht Solange, – bis sie untergeht!“
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16.
Kneipps neueste Schöpfungen.
Wer Wörishofen besucht, dem fallen zwei stattliche Gebäude vor allen andern auf, die mit dem Namen Kneipp unzertrennlich verbunden sind. Es sind die beiden größten sprechenden Zeugen seines Wolthuns, seiner barmherzigen Nächstenliebe. Curhaus und Kinderasyl sind ihre Namen
1 . Das Curhaus.
„Von den Aerzten ist der Schöpfer,
Von den Helfern G ott der erste?“
Es war ein langegehegter Plan Kneipps, seinen leidenden geistlichen Amtsbrüdern ein eigenes, bequemes Haus zu errichten, indem sie unter liebwerten Amtsgenossen ungestört der Wassercur obliegen könnten. Im Herbste 1891 begann der ersehnte Wunsch zur That zu werden; es ward der Grundstein für das Priestercurhaus gelegt. Eifrig arbeitete man an dem Baue; denn bis zum Sommer nächsten Jahres sollte das Gebäude vollendet dastehen und seine geistlichen Inwohner aufnehmen können. Mit regem Interesse verfolgten Kneipp und die Priester das allmählige Erstehen dieses Hauses. Im Juli 1891 stand der einfache, aber geschmackvolle Bau, der bereits am 21. März durch den Segen der Kirche für seine künftige Bestimmung eingeweiht worden war, vor den Augen der Curgäste fertig da. Das Curhaus, dieses Denkmal inniger Antheilnahme an den Leiden kranker Berufsgenossen, zeigt sich dem Beschauer als dreistöckiger Bau von acht Fenstern Front, zu dem man auf einigen Steinstufen hinansteigt. Das vorspringende Mittelstück wird zum Theil von der Hauskapelle eingenommen. Kränklichen Geistlichen, die das Haus nicht verlassen können, ist dadurch Gelegenheit geboten, im Curhause selbst die heilige Messe zu celebrieren. Während bisher die Geistlichen ihre Anwendungen im steinernen Badehause vornahmen, ist auch für dieselben im Curhause dadurch genügend Rechnung getragen, dass zur ebenen Erde geräumige Badelocalitäten errichtet wurden. Zur Freude aller Curgäste war auch ein links vom Eingänge gelegenes größeres Zimmer als Ordinationszimmer bestimmt und eingerichtet worden.
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Am 7. Juli 1891 1 Uhr nachmittags fand die erste Sprechstunde in demselben statt. – Wenn der Verfasser im nachfolgenden kurz die Wohnungsverhältnisse des Curhauses behandelt, glaubt er nur dem Interesse der geistlichen Curgäste zu begegnen, für die ja das Curhaus ausschließlich errichtet ist. Das Priestercurhans hat im ganzen bei 58 Zimmer, darunter ungefähr 14 mit je einem, 10 mit je 2, 10 mit je 3, einige mit je 4 und 1 mit 5 Betten, so dass bei 80 Geistliche in demselben wohnen können. Im Nothfalle kann auch der Corridor im dritten Stockwerke mit 6 - 8 Betten belegt werden. Der geräumige Speisesaal fasst 100 - 120 Personen. Im Curhause speisen nämlich nicht bloß diejenigen Geistlichen, welche dort ihre Unterkunft gefunden haben, sondern überhaupt alle Priester und Theologen, wofern sie im Speisesaale platzfinden. Für das tägliche Essen, aus Frühstück, Mittagmahl, Jause und Abendessen bestehend, werden 2 Mark gezahlt. Außerdem steht es jedem frei, vormittags von 9 - 10 Uhr nach genommenen Wasseranwendungen Kneipp-Kaffee oder Krastsuppe zu sich zu nehmen. Ein separates Zimmer wird pro Tag zu einer Mark, Zimmer mit mehreren Betten für je einen Herrn zu 50 Pfennig berechnet. Gegen Ende Juni zogen die ersten geistlichen Curgäste in das neue Badehaus ein; nach und nach konnte eine größere A nzahl aufgenommen werden, so dass bereits anfangs Juli 50 Geistliche dortselbst Unterkunft fanden. Am 10. Juli versammelten sich die geistlichen Curgäste, gegen 100 an der Zahl, zum ersten mal im großen, schönen Speisesaale zum gemeinsamen Mitlagstische. Diese Gelegenheit ward ausersehen, um dem Vater Kneipp innigst für die Wohlthat zu danken, die er durch Erbauung des Curhauses dem geistlichen Stande erwiesen. Der Herr Pfarrer wurde bei seinem Eintritte in den Saal von allen freudigst begrüßt. Nach beendetem Mahle hielt derselbe eine herzliche Ansprache, wie man sieeben von Kneipp gewohnt ist. Innige Freude erglänzte im Antlitze des greisen Priesterarztes, als er im Kreise seiner Berufsgenossen davon sprach, wie nun einer seiner sehnlichsten Wünsche erfüllt sei. Daran schloss er den aufrichtig innigen Wunsch, Gott möge den lieben Amtsbrüdern das im Hause Gebotene sowie die Wassercur segnen, damit alle
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neugestärkt oder ganz geheilt in ihrem erhabenen Berufe zur Ehre Gottes und zum Heile der Seelen wirken können. Allgemeiner Beifall folgte diesen liebevollen Worten. Der hochw. Herr Andreas Krotky, Domherr des Graner Capitels, dankte hierauf im Namen der Versammelten dem geliebten Pfarrer für sein unermüdetes, uneigennütziges Wirken, Gott möge solches Bemühen segnen und selbst einst der Lohn hiefür sein. Sieben Schwestern O.S.F. aus dem Mutterhause Mallersdorf bei Landshut besorgen das Hauswesen im Curhaus.
Der Bau dieses Curhauses wurde durch eine Prägung verewigt. Pfarrer Kneipp erhielt nämlich zu seinem 71. Geburtstage eine goldene Denkmünze, die auf der einen Seite (Avers) das Bildnis Kneipps, auf der andern (Revers) das Curhaus zeigt.
2. Das Kinderasyl.
„Unserm greisen Vater führen
Arme Mütter zu manch Kind:
Dieses lahm, voll von Geschwüren,
Jenes – ach! – seit langem blind!
Herzzerreißend klingt der Mutter Flehen:
Vater! Hilflos lass uns doch nicht untergehen!“
Pfarre r Kneipp ist bekanntlich ein großer Kinderfreund; an munteren, aufgeweckten Knaben und Mädchen hat er große Freude; der Kinder hat er sich schon unzähligem ale den Eltern gegenüber angenommen, und nicht selten entfährt dem Munde des greisen Kinderfreundes ein hartes Wort, wenn er gewahrt, dass die Eltern schuld sind, dass die armen, hilflosen Geschöpfe verkrüppelt oder schon in so früher Jugend von den Leiden einer Krankheit heimgesucht werden. Das Elend der vielen kranken, armen Kinder, die man zu ihm brachte, ging ihm tief zu Herzen. In echt väterlicher Weise wollte er sie alle aufnehmen, ihnen allen nach besten Kräften zur Erlangung der Gesundheit verhelfen. Doch wo sollte er sie unterbringen? Der Gedanke der Erbauung eines großen Kinderasyls beschäftigte ihn schon seit einigen Jahren . Den ersten Anfang dazu machte er damit, dass er in der von Herrn L. Geromiller neuerbauten Badeanstalt die oberen Räumlichkeiten mietete und sie zur Unterbringung kranker Kinder verwendete. Die Aufsicht und Obsorge über dieselben übernahmen gleichfalls fünf Franziskanerinnen aus Mallersdorf. Und welche
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Kinder befinden sich denn in diesem Asyle? Fragen wir Kneipp, er selbst gibt uns hierüber Aufschluss. „Seit 3 - 4 Wochen“, schreibt er in Nr. 3 der Kneipp-Blätter vom 11. Februar 1892, „sind circa 30 - 40 Kinder zu mir gekommen, von denen zwei stockblind, zwei halbblind sind, einige haben lahme Füße, so dass sie weder stehen noch gehen können, andere gehen an der Krücke, kurzgesagt: nur solche, die als unheilbar erklärt wurden, weil sie nirgends Hilfe fanden. Dazu kommt, dass die meisten sehr arm sind und ich dieselben größtenteils erhalten soll, und solche armselige Kinder gibt es recht viele. Diese armen Kinder halte ich für Geschenke Gottes, welche auch unsterbliche Seelen haben und nicht schuld sind, dass sie so arm und unglücklich sind, auch sie suchen Hilfe und können Hilfe finden durch die Werke der Barmherzigkeit.“
Unter diesen armen Geschöpfen weilen und sich unterhalten zu können, bereitet Kneipp eine der edelsten Freuden. Nach der Sprechstunde gilt sein Besuch gewöhnlich den kleinen Kranken, um sich nach den Fortschritten der Cur zu erkundigen und sich mit den Kleinen zu unterhalten. Diese sind darob voll Liebe und Anhänglichkeit an ihren väterlichen Gönner und suchen ihn auf jede Weise zu erfreuen.
Gleich zum Namenstage (20. Jänner) überraschten sie ihn mit einer einfachen, sinnigen Feier. Als Kneipp wie gewöhnlich die Kleinen besuchte, rauschten ihm die Töne einer herrlichen Musik entgegen. Die kleinen Patienten im Festtagskleide sangen aus frischer Kinderbrust das Kneipp-Marschlied, das ein zwölfjähriger Tirolerknabe auf der Zither begleitete. Hierauf sprach ein Knabe, der auf Krücken einherging, die Anfangsstrophen eines Gedichtes, das nun von den Knaben und Mädchen abwechselnd vorgetragen wurde. Nachdem noch einige sinnige Gedichte von den Kindern waren aufgesagt worden, überreichte der hochw. Herr Pfarrer Stückle von Mindelau als Vorstand des Kneipp-Vereines „als Festgabe des Kneipp-Vereines zum Kinderasyl“ 1000 Mark. Eine Festlichkeit ähnlicher Art sah das provisorische Kinderasyl am 17. Mai 1892, dem Geburtstage des hochw. Herrn Pfarrers. Warum aber Kneipp den armen, kranken Kindern so zugethan ist, sagte er gelegentlich einer am Abend gehaltenen Ansprache mit den Worten: „Die kranken Kinder
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sind auch unsere Brüder und Schwestern.“ Da der Andrang von kranken Kindern von Tag zu Tag sich steigerte und die ausgenommenen Räumlichkeiten schon im Vorhinein sich als zu klein erwiesen, entschloss sich Kneipp zum Baue eines großen Kinderasyls. Er wollte dasselbe theilweise mit Hilfe frommer Liebesgaben seiner Anhänger erbauen. Doch flössen die Gaben spärlicher, als man erwartete.
Am 9. Mai 1892 wurde der Grundstein zum Gebäude gelegt. Am 11. Juni fand zum Besten des Baues eine musikalische Wolthätigkeits-Vorstellung statt, die unter Leitung des Herrn Offenbach-Barmen und Mitwirkung mehrer sangeskundiger englischer Damen aus London, Hintham und Brüssel und eines Concertmeisters aus London dem Baue 400 Mark eintrug. Auch der Ertrag des vom hochw. Herrn Secretär Joh. Gruber verfassten Büchleins: „100 Krankengeschichten“ ist dem Kinderasyl zugesprochen. Gleicherweise soll auch ein Theil des Erträgnisses dieses Büchleins dem Kinderasyle zugewendet werden.
Im September 1892 zählte das provisorische Kinderasyl 30 kranke Knaben und 30 kranke Mädchen. Da jedoch der P latz nur für die Hälfte reichte, musste die andere Hälfte die Nacht über in Privathäusern untergebracht werden. Seit November 1892 erhebt sich auf der Westseite von Wörishofen auf einer kleinen Anhöhe ein großes, stattliches Gebäude, das an Umfang das Curhaus weit übertrifft. Das einfache, aber sehr ansprechende Gebäude, das bestimmt ist, 100 Knaben und 100 Mädchen aufzunehmen, ist von einem ehemaligen Curgaste, dem Herrn Architekten Jrwing aus Staßfurth in Sachsen (Reg. Bez. Magdeburg) erbaut, der mit großer Umsicht und Rührigkeit den ganzen Bau leitete.
D er dreistöckige Bau besteht aus einem vorspringenden und höheren Mittelbau, zwei vorspringenden Seitenflügeln und zwei Verbindungsbauten zwischen Mittelbau und Seiten flügeln. Die vordere Hauptfront hat im Ganzen 55, jede Seitenfront 16 Fenster. Den Mittelrau m nehmen ein: im Parterre das Portier- und Empfangszimm er, im ersten und zweiten Stock je drei Zimmer zu je zwei Fenstern, im dritten Stock ein größeres Zimmer mit zwei größeren, ein kleineres mit einem kleineren Fenster und daran reihen sich an den
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Seiten und nach rückwärts je vier Mansardenzimmer an, so dass der dritte Stock eilf [elf] ganz kleine Zimmer enthält. Der erste und zweite Stock wird rückwärts vom Stiegenhause [Treppenhaus]eingenommen. In den beiden anstoßenden Verbindungsbauten sind in jedem im Parterre und ersten Stock je ein Speisesaal zu vier Fenstern. Darüber sind im zweiten Stock nach vorne je drei Zimmer mit je einem Fenster und nach rückwärts je zwei Mansardenzimmer auf jeder Seite; der zweite Stock hat daher zehn Mansardenzimmer. Die Seitenflügel werden im Parterre und ersten Stock von je zwei Schlafsälen, die durch vier Wärterzimmer getrennt find, im dritten Stocke aber von je einem großen Saale mit drei Fenstern eingenommen. Das Kellergeschoss enthält Speisekammer, Küche, Eierkeller, Holzkammern, Waschküche, Bügelzimmer, Gemüsekammern, Kohlenkammern und rückwärts auch die Kesselkammer und die Maschinenräume. Zudem befinden sich rückwärts fünf Bade- und fünf Ankleidezimmer. Vor dem mit gelben Verblendsteinen mit rother Einfassung gezierten Gebäude, das unter dem Giebel des Hauptbaues mit einer Uhr und den Statuen der Muttergottes, des heiligen Josef und Sebastian geschmückt ist, wird eine kleine Grotte, zu deren beiden Seiten aber Esplanaden errichtet.
Das ganze Gebäude enthält daher 47 Wohnräume: vier Speisesäle, acht Schlafsäle, dazwischen vier Wärterzimmer, sechs Zimmer des ersten und zweiten Stockes im Mittelbau, zwei Zimmer unter dem Giebel der Flügelbauten, zehn Mansardenzimmer im zweiten und eilf im dritten Stocke; dazu kommen dreizehn Kellerräume, das Kesselhaus und fünf Badecabinen mit ebensovielen Ankleidezimmern.
Kneipp unterstellte das Haus der tüchtigen Leitung der ehrw. barmherzigen Brüder. Sie will er seine Cur lehren und so befähigen, das von ihm begründete Haus auch nach seinem Tode in seinem Geiste weiterzuführen. An den ehrwürdigen Herrn Prior derselben sind auch etwaige Anfragen betreffs Aufnahme kranker Kinder zu richten. Bald nach der Eröffnung fanden 150 jugendliche Kranke darin Aufnahme. Mit der Erbauung des Kinderasyls, das Kneipp unter den Schutz des hl. Sebastians, des Beschirmers gegen die Seuchen des Leibes und der Seele stellte, und darob „Sebastianeum“
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nannte, hat er sich das schönste Denkmal seines selbstlosen Samariterthums gesetzt. Da jedoch der gewaltige Bau sammt Einrichtung auf 100.000 Mark oder noch höher zu stehen kommen dürfte, sind milde Gaben noch jederzeit höchst willkommen. Mögen vor allem die Mütter, die es ja am meisten wissen und erfahren, was es es heißt, ein liebes, theures Kind von schwerer Krankheit heimgesucht zu sehen, ein Scherflein dem Kinderasyl in Wörishofen zuwenden*), der Mahnung eingedenk, die ein Curgast an die Mütter gerichtet:
„Drum, um aller Noth zu lindern,
Wird erbauet ein Asyl. –
Mutter! Mutter! hilf den Kindern!
Hilf zu diesem edlen Ziel!
Nein! die Gabe wirst du nicht versagen,
Die himmelwärts der Kinder Engel tragen!“
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17.
Kneipp auf Reisen.
In München.
Kaum hatte sich Kneipps Ruf in alle Weltgegenden verbreitet, als auch schon von den verschiedensten Seiten Einladungen eintrafen, er möge hier und dort einen Vortrag halten. Die Haupt- und Residenzstadt seines Vaterlandes darf die Ehre für sich in Anspruch nehmen, die erste öffentliche, außerhalb Wörishofens gehaltene Rede des Wasserapostels über die Wassercur gehört zu haben.
Am 1. April des Jahres 1890 hielt nämlich Kneipp in den Münchener „Central-Sälen“ vor einer 3000-köpfigen Zuhörermenge, die meist den „besseren“ Classen angehörte, und einer großen Anzahl von Ärzten einen 2½ stündigen Vortrag über seine Heilmethode. Prinzen und Prinzessinnen des bayrischen Hauses hatten Entschuldigungen gesandt, dass sie verhindert waren, beim Vortrage zu erscheinen. Am 30. April desselben Jahres erfreute Kneipp die Münchener
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*) Die Gaben sende man direct an hochw. Herrn Pfarrer Kneipp in Wörishofen. (Anm. des Verfassers.)
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mit einem zweiten Vortrage in dem „Münchener Kindl-Bräu-Saale“ . Nach den Schätzungen der Münchener Tagespresse hatten 5000 Menschen an dem Vortrage theilgenommen.
In Trier.
Am 30. September 1891 verließ Kneipp abermals Wörishofen und zwar diesmal auf mehrere Tage. Sein religiöser Sinn zog ihn nach Trier, um dort den heiligen ungenähten Rock Christi, der seit 40 Jahren wieder der Verehrung der Gläubigen ausgesetzt war, zu sehen und zu verehren. Am 7. Oktober, dem letzten Ausstellungstage, celebrierte Kneipp um halb 7 Uhr früh im Dome zu Trier die heilige Messe, der Ihre kais. Hoheit die Frau Erzherzogin Maria Theresia von Österreich mit ihren Töchtern, den Erzherzoginnen Margaretha, Annunciata und Elisabeth und die Gemahlin des Herzogs Paul von Meklenburg beiwohnten. Der Herzog selbst hatte sich die Ehre auserbeten, bei der heiligen Messe dem Pfarrer Kneipp Ministrantendienste leisten zu dürfen. Auf der Hin- und Rückreise ward Kneipp überall auf den Eisenbahnen und Bahnhöfen erkannt, um ringt und um Rath und Hilfe angegangen. Geheilte drängten sich allenthalben an ihn heran, um ihm nochmals wiederholt für die zutheil gewordene Rettung zu danken. Am 7. Oktober traf Kneipp wieder in Wörishofen ein.
In Innsbruck.
Doch bereits nach acht Tagen verließ Kneipp wieder sein Pfarrdorf. Diesmal galt die Reise dem Nachbarlande Österreich, der Landeshauptstadt des kaisertreuen Tirol; – Kneipp fuhr nach Innsbruck. Der Wasserapostel hatte den Bitten des Innsbrucker Naturheilvereines Folge geleistet und hielt am 16. Oktober im großen „Andreas Hofer-Saale“ des Hotels „zum goldenen Stern“ einen herrlichen Vortrag in zwei Abtheilungen über die Entstehung seiner Wassercur, über die Verweichlichung und Versinnlichung der heutigen Generation und wie man leben müsse, um gesund zu bleiben. Rauschender Beifall lohnte den Redner für seinen fast zweistündigen Vortrag. Unter dem allgemeinen Jubel der Zuhörer ward dem edlen Menschenfreunde ein großer Edelweißstrauss überreicht.
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In Graz.
Hatte Kneipp schon im Oktober vorigen Jahres den Boden Österreichs als Lehrer der Naturheilkunde betreten, so sollte seine Frühlingsreise des Jahres 1892 seine getreuen Anhänger in der freundlichen Murstadt und der Kaiserstadt überraschen. Am 24. April trat Pfarre r Kneipp in Begleitung des Vorstandes des Kneipp-Vereines, des hochw. Herrn Pfarrers Stückle von Mindelau und des Ausschussmitgliedes Herrn Örtel die Reise nach Österreich an. Die Fahrt ging über Salzburg, wo Kneipp auf Einladung des Abtes im altberühmten Benediktinerstifte St. Peter übernachtete. In Linz war Kneipp Gast des dortigen Bischofes. Auf dem Bahnhöfe in Linz wartete seiner auch eine angenehme Überraschung. Ein Kneippianer hatte nämlich dem P farre r Kneipp für die Strecke Linz - Graz einen Salonwagen zur Verfügung gestellt. Am 26. April 8 Uhr morgens traf Kneipp in Graz ein und nahm als Gast des Prälaten Karlon im Domherrnhofe Absteigequartier. Um 8 Uhr abends hielt er den vom „Vereine für volksverständliche Gesundheitspflege“ erbetenen Vortrag in der „Industriehalle“, dem größten Locale, das Graz für Versammlungen zu bieten vermag. Dichtgedrängt standen bei 3000 Personen aller Stände und lauschten mit gespanntester Aufmerksamkeit den Ausführungen des Wasserapostels. Lob des Wassers und der Kräuter, Abhärtung von Jugend auf, Verdammung des Kaffees, Thees, der geistigen Getränke und der Schnürleiber bildeten das reichhaltige Thema des fesselnden Vortrages.
In Wien.
Am 27. April endlich traf Kneipp in Wien ein. Mit Jubel und Freude ward der greise Pfarre r begrüßt; er hatte ja endlich sein schon im Herbste 1890 gegebenes Versprechen eingelöst und war dem Rufe seiner Wiener Anhänger gefolgt. Das Palais des ihm befreundeten Grafen Sailern nahm ihn gastlich auf. Hier in Wien feierte Kneipp einen seiner größten Triumphe. Um nicht einseitiger, parteiischer Berichterstattung beschuldigt zu werden, sieht der Verfasser von der eigenen Schilderung der glänzenden Wienerversammlung ab und lässt dafür ein Blatt sprechen, dem noch niemandden
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Vorwurf gemacht, ein Freund der Pfarrer, besonders des Pfarrers Kneipp zu sein. Die „Neue Freie Presse“ berichtet in der Nummer vom 28. April 1892: „Im Musikvereinssaale drängte sich eine tausendköpfige Menge; die Tribüne, die Gallerie, der Saal waren dicht besetzt und kein Plätzchen leer. Der „Naturheilverein“, der heute seine Gründung vollzog, hatte Pfarrer Kneipp nach Wien geladen, „um das Kindlein aus der Taufe zu heben“, und dieser war erst nach langem Kampfe, wie er gestand, dem Rufe gefolgt. P farrer Kneipp zählt heute 72 Jahre, ohne irgend ein Merkmal des Greisenhaften an sich zu haben. Eine hohe, kräftige Gestalt, in einfacher, schwarzer Soutane und schlichten Bauernschuhen steht vor uns; den mächtigen, ausdrucksvollen Kopf deckt dichtes, weißes Haar, und buschige, dunkle Augenbrauen, beschatten ein feuriges, sprechendes Auge.
Als er so vor die Menge heraustrat, empfangen mit lebhaften Beifallsrufen, umdrängt von einer Schar ehemaliger Patienten und begeisterter Anhänger und seinen Blick über die Menge schweifen ließ, schlug er verwundert die Hände zusammen. Das Publicum war in der That interessant und in solcher Zusammensetzung in Wien wohl noch nie gesehen worden Aristokraten und schlichte Gewerbsleute, hohe Officiere und Klosterbrüder, Professoren und Kaufleute, Künstler und Doctoren, namentlich aber zahllose Geistliche und eine außerordentlich starke Anzahl von Frauen aus allen Ständen füllten die weiten, prunkvollen Räume. Der schlichte Pfarrer von Wörishofen mag wohl niemals in seinem Leben vor solchem P ublicum gesprochen haben wie heute. Als er vortrat, drängten sich zahlreiche Personen hin, um seine Hand zu fassen und zu drücken; wir sahen einen alten Herrn, der nicht anstand, die gebotene Hand begeistert zu küssen; Frauen und Mädchen drängten sich heran, jedes wollte wieder erkannt sein, jedes an seinen Aufenthalt in Wörishofen erinnern, und es bedurfte geraumer Zeit, bis der Redner zum Worte kommen konnte. Pfarrer Kneipp spricht mit kräftiger, klangvoller Stimme, langsam und mit tiefer Überzeugung. Der gemüthvolle, schwäbische Dialekt, der ihn manchmal plötzlich überfällt und durch einige Minuten nicht loslässt, kommt ihm ungemein zustatten. Sein Vortrag ist schlicht, wie er selbst, voll Naivetät [Naivität] und einem Humor, der das Publikum
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häufig zur lebhaften Heiterkeit hinreißt. Mit lustigem Lachen erzählt er, wie er einmal wegen Curpfuscherei vor Gericht stand und ihn der Richter bei dieser Gelegenheit eines Rheumatismus wegen zurathe zog, oder wie ihn die Apotheker geklagt, dass er ihr Gewerbe schädige, weil er alles mit Wasser heile. Was er heute sprach, wird jeder Arzt gerne unterschreiben, wenn es auch bei weiterem Eingehen ins Detail nicht an Meinungsverschiedenheiten fehlen dürfte.
Pfarrer Kneipp ging von der Bemerkung aus, dass das Durchschnittsalter des Menschen vor einigen Decennien noch mit 32 Jahren, heute dagegen nurmehr mit 28 Jahren berechnet werde. Die Ursache dieses Rückganges schreibt er dem naturwidrigen Leben von heute zu, namentlich der schon mit der Geburt des Kindes beginnenden Verweichlichung, der schlechten Nahrung, – in seinem Sinne werden nur die allerärmsten Kinder naturgemäß genährt – dem Genuss von geistigen Getränken von Kaffee und Thee. Das Wasser sei es, aus dem ein neues, kräftiges Geschlecht wiedergeboren werden müsse. Das Kind soll schon vom zweiten Tage nach der Geburt an täglich ins kalte Wasser getaucht werden. Warme Bäder sind ganz zu vermeiden. Die Nahrung besteht aus Brot, das alle Theile des Kornes enthalte, und Speisen aus solchem Mehl, Kartoffeln und nur einmal des Tages Fleisch.
Ähnlich sollen auch Erwachsene leben, dann gelänge es ihnen, mit 72 Jahren es noch mit dem jüngsten aufzunehmen, wie er es imstande sei. Die kalten Bäder sollen nur 1 - 2 Secunden dauern („wie die des Frosches, der untertaucht und gleich wieder das Land sucht“); je kälter das Wasser, desto besser. Die Haut soll nicht abgetrocknet werden, weil die Reaction und Wärmeentwicklung durch dieses Unterlassen kräftiger gemacht werde. Gegen Nervosität sei das Beste das „Barfußgehen“ in der Stadt – weil man schon so kindisch sei und sich schäme – im Hause; auf dem Lande im nassen Grase, verbunden mit entsprechenden Bädern.
Auch den Kräutern (etwa 40 an der Zahl) misst Pfarrer Kneipp viele heilende Kräfte zu, während die moderne Apotheke nur Gifte kenne, die oft mehr verderben als gutmachen. Mit einer komischen Leidenschaftlichkeit eifert Pfarrer Kneipp gegen das Mieder – die „Modenarren-Zwangsjacke“, wie er sie nennt. Diesem Marterwerkzeuge
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schreibt Kneipp schreibt Kneipp die vielen Unterleibserkrankungeu der Frauen zu. Die drastische Ausdrucksweise, mit welcher der Redner gegen das Mieder und seine Vertheidigerinnen loszog, erregte oft stürmische Heiterkeit. Der Eindruck der Rede war unstreitig auch bei denen ein tiefer, die hingegangen waren, um sich über den neuen Apostel lustig zu machen. Der alte Pfarrer sprach mit so tiefer Überzeugung, mit solcher Wärme, in so väterlichem Tone, dass er alles für sich gewann. Er wusste so heitere Anekdoten und Erlebnisse einzuflechten, dass er auch unterhielt; vor allem aber drängte sich jedem seiner Zuhörer die Überzeugung auf, dass er es mit einem Manne von vollständiger Selbstlosigkeit und Uneigennützigkeit zu thun habe, der, wie er zum Schlusse bemerkte, sich nur danach sehne, sich in Ruhe für eine selige letzte Stunde vorzubereiten. Die Ovationen, welche dem Redner gebracht wurden, waren geradezu stürmische, und auch an Kränzen und Blumen fehlte es nicht. Wir haben hier nur den Eindruck geschildert, den Pfarrer Kneipp und seine Rede auf alle übte, welche anwesend w aren, und müssen den Ärzten überlassen, im Punkte der Wissenschaft mit ihm zu Gerichte zu gehen. Eines ist sicher, an begeisterten Anhängern wird es ihm in Wien nicht fehlen. In Begleitung des Pfarrers Kneipp bemerkte man die Vorstandsmitglieder des Central-Kneipp-Vereines, Pfarrer Stückle und Herrn Oertel. Unter den Anwesenden befanden sich: Gräfin Bardi, der persische Gesandte Neriman Khan mit Familie, Graf Sailern , Canonicus Graf zur Lippe, Baron Schwarz-Sendborn, der Attache der japanischen Gesandtschaft, Prälat Stöger, Reichsrathsabgeordneter Neuber und andere.“
Herr Habenicht, Vorstand des Wiener Kneipp-Vereines überreichte unter erneuertem Beifall dem Vortragenden einen Lorbeerkranz mit der Widmung: „Die Wiener A nhänger ihrem verehrten Vater Kneipp“ Nach 10 Uhr abends fand zu Ehren des Pfarrers Kneipp im Hotel „zur goldenen Ente“ ein Bankett statt, an dem eine größere Zahl seiner Freunde theilnahm . Am Schlusse desselben überreichte auch Canonicus Graf Arnold zur Lippe einen Lorbeerkranz als Widmung seiner Wiener Anhänger. Am 28. April trat Kneipp seine Heimreise an. Als er um 4 Uhr früh das gräfliche Palais Sailern verließ, ward er
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bereits von mehreren Patienten um Rath angegangen. Einige Verehrer gaben ihm das Geleite bis St. P ölten. Das war Kneipps Wienreise, „der Glanzpunkt seines Lebens“, wie er selbst sich ausdrückte.
Außer diesen Reisen nach Österreich machte Kneipp noch eine Schweizerreise. Am 31. Mai 1892 hielt er zu Augsburg im Plass'schen Garten einen von 3000 Menschen (es wurden allein 2800 Karten ausgegeben) besuchten Vortrag. Ein riesiger Lorbeerkranz war sein Lohn. Am 24. Juli treffen wir Kneipp abermals in Österreich, bei Sr. kais. Hoheit dem Herrn Erzherzog Josef auf dessen Besitzung Alcsuth in Ungarn, wohin der kaiserliche Prinz den Wörishofener Pfarrer telegraphisch berufen hatte. Der 28. November desselben Jahres sah Kneipp zum zweitenmale in Innsbruck, der 16. Jänner 1893 bei seinen Anhängern in Barmen.
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Vornehme Kurgäste.
Wenn man die Berühmtheit von Curorten vielfach nach den Persönlichkeiten beurtheilt, die dort zusammenströmen, dann darf Wörishofen mit Recht verlangen, den bedeutendsten zugezählt zu werden. Wenn Wörishofen auch jetzt noch in gewissem Sinne ein Armenbad ist, so fehlt es doch nie an vornehmen, hervorragenden Curgästen. Personen vom höchsten Range geistlichen und weltlichen Standes haben Wörishofen besucht, ja wiederholt besucht und dadurch ihrem Interesse für Kneipp und seine Wassercur Ausdruck gegeben. Um durch Aufführung aller bedeutenderen Curgäste nicht zu ermüden, sei eine kleine Ährenlese hiehergesetzt.
1. Aus dem geistlichen Stande:
Ein päpstlicher Nuntius; Cardinal Patriarch Dominik Agostino von Venedig; Cardinal Fürsterzbischof Dr. Graf Schönborn von Prag; Erzbischof Dr. Samassa von Erlau in Ungarn; Fürstbischof Dr. Napotnik von Lavant; Bischof Dr. Franz Maria Doppelbauer von Linz ; Bischof Dr. Josef Posilovich von Zengg; Bischof Dr. Fritzen von Straßburg; Bischof Sogaro von Sudan;
S. 67
Urheber
Pater Friedrich Mayer, Linz
Quelle
Sammlung Helmut Scharpf
Verleger
Helmut Scharpf
Datum
1891-05-17
Rechte
gemeinfrei